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Color Foto Interview Eine Leica für 1000 Mark wäre denkbar Interview mit Bruno E. Frey Zur Person Dr. Bruno E. Frey, Jahrgang 1942, Mitglied der Wild-Leitz Konzernleitung, ist seit 1.1.1987 Geschäftsführer der neuen Leica-GmbH. Nach dem Studium der Elektrotechnik avancierte er zum Doktor der Technischen Wissenschaften. Als Manager machte Dr. Frey Karriere in Europa und USA, bevor er bei Wild-Leitz eintrat. Für Aufsehen und Unruhe unter Leica-Besitzern und Leitz-Mitarbeitern sorgte die Nachricht, daß der ehemalige Geschäftsbereich Foto zur selbständigen GmbH umfunktioniert wird. Ab dem nächsten Jahr wird die neue Leica GmbH, die jetzt bereits de jure auf dem Papier existiert, voll aktiv. COLOR FOTO Redakteur Alf Cremers sprach mit Leica-Geschäftsführer Dr. Bruno E. Frey über Pläne und Ziele des Leica-Unternehmens. COLOR FOTO: Böse Zungen behaupten, das neue Leica-Fotounternehmen, die Leica GmbH, sei eine Abkapselung des Fotozweigs von der Wild-Mutter oder, anders ausgedrückt, die Vorbereitung für ein verkaufsfertiges Fotopaket. Gerüchte über einen Leica-Verkauf an den Kooperationspartner Minolta wollen nicht verstummen. Ist da etwas dran? Dr. Frey: Gerüchte halten sich oft hartnäckig, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Um es einmal klarzustellen, es gibt keine Wild-Mutter mehr. Wild und Leitz sind ein Konzern ein Unternehmen geworden, die Wild-Leitz-Holding. Wir kooperieren seit 1971 auf technischem Gebiet mit Minolta, es gibt keinerlei wirtschaftliche oder finanzielle Beziehungen. COLOR FOTO: Kann man den Begriff Joint-Venture für Ihr Verhältnis mit Minolta anwenden? Dr. Frey: Das kann man sicher nicht. Das Verhältnis Leica-Minolta ist überdies ausgezeichnet. Wir wünschen eine noch engere Zusammenarbeit mit unserem japanischen Partner, seit 16 Jahren haben wir die besten Erfahrungen gemacht. Der Austausch von Know-how erwies sich für beide Teile als sehr fruchtbar Es bestehen keine wirtschaftlichen Verflechtungen, es besteht auch kein Joint-Venture. Ob es in Zukunft dazu kommen könnte, darüber ist es jetzt sicherlich verfrüht zu reden. Die ganze Branche ist ja so flexibel, daß alles möglich wäre. Dennoch: Leica ist ein Wild-Leitz Unternehmen. COLOR FOTO: Ein Verkauf steht also nicht zur Debatte? Dr. Frey: Dies steht überhaupt nicht zur Debatte. Nur müssen wir mit der Leica GmbH profitabel sein, das ist unser klares Ziel. Es hat einmal böse Zungen gegeben, die haben behauptet, wir würden erst verkauft, wenn wir profitabel wären. Und wenn eine Firma dann floriert, wird sich der Eigentümer erst recht überlegen, ob er seine Firma verkaufen will. Ich will damit sagen, wenn es uns langfristig gelingt, Leica profitabel zu machen, so ist seine Zukunft bei Wild-Leitz garantiert. Das gibt auch die beste Sicherheit für den Arbeitnehmer Es gibt nichts unsichereres für Arbeitsplätze als ein kränkelndes Unternehmen. COLOR FOTO: Sie haben das Thema Rentabilität selbst angesprochen. Geht es der Leica GmbH denn so schlecht? Lieferzeiten bei den Objektiven, der M-6-Erfolg, die Vergabe von Lohnaufträgen an andere Firmen der Fotobranche und nicht zuletzt die hohen Preise lassen anderes erwarten. Leidet Ihre Firma trotzdem Not? Dr. Frey: Das ist sicherlich eine sehr heikle Frage. Ich darf nüchtern feststellen, daß die deutsche Fotoindustrie generell Schwierigkeiten hatte und immer noch Mühe hat. Finanziell ist Leica sicher nicht das lukrativste Geschäft von Leitz. Das ist kein Leitz-spezifisches Problem, sondern ein Strukturproblem eines Industriezweigs, der weitgehend von den Japanern verdrängt wurde. Wenn jemand ganz einfach nur normale Bilder machen will, kann er getrost zu einer japanischen Spiegelreflex für 1000 Mark greifen. Will jemand mehr, nämlich bewußt gestalten und kreativ sein, dann ist die Leica etwas ganz Einmaliges. Wir sind uns bewußt, daß diese Käuferschicht klein ist. Wir wollen auch kein Massenproduzent sein. Gott sei Dank sind wir es nicht, und dafür auch viel weniger vom Rückgang und den Schwankungen eines Massenmarkts betroffen. COLOR FOTO: Lassen Sie mich doch einmal den Versuch machen, ihre Kundschaft zu charakterisieren. Der Leitz-Käufer erwartet höchste Qualität, einen sehr guten Service, und er zeichnet sich durch eine starke Markenidentifikation aus. Sind diese Attribute noch zeitgemäß? Oder anders gesagt ist mit dieser traditionellen Klientel überhaupt der Schritt in eine neue profitablere Leica-Zukunft möglich? Dr. Frey: Ich möchte dies absolut bejahen. Typisch für Luxusgüter ist - und die Leica ist ein Luxusgut - daß die Käufer von ihm überzeugt sind, und ihm lange treu bleiben. Diese Artikel die qualitativ sehr hochwertig sind und nicht künstlich durch ständige Modellwechsel veralten, haben mehr denn je eine Zukunft, gerade auch in der Fotografie. Die Zahl der von hektischen Modellwechseln Frustrierten wächst. COLOR FOTO: Sie sprachen von Treue. Das betrifft ja wohl in erster Linie angestammte Leica-Kunden. Aber es geht ja auch darum, neue Leute, Einsteiger und Umsteiger zu gewinnen. Wie wollen Sie das schaffen? Dr. Frey: Wir sind immer wieder überrascht, wieviel Neukunden wir haben. Sie machen rund 50 Prozent aus. Doch machen wir uns keinerlei Illusionen, daß bei den jungen Leuten Namen wie Canon, Nikon oder Minolta in aller Munde sind, Leica jedoch weniger. COLOR FOTO: Liegt das daran, weil diese Marken durch häufige Innovationen dynamischer erscheinen? Dr. Frey: Es liegt sicherlich an der massiven Elektronik-Innovation der Japaner. Wir sind weiß Gott nicht gegen Elektronik, aber eins wollen wir nicht machen. Es wäre schlecht für uns, wenn Leica Innovationen mit drei- oder vierjähriger Verspätung nur in besserer Qualität auf den Markt bringt. Es geht vielmehr darum, mit unseren beschränkten Kapazitäten, die wir auch nicht weiter ausbauen wollen, gewisse Marktnischen zu besetzen. Diese qualitätsbewußten Kunden wollen wir optimal bedienen. Andererseits taucht hier die Frage auf, tut sich denn bei Leica überhaupt nichts mehr, bauen die nur ihre Klassiker weiter? Grundsätzlich glauben wir an die mechanische Kamera glauben aber auch, daß die Elektronik sicherlich auch bei uns in Zukunft eine große Rolle spielen wird, wenn wir jüngere Käuferschichten ansprechen wollen. COLOR FOTO: Einerseits sagten Sie, Sie wollen die Leica-Kapazitäten nicht erweitern, andererseits sprechen Sie von neuen jungen Käuferschichten. Ist das nicht ein Widerspruch? Ist es nicht an der Zeit, ein populäres Leica-Modell herauszubringen? Nikon hat sich doch auch nach unten geöffnet. Dr. Frey: Auch ich bin davon überzeugt, daß Leica Kameras haben sollte, die nicht nur erst für Etablierte ab 35 erschwinglich sind. Wir sollten Kameras haben, die eine jüngere Generation ansprechen. Doch das geht nicht mit Mechanik. Das geht nur mit einer stark elektronifizierten Kamera zu einem Drittel des üblichen Leica-Preises, also um 1000 Mark. Eine Leica für 1000 Mark mit viel Elektronik wäre denkbar. COLOR FOTO: Kann dies auch eine Autofokus-Kompaktkamera mit dem typischen Leica-Feeling sein? Elegant und schwarzverchromt in Ganzmetall? Dr. Frey: Eine einfach zu bedienende Kamera hat in der Praxis viele Vorzüge. Da wäre es sicher schön, wenn Leica eine solche Kamera hätte, Zweitkamera, die sich vorzüglich zu den klassischen Modellen gesellen könnte. Das sollte man unbedingt aufgreifen. In Deutschland fehlt es ein wenig an der technischen Infrastruktur, dies zu realisieren, aber vielleicht können wir dabei mit unserem Kooperationspartner aus Japan rechnen. COLOR FOTO: Apropos Autofokus. Wie wäre es denn mit einer Autofokus Spiegelreflex von Leica? Sie hätten doch angesichts des uniformen Erscheinungsbildes der Klasse um 1000 Mark eine echte Chance schließlich waren Sie einst mit Carrefot die ersten und verfügen heute über Minolta Know-how. Dr. Frey: Sicherlich hätte die Leica auch da eine Chance. Was dagegen spricht, ist der rückläufige SLR Markt und der damit verbundene harte Verdrängunuswettbewerb. Ich glaube, es lohnt sich nicht, in einen rückläufigen Markt neu einzusteigen. COLOR FOTO: Die Leica GmbH operiert mit exklusiven Spitzenprodukten der höchsten Preisklasse. Kann man mit dieser Nischenpolitik auf Dauer überleben? Dr. Frey: Wenn jemand eine Marktlücke konsequent ausfüllt, dann kann er durchaus sehr gut leben. Gerade in einem Markt der wie der SLR-Markt rückläufig ist. Uns geht es um das konsequentere Ausnutzen dieser Marktnische. COLOR FOTO: Die Leica M 6 kostet mit Summilux 1,4/50 mm über 5000 DM, die Leica R 5 mit Summilux R 1,4/50 mm etwa 4800 Mark. Ist die Schmerzgrenze nicht allmählich erreicht? Dr. Frey: Da gibt es zwei Theorien. Die einen meinen, die Grenze sei sogar schon überschritten, ein Marktforschungsinstitut meinte kürzlich sogar, wir seien zu billig. Wir sind nicht in der Lage, die Produkte zu verbilligen. Im Gegenteil, die Preise werden eher steigen. Handarbeit und Mechanik fordern ihren Tribut. Billiger ginge es nur mit Elektronik. Sicher ist eine Leica nicht billig, aber das Preis-Leistungsverhältnis ist absolut in Ordnung. Sie ist ein hochwertiges Produkt in elegantem Design mit hervorragenden Objektiven und hoher Lebensdauer und Wertbeständigkeit. COLOR FOTO: Müssen nicht die Optimierung der Produktion und eine weitere Verlagerung in ausländische Standorte den steigenden Kosten entgegenwirken? Dr. Frey: Das ist absolut richtig. Da gibt es für uns sicherlich noch einiges zu tun. Dennoch machten wird, daß ein Leica-Produkt sehr stark auch ein deutsches Produkt ist, ein Aushängeschild für deutsche Qualität. Auch in Portugal und Kanada sind letztendlich Deutsche für die Qualität verantwortlich. Wir streben in Zukunft das "Made in Germany" allerdings stärker an, sofern es preislich noch vernünftig ist. Die Qualität in unseren ausländischen Werken ist hervorragend. Wir sind stolz auf unsere ausländischen Produktionsgesellschaften. Portugal hat eine besondere Bedeutung aufgrund seiner günstigen Lage zu Wetzlar. Das Leitz-Werk in Portugal wird in Zukunft für uns eine Schlüsselfunktion haben. COLOR FOTO: Die Leica R 4s fungiert als Einsteiger-Leica. Müßte man die Kamera nicht werblich und strategisch besser herausstellen, wenn man potentielle Käufer ansprechen will? Dr. Frey: Eine Leica R 5 bietet naturgemäß mehr als eine Leica R 4s. Aufgrund ihrer einfacheren Ausstattung und eines günstigen Preises hat die R 4s sicher ihre Berechtigung am Markt, aber sie wird in Zukunft eher auslaufen. COLOR FOTO: ...dann fahren Sie bei der Spiegelreflexkamera also wieder eingleisig? Dr. Frey: Der Preisabstand zur Leica R 5 ist zu gering und der Preis ist absolut zu hoch, um die vorher angesprochene Einsteigerklasse abzudecken. Es ist kein Ziel, eine R 5s zu bauen. COLOR FOTO: Zwei Dinge fallen bei der Betrachtung der Leica-Objektivpalette negativ ins Gewicht. Einmal der hohe Preis, zum zweiten in der Tat das hohe Gewicht. Kann hier nicht die Einführung von Kunststoffen beide Probleme lösen und über preiswertere Objektive mehr Käufer holen? Dr. Frey: Kunststoffe im Objektiv sind einfach nicht Leica-like. Kunststoff kann Glas nicht ersetzen. Leica-Objektive bieten bereits bei voller Öffnung Hervorragendes nicht zuletzt ist dies ein Resultat des hohen Bauaufwands, der überdies eine jahrzehntelange Haltbarkeit und damit einen hohen Gebrauchsnutzen garantiert. COLOR FOTO: Wie werden Sie den Mangel an Zoomobjektiven im R-System - es gibt nur zwei, und die kommen von Minolta - beheben? Dr. Frey: Da haben Sie recht, hier muß man wohl dem reinen Theoretiker etwas nachgeben. Natürlich sind Festbrennweiten qualitativ unschlagbar. Andererseits sind Zoomobjektive tatsächlich ein Gebiet, bei dem wir etwas mehr tun sollten. Entwicklungsspielraum gibt es bei unserem Produktprogramm genügend, es wäre ja auch schade, wenn am Anfang eines neuen Unternehmens bereits alles ausgereizt wäre. COLOR FOTO: Wie sehen Sie die Erfolgschancen für die neue Leica-GmbH? Dr. Frey: Bisher sieht es für die Leica GmbH recht erfreulich aus. Wir haben es gerechnet. Wir glauben daß wir auch auf einem umkämpften Markt, wie es der Fotomarkt heute ist, langfristig Erfolg haben können. Das Erfreuliche ist, daß auch unsere über 500 Mitarbeiter für den Erfolg voll motiviert sind. Wenn wir ein eigenes Unternehmen sind, sind wir wirklich einmal schneller am Markt, so sagen viele. COLOR FOTO: Können Sie sich auch andere hochwertige Konsumgüter mit dem Namen Leica vorstellen? Stichwort Diversifikation. Dr. Frey: Darüber haben wir noch nicht nachgedacht. Ausschließen will ich es nicht. Es müßte ein hochwertiges Produkt sein. Wir verkaufen beispielsweise über einige Vertriebsgesellschaften eine Leica-Uhr. Wir sind primär auf dem Fotosektor tätig. Der Name Leica steht zur Zeit für Optik und Mechanik, auch für sinnvoll eingesetzte Elektronik ohne Gags und Spielereien. Bei AF ist man deshalb nicht eingestiegen, weil man mit den Resultaten nicht glücklich war. Aber anderes hat Priorität: Der Aufbau der Leica GmbH, der Abbau von Lieferzeiten. Damit wir endlich einmal genug Objektive liefern können und genug Leica R 5. Die Qualitätssicherung hat natürlich Vorrang vor der Produktionssteigerung. COLOR FOTO: Herr Dr. Frey, haben Sie selbst eine Beziehung zur Fotografie? Dr. Frey: Ich bin sicher kein großer Fotograf, doch beschäftige ich mich schon seit meiner Kindheit mit der Fotografie. Als Schüler machte ich Aufnahmen mit einer selbstgebauten Lochkamera und entwickelte die Filme. Dann entdeckte ich die Leica meines Vaters, ein Modell aus den frühen dreißiger Jahren. Ich freue mich daher ganz besonders, ein Unternehmen zu leiten, mit dessen Produkten ich mich identifiziere. Alf Cremers in Color Foto 9/1987 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}