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Photographica
Bilder für die Ewigkeit
Am 30. Juli 1838 kauft die französische Nationalversammlung dem Theatermaler und Dioramabetreiber Louis Jacques Mande Daguerre seine Erfindung - die Fotografie - ab, um sie zu veröffentlichen und macht sie damit einem breiten Publikum zugänglich.
Daguerre wird am 18. November 1787 in Cormeilles en Parisis geboren und kommt 1804 zu dem Pariser Theatermaler Degotti in die Lehre. Eigentlich will Daguerre Künstler werden, aber seine Eltern bestehen auf einem anständigen Beruf. Schließlich ist Daguerres Vater Magistratsbeamter.
Ein erfolgreicher Geschäftsmann
In Paris macht Daguerre schnell Karriere. Er arbeitet als Designer an verschiedenen Theatern und Opernhäusern und eröffnet am 11. Juli 1822 sein erstes Diorama. Hierbei handelt es sich um Monumentalgemälde auf einem lichtdurchlässigen Stoff, der wechselnde Beleuchtungseffekte ermöglicht. Um den Eindruck einer natürlichen Landschaft zu verstärken, integriert Daguerre seine Dioramen in eine gebaute Kulissenlandschaft und schafft so eine Attraktionen des frühen 19. Jahrhunderts. Daguerre ist erfolgreich und expandiert mit seiner Erfindung bereits 1823 nach London. Doch er will mehr: „Meine großen Werke, meine Dioramen sind vergänglich! Um Unsterblichkeit zu gewinnen, brauche ich etwas anderes, Dauerhafteres", soll Daguerre gesagt haben. So sucht Daguerre nach einem Verfahren, die Bilder der Camera Obscura dauerhaft festzuhalten, da ihm die Nachzeichnerei zu lästig ist.
Der Weg zur Fotografie
Bereits im 13. Jahrhundert entdeckt Pater Roger Bacon die Camera Obscura. Dabei handelt es sich um einen einfachen Holzkasten mit einem Loch auf der einen und einer Mattscheibe auf der anderen Seite. Während bei modernen Kameras ein Objektiv das Bild auf den Film abbildet, fällt hier das Licht durch ein kleines Loch auf die Mattscheibe und erzeugt dort ein Bild. Erst dreihundert Jahre später ersetzt Hieronymus Gardanus das „Loch" durch ein „Objektiv". Mit einfachen Brillengläsern erzielt er ein helleres und schärferes Bild. Allerdings muss nun die Mattscheibe in einem bestimmten Abstand zur Linse stehen. Dieser Abstand hängt wie bei modernen Kameras von der Linsenkrümmung, also der Brennweite, und Entfernung des Objektes ab. Bei Lochkameras war die Entfernung Loch zu Mattscheibe noch egal. Trotz aller Verbesserungen muss der Künstler die Bilder der Camera Obscura immer noch von Hand nachzeichnen. Und das obwohl bereits 1565 Fabricius in seinem Werk De rebus metallicis von der Veränderung des Chlorsilber durch Licht berichtet.
Daguerre steigt ein
Als sich Daguerre 1824 der Fotografie zuwendet, sind also alle wichtigen Erfindungen längst gemacht. Hierzu gehört auch die Entdeckung des schwefelsauren Natron als Fixiermittel durch John Herschel 1819. Es fehlt einzig noch ein Mann der das Puzzle zusammenfügt - und dieser Mann ist Daguerre.
Aber zunächst ist der Weg steinig. Zwar experimentiert Daguerre schon bald mit jodierten Silberplatten, doch kann er das Bild weder entwickeln noch fixieren. 1827 macht dann der Optiker Chevalier seine beiden Kunden Daguerre und Joseph Nicephore Niepce miteinander bekannt. Niepce ist der Fotografie bereits seit 1813 auf der Spur, hat jedoch mit seinen Asphaltbildern einen Irrweg eingeschlagen. Gemeinsam arbeiten die beiden weiter und schließen am 14. Dezember 1829 einen detaillierten Zehnjahresvertrag. Zu den wesentlichen Ergebnissen der nächsten Jahre gehören empfindlichere Platten mit Bromsilber neben dem schon lange bekannten Jodsilber. Als Niepce 1833 stirbt, setzt Daguerre die Versuche fort und entdeckt 1935 die Entwicklung des latenten Bildes durch Quecksilberdämpfe. Das senkt die Belichtungszeit auf eine halbe Stunde. Vorher musste Daguerre die Platte stundenlang belichten, bis das Bild auch ohne Entwicklung (Verstärkung) erschien.
Erfindung gegen Rente
Und nun gelingt Daguerre der entscheidende Coup. Denn als er keine finanzkräftigen Interessenten findet, zeigt er seine Arbeiten dem berühmten Physiker und Astronomen Francois Arago. Dieser ist so begeistert, dass er für den 7. Januar 1839 eine Sitzung der französischen Akademie der Wissenschaften einberuft, deren Sekretär er ist. Arago überzeugt seine Kollegen, und man beschließt, dass diese Erfindung jedem zugänglich sein muss. Am 30. Juli erwirbt der französische Staat die Erfindung der Fotografie gegen eine Pension an Daguerre und Niepce Sohn Isidore Niepce. Die Rente kommt Daguerre gerade recht, denn am B. März ist sein Diorama abgebrannt, und er ist eigentlich bankrott. Wie skrupellos Daguerre verhandelt, zeigen zwei Punkte: Zum einen sichert er sich fünf Tage vor der Veröffentlichung die Patentrechte für England und die britischen Kolonien. Zum anderen zwingt er den verarmten Isidore Niepce, auf seine vertraglichen Namensrechte an der Erfindung weitgehend zu verzichten. Und so veröffentlicht der französische Staat am 19. August das Daguerreotypie- und nicht das Niepce-Daguerre-Verfahren.
Der Siegeszug der Daguerreotypie
Presse und Wissenschaft loben den Detailreichtum der neuen Technik: Selbst unter einer Lupe sei dieser Reichtum bei 50facher Vergrößerung noch nicht erschöpft. Von Paris aus verbreiten sich die Daguerreotypien schnell in ganz Frankreich. Man baut an Apparaten, mischt rasch die Chemie, und wenn erste Versuche gelingen, präsentiert man diese stolz der Öffentlichkeit. Wer durch eine nordeuropäische Stadt schlendert, sieht die neuen Daguerrotypien in den Schaufenstern von Optikern sowie in Kunst- oder Buchhandlungen. In den südlichen Staaten Europas hingegen bestimmen die Städte ausgesuchte Plätze, um die neuartigen Lichtbilder zu präsentieren. Bereits im Herbst befindet sich ganz Europa und auch New York im Bann der Daguerreotypie. Die Daguerreotypisten installieren ihre Studios bevorzugt in den obersten Etagen der Häuser, denn noch brauchen Sie viel Licht. Oft fotografieren sie von ihren Fensterbänken Motive wie Dächer und Straßen im Mittagslicht. Auch die zwei vielgelobten Straßenansichten Daguerres des „Boulevard du Temple" in Paris entstehen auf diese Weise.
Schnell interessieren sich Geschäftsmänner für die neue Technik. Allerdings ist ihr Preis noch extrem hoch - zu hoch für die breite Bevölkerung. Und so schließen sich Händler, Wissenschaftler und Handwerker zusammen, um selbst Helio-Gravuren zu erstellen und diese weit günstiger anbieten zu können. Fieberhaft versuchen die Forscher aus ganz Europa die Daguerreotypien zu verbessern. Sie experimentierten mit der Chemie, der metallischen Beschichtung und optimieren die Kamera sowie das Objektiv. Mit Erfolg: Bis 1841 verkürzt sich die Belichtungszeit von 5 bis 30 Minuten auf eine Minute. Jetzt lassen sich endlich die Träume wohlhabender Bürger verwirklichen. Die Porträtfotografie entsteht und verbreitet sich. Nicht die Künstler, sondern die Geschäftsleute und Wissenschaftler machen die Daguerreotypien populär.
Nur ein Original
Allerdings bleibt ein Haken: Die Daguerrotypie ist ein Original. Ein zweiter oder dritter Abzug ist nicht möglich.
Henriette Struss in Color Foto 10/2000
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