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Der Fotoamateur aus Sicht der Industrie Dumm, uninteressiert und technikgläubig? Viel scheint die Fotoindustrie Ihren Kunden nicht gerade zuzutrauen - zumindest wenn man den Aussagen eines Teils ihrer Anzeigen in Fach- und Publikumszeitschriften Glauben schenkt. Danach sind die Fotoamateure von heute zu kaum mehr als dem Druck auf den Auslöser in der Lage und lassen sich jedes scharfe und richtig belichtete Foto schon als ein Bild mit Profiqualität verkaufen. Sind Fotoamateure wirklich so dumm oder will sie die Industrie nur für dumm verkaufen? "Ist Ihnen auch schon aufgefallen, daß in den Menschen eine erstaunliche Wandlung vorgegangen ist?" fragt Konica in seiner Anzeige für seinen SR-V 100 Farbnegativfilm und teilt die Fotogeschichte in zwei Epochen nämlich in die nach und in die vor Konica, ein. Nach dieser Geschichtsschreibung gibt es seit Konica nur noch strahlende Menschen vor der Kamera, die "ganz unverkrampft ihr fröhlichstes Lächeln" aufsetzen. Und wem verdankt die Fotografie den Einzug des Lächelns in die Fotoalben? Dafür haben die Konica Werber von der Agentur GGK eine "simple aber einleuchtende Erklärung" Natürlich zaubert der "Belichtungsspielraum" und "das erweiterte Wahrnehmungsspektrum des Konica SR-V 100" dieses Lächeln auf alle Gesichter. Mit soviel Witz und Selbstironie wirbt sonst kaum ein Mitglied der Fotoindustrie für sein Produkt. Im Gegenteil: Liest man die Texte anderer Hersteller, so treibt es einem eher die Tränen in die Augen. Da hört der Spaß wirklich auf, mit welchen manchmal unglaublichen, marktschreierischen Superlativen die Qualitäten von Kameras und Zubehör ins rechte oder besser gesagt ins unrechte Licht gesetzt werden. Verlassen Sie sich nicht auf ihr trügerisches Auge, sondern vertrauen Sie fotografische Augenblicke Kodak an. Denn ganz gleich, ob Sie den "Schönen der Nacht" ins Auge schauen oder die "Augen des Paradieses" oder auch nur die Augen des dem Paradies entlehnten Apfels im Bild festhalten wollen: Kodacolor und Kodak Ektachrome Filme sehen diese besser als der Mensch. Und zwar "So scharf und detailliert, daß unser Auge viel davon lernen kann." Übermenschlich stuft Kodak anscheinend die Fotografen ein. Denn der Ektachrome 100, der beispielsweise die bewußten Apfel- oder Paradiesaugen soviel besser sieht als der Mensch, sieht auch nur - so steht in den gleichen Anzeigen zu lesen - "so scharf wie das geschulte Fotografenauge" Kommt Ihnen das wunderbar vor? "In Zukunft brauchen Sie sich über eins nicht mehr zu wundern: Superfotos. Kein Wunder, wenn Sie in Zukunft nur noch superscharfe Fotos machen. Kein Wunder, wenn Sie in Zukunft nur noch perfekt belichtete Fotos machen. Sie brauchen nur noch den Auslöser zu drücken." Wer alle diese Wunder vollbringt? Natürlich die EOS, das Autofokus-Wunder von Canon. "Gute Fotos sollten Sie nicht dem Zufall überlassen," sondern vielmehr der Canon EOS, dem "Handling-Wunder", anvertrauen. "Mit dieser Kamera macht jeder von Anfang an Fotos in Profiqualität. Jederzeit. Ganz einfach." Fragt sich nur, was man bei Canon unter " Profiqualität" oder auf "Anhieb" versteht. "Perfekte Belichtung und optimale Schärfe", erklärt Hermann Baur Marketingleiter von Canon. "Der Wert eines Bildes ist doch sehr subjektiv. Er richtet sich nach dem Anspruch eines jeden Einzelnen. Das Foto von einem Neugeborenen besitzt für die stolzen Eltern einen unschätzbaren Wert, ganz gleich, ob es nun mit einer vollautomatischen Sucherkamera und Weitwinkelobjektiv gemacht oder mit einer Spiegelreflex und Porträt-Tele aufgenommen wurde. Doch was für die Eltern das schönste Baby der Welt sein mag, kann von einem neutralen Betrachter als nur mittelmäßiges oder gar schlechtes Foto angesehen werden. Um auch objektiven Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, bedarf es eines geschulten Auges und einer Kamera, die eine kreativere Bildgestaltung ermöglicht. Wir glauben, daß der Anspruch an die Bildqualität mit der Erfahrung wächst. Wer viel fotografiert, wird auch viel ausprobieren und bewußt gestalten wollen. Damit aber immer mehr Menschen fotografieren, muß es ihnen so einfach wie möglich gemacht werden, zu guten Bildern zu kommen. Doch neben der einfachen Bedienung sollten Kameras auch die Möglichkeit bieten, hin und wieder etwas Besonderes auszuprobieren. Andererseits sehen wir leider allzu oft, wie wenig die hervorragende Technik, die heute in all unseren Kameras steckt, tatsächlich auch genützt wird. Machen wir uns nichts vor, das Foto macht immer noch der Kopf hinter der Kamera," erklärt Canons Marketing-Experte. Bestimmte Zielgruppen für die Fotografie existieren für Hermann Baur nicht mehr. "Spiegelreflexkameras sind inzwischen Allgemeingut geworden. Die bequeme Handhabung als auch der verglichen mit den Ausgaben für andere Freizeitbeschäftigungen günstige Preis für eine Spiegelreflexausrüstung haben die Fotografie zu einem jedem zugänglichen Hobby gemacht. Wir haben die gemeinsame Aufgabe, dieses schöne Hobby so populär wie möglich zu machen." Dagegen ist nichts zu sagen. Nur muß man deshalb in der Werbung so maßlos übertreiben? Wer nicht an Wunder glaubt, hat ja zumindest die Möglichkeit, sich über die Tatsachen in COLOR FOTO oder beim Fotofachhandel zu informieren. Daß Canon auf die letztgenannte Möglichkeit der sachlichen und fachlichen Information in seiner Anzeige doch noch hinweist ist erfreulich. Diesen Hinweis hält man bei Nikon für absolut überflüssig. Wozu sich auch mit überflüssigen Informationen belasten? Falls eine Aufnahme nicht gelingt, so liegt das laut Nikon keineswegs am Fotografen. "Es gibt keine Schlechten Bilder. Nur Schlechte Kameras" verkündet Nikon. Woher kommen nur die hunderttausende mißratenen Fotos, die tagtäglich durch die Printer der Kopieranstalten laufen? So viele Menschen, die mit schlechten Kameras fotografieren, kann es doch gar nicht geben? Wie schätzt nun Nikon seine Kunden ein, daß man sie derart plump zu ködern versucht? "Ganz einfach und deutlich gesagt: Der, der im Nikon Programm seine ideale Kamera findet, ist für uns der ideale Partner", sagt Hartmut Bauer, von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei der Nikon GmbH. " Bevor heute eine neue Nikon auf den Markt kommt, wird eine sehr genaue Verbraucheranalyse gemacht. Die Entwicklung einer neuen Kamera hängt also in sehr starkem Maße von den Bedürfnissen des Verbrauchers ab. Ich will damit sagen, daß wir für die 'Beschaffenheit' des idealen Kunden in starkem Maße mitverantwortlich sind. Zum Beispiel haben die Marktforscher herausbekommen, daß im Bereich der AF Sucherkameras die Preislagen um 300 und 400 Mark sehr attraktiv sind. Also wurden Kameras entwickelt, die in dieses Preissegment hineinpassen. Weitere Punkte, die eine Kaufentscheidung beeinflussen, sind: Qualität des Produktes, hohe Trefferquote bei einfacher Handhabung und ein gutes Design. Je mehr man auf die Bedürfnisse des Marktes eingeht, um so erfolgreicher ist ein Unternehmen. Wir möchten nicht nur einen idealen Fotoamateur, sondern wollen auch der ideale Anbieter für den Kunden sein." Ist man der ideale Anbieter, wenn man seinen Kunden "Statt zehn Handgriffe: Einen Knopfdruck verspricht"? Nikon steht nicht etwa allein in der Einschätzung der Anspruchslosigkeit seiner Käufer. Auch Polaroid glaubt die Freude an der Fotografie dadurch steigern zu können, daß man sie auf den Druck auf den Auslöser beschränkt. Nein ganz so schlimm ist es doch nicht. Die Motivsuche bleibt natürlich nach wie vor Ihnen überlassen. "Suchen Sie das Motiv aus, den Rest besorgt die Polaroid Image System Kamera von selbst" verspricht hier die Werbung. Selbstverständlich dürfen Sie auch selbst aufs Knöpfchen drücken. Qual und Pein, mit der das Fotografieren anscheinend in früheren Zeiten für so viele verbunden war, ist ein für alle Mal vorbei. Jetzt beginnt das vergnügliche Zeitalter eines eigenartigerweise trotz aller damit verbundenen Mühsal auch bisher sehr beliebten Hobbys. "Kein Stress" und "scharfe Nächte" verspricht Olympus den OM 707 Käufern. Obwohl diese Kamera dank Vollautomatik "ganz einfach zu bedienen ist", preist man sie in der Werbung als "Ideal für Technik-Fans und Einsteiger ins Spiegelreflex-System" an. Vielleicht sollen die nicht in die Fotografie einsteigenden Technik-Fans ihre Freude an der OM 707 beim Zerlegen und wieder Zusammenbauen dieser in Modulbauweise konstruierten Kamera entdecken. Dipl.-Ing. Rita Helmholtz, Product Manager der Olympus Optical Co. (Europe) GmbH beschreibt den Käufer, den Olympus anspricht, folgendermaßen: "Der Trend zu Kameras mit einfacher Bedienung ist eindeutig. Das zeigt der riesige Absatz bei den vollautomatischen Sucherkameras. Die OM 707 vereinigt nun die Vorzüge der einfachen Handhabung von Sucherkameras mit der Vielseitigkeit eines Spiegelreflexsystems. Das Problem in Deutschland liegt darin, daß die Käufer an ihren Geräten stets alle Möglichkeiten haben möchten, obwohl sie nur einen ganz geringen Teil davon nutzen. Würden sich die Kunden vorher genau fragen, was sie wirklich fotografieren wollen und was sie dazu brauchen, könnten sehr viele mit erheblich preiswerteren Kameras zu zufriedenstellenden Ergebnissen kommen. So müssen wir Kameras mit immer mehr Möglichkeiten und dennoch immer einfacher werdender Handhabung anbieten. Diesem Wunsch trägt die OM 707 in konsequenter Weise Rechnung. Mit ihr kann man sich ganz auf die Gestaltung des Bildes konzentrieren und muß sich keine Gedanken über korrekte Belichtung, Beleuchtung oder Schärfe machen. Sie garantiert Bilder in hervorragender Abbildungsqualität und bietet trotz aller Automatik für technisch perfekte Bilder alle Möglichkeiten individueller Bildgestaltung. Und das wirklich ganz ohne Stress, denn alle Aufgaben, die die perfekte Wiedergabe des Motivs betreffen, übernimmt die Kamera automatisch, durch eingebauten Blitz und Meßlicht sogar nachts. Der Trend geht eindeutig zu einfacher Bedienung, doch auch wer selbst alle Abläufe kontrollieren möchte, findet im Olympus-Programm die richtige Kamera. Hier sei nur auf die neue OM 4 ti hingewiesen. Wir wünschen uns Kunden, bei denen die Freude am Bild im Vordergrund steht. Wer einen hohen Anspruch an die Qualität seiner Bilder stellt der liegt bei Olympus richtig. " So wie es in der Entwicklung des menschlichen Verhaltens vor der Kamera eine fotografische Zeitrechnung vor und nach Konica gibt, so hat angeblich das leise "sst" von Minolta "für eine fotografische Revolution gesorgt". "Präzise und schnell stellt das Minolta Autofokus-System scharf. Bei jedem Licht, mit jedem AF-Objektiv." Bei jedem Licht? Gewiß mit Unterstützung des AF-Meßstrahls bei angesetztem Blitz. Aber mit jedem Objektiv? Sicher nicht mit dem 600er bei schwachem Licht und über zwanzig Meter Entfernung. Aber wer wird denn kleinlich sein? Schließlich geht es um Wichtigeres: um die Freiheit "für die Gestaltung, die formale Qualität, auch für die notwendige Spontaneität." Um diese Qualitäten zu erkennen brauchen Sie gar nicht erst mit den Minolta AF-Kameras zu fotografieren. "Nehmen Sie eine davon mal in die Hand. Schon beim Anfassen, beim spielerischen Überprüfen der Funktionen werden Sie spüren, daß Sie eine außergewöhnliche Kamera In der Hand halten." Wie erfreulich hebt sich da die Anzeige von Yashica aus der Masse marktschreierischer Selbstanpreisung ab. Bei der Werbung für die neue 230 AF beschränkt man sich auf Zitate aus Fachzeitschriften oder empfiehlt sich beim Fachhandel zu informieren. Daneben stehen ein paar technische Daten, die man - keiner weiß warum -neudeutsch mit "Facts und Figures" umschrieben hat. Schwimmt man bei Yashica nicht im vielbeschworenen Trend der Anspruchslosigkeit? "Ist ein anspruchsloser Kunde denn ideal?" fragt sich Leo Stejskal, der für Yashica die Werbetrommel rührt. "Möglicherweise ja. Denn wie angenehm wäre es für alle, wenn schlecht funktionierende, billig ausgestattete Kameras zu hohen Preisen gekauft würden, Verkäufer keine Beratung geben müßten und selbst der letzte Schund an Vergrößerungen strahlend akzeptiert würde. Natürlich wollen wir das so nicht. Natürlich sollte unser Kunde Sachverstand besitzen und auch die Marktverhältnisse kennen, ganz genau wissen, welche Kamera seinen Wünschen entspricht, warum und weshalb es nicht die perfekte Kamera geben kann, wie man Filme unter allen klimatischen Umständen zu pflegen hat, warum Gesichter unter einem roten Sonnenschirm rotstichig sind, daß Objektiven optische Grenzen gesteckt sind, und heute fürs gleiche Geld wie vor zehn Jahren eine Menge mehr an Bedienungskomfort, Fehlerfreiheit und fast schon perfekter Chemie geboten wird. Wenn wir (Industrie, Handel, Labor) all das Wissen, das wir besitzen, bereit sind in verständlicher Form weiterzugeben, dann haben wir die kleine Hoffnung, es eines Tages fast nur noch mit idealen Kunden zu tun zu haben. Es hängt eigentlich nur von uns ab." Ganz offen hat man in Wetzlar den Anspruch an die Kundschaft formuliert. "Sind Sie schon reif für eine Leica?" wurde hier bewußt provozierend in der Werbung gefragt. "Die Leica ist etwas für den ambitionierten Fotografen, der ganz individuell das besondere Bild gestalten möchte", berichtet Hans Günther von Zydowitz Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Leica GmbH. Wir konzentrieren uns bei der Entwicklung der Leica auf das Wesentliche, das zur Erstellung guter Fotos notwendig ist. Natürlich geht es uns dabei auch um eine möglichst einfache Bedienung. Doch hat die Bildqualität immer die Priorität. Die Handhabung soll nicht ablenken, deshalb sind alle wichtigen Einstellungen im Sucher zu kontrollieren. Leica Fotografen belichten mehrere Filme im Monat und verlangen höchste optische Qualität. Unser ganzes Bemühen gilt dem Erreichen eines optimalen Bildes. Wir erwarten von unseren Kunden daß sie sich mit ihrer Leica und den fotografischen Voraussetzungen auseinandersetzen. Wir wissen, daß Leica Fotografen häufiger fotografieren als andere. Sie beschicken Wettbewerbe, sie projizieren ihre Dias und machen nicht nur Abzüge im Miniformat sondern präsentieren ihre Bilder in Formaten von 18x24 Zentimetern und größer. Sie gehören Fotoclubs an und wissen, daß nicht nur eine gute Kamera sondern auch der Fotograf zu einem guten Foto gehört." "Das Vorbild heißt Leica" könnte man fast sagen. Denn bei aller Liebe und Begeisterung für den enormen technischen Fortschritt, der sich sowohl im Kamerabau, bei der optischen Leistung moderner Objektive und in der ständigen Verbesserung des Aufnahmematerials dokumentiert, sollte man nicht vergessen, wozu er realisiert wurde: Nämlich um noch einfacher zu qualitativ hochwertigen Aufnahmen zu kommen. Und die garantiert keine noch so gute Automatik. Wie beim Automobil mag es der Fahrer eines Wagens mit Automatikgetriebe vielleicht bequemer haben. Ein besserer Autofahrer ist er deswegen noch lange nicht. Lassen Sie sich von der Werbung nicht aufs Glatteis führen. Auch wenn Nikon in seiner Werbung provozierend fragt: "Was ist Ihre Kamera jetzt noch wert? " Sie ist soviel und sowenig wert wie die Fotos die Sie mit Ihr machen! Heiner Henninges in Color Foto 8/1987 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}