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Kameras Photographica
Rolleiflex und Rolleicord
Ein Klassiker par excellence
Nur wenige Kameras hatten das Zeug, zur Legende zu werden. Eine davon ist die Rolleiflex. Zu Recht. Das Konzept paßte, die Qualität und die Details stimmten. Und sie fand Nachahmer bis in die heutige Zeit.
Die hohe Kastenform ist heute schon ungewöhnlich, die Bedienungsknöpfe sind rund um den Apparat verstreut. Aber die zweiäugige Spiegelreflexkamera hat ihre Stärken: das große Mattscheibenbild kann mit beiden Augen betrachtet werden, und es gibt einen viel besseren Vorgeschmack auf das spätere Bild als der Blick durch ein Okular; die einfache Bauweise ermöglicht Robustheit und Zuverlässigkeit. Diese Vorteile bietet heute auch die einäugige Spiegelreflexkamera, aber Erschütterungen durch den Spiegelschlag sind bei dem großen 6x6-cm-Format schwer zu beherrschen. Zudem hatten einäugige Spiegelreflexkameras bis in die fünfziger Jahre den gravierenden Nachteil, dass bei der Arbeit mit kleinen Blenden das Sucherbild stark abdunkelte; denn die Springblende war ja noch nicht erfunden. Dagegen blieb es bei der zweiäugigen immer hell -und sogar während der Aufnahme sichtbar.
Kameras mit getrennten Objektiven für Sucher und Aufnahme kamen bereits im vorigen Jahrhundert auf, zeitgleich mit den einäugigen Spiegelreflexkameras. 1929 kam die erste Rolleiflex heraus. Ihre solide Konstruktion, die Verwendung bewährter Optiken (Zeiss und Schneider) und Verschlüsse (Compur) sowie das kompakte Äußere sprachen Profis und ernsthafte Amateure gleichermaßen an. Ständig verbessert, war die Rolleiflex bis in die sechziger Jahre bevorzugtes Arbeitsgerät vieler Bildberichten Erst danach trat die einäugige Spiegelreflexkamera ihren Siegeszug an.
Technik. Das Aufnahmeobjektiv ist ein Zeiss Tessar 3,5/75 mm (vierlinsig), das Sucherobjektiv ein einfacher aufgebautes Heidosmat 2,8/75 mm, das durch seine etwas höhere Lichtstärke eine gewisse Einstellreserve bietet. Auch die Details überzeugen. Mit der Entfernungseinstellung wird automatisch eine Maske unter der Suchermattscheibe verschoben, so dass auch bei kurzen Entfernungen der richtige Bildausschnitt gezeigt wird (Parallaxenausgleich). Der Sucher lässt sich in einen Rahmensucher verwandeln, der mittels eines Spiegels im Sucherschacht noch einen Seitenblick auf die Mattscheibe zur Scharfstellung erlaubt. Belichtungszeit (1/500 bis 1 Sekunde und B) und Blende werden an den Rädchen neben den Objektiven eingestellt und über dem Aufnahmeobjektiv angezeigt, so dass sie beim Blick auf die Mattscheibe gut sichtbar sind. Die Entfernung wird am großen Drehknopf eingestellt. Der Filmtransport geschieht mit einer Kurbel auf der gegenüberliegenden Seite. Aber wie funktioniert der Mechanismus, wo der Rollfilm doch keine Perforation hat? Der Beginn des Films auf dem Schutzpapier wird automatisch ertastet, und ein Reibrad am Schutzpapier blockiert jeweils nach 6,5 cm Transportweg die Kurbel, bis die nächste Aufnahme erfolgt. Dieses betagte System arbeitet mit jeder Filmsorte sehr genau, egal, wie lang der Vorspann des Filmes ist. Der Blick durch das rote Fenster und die Suche nach Markierungen - wie bei anderen Systemen - sind überflüssig.
Top-Ausstattung. Die luxuriöseren Modelle bekamen einen eingebauten Belichtungsmesser. Daneben gab es auch die etwas abgemagerte Modellreihe „Rolleicord" - und die Baby-Rollei für das 4x4-cm-Format. Ab 1953 war die Rolleiflex auch mit den Spitzenobjektiven Zeiss Planar oder Schneider Xenotar (1:3,5 bzw. 1:2,8) mit beweglichen Schärfentiefe-Zeigern am Entfernungsrad lieferbar. Um die ganze Modellvielfalt aufzulisten, fehlt hier natürlich der Platz. Begehrenswert sind sie aber alle. Anfang der achtziger Jahre kam das vorläufige Aus. Danach wurden nur noch Kleinserien aufgelegt. Heute wird das Spitzenmodell 2,8 GX in Braunschweig nach Bedarf gebaut, mit modernster Belichtungsmessung - allerdings für knapp 5000 Mark. Ein wahrlich stolzer Preis, aber für die gebotene Qualität auch im Vergleich mit anderen Mittelformatkameras - nicht zu hoch.
Auch andere Firmen stellten zweiäugige Spiegelreflexkameras her. Größte Rivalen der Rollei waren die Ikoflex von Zeiss Ikon und die Modelle von Voigtländer. Doch die Rollei ist zur Legende geworden. Sie war es, die in aller Welt kopiert wurde. Die bekanntesten Kopien sind die Yashica-Mat aus Japan und die Seagull aus China. Ein seltenes, besonders dreistes Plagiat ist die „Rollo-Frex" (!) aus Südostasien. Ein eigenständiges und interessantes Modell ist dagegen die Mamiya 220/330 mit auswechselbaren Objektiven.
Finanzielles. Zweiäugige Rolleis werden heute zahlreich und zu moderaten Preisen angeboten. Wer damit ernsthaft fotografieren möchte, wird wegen der vergüteten Objektive eher ein Nachkriegsmodell wählen. Spitzenmodelle mit Zeiss Planar oder Schneider Xenotar gibt es ab 1000 Mark, Typen mit Tessar oder Xenar, die kaum schlechter sind, für weniger als die Hälfte.
Volker Horstmann in Color Foto 6/1999
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