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Was ist was
Mehrfeldmessung
Belichtungsmessung: Stück für Stück
Über die Einführung der Autofokussysteme wurde ganz vergessen, daß außer der Entfernung noch etwas gemessen werden muß, wenn ein Bild gelingen soll: die Belichtung. Und auch hier wurde - fast unbemerkt von der fotografierenden Öffentlichkeit - ein Fortschritt erzielt. Die Mehrfeldmessung macht auch schwierige Beleuchtungsverhältnisse automatisch beherrschbar.
Was haben die folgenden Kameras gemeinsam? Canon Top-Shot, Canon EOS 650, Mamiya 645 Super, Nikon FA, Olympus OM-40? Daß sie Kleinbildkameras sind? Nicht ganz, denn die Mamiya gehört ins Mittelformat. Daß sie Autofokuskameras sind? Auch nicht, denn die Mamiya und die Nikon FA müssen ganz konventionell von Hand scharfgestellt werden. Daß sie Spiegelreflexkameras sind? Auch das nicht, denn die Top Shot ist eine Kompaktkamera. Was ist es dann? Diese Kameras vertreten hinsichtlich der Belichtungsmessung eine neue Generation. Die Kameras beschränken sich nicht mehr darauf, eine Messung zu machen, sondern sie machen mehrere, vergleichen die Ergebnisse, ziehen daraus Schlüsse und regeln entsprechend die Belichtung. Kurz: diese Kameras bedienen sich einer Mehrfeldmessung, wenn auch in verschiedenen Ausführungen.
Nur für Normalmotive die Integralmessung
Die Belichtungsmessung ist ein notwendiges Übel, damit die Helligkeit des Motivs und die Filmempfindlichkeit mittels Verschlußzeit und Blende in Einklang gebracht werden können. Der Belichtungsmesser ist zu diesem Zweck auf ein Normalmotiv geeicht, das in seinem Reflexionsvermögen einem mittelgrauen Karton (Reflexionsvermögen 18%) entspricht. Dieser Wert ist nicht aus der Luft gegriffen. Viele normale Motive entsprechen ihm und können deshalb von einem ganz normalen Belichtungsmesser sehr gut bewertet werden - einem Belichtungsmesser, der integral mißt.
Integral heißt, daß das ganze Motiv gleichmäßig zur Messung herangezogen wird, der helle Himmel ebenso wie der dunkle Rasen und die mittelhellen Kleider der Kinder, die auf dem Rasen spielen.
Für das Motiv in der Mitte: die Mittenbetonung
Viele Motive heißt aber, daß einige Motive von einem integral messenden Belichtungsmesser nicht richtig bewertet werden können. Als Lösung des Problems wurde die Mittenbetonung eingeführt. Sehr häufig ist der bildwichtigste Teil des Motivs in der Bildmitte zu finden. Wird die Mitte stärker in die Messung einbezogen, so wird das Ergebnis bei einem Motiv mit sehr ausgeglichenem Kontrast ebensogut ausfallen, wie nach einer integralen Messung. Ist das Hauptmotiv heller oder dunkler als der Bildrand, so ist durch die mittenbetonte Meßcharakteristik ein besseres Ergebnis zu erwarten.
Für schwere Fälle: Die Spotmessung
Zwar war damit ein großer Schritt zu mehr Sicherheit bei der Belichtungsmessung getan, aber dennoch entzogen sich einige Motive auch der korrekten Bewertung durch die mittenbetont integrale Messung. Gemeint sind alle Motive, die starke Kontraste aufweisen. Paradebeispiele: die Gegenlichtaufnahme, bei der ein dunkles Motiv vor einem hellen Hintergrund steht und der " Lichteffekt", bei dem ein helles Motiv vor einem dunklen Motiv steht.
In beiden Fällen bringt der Hintergrund trotz Mittenbetonung die Belichtungsmessung durcheinander, die im einen Fall für ein zu dunkles, abgesoffenes Hauptmotiv sorgt, im anderen Fall für ein zu helles, ausgefressenes Hauptmotiv.
Auch hierfür gibt es ein Gegenmittel: die Spotmessung. Sie berücksichtigt nur einen sehr kleinen Teil des Bildfeldes - zwischen etwa 3% bis 6% und macht es dadurch möglich, den bildwichtigen Motivteil richtig zu belichten.
Doch die Spotmessung ist nicht ohne Nachteile. Der Fotograf muß wissen, daß ein schwierig zu bewertendes Motiv auf ihn zukommt und die Meßcharakteristik ändern er muß wissen, welches Motivteil wichtig ist und er muß wissen, ob dieses Motivteil eine korrekte Messung erlaubt. Ist es nämlich sehr hell oder sehr dunkel, wird auch die Spotmessung in die Irre geführt und das Hauptmotiv in beiden Fällen vergraut wiedergegeben. Zudem muß der Fotograf ein Auge für den Kontrast haben, der zwischen Hauptmotiv und Drumherum herrscht. Nur selten ist es förderlich fürs Bild, wenn zwar der Hauptteil richtig belichtet ist, der Rest aber total absäuft oder ausfrißt.
Die Mehrfachspotmessung macht solche Situationen wieder einfacher beherrschbar, verlangt vom Fotografen aber wieder, daß er weiß, welche Meßpunkte er anvisieren muß - und er muß die Zeit haben, zwei, drei oder mehr Punkte zu messen, bis er schließlich mit einem Mittelwert das Bild belichtet.
Eine Messung für alle Fälle: Mehrfeldmessung
Eine andere Methode der Belichtungsmessung soll Abhilfe schaffen und die Vorteile aller Belichtungsmethoden in sich vereinen: die Mehrfeldmessung.
Um die Vorteile der mittenbetonten Integralmessung, der Spotmessung und der Multispotmessung kombinieren zu können, wird das Meßfeld in Sektoren aufgeteilt.
Im einfachsten Fall wird die Belichtung in zwei Sektoren gemessen. Diese beiden Sektoren erfassen getrennt die Bildmitte und den Bildrand. Geht man davon aus, daß meist das in der Bildmitte zu finden ist, was für das Bild wichtig ist und daher auch richtig belichtet sein sollte, so ist diese Aufteilung durchaus logisch.
Am häufigsten ist ein zu großer Motivkontrast bei Gegenlichtaufnahmen anzutreffen. Der helle Hintergrund täuscht den Belichtungsmesser, der durch kurze Verschlußzeiten und/oder kleine Blenden die Lichtfülle eindämmen möchte und so dafür sorgt, daß das eigentliche Motiv zuwenig Licht abbekommt und im Extremfall zur Silhouette wird.
Um das Hauptmotiv vor einem hellen Hintergrund noch hell genug erscheinen zu lassen, kann man die Belichtung im ganzen reichlicher wählen - der Hintergrund und das Hauptmotiv werden heller -, oder man kann dem Hauptmotiv mehr Licht zuführen, beispielsweise durch einen Aufhellblitz.
Nach der ersten Methode geht die Mamiya 645 super vor, die dazu allerdings mit dem Automatik Prismensucher N ausgestattet sein muß. Die Meßcharakteristik dieses Zubehörs kann wahlweise auf Integral- und Spotmessung geschaltet werden.
In diesem Zusammenhang interessanter ist aber die dritte Möglichkeit, nämlich der Kamera die Wahl zwischen beiden Meßcharakteristiken zu überlassen. Stellt die Kamera in dieser Betriebsart des Belichtungsmessers fest, daß die Bildmitte um mehr als 1,5 Belichtungsstufen dunkler ist als der Bildrand, so wählt sie die Spotmessung, um die oben beschriebene Unterbelichtung des Hauptmotivs zu vermeiden. Liegt die Helligkeitsdifferenz zwischen Hauptmotiv und Umfeld zwischen 1,5 und 0,75 Belichtungsstufen (das Hauptmotiv ist dunkler!), so wird ein Zwischenwert gebildet, der in etwa einer stark mittenbetonten Integralmessung entspricht. Bei ausgeglichener Helligkeit wird dagegen nach den Werten der Integralmessung belichtet.
Der zweiten Methode bedient sich die Canon Kompaktkamera Top Shot. Ihr Belichtungsmesser stellt fest, ob die Bildmitte dunkler ist als der Bildrand. Trifft das zu, so wird der eingebaute Blitz aktiviert und das Hauptmotiv aufgehellt. Da diese Art der eingebauten Blitzgeräte nicht sonderlich leistungsstark ist, funktioniert der Ausgleich nur einem Bereich bis ca. 2,5 m was für die üblichen Schnappschüsse durchaus als ausreichend angesehen werden kann.
Korrektur bei dunklem Umfeld
Auch die Olympus OM-40 unterscheidet bei der ESP-Messung nur zwischen "innen" und "außen". Sie stellt aber nicht nur fest, ob die Bildmitte dunkler ist als der Bildrand sondern erfaßt auch eine hellere Bildmitte, die von einem dunkleren Bildrand beeinflußt werden könnte und steuert die Belichtung entsprechend. Sind zwischen Zentrum und Rand nur noch geringe Helligkeitsunterschiede festzustellen, so geht die OM-40 allmählich zu einer mehr und mehr mittenbetont-integralen Belichtungsmessung über.
Ähnlich arbeitet auch die Nikon F-401 AF mit drei Meßfeldern, von denen eines die Bildmitte, eines den rechten und eines den linken Bildrand bewertet. Hier können auch Situationen gemeistert werden, in denen eine Bildhälfte deutlich heller oder dunkler ist als der Rest des Bildes.
Mehrfeldmessung mit Variationen
Die Unterscheidung zwischen Bildmitte und Bildrand ist aber erst der Anfang der echten Mehrfeldmessung, die seit 1987 auch von den Canon Kameras EOS 650 und EOS 620 geboten wird und die mit 5 (Nikon) oder 6 (Canon) Meßsegmenten arbeitet.
Dabei geht man von drei Grundsituationen aus, die wiederum variiert werden:
Normale Bedingungen. In allen Segmenten werden gleiche oder nur unwesentlich unterschiedliche Werte gemessen, die darüberhinaus innerhalb einer Zone normaler Helligkeit liegen. Die Folge ist eine ganz normale Belichtung, der auch eine integrale Belichtungsmessung zugrunde liegen könnte.
Hohe Kontraste. Ein Segment oder mehrere Segmente weichen deutlich vom Durchschnitt ab, sind also deutlich dunkler oder heller als der Rest. Diese Segmente werden für die Belichtungsmessung nicht herangezogen, da sie den Durchschnittswert unzulässig verfälschen würden. Bei einer Gegenlichtaufnahme erfolgt dadurch eine reichlichere Belichtung, da die zu hellen Segmente nicht oder nur zum Teil die Messung beeinflussen können. Sie wird nun wesentlich von dem einen, dunkleren Segment bestimmt, in dem sich das Hauptmotiv befindet. Analog wird verfahren, wenn ein helles Segment von dunklen Segmenten umgeben ist nun erfolgt eine knappere Belichtung.
Sehr hell oder dunkel. Alle Segmente liegen über einer Hell- oder unter einer Dunkelgrenze, was für ein ganz weißes oder ganz schwarzes Motiv spricht. In beiden Fällen wird die Belichtung korrigiert das heißt, das dunkle Motiv wird knapper, das helle Motiv reichlicher belichtet, um ein Vergrauen zu vermeiden.
Welche Segmente aus der Messung ausgeklammert und welche Segmente wie stark für die Messung herangezogen werden hängt noch vom System und von der Helligkeitsverteilung ab, im Prinzip ändert sich aber nichts an der Wirkungsweise.
Endlich die perfekte Messung?
Ist die Mehrfeldmessung nun endlich tatsächlich der Weisheit letzter Schluß in Sachen Belichtungsmessung? Es wäre sicher verfrüht, dies zu bejahen, denn es ist abzusehen daß in den nächsten Jahren noch weitere Feinheiten dazukommen, die die Belichtungsmessung immer noch treffsicher machen. Aber die Mehrfeldmessung ist sicher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Herbert Kaspar in Color Foto 12/1987
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