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Fotopraxis
Großbildtechnik
Das Profi-Format
Der Laie staunt - doch der Fachmann wundert sich schon lange nicht mehr. Seit es fotografische Apparate gibt, kennt man das große Aufnahmeformat. Großbildtechnik, auf die bestimmte Profis auch in Zukunft nicht verzichten können, ist unser Thema. In einer mehrteiligen Folge werden wir neben der technischen Bestandsaufnahme vor allem über die Praxis mit der Großbildkamera berichten.
Wenn eine ehemals bekannte Persönlichkeit, von der man lange nichts hörte, unversehens in die Nachrichtensendungen gerät, dann ist sie entweder gestorben oder achtzig geworden. Und wenn die Fotografie auf großen Filmformaten nun plötzlich in COLOR FOTO besprochen wird, dann möchte man meinen, sie ebenfalls feiere entweder ein rundes Jubiläum oder habe gerade ihr Leben ausgehaucht. Doch weder Nachruf noch Geburtstagsständchen ist am Platze, vielmehr die Erinnerung daran daß es neben der allverbreiteten Lichtbildnerei auf Kleinbildfilm immer noch und unangefochten eine andere Fotografie gibt, die nicht verdient, mit Schweigen übergangen zu werden. Vor allem da sie aufnahmetechnische Möglichkeiten bietet, die unseren hochgezüchteten Handkameras verschlossen bleiben.
Die Zeit der Kontaktkopien
Je weiter wir in der Geschichte der Fotografie zurückgehen, desto größeren Aufnahmeformaten begegnen wir. Es war nicht üblich, Negative zu vergrößern, man fertigte Kontaktdrucke an und mußte folglich die Platte so groß halten, wie das positive Bild werden sollte. 9x12 cm galt als ausgesprochen
bescheiden; die Kontaktkopie hat ja nicht einmal Postkartenformat. Mit dem Aufkommen der wendigen Handapparate (Rollei, Leica etc.) und der damit einhergehenden Vergrößerungstechnik lockerte sich die Bindung des Filmformats an das Bildformat, und überhaupt waren diese Kameras bequemer. Innerhalb eines Jahrzehntes (1930 -1939) wurden die Apparate neunmalzwölf und größer von den neuen Erfindungen abgelöst - auch schon bei den Berufsfotografen. Die großen Formate waren wohl ganz ausgestorben, wenn nicht um 1930 die Plattenkamera technisch verfeinert worden wäre. Da entwarf der Lichtbildpapst jener Jahre, Heinrich Kühn (18681944), einen Apparat, der zwar sperrig und schlecht zu transportieren war, sich aber durch einige Raffinessen auszeichnete, die man bislang nicht in einer einzigen Kamera vereinigt hatte. Kühns Erfindung wurde von der Firma Stegemann in Berlin gebaut und hieß deshalb Kühn-Stegemann-Kamera. Von ihr gehen unsere heutigen Großbildgeräte aus, nicht von den Allerweltsapparaten mit Klappdeckel und Brillantsucher, die außer dem großen Negativ wenig mit einer modernen Linhof Sinar, Plaubel gemein haben.
Kamera auf optischer Bank
Die Nachfahren des Kühn-Stegemann-Apparates sind sämtlich (wie dieser auch schon) Kameras auf optischer Bank. Das klingt geheimnisvoll, verliert aber seinen Nimbus, wenn man sich klar macht, daß eine optische Bank nichts weiter ist, als eine Schiene, auf der man Geräte zum Zwecke optischer Versuche beweglich montiert. Der optische Versuch in unserem Falle ist die fotografische Aufnahme, und das Gerät, das auf der Schiene angeordnet ist, besteht aus Objektivstandarte Rückteil mit Mattscheibe sowie dem Balgen, der beides verbindet. Das ist schon alles. Die Raffinesse dieser an sich schlichten Einrichtung liegt darin, daß Standarte und Rückteil äußerst beweglich gehalten sind. Man kann sie nicht nur auf der Schiene vor- und zurückschieben, um die Kamera auf verschiedene Gegenstands- und Brennweiten einzustellen, man kann beide auch rechtwinklig zur optischen Achse in die Höhe und zur Seite rücken, ferner vertikal und horizontal schwenken. Das eröffnet aufnahmetechnische Möglichkeiten, von denen später die Rede sein soll.
An diesen Kameras auf optischer Bank ist fast alles auswechselbar. Nur die Schiene und die Objektivstandarte bleiben. Die Schiene indes lobt sich verlängern, um ganz lange Brennweiten nutzen zu können, die Objektive sind selbstverständlich austauschbar, das Rückteil läßt sich abziehen und durch ein solches mit größerem Format ersetzen, so daß aus der Kamera 9x12 cm eine von 13x18 cm oder 18 x 24 cm wird. Der Ziehharmonikabalgen, der ohnehin schon recht lang ist, kann mit Hilfe weiterer Standarten angestückt werden oder wird für die kurzen Brennweiten und die extremen Verstellungen mit einem Sackbalgen getauscht der sich weit nach links und rechts, nach oben und unten dehnen lobt.
Besagte Kameras sind sämtlich Stativapparate. Das Bild wird auf der Mattscheibe eingestellt, dann die Filmkassette eingeschoben, wobei das Mattscheibenbild verschwindet. Folglich muß, damit die Einstellung erhalten bleibt, der Apparat fest stehen. Und da die Kamera groß und schwer ist, braucht sie ein großes und schweres Stativ. Folglich benutzt man sie meist im Atelier. Das Aufnahmematerial war früher die Glasplatte und ist heute der Planfilm. Das sind recht steife, auf das jeweilige Format zugeschnittene Filmstücke, die mit denselben Emulsionen beschichtet sind wie unsere Roll- und Kleinbildfilme auch. Die Planfilme werden in Packungen zu 25 und 50 Stück geliefert und vor der Aufnahme einzeln in Kassetten gelegt (in der Dunkelkammer). Heute sind es gewöhnlich Doppelkassetten d.h. solche, die auf beiden Seiten je einen Film fassen. Durch einen Schieber ist der Film vor Lichteinfall geschützt. Diesen Schieber muß man zur Aufnahme herausziehen und hernach wieder einsetzen.
Von den Objektiven soll noch ausführlicher die Rede sein. Vorerst nur so viel, daß sie auf einer Platte montiert sind, welche in die vordere Standarte paßt und daß sie einen Zentralverschluß enthalten mit Zeiten von 1 s bis 1/200 s oder 1/500 s (je nach Durchmesser der Verschlußöffnung) sowie einen Hebel, der den Verschluß während der Einstellung des Bildes geöffnet hält.
Bereit zur Aufnahme
Nun, da wir einen Überblick über die Teile der Großbildkamera gewonnen haben, können wir uns die Handgriffe vergegenwärtigen, die nötig sind, um eine Aufnahme zu machen. Der Fotograf baut die Kamera vor dem Motiv auf (ein Stilleben, ein Innenraum, ein Haus) und komponiert, vom Einstelltuch umhüllt, das Bild auf der Mattscheibe bei offener Blende und geöffnetem Verschluß. Das Bild steht - leider - auf dem Kopf, aber den versierten Fachmann stört das nicht. Langjährige Übung befähigt ihn, sich vorzustellen, wie die Projektion in aufrechter und seitenrichtiger Lage aussehen würde. Wer sich an die kopfstehende Darstellung nicht gewöhnen kann, beschafft sich zu seiner Kamera einen Spiegelansatz, einen Kasten, der hinter die Mattscheibe gesteckt wird und mit Hilfe eines Winkelspiegels (wie in unseren Reflexkameras) das Bild aufrichtet.
Befriedigt die Komposition und ist das Bild scharfgestellt, schließt der Fotograf die Blende auf den für die Aufnahme vorgesehenen Wert (irgendwo zwischen 16 und 45), spannt den Verschluß und schließt die Lamellen. Dann nimmt er die Filmkassette, schiebt sie vor die Mattscheibe, die zu dem Zweck zurückfedert, zieht den Kassettenschieber und drückt auf den Auslöser. Er führt den Schieber wieder in die Kassette ein (diesmal anders herum, damit er weiß, daß der Film belichtet ist) nimmt die Kassette heraus, öffnet die Blende und den Verschluß und ist bereit zur nächsten Aufnahme. Hübsch umständlich, nicht wahr?
Werbung als Großbild-Anwender
Wozu macht man sich die Mühe? Gewiß nicht aus Tradition und Anhänglichkeit an überholte Verfahrensweisen. Denn hier operieren nicht vergangenheitsselige Amateure, sondern Fachfotografen, die ihre Bilder für gutes Geld an den Mann bringen. Und der Mann, d.h. der Auftraggeber, zieht eben oftmals ein großformatiges Dia den Kleinbildwinzlingen vor, die er mit der Lupe untersuchen müßte, um zu merken, was darauf zu sehen ist. Und bestimmte Motive sind auch heute nicht mit der Handkamera darzustellen. Eine Obersicht ohne stürzende Linien, wie sie für Möbelkataloge gefordert ist, erhält man einwandfrei nur von der
Großbildkamera. Ins Extrem gedehnte Schärfentiefe wie auf jenem gedeckten Tisch, der neben anderen Köstlichkeiten auch die berühmte Margarine mit den siebzehnfach ungesättigten Fettsäüren darbietet, diese quer durch den Raum sich erstreckende äußerste Detailzeichnung lobt sich ebenfalls nur mit dem Planfilmapparat aufs Bild zaubern. Und die neueste Yashinolta-Olympoflex XRZ 438 M steht nur deshalb so überzeugend in der ganzseitigen Anzeige, weil die Fachkamera, bestückt mit langer Brennweite, ihr Bestes tat. Haben Sie schon einmal versucht, einen Fotoapparat mit einer gewöhnlichen anderen Kamera so abzubilden, daß er wirklichkeitsgetreu aussieht? Es geht nicht. Irgendwo hapert es da immer an der Perspektive.
Die Werbung also ist es, die auf die Großbildtechnik nicht verzichten kann. Gewiß werden alle Produktbilder, die solchen Umstand nicht erfordern, mit Kleinbild- und Sechsmalsechs-Kameras aufgenommen. Aber etliche Aufgaben lassen sich damit nicht erfüllen. Vom Werbefotografen erwartet man deshalb, daß er ebenso überzeugend und einfallsreich mit seiner Linhof, Sinar, Plaubel umgeht wie mit der Nikon oder Hasselblad.
Im Grunde kann man jedes lichtbrechende Medium vor die Großbildkamera setzen, vom Brillenglas bis zum Uralt-Anastigmaten, von der Leselupe bis zum Weitwinkelobjektiv.
Zwei Objektive reichen
Man muß nur Sorge tragen daß die Anfangsöffnung durch eine Blende sich verkleinern lobt, und daß durch irgendeine Art Verschluß die Belichtungszeit reguliert werden kann. Was den Verschluß angeht, so muß er nicht, wie heute üblich, im Objektiv sitzen. In der Frühzeit der Fotografie, als die Belichtung lang dauerte, benutzte man die Objektivdeckel zur Dosierung der Lichtmenge. Deckel ab ... einundzwanzig, zweiundzwanzig ... Deckel drauf. Dann gab es Verschlüsse, die vorne aufs Objektiv gesteckt wurden - solche mit Lamellen, andere die sich wie ein Augenlid öffneten, und wieder andere, die nach Art der Guillotine in einer Schiene herunterfielen und dabei eine Öffnung am Objektiv vorbeiführten. Beliebt war auch der Hinterlinsenverschluß, dessen letzte Ausführung noch heute für die Sinar erhältlich ist. So ein Separater Verschluß hat den Vorteil, daß man auch Spezialobjektive, die nur in "Normalfassung" zu haben sind, an die Kamera ansetzen kann.
Doch für die gängigen Aufgaben der Großbildtechnik bedarf es keiner Speziallinsen. Da kommt man mit zwei Objektiven aus, dem Standardobjektiv und dem Weitwinkelobjektiv.
Das Standardobjektiv dient als normale und als lange Brennweite. Es wird von den drei konkurrierenden Firmen (Rodenstock, Schneider, Nikon) nach ähnlichem Bauplan und mit annähernd gleicher Leistung hergestellt. Es ist ein Sechslinser mit der Anfangsöffnung 1:5,6 und einem Bildwinkel um die 70 Grad herum. Erhältlich ist es mit den verschiedensten Brennweiten. F=150 mm gilt als normal für das Format 9x12 cm. Kombiniert man aber ein Standardobjektiv von beispielsweise f=210 oder f=360 mm mit dem gleichen Filmformat, dann erfüllt das Objektiv die Funktion der langen Brennweite. Es leistet die gleichen Dienste, die an der Kleinbildkamera das Teleobjektiv verrichtet. Nur, daß es hier keiner Tele-Konstruktion bedarf. Man zieht schlichtweg den Balgen weiter aus. - Der Bildwinkel von 70 Grad will uns groß erscheinen; er ist indes erforderlich für die Verstellungen, von denen in der nächsten Folge die Rede sein wird.
Das Weitwinkelobjektiv ist gewöhnlich ein Achtlinser mit sehr großer Front- und Hinterlinse um die Vignettierung herabzusetzen. Es hat Anfangsöffnungen zwischen 1:4,5 und 1:6,8 und bei Arbeitsblende einen Bildwinkel von etwa 100 Grad. Man wählt es gewöhnlich so daß seine Brennweite der kürzeren Formatseite entspricht, also für 9x12 cm f=90 mm. Da verfügt man bei dem enormen Bildwinkel noch über reichliche Verstellmöglichkeit. Will man weniger verstellen, kann man auch schon mit f=75 mm arbeiten.
Eine genügsame Technik
Erstaunlich an dieser bescheidenen Aufzählung ist, was alles man für die Großbildtechnik nicht braucht. Keine Zooms und keine Lichtriesen mit großer Anfangsöffnung, auch keine Spiegelobjektive. Warum eigentlich nicht? Was das Zoom angeht, so scheidet es wegen seiner technischen Unzulänglichkeit aus. Alle Zooms verzeichnen mehr oder weniger, und das entspricht nicht dem Gütestandard, den man in der Großbildtechnik voraussetzt. Besondere Makroobjektive sind deshalb entbehrlich, weil die Standardlinsen diese Aufgabe übernehmen. Der Balgen erlaubt nicht nur, bis zum Maßstab 1:1 an das Motiv heranzugehen, er ermöglicht sogar Lupenaufnahmen. Was will man mehr?
Die Objektive großer Öffnung schließlich erübrigen sich, weil man damit kein ansehnliches Bild zustande brächte. Die Schärfentiefe im Großbildformat ist entschieden geringer als im Kleinbildformat. Mit Blende 2 könnte man nur eine Ebene abbilden ohne die mindeste Durchzeichnung des Motivs - also was soll's? Aus der von Hause aus geringen Tiefenzeichnung erklären sich somit die bescheidenen Anfangsöffnungen. Diese dienen überdies nur der Scharfstellung; fotografiert wird grundsätzlich von Blende 11 abwärts. Da, wo in der Kleinbildtechnik die relativen Öffnungen allmählich aufhören, fangen die der Großbildtechnik erst an. Blende 22 ist eine viel gebrauchte und hochanständige Blende. Anders könnte man die durchgehende Schärfe gar nicht erzielen, die vielen Motiven angemessen ist. Der Werksfotograf bei Zeiss in Oberkochen erzählte mir, für bestimmte Produktaufnahmen verwende er ein Repro-Objektiv und schließe die Blende bis auf 1:90 (!). Da vernichte zwar die Lichtbeugung die äußerste Detailzeichnung, aber nur so erreiche er die Bildtiefe, auf die er nicht verzichten könne. Wir merken, hier wird mit anderem Maß gemessen.
Das "Doppelobjektiv"
Das Besondere eines der Standardobjektive bleibt noch zu erwähnen. Das Symmar 1:5,6 von Schneider ist ein "Doppelobjektiv". Die vordere Hälfte lobt sich aus der Fassung herausschrauben, und die verbleibende Hinterlinse ergibt ein selbständiges zweites Objektiv von nicht ganz der doppelten Brennweite und einer Öffnung von 1:12,5. Die älteren Standardobjektive waren generell solche "Doppel"-Anastigmate. Dadurch ersparte der Fotograf sich die Anschaffung einer separaten langen Brennweite.
Aber da die Großbildtechnik ganz in die Hände der Fachleute übergegangen ist, die nicht auf Mark und Pfennig sehen müssen, hat der Doppel-Anastigmat nicht länger den Reiz, der ihn vormals auszeichnete. Heute schaffen sich die Profis lieber ein zweites Objektiv an, als daß sie mit 1: 12,5 scharfstellen und die geringere Bildgüte einer Hinterlinse in Kauf nehmen.
Automation - Zukunft der Großbildtechnik?
Wenn etwas Mode wird, dann machen auch die Leute die Mode mit, die es nicht nötig hätten, oder denen gar das Modische schlecht zu Gesichte steht. Die elektronische Schaltungstechnik, der in den Kleinbildkameras so großer Erfolg beschieden ist, verführt neuerdings auch die Hersteller von Verschlüssen für Großbildobjektive, ihre Produkte mit mancherlei elektrischen Funktionen auszustatten. Da gibt es z.B. einen Verschluß, der mit automatischer Belichtungsmessung gekoppelt ist, ganz wie wir es von den Kleinbildkameras gewohnt sind. Jedoch wurde das bisher kein Verkaufsschlager. Die Gründe liegen auf der Hand.
Der Fachmann, der seine großformatigen Diapositive als Druckvorlage verkauft, kann nur optimal belichtete Bilder anbieten. Und wir wissen daß die automatische Belichtungssteuerung zwar brauchbare Durchschnittswerte liefert, oft jedoch am besten Ergebnis vorbeigeht. Zudem macht der Fachmann stets eine Reihenbelichtung oder doch eine Probeaufnahme auf Polaroidfilm.
Und was die Zeitersparnis durch Automation angeht: wenn der Aufbau des Motivs eine halbe Stunde dauert, kommt es auf zwei Minuten mehr nicht an. Großbildtechnik und Automation schließen einander aus. So scheint es mir jedenfalls, und die bisherige Entwicklung bestätigt mich darin.
Alfons Scholz in Color Foto 12/1985
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