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Meilensteine der Fototechnik
Die Geschichte der 35-mm-Spiegelreflexkamera
Stationen einer Karriere
Kein anderer Kameratyp hat die fotografische Sehweise derart revolutioniert wie die Kleinbildreflexkamera. Sie ist, verglichen mit Großbild- und Mittelformatkameras, klein, leicht und handlich. Die Vielzahl der verwendbaren Brennweiten und die genaue Kontrolle des Motivs im Sucher machen sie insbesondere im Tele- und Nahbereich der Meßsucherkamera überlegen. Rund fünfzig Jahre hat sie dazu gebraucht, den heutigen Standard in Qualität und Bedienungskomfort zu erreichen, und die Autofokus-Zukunft hat erst begonnen.
Als die Kubakrise den Weltfrieden erschütterte, die Beatles ihr Star Club Debüt in Hamburg feierten, als Opel das Kadett-Werk in Bochum einweihte, präsentierte der japanische Kamerahersteller Asahi Pentax sein Modell Spotmatic SV Vor 25 Jahren, im Jahre 1962, nahm die moderne Spiegelreflexkamera in der Form, wie wir sie heute kennen, Gestalt an.
Zwar war die Konkurrenz von Nippon Kogaku KK - sprich Nikon - mit der F von 1959 und Minolta mit der SR 2 von 1958 schon früher am Ball, die Weichen für eine Kleinbild-Spiegelreflex-Zukunft zu stellen, doch die Spotmatic SV erwies sich als besonders entwicklungsfähig und wird bereits zwei Jahre nach ihrem Debüt jene entscheidende Verbesserung erfahren, die sie zusammen mit dem M42 Objektivanschluß so populär machen sollte.
Die exakte Belichtungsmessung durch das Objektiv über die eingestellte Arbeitsblende mit den prägnanten drei Buchstaben "TTL" werbewirksam bezeichnet und weltweit vermarktet, stellte in der Tat eine wesentliche Verbesserung des Bedienungskomforts bei Spiegelreflexkameras dar. Um stündliche Aufsteckbelichtungsmesser, mit dem Verschlußzeitenrad gekuppelt, muteten zu altväterlich für die neue Kameragattung an, die sich gerade anschickte, die Welt des Bildes zu revolutionieren. Die Spiegelreflex brauchte einen Durchsichtsucher, einen schnellen Schlitzverschluß, Rückschwingspiegel und eine Lichtmessung durch das Objektiv, um ihre Vorzüge gegenüber den etablierten Leica- und Contax-Systemen auszuspielen.
Asahi Pentax schuf mit der Spotmatic SP das erste Kameramodell, das all diese Vorzüge auf sich vereinigen konnte. Asahi war überhaupt der japanische Kleinbild-Spiegelreflexhersteller der ersten Stunde. Als Nikon und Canon mit ihren berühmten Rangefinder-Kameras noch dabei waren, Leica und Contax zu kopieren, brachte der Optikspezialist bereits 1952 mit der Asahiflex Japans erste Spiegelreflexkamera auf den Markt. Zwei Jahre später steuerte das Tokioter Unternehmen mit der Asahiflex II den Rückschwingspiegel als bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der reaktionsschnellen Spiegelreflexkamera bei.
Asahi Pentax bezeichnete sich in der Werbung gerne als der Spiegelreflex-Spezialist. Dies traf jahrzehntelang wortwörtlich zu, bis die Pentax-Manager der Name Asahi wurde in den letzten Jahren aus Marketinggründen zugunsten des einprägsamen Produktnamens Pentax verdrängt - ab 1982 mit dem Modell PC-35 AF, die als lachende Kamera in die Werbegeschichte einging, am wachsenden Kompaktsucherkameramarkt partizipieren wollten.
Nikon, Canon, Minolta und Olympus hatten schon immer Sucherkameras im Programm. Wer diese Zeilen liest, könnte den Eindruck haben, nur Pentax hätte die Entwicklung der modernen Spiegelreflexkamera beeinflußt. Dies zu behaupten wäre zweifellos übertrieben. Allerdings hielt der massive Pentax-Innovationsschub noch bis in die achtziger Jahre unvermindert an.
Die Asahi Spotmatic ES, auch Electro Spotmatic genannt, erschien 1971 als erste elektronisch gesteuerte Spiegelreflexkamera, mit Zeitautomatik nach Blendenvorwahl. Freilich kam sie ohne Zubehöradapter, wie noch bei der Contarex SE von Zeiss Ikon notwendig, aus. Den Trend zur Miniaturisierung im Spiegelreflexkamerabau griff Pentax mit den Modellen ME und MX begierig auf, um neue Rekordmarken für Kompaktheit und geringes Gewicht zu setzen und sogar die erste Autofokus-Spiegelreflexkamera der Welt, die ME F stammt von Pentax. Der voluminöse Steuermotor im Objektiv vereitelte allerdings einen großen Markterfolg der 1981 vorgestellten Kamera.
Aber nicht in allen Konstruktionsdetails preschte Asahi Pentax so vehement voran. Mit der Einführung des Bajonetts ließ man sich zu lange Zeit. Bis 1975 mußten Pentax Anhänger warten, bis sie mit der K Serie ein Bajonett erhielten, das in puncto Universalität die Tradition des M-42 Schraubverschlusses würdig fortsetzte. Minolta, Canon und Nikon hatten ihr Bajonett schon bis 1959 konstruiert, es blieb bis heute unverändert.
Ganz ohne Zweifel hatten die Japaner ab 1964 bei der Entwicklung der Kleinbild-Spiegelreflexkamera die Nase vorn. Während Leitz erst später den Trend von der Meßsucherkamera weg hin zur Spiegelreflex erkannte und 1965 die erste Leicaflex mit antiquierter Außenmessung vorstellte, gab es bei Zeiss schon seit 1953 eine Spiegelreflexkamera, einäugig, versteht sich.
Die Contaflex wurde ein Millionenerfolg trotz Zentralverschluß und wenig überzeugenden Vorsatzobjektiven. Außerdem hatte die Kamera noch keinen Rückschwingspiegel. Voigtländer, der andere große deutsche Hersteller von hochwertigen Präzisionskameras verfolgte mit den Modellen Bessamatic und Ultramatic die gleiche antiquierte Zentralverschlußstrategie bis weit in die Sechziger Jahre hinein. Der Verkaufserfolg gab ihnen recht, nur die Zukunft nicht. Einzig Edixa setzte von den Großen rechtzeitig auf den zukunftsträchtigen Schlitzverschluß.
Der anderen deutschen Republik ging es da in Sachen Spiegelreflex ausnahmsweise besser. Aufbauend auf die Dresdner Pioniertradition der Exakta fand in der DDR mit der Praktica, der Contax D und der Exakta Varex die Weltrevolution des neuen Kameratyps weitaus schlagkräftiger statt.
Die Contax D mit Dachkantprisma erschien schon 1947 als Erzeugnis eines volkseigenen Betriebes und leitete mit der richtigen technischen Komponente Schlitzverschluß
drüben einen Spiegelreflex-Boom ein, der eine Fülle von Praktica-Modellen hervorbrachte. Abgeschirmt von der japanischen Konkurrenz und dank niedrigem Preisniveau eroberten die Prakticas nicht nur den heimischen Markt. Ein großes Wechselobjektivprogramm tröstete in der Anfangszeit über gewisse Qualitätsmängel hinweg.
Die siebziger Jahre brachten stürmische Bewegung in die Szene. Die Mikroelektronik beflügelte die SLR Kameratechnik in neue Höhen, Zeitautomatik, Multiautomatik, Miniaturisierung und Motorisierung hießen die Schlagworte einer wilden Epoche mit rasanten Innovationen, mit einer Ausnahme allesamt aus Japan kommend. Die Ehre der einst größten Kameranation der Welt rettete Rollei mit einer neuartigen Spiegelreflexkamera mit zwei Suchern, einem integrierten Motor und Wechselmagazin.
Alf Cremers in Color Foto 8/1987
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