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Alexander Borell Aus Color Foto Heft 10/1973 Übrigens... Sicherlich haben Sie im Laufe der letzten Jahre bemerkt, daß es zwischen Autos und Kameras gewisse Unterschiede gibt, wenn man davon absieht, daß ein Auto ohne Motor nicht fährt, eine Kamera ohne Objektiv nicht fotografiert. Wer das Auto nur als lästiges Mittel zur Fortbewegung betrachtet, wird sich ausschließlich dafür interessieren, daß es billig fährt und nicht allzu oft kaputt geht. Rasse, Eleganz, Leistung sind ihm egal, und darüber hinaus glaubt er, daß er mit 60 PS ebenso von München nach Sizilien fahren kann, wie ein anderer mit 350 PS. Ein solcher Autofahrer hält sich keine Autozeitschrift, kauft sich am Kiosk lieber was Nacktes, und für einen Test hat er schon garnichts übrig. Es gibt auch Knipser. Die haben was Schwarzes mit vorne einer Linse, innendrin ist Film, manchmal sogar „Buntfilm", und das Ding macht Bilder. Diese Leute lesen keine Fotozeitschrift, und ein Test ist ihnen völlig schnurz. Ihr Test besteht darin, daß Tante Gertruds kariertes Kleid später auf dem Bild auch wieder kariert sein muß: tut der Apparat das, ist er gut. Sie aber, liebe Fotofreunde, halten hier ein Fotozeitschrift in Händen, eine Fachzeitschrift, und was wollen Sie? Natürlich einen Test! Von neuen Kameras, aber auch von altbewährten, von preiswerten, erschwinglichen oder von ganz teuren Systemen. Das also wollen Sie. Und irgendwo, in einigen Ihrer Hirnwindungen, erinnern Sie sich daran, schon mal einen Autotest in einer Fachzeitschrift gesehen zu haben: 2,983 ccm Hubraum, 185 DIN PS, 26 mkg, von 0 auf 100 in 7,9 Sekunden bei einem Testverbrauch von nur 12,7 Litern. Und nun soll mir endlich mal ein kluger und versierter Fotoamateur, - oder auch ein Profi - erklären: wie soll ich sowas mit einer Leicaflex, einer Nikon F2, einer Canon F1, einer Rollei SL 66, einer Konica, einer . . . wie zum Teufel soll man sowas testen? Ernsthafte Amateure (gibt's eigentlich so wenig, die nur zum Vergnügen fotografieren?) sind z. B. von Objektiv-Messkurven beglückt. Nichts leichter, als Kurven zu produzieren. Nur: Die Kurven von Leitz-Objektiven hält Nikon für falsch, die von Canon werden von Olympus abgelehnt, und für die Kurven von Asahi oder Minolta hat Dr. M. von Zeiss mit Stern, nur ein müdes Lächeln übrig. Amerikanische Fotojournalisten tun sich da leichter: diesem marsmenschengläubigen Volk kann man mit Zahlen imponieren, folglich mißt man den Auslösedruck mit 22,46 Gramm, und nach 1000 Auslösungen hat er 22,45 Gramm! Welche Aussage über die Brauchbarkeit einer Kamera! Also lieber gar keine Foto-Testberichte mehr? Ich glaube doch. Nur ist es einfach falsch, anzunehmen, man könne eine Kamera „objektiv" testen, denn bekanntlich ist nicht einmal ein Objektiv objektiv, sondern abhängig von Standpunkt und der Absicht des Fotografen. Sie werden künftig in dieser Zeitschrift Foto-Testberichte von mir lesen. Keine objektiven, sondern sehr subjektive. Das heißt, ich will meine Meinung sagen, ohne damit Anspruch darauf zu erheben, daß meine Ansichten auch immer Ihrem Standpunkt entsprechen. Aber: Ich fotografiere nun seit fast fünfundvierzig Jahren, es gibt kaum ein Kameramodell, das ich nicht irgendwann einmal besaß, ich bin einmal im Gymnasium durchgefallen, weil mir eine Fotoserie von einer Klettertour durch die Watzmann-Ostwand wichtiger war, als Herr Pythagoras, und schließlich stamme ich noch aus der Branche Präzisionsmechanik. Ich werde mich also bemühen, Ihnen alles über eine Kamera zu sagen, was ich für wichtig halte, im Guten und im Schlechten, und da ich das schon anderwärts seit vielen Jahren tue, hat sich sogar die Industrie damit abgefunden, daß mir hin und wieder etwas anders vorkommt, als es in der Werbung steht. Das liest die Industrie nicht immer gern, aber man akzeptiert das nach dem Motto: Diesmal ich, - das nächste Mal ein anderer. Und schließlich gibt's heute viele, viele sehr gute Kameras, und auch das werde ich dann deutlich sagen. Früher hieß es, ein Bild sage mehr, als tausend Worte: Ich meine heute, ein Telefongespräch bringt mehr als fünf Briefe. Und deshalb werden Sie von jetzt an, wenn Sie Fotofragen haben, meine Nummer anrufen können: 08041 - 29 34. Ich stehe Ihnen, selbstverständlich subjektiv, zur Verfügung, und bin damit Ihr Alexander Borell Alexander Borell in Color Foto 3/1999 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}