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Nachruf auf einen großen Fotojournalisten Alexander Borell 1913-1998 Im Grunde war es die Neugierde eines Pubertierenden, die uns einen der profiliertesten Fotojournalisten bescheren sollte: Auf der Suche nach genauerer Information über die Praxis menschlicher Reproduktionstechniken hatte der 13jährige Alexander Borell beim Durchstöbern des elterlichen Bücherschranks seine erste, eindrückliche Berührung mit der Fototechnik - die Balgenkamera seines Vaters fiel ihm auf den Fuß. Das war die Initialzündung. Mit der ihm eigenen Energie und Neugierde („Heute weiß ich, dass ich wahrscheinlich nur aus Neugier auf die Welt gekommen bin") eignete er sich in nächtlichem Selbststudium die theoretischen Grundlagen der Fotografie an und fieberte seinen ersten fotografischen Aufnahmen entgegen. Die erste eigene Kamera, eine Box Tengor für zwölf Reichsmark, bekam der 13jährige zu Weihnachten. Sie sollte der Grundstein für anhaltende Tauschgeschäfte sein, die Alexander Borell zum „Schrecken der Münchener Fotohändler" werden ließen: Die Fotoverkäufer jedenfalls tauchten ab, wenn Alexander Borell auftauchte - ahnten sie doch, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit wieder etwas in Zahlung zu nehmen hätten, wenn der junge Borell im Laden erschien. Die Liste der Kameras, die Alexander Borell angezahlt, gekauft, zurückgebracht, in Zahlung gegeben und wieder getauscht hat, ist ellenlang. Darunter auch eine Spreizen-Kamera mit Zeiss Tessar 1:4,5 und Schlitzverschluss; ein Modell, das nicht nur dem technischen Interesse und Spieltrieb, sondern auch dem eleganten Auftritt sehr entgegenkam: „Alle Fotografen in Filmen über John Dillinger und Al Capone", so erinnerte sich Alexander Borell an diese Zeit, „hatten solche Kameras, und mir verschaffte sie freien Eintritt bei ländlichen Veranstaltungen." Hätte er all diese Kameras behalten - sie wären heute ein kleines Vermögen wert. Doch das Geschäftlich-Kaufmännische lag Alexander Borell trotz absolvierter kaufmännischer Lehre nie so recht: „Mein Talent in dieser Beziehung zeigte sich darin, dass ich stets zu 100 Prozent einkaufte, um nach einer Weile für 60 Prozent zu verkaufen. Ein Talent, das mir bis heute geblieben ist." Das wahre Talent des Alexander Borell lag ganz woanders. Mit einer einzigartigen Mischung aus Enthusiasmus, Gewitztheit und Begeisterungsfähigkeit konnte er andere Menschen mühelos überzeugen und für sich einnehmen. Mit seinem ausgeprägten Gespür für Entwicklungen und Trends und großem Einfühlungsvermögen sollte er zum Anwalt seiner Leser werden. Erste fotojournalistische Meriten erwarb sich Alexander Borell mit kleinen kritischen Artikeln, die er unter dem Pseudonym „Nörgelmann" verfasste. In einer halben Spalte spießte er auf, was ihn störte, und fuhr dabei ein ums andere Mal der Industrie an den Karren. Die akzeptierte das, denn zum einen konnte der unbequeme Kritiker immer beweisen, was er da behauptete, zum anderen nahm er - zu Recht - für sich in Anspruch, als Kritiker nicht automatisch alles besser können zu müssen. Borell beschrieb das so: „Jeder weiß, wie ein Hund aussieht, aber keiner kann einen machen!" Anfang der siebziger Jahre gelang es dem Verleger Joachim E Richter, Alexander Borell für die Mitarbeit in seiner neuen Fotozeitschrift COLOR FOTO zu gewinnen. In der Ausgabe 10/73 erschien zum ersten Mal die Borell-Kolumne „Übrigens". Mit sicherem Gespür für die Themen, die die Amateurfotografen bewegten, verriss Borell in seiner Kolumne und in seinen Testkommentaren unpraktisches Fotozubehör ebenso wie er unverständliche Bedienungsanleitungen, dümmliche Werbung oder miesen Laborservice anprangerte. Der Ton war kritisch, zuweilen spöttisch, aber immer fair. Borells Selbstverständnis: „Ich bin nicht verpflichtet, ein bestimmtes Produkt zu verkaufen. Ich kann nach bestem Wissen und Gewissen empfehlen oder warnen." Keine Frage, dass Alexander Borell mit dieser Einstellung ganz exzellent in eine Redaktion paßte, die sich der objektiven und kritischen Kaufberatung verschrieben hat. Im August 1975 wurde die Beratung und Betreuung von COLOR FOTO-Lesern noch weiter verstärkt: zum ersten Mal erschien der „Dialog mit Alexander Borell". Per Telefon stand Alexander Borell den Lesern von COLOR FOTO nun buchstäblich rund um die Uhr zur Verfügung. Alexander Borell hat sich immer als Amateur verstanden und mit Vehemenz die Interessen von Amateurfotografen vertreten. So war es nur folgerichtig, dass auf seine Initiative hin im Herbst 1979 ein neuartiger Leserwettbewerb ins Leben gerufen wurde: „Amateure fotografieren für Amateure". Hier bekamen COLOR FOTO-Leser die Möglichkeit, in einer großzügigen Bildstrecke ihre Bilder in ihrer Fotozeitschrift zu veröffentlichen. Über siebzig Jahre lang hat sich Alexander Borell mit Begeisterung der Fotografie verschrieben. Er hat die Entwicklung von COLOR FOTO zu einer der erfolgreichsten Fotozeitschriften wesentlich mitgeprägt. Bis zum Schluss stand er seiner Fotozeitschrift mit Rat und Tat zur Seite, bis zum Schluss war er neugierig auf neue Technologien und Entwicklungen. Jetzt gilt es Abschied zu nehmen von diesem großen Fotojournalisten, dem wir so vieles zu verdanken haben. Wir werden ihn schmerzlich vermissen - als Mensch, als Kollege, als Institution. Alexander Borell starb am 31. Oktober 1998, nur zwei Tage vor seinem 85. Geburtstag, in einem Sanatorium in Kaufbeuren. Mathias Zipfel in Color Foto 1/1999 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}