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Fotopraxis Großbildtechnik Großbildtechnik für alle? Nicht jeder, der sich dafür interessiert, kann sich eine Großbildkamera leisten. Doch es gibt die Chance, Techniken des großen Formates in kleineren Formaten zu nutzen. Das rechte Maß Nicht alles, was man tun kann, soll man auch tun. Der Besitz eines Kameramotors beispielsweise verpflichtet nicht dazu, nur noch Serienaufnahmen zu machen und selbst Stilleben in ihre - nicht vorhandenen - Zeitelemente zu zerlegen. Die Versuchung freilich ist groß, wenn ein Mittel einmal vorliegt, es auch anzuwenden, ob es nun gerechtfertigt ist oder nicht. Die schöne Beweglichkeit der Kamera auf optischer Bank, ihre Eignung zu Parallelverschiebung und Verschwenkung, verleitet zu Kunststückchen, die zwar erstaunlich, aber unschön sind. In der Literatur wird manches empfohlen, was man nicht unbesehen nachahmen sollte. Etwa die "totale Entzerrung". Auch die "kombinierte Front- und Seitenansicht" ist etwas, das vielleicht in der Gebrauchsanweisung für ein technisches Gerät seinen Platz hat, aber durchaus nicht "bildmäßig" ist. Ferner kann man durch Verschwenkung des Rückteils um die vertikale Achse schräg im Bild stehende Gegenstände sei es dehnen, sei es stauchen. Auch das ist mehr spaßig als ähnlich. Es muß nicht immer und um jeden Preis verschoben und geschwenkt werden. Die Verstellungen der Großbildkamera dienen dazu, den Gegenstand besser, getreuer darzustellen, als es ohne sie möglich wäre. Steht das Ding schon ohne Verstellung naturgetreu auf der Mattscheibe, dann wird ein guter Fotograf es so lassen. Überhaupt ist Geschmack und ästhetisches Urteil nötig, um zu wissen, wie weit man mit den Bewegungen von Standarte und Rückteil gehen darf. Nicht immer ist es z. B. angebracht, die stürzenden Linien zu vermeiden. In einer New Yorker Wolkenkratzerschlucht laufen auch für unser Auge die ragenden Gebäude oben zusammen. Wollte hier der Fotograf alles parallel halten, würden die Häuser kopflastig und seltsam auseinandergezogen wirken. Manchmal heißt das, was offensichtlich falsch ist, -kreative. Mit diesem Etikett wird ja vieles versehen, das durch auffallende Unähnlichkeit verblüfft. Für solche Kreativität wurde die Großbildkamera noch nicht entdeckt, obwohl sie, wie angedeutet, mit manchem Effekt aufwarten könnte. Doch da die Kameras fast ausschließlich in den Händen von Leuten sind, die ihre Bilder verkaufen wollen, und Auftraggeber das Bizarre nicht schätzen, gilt in diesem Bereich der Fotografie nur das Ähnliche als gekonnt. Anwendung Was können wir Amateure aus der Betrachtung der Großbildapparate und ihrer Aufnahmetechnik für uns mitnehmen? Mindestens so viel, daß wir die Anschaffung einer "shift lens", eines Schiebeobjektivs, in Erwägung ziehen. Etliche Hersteller bieten so etwas an, und Schneider vertreibt sein PA-Curtagon mit dem jeweils gewünschten Kameraanschluß. Die Schiebeobjektive erlauben uns an der Kleinbildkamera die wichtigste und nötigste Verstellung, die Parallelverschiebung, und zwar in allen Richtungen, nach oben, unten, links und rechts. Es sind Weitwinkel von meist 35 mm Brennweite, deren optische Achse sich um sieben bis zwölf Millimeter versetzen läßt. Für die raumgreifende Aufnahme von Gebäuden, Plätzen, Innenräumen sind sie unerläßlich, sofern wir uns nicht mit dem viel zu großen Vordergrunde herumschlagen wollen. Sie sind teuer, aber der fotografische Gewinn läßt den Kaufpreis rasch vergessen. Diese Objektive haben keine Übertragungshebel, so daß Aufnahmen mit Blendenautomatik und Programmautomatik ausscheiden. Ob die Zeitautomatik funktioniert, muß man herausfinden. Nach meiner Erfahrung (aber ich habe nicht alle Modelle durchprobiert) erhält man bei Verstellung eine falsche Belichtung. Man kann in diesem Falle nur manuell fotografieren. Man mißt das Licht bei unverstelltem Objektiv und übernimmt die dabei emmittelten Werte für die Aufnahme mit Verschiebung. Dem Verlangen, nun auch selbst mit der Großbildkamera umzugehen, stellen sich einige Hindernisse in den Weg. Bei der Anfertigung von Diapositiven wirkt der Preis für die Entwicklung, die wir nur im Fachlabor haben können, abschreckend. Die Neunmalzwölf-Dias können wir zwar projizieren aber nicht jeder wird den großen Götschmannprojektor für etwa 3500 DM erwerben wollen. Und sie auf dem Leuchtkasten zu betrachten, ist nicht recht befriedigend. Der Negativ-Positiv-Prozeß, sei er farbig oder schwarzweiß, führt nur zu guten Ergebnissen, wenn wir ihn selbst in die Hand nehmen. Da kommen nun zu den Kosten der teuren Kamera die des noch teureren Vergrößerers hinzu. Alles in allem kann man sich für das, was man für diese Geräte ausgibt, einen neuen Kleinwagen kaufen. Die Leidenschaft muß schon beträchtlich sein, ehe ein Fotograf sich finanziell derart verausgabt. Wenn man eine Dunkelkammer-Einrichtung erbt und eine gebrauchte Kamera günstig erwirbt, sieht die Sache anders aus. Den normalen Weg indes wird kaum jemand beschreiten wollen. Günstiger liegen die Verhältnisse im Format 6,5x9 cm. In der Dunkelkammer brauchen wir nur einen Vergrößerer 6x7 cm, und die sind, weil sie als Amateurgeräte gelten, durchaus erschwinglich. Der eine oder andere besitzt vielleicht so ein Gerät schon und muß dann nur noch die Kamera, zwei Objektive und sechs Doppelkassetten kaufen. Für die Entwicklung der Filme sind keine besonderen Vorrichtungen nötig, denn zu den meisten Rollfilmdosen gibt es Planfilmeinsätze 6,5x9 cm. Eine Nummer kleiner also eröffnen sich die Möglichkeiten der Großbildtechnik auch dem Amateur. Dabei kommt ein weiteres Kameramodell ins Spiel, das durchaus seine Vorzüge hat. Laufbodenkamera Das Angebot an Planfilmkameras im Mittelformat ging in den letzten Jahrzehnten ständig zurück. Die Plaubel-Junior ist nicht mehr, die Linhof-Studienkamera auch nicht. Arca-Swiss produziert noch eine, ein Gerät auf optischer Bank, das in einem Koffer geliefert wird. Die Transportschwierigkeiten sind damit weitgehend behoben. Interessanter ist aber ein Modell, das in der genannten Studienkamera seinen Hauptvertreter hatte und zur Zeit von Komura in Japan unter der Marke Horsemann gebaut wird. Es ist die Laufbodenkamera, die so heißt, weil die Objektivstandarte nicht auf einem Rohr, sondern auf einem auklappbaren Deckel (dem "Boden") vor und zurück bewegt wird. In geschlossenem Zustande ist die Kamera ein flacher Kasten, an dessen Rückseite sich die Mattscheibe befindet. Drinnen ruht zusammengeschoben der Balgen mit dem Objektiv. Zur Aufnahme wird die Vorderseite (der Laufboden) heruntergeklappt, das Objektiv auf die Führungsschienen herausgezogen und die Mattscheibenabdeckung geöffnet. Da sich die Kamera in ihr stabiles Gehäuse verkriechen kann, ist sie für den Transport und selbst für Reisen bestens geeignet. Darauf sind wir angewiesen, denn wenn wir schon mit Planfilm und Verstellungen umgehen wollen, dann gewiß nicht nur in Haus und Garten. Dem Drang ins Freie und Weite aber legt der Laufbodenapparat nichts in den Weg. Auch das zugehörige Stativ muß nicht von der schweren Sorte sein. Wenn es eine Hasselblad trägt, dann genügt es gleichermaßen für unseren Zweck. Die Verstellmöglichkeiten der Laufbodenkamera sind nicht so üppig wie die des Gerätes auf optischer Bank, aber völlig genügend. Die Standarte läßt sich nach oben und zu beiden Seiten verschieben. Die Verschiebung nach unten wird erreicht, indem man den Deckel noch ein wenig weiter abklappt. An Verschwenkungen sind vorgesehen: 15xGRADx um die Horizontale beim Objektiv, 15xGRADx in allen Richtungen bei der Mattscheibe. 30xGRADx nach unten am Objektiv erreicht man durch zusätzliche Senkung des Laufbodens. Wer mit alledem nicht auskommt macht irgend etwas falsch. Geronar In den USA ist die Großbildfotografie unter Amateuren noch nicht ausgestorben. Das liegt an der Tradition der amerikanischen Lichtbildnerei, deren "grand old men" sämtlich Heroen des großen Formates waren. Die unseren waren Kleinbildleute, Pioniere der Leica. Mit Blick auf die amerikanische Szene hat Rodenstock eine Serie "wohlfeiler" Objektive gebaut, die wir uns gleichfalls zunutze machen können. Für uns kommen in Frage die beiden Dreilinser mit 150 mm und 210 mm Brennweite, sowie das Weitwinkel mit 90 mm Brennweite. Nur drei Linsen pro Objektiv gelten heutzutage als dürftig, wo doch die Zooms 12 bis 16 haben und die Normalbrennweite mindestes sechs. Das freilich ist kein Grund, verächtlich auf die Triplets zu blicken. Wenn der Konstrukteur die Grenzen respektiert, die durch sechs brechende Flächen gezogen sind, kann er hochanständige Lichtbildlinsen anbieten. Die "Geronare" von Rodenstock haben eine mäßige Anfangsöffnung 1:6,3 und 1:6,8) und einen kleineren Bildwinkel als die sechslinsigen Standardbrennweiten (55 bis 60 Grad), aber gerade dadurch erbringen sie in ihrem Bereich gute Leistungen. Das Weitwinkel (Geronar WA) ist ein Vierlinser 1:8. Auch hier führt die Bescheidung auf kleinere Öffnung zu guten Ergebnissen. Wer Geld sparen will, rüstet seine Laufbodenkamera 6,5x9 cm mit dem Geronar WA 8/90 mm und einem Geronar längerer Brennweite aus und wird mit diesen Objektiven gut zurecht kommen. An den Bildern wird niemand merken, daß etwas weniger geschliffenes Glas bei der Aufnahme beteiligt war. Alfons Scholz in Color Foto 2/1986 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}