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Kameras
INTERVIEW MIT EINEM AUTOFOKUS-PIONIER:
Die wahre AF-Geschichte
Wer sich heute die deutsche Kameraindustrie (oder genauer: das, was noch davon übrig geblieben ist) anschaut, ahnt gar nicht, welches innovative Zukunftspotential in ihr schlummerte. Zum Leben erweckt haben es dann aber amerikanische und japanische Hersteller. Ein Autofokus-Pionier und Technologie-Vordenker jener Zeit, Dipl.-Ing. Knut Heitmann, packt aus.
In der Fotoindustrie ist, vor allem im Spiegelreflex-Bereich, der Autofokus eine Schlüsseltechnologie, die über den Markterfolg und somit mittelfristig auch über die Marktpräsenz eines Unternehmens entscheidet. Die Marktsituation im AF-SLR-Bereich ist nach einigen schmerzhaften „Selbstbereinigunsprozessen" bekannt: Canon ist heute Marktführer, gefolgt von Minolta und Nikon. Auch die Geschichte der Autofokus-Technologie ist weitgehend bekannt: Die Minolta 7000 hat im Frühjahr 1985 das Zeitalter der AF-SLR-Kameras, wie wir sie heute kennen, eingeläutet. Im Vorfeld haben sich jedoch auch andere Hersteller mit der AF-Technologie befasst und einige Kameras als Prototyp vorgestellt oder sogar auf den Markt gebracht. Dabei handelte es sich vornehmlich um das, was man heute als manuelle Scharfeinstellung mit elektronischer Fokussierhilfe bezeichnet, wobei die korrekte Fokussierung durch Leuchtdioden angezeigt wurde. Einige Hersteller hatten auch das eine oder andere Objektiv mit eingebautem AF-Motor im damaligen Lieferprogramm, mit dem dann eine Art rudimentärer Autofokusbetrieb möglich war. Die Nikon F3 AF von 1983 sowie die Canon AL-1, die Olympus OM-30 oder die Pentax ME-F von 1982 sind einige Beispiele dafür. Auch Contax hat mit der 137AF einen funktionsfähigen Prototyp auf der photokina 1982 vorgestellt. Im Bereich der Sucherkameras gab es bereits 1977 eine Autofokus-Kamera von Konica, die C 35 AF, bei der ein AF-Patent der US-amerikanischen Firma Honeywell zum Einsatz kam (Visitronic). 1980 bringt Canon mit der AF 35 M eine Sucherkamera mit aktivem AF-System auf dem Markt. Der amerikanische Hersteller Polaroid hat 1978 die Sofortbildkamera SX 70 Sonar vorgestellt, bei der ein AF-System mit Ultraschall eingesetzt wurde. Bei den aktiven Systemen wird entweder ein Infrarot-Strahl oder ein Ultraschall-Signal von der Kamera ausgesendet und die Distanz zwischen Kamera und Aufnahmeobjekt durch die Auswertung der Reflexionszeit ermittelt. Das erste voll funktionsfähige optoelektronische Fokussier-System der Welt wurde jedoch bereits auf der photokina 1976 unter der Bezeichnung Correfot von Leitz Wetzlar (heute Leica Solms) der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt. Das sind die allgemein bekannten Fakten. Was nur ganz wenige Insider wissen, ist die Tatsache, dass die Firma Leitz schon in den fünfziger Jahren an diesen Fokussiersystemen gearbeitet und bereits 1960 ein entsprechendes Patent von Dr. Werner Holle (DBP 1423655 vom 21.10.1960) und 1964 ein weiteres Patent von Dr. Ludwig Leitz (DBP 1263325 vom 20.10.1964) angemeldet hat. Die Forschungen von Dr. Holle und Dr. Ludwig Leitz wurden von Dipl.-Ing. Knut Heitmann weiter geführt und bildeten die Grundlagen der gegenwärtigen Autofokus-Technologie, aus denen im Rahmen von „Confidential Agreements" sowohl die amerikanische Firma Honeywell als auch die japanische Firma Minolta ausgiebig geschöpft haben. Denn die Kooperation mit Leitz hat den Herstellern aus Japan und den USA den Zugriff auf die modernsten Informationsquellen jener Zeit ermöglicht. Somit war Knut Heitmann als AF-Spezialist bei Leitz maßgeblich beteiligt an diesen AF-Entwicklungen. Pikanterweise stritten Honeywell und Minolta 1991/92 vor Gericht um Patentverletzungen, und die Schlüsselfigur in diesem Prozess war, Sie ahnen es schon, Dipl.-Ing. Knut Heitmann von Leitz. Mit ihm haben wir das nachfolgende Interview geführt.
INTERVIEW
COLOR FOTO: Die Firma Leitz hat bereits 1960 das erste Autofokus-Patent angemeldet, und Sie, Herr Heitmann, gelten als einer der Pioniere der AF-Technologie. Wann haben Sie den ersten funktionsfähigen Prototyp entwickelt und auf welche früheren Arbeiten konnten Sie zurückgreifen?
Heitmann: Bildschärfe hat ja bekanntlich etwas mit der Entfernung zum abzubildenden Objekt zu tun. Schon in den dreißiger Jahren hatte man die Leica-Kameras deshalb mit einem Basisentfernungsmesser ausgerüstet, wie er „in Groß" seit langem bei den Artilleristen in Gebrauch war, wo Treffsicherheit viel mit der Kenntnis der Entfernung zum Ziel zu tun hat. Zunächst gab es ihn als Zubehör (Leica I Luxus 1929; Leica I Hektor 1930), an dem man die Entfernung separat einstellen, ablesen und manuell auf die Objektiveinstellung übertragen musste, ab der Leica II war er fest eingebaut und mechanisch mit der Fokussierung des Objektivs gekuppelt. Bei diesem Messprinzip wird das zu vermessende Objektfeld durch zwei kleine, durch einen Abstand gegeneinander versetzte, Objektive separat abgebildet Die Lage der beiden entstehenden Bilder zueinander hängt vom (verstellbaren) Winkel der Blickrichtungen dieser Objektive ab, der dann ein Maß für die Entfernung ist. Die beiden Bilder wurden, zum Beispiel durch zwei unterschiedliche Farbfilter gekennzeichnet, im Messfeld des Suchers überlagert, man brachte sie durch mechanische Verstellung des Objektivs zur Deckung und konnte, wenn bei der mechanischen Kopplung des E-Messers mit dem Objektiv alles in Ordnung war, sicher sein, auch auf dem Film ein scharfes Bild zu bekommen! Später boten die Spiegelreflexkameras den „Blick durchs Objektiv" mit einer direkten Beurteilung der Schärfe auf einer Mattscheibe an. Bald wurden aber auch hier ein paar die Genauigkeit steigernde Hilfskonstruktionen eingeführt: Ein Keilprismenpaar in der Bildmitte erzeugte wiederum zwei versetzte Teilbilder, die, aus zwei unterschiedlichen Teilbereichen des Objektives („Pupillenteilung") stammend, nur dann deckungsgleich zu sehen sind, wenn das Objektiv „scharf" eingestellt ist!
In allen Fällen müssen (mindestens) zwei Bilder bezüglich ihrer Lage zueinander „in Beziehung gesetzt", also „korreliert" werden. Autofokus-Sensoren müssen vor allem dies automatisch können, ob man dann mit Muskel- oder batteriebetriebener Motorkraft das Objektiv verstellt, und wie schnell, ist weniger kritisch!
Der Pionier im Hause Leitz in Bezug auf die Elektronisierung von Kameras, beginnend mit den verschiedensten Spielarten der Belichtungsmessung, war Dr. Werner Holle. Ich hatte bereits als Werkstudent das Vergnügen, im Labor dieses Allround-Experten praktizieren zu dürfen! Von ihm stammt ein Patent aus dem Jahre 1960 (leider nur in Deutschland angemeldet) für einen automatischen Basisentfernungsmesser, bei dem der oben erwähnte Bildvergleich automatisiert ist. Beide Messbilder werden von je einer Zeile aus streifenförmigen Fotodetektoren analysiert, deren einzelne elektrische Signale (damals noch analog rechnend) vorzeichenrichtig „korreliert" werden. Ein Zeigerinstrument zeigt die Ablage und bei Deckung der Bilder „Null". Dr. Ludwig Leitz übertrug dieses Prinzip in einem späteren Patent, das weltweit angemeldet wurde, analog auf die oben beschriebene „Pupillenteilung" bei der Spiegelreflexkamera und erfand besonders günstige Wege zur Integration an deren Sucher-(Penta-)prisma.
Die Genauigkeit dieses Prinzips steht und fällt nun aber mit der Anzahl der verfügbaren Einzel-Detektoren (je mehr, desto genauer!) in den beiden Detektorzeilen! Außerdem muss jeder Einzeldetektor gleich lichtempfindlich sein, wie seine Nachbarn!
Hätte es in den sechziger und frühen siebziger Jahren irgendwo derartige Detektorzeilen zu kaufen gegeben, wären mit Sicherheit damals bereits Leica-M und Leica-R-Kameras mit Autofokus gebaut worden!
Werner Holle „graste" alle potentiellen Zulieferanten ab: „Zu komplex", „unbezahlbar teuer", „lachhaft geringe Stückzahlen" waren die Antworten so wartete man, leider, ab. Hätte man sich besser damals bereits „Verbündete" zwecks höherer Stückzahlen suchen sollen?
Anfang der siebziger Jahre galt es nun auch in vielen anderen Leitz-Produktbereichen, die Bild-Lage automatisch zu messen, und zwar unabhängig davon, um was für Objekte es ging: Sowohl in der industriellen Messtechnik, aber auch in der Militärtechnik (automatische Zielverfolgung) musste die Bewegung, Geschwindigkeit und Entfernung erfasst werden.
Fernsehkameras waren zu teuer dafür und sehr empfindlich, deren Signalverarbeitung aufwendig und langsam, die oben beschriebenen Detektorzeilen gab es immer noch nicht, gab es vielleicht andere Wege zur „Bild-Korrelation"? Es gab sie: Bildet man bewegte Objekte auf spezielle Prismengitter ab, so kann man mit nur zwei Detektorelementen dahinter und relativ wenig zusätzlicher Elektronik berührungslos die Bewegungsgeschwindigkeit messen, der „Leitz-Correvit", auf der Basis optischer Korrelation war geboren, wurde patentiert und wird unter anderem bis heute in der Fahrzeugmesstechnik verwendet. Bewegt man solch ein Gitter definiert gegenüber zwei Teilbildern, die vom selben Objekt stammen, aber gegeneinander versetzt sind, so kann man aus den entsprechenden Signalen die relative Lage der Teilbilder zueinander sehr genau ermitteln. Man braucht dazu zwar viele Prismen im optischen (Plexiglas-)Gitter, aber nur vier Photodioden (deren Form und Empfindlichkeit unkritisch ist), also Bauelemente, wie sie damals bereits aus jedem Katalog erhältlich waren, und außerdem noch (etwas mehr als beim Correvit!) spezielle Verarbeitungselektronik. Aus der Anwendung dieser Technik auf die Ideen von Werner Holle und Ludwig Leitz entstand der Leitz-Correfot, abgedeckt durch eine Reihe in- und ausländischer Patente, so wie er dann schließlich 1976 auf der photokina zu sehen war.
COLOR FOTO: Warum wurden diese bahnbrechenden Entwicklungen seinerzeit bei Leitz nicht in Serienprodukte umgesetzt?
Heitmann: Hierfür gibt es viele Gründe: Leitz befand sich Anfang der siebziger Jahre in einer wirtschaftlichen Krise. Die Familie Leitz war gezwungen, wesentliche Anteile an der Firma an eine schweizerische Familien-Gruppe abzugeben, die der Leica zunächst sehr skeptisch gegenüber stand, dies insbesondere auch angesichts des damals einsetzenden „Firmensterbens" in der gesamten europäischen fotografischen Industrie (Rollei, Agfa, ZeissIkon etc.). Man war wenig geneigt, als Pionier bei einer Technik aufzutreten, deren Kundennutzen von vielen Verfechtern der klassischen Leica-Philosophie mit großem Misstrauen betrachtet wurde: „Unsere Kunden sind stolz darauf, mit der Kamera so umgehen zu können, dass sie keine Automatik brauchen!" Auch Marktforscher urteilten überwiegend skeptisch, wir waren wohl eben zehn Jahre zu früh dran!
Wenn damals nicht aus dem militärischen Bereich eine Nachfrage nach einem genauen passiven Entfernungsmesser für Panzer (EMES 13) bei Leitz vorgelegen hätte, wäre wohl auch der Correfot nicht als dessen „kleiner Bruder" bis zur Prototypphase gelangt. Der militärische Entwicklungsauftrag erlaubte die intensive Erprobung des Korrelationsprinzips, ohne dass es dabei bereits auf geringstes Volumen, Gewicht, Stromverbrauch und, vor allem, Kosten angekommen wäre.
COLOR FOTO: Wann und warum ist Leica die Kooperation mit Minolta eingegangen?
Heitmann: Wie bereits erwähnt, ergab sich Anfang der siebziger Jahre durch das „Firmensterben" in der gesamten deutschen Fotobranche ein schlagartiger Rückgang des Bedarfs an fotografischen Zulieferbaugruppen und -teilen in Deutschland. Die einschlägigen deutschen Zulieferer sahen sich gezwungen, auf andere Produkte auszuweichen. Der Leitz-Bedarf war zwar noch vorhanden, aber allein viel zu gering, um für sie wirtschaftlich noch interessant zu sein.
Mit diesem Wegfall wichtiger Zulieferer konfrontiert, versuchte Leitz, mit entsprechenden japanischen Zulieferanten direkt ins Geschäft zu kommen. Dabei musste man schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass die japanischen Zulieferer extrem eng an ihre jeweiligen Kunden gebunden waren. Jedes „Fremdgehen" hätte für sie fatale Folgen gehabt. Leitz musste lernen, dass nur eine Kooperation mit einem der bedeutendsten japanischen Kamerahersteller die Türen zur entsprechenden Zulieferindustrie öffnen konnte. In einem Zeitraum von 18 Monaten wurde durch hochrangig besetzte Leitz-Teams mit fast allen einschlägigen Firmen in Japan verhandelt, bei Minolta ergab sich dann eine besonders günstige Übereinstimmung der industriellen Interessenlagen und auch eine hervorragende Harmonie zwischen den Vertretern der Gründerfamilien Tashima und Leitz. Im Kooperationsabkommen von 1972, das über mehr als zwei Jahrzehnte immer wieder den Gegebenheiten angepasst wurde, spielte neben der Belieferung von Anfang an die gemeinsame Entwicklung (beispielsweise der Leica CL von 1973) und der Technologieaustausch eine Schlüsselrolle, 1988 hat man sich nochmals ausdrücklich den gegenseitigen vollen Zugang zu allen relevanten Patenten bestätigt.
COLOR FOTO: Wenn die Kooperation seinerzeit nicht mit Minolta, sondern mit Canon oder Nikon erfolgt wäre, hätte dann Canon oder Nikon und Minolta das erste AF-System auf den Markt gebracht?
Heitmann: Tatsache ist: Minolta wurde zum Pionier auf dem AF-Markt, Minolta und Leitz hatten über Jahrzehnte eine enge Kooperation. Mit Canon und Nikon wurde keine Kooperation erprobt - über deren Ergebnis ließe sich daher nur spekulieren. Zum industriellen Erfolg gehört aber sehr viel mehr als nur der Zugang zu Erfindungen und Know-How! In der Kooperation zwischen Leitz und Minolta gab es eine ganze Reihe von sachlichen, aber auch von menschlichen Voraussetzungen, die für die erfolgreiche Industrialisierung der Autofokustechnik für Kameras durch Minolta bedeutsam waren. Dazu gehörte auch der Dialog der Entwicklerteams auf beiden Seiten sowie mein ganz persönliches Verhältnis zum ehemaligen Minolta-Entwicklungschef Yoshijama. Er wollte unbedingt Autofokustechnik in den Minolta-Kameras verwirklicht sehen; dabei wurden alle nur denkbaren technischen Alternativen praktisch durchexerziert und, wenn notwendig, modifiziert, auch die Honeywell-Variante wurde in Betracht gezogen und wieder verworfen (was zu den späteren juristischen Verwicklungen führte!). Ob zum Beispiel das Leitzsche US-Patent 3.529.528 die „Mutter" aller späteren (passiven!) AF-Systeme ist oder nicht, könnte Gegenstand vieler Debatten sein, aber alle Patente sind längst abgelaufen und jeder kann heute danach arbeiten!
COLOR FOTO: Wo würde Ihrer Meinung nach die Firma Leica heute stehen, wenn nicht Minolta, sondern Leitz damals die weltweit erste Autofocuskamera auf den Markt gebracht hätte?
Heftmann: Eine Autofokus-Leica wäre zwar technisch machbar, im Alleingang dargestellt aber wirtschaftlicher Selbstmord gewesen, da diese Technik nur bei großen Stückzahlen erschwinglich ist (auch Minolta hat sehr früh „Mitbenutzer" einbezogen!). Und Leica hätte unter den zu Beginn der siebziger Jahre herrschenden Randbedingungen generell ohne die Kooperation mit einem japanischen Kamerahersteller vermutlich nicht überlebt. Der Leitz-Beitrag zur Minolta-AF-Technik trug zum nachhaltigen Erfolg dieser Kooperation und damit indirekt zum Überleben von Leica bei.
COLOR FOTO: Was hat die auf der photokina 1976 unter der Bezeichnung „Leitz Correfot" vorgestellte elektronische Scharfeinstellung mit den ersten AF-SLR-Kameras und mit der gegenwärtigen AF-Technologie gemeinsam?
Heitmann: Gemeinsam mit dem Correfot war und ist allen „Trough the Lens" AF-Systemen die Methode der Erzeugung unterschiedlicher Teilbilder aus gegenüberliegenden Teilen der Eintrittspupille des Aufnahmeobjektivs und die Ermittlung von deren relativer Lage durch Korrelation. Das Auswertergebnis wird genauso wie beim Correfot zur Ansteuerung des Scharfstellmotors verwendet. Da es inzwischen Detektorzeilen (CCD-Arrays) als erschwingliches Massenprodukt gab, konnten schon Minolta und Honeywell in den 80ern auf diese zurückgreifen und praktisch Dr. Holles Ur-Idee von 1960 zum Bildlagevergleich verwenden, aber natürlich mit „digitaler" Elektronik! Ob die Gittertechnik des Correfot nicht heute noch sehr konkurrenzfähig wäre (ein Teil der Korrelationsmathematik findet dabei optisch, d.h. mit Lichtgeschwindigkeit statt!), darüber ließe sich trefflich streiten. Sie ist aber auch deshalb schwerer zugänglich, weil sich das Gitter in der Kamera bewegt, was wiederum gegen das vorherrschende „Solid State"-Dogma verstößt, wonach sich in einem Gerät nur fixe, also keine beweglichen Teile befinden sollten.
COLOR FOTO: Sie waren ein wichtiger Zeuge beim Prozess zwischen Honeywell und Minolta 1991/92 in den USA, weil Leitz ja ein „Confidential Agreement" mit beiden Firmen hatte. Wie weit reichte damals die Kooperation zwischen Leitz und den streitenden Firmen? In welchem Umfang beruht die AF-Technologie von Honeywell und Minolta auf Leitz-Entwicklungen?
Heitmann: Der Prozess zwischen Honeywell und Minolta vor dem Federal District Court in Newark/ New Jersey in den Jahren 1991/92 betraf zwei unterschiedliche Vorwürfe: -Verletzung von Honeywell-Patenten durch Minolta -Verletzung eines Confidential Agreements durch unerlaubte Nutzung von Honeywell-Know-How durch Minolta.
Ich war nur in den zweiten Prozess als Experte („expert witness") involviert. Beide Prozesse wurden durch den Anwalt Ciresi initiiert, der Honeywell dazu angeregt hatte, im zweiten Prozess zu behaupten, der gesamte Geschäftserfolg der japanischen Minolta-AF-Kameras am amerikanischen Markt basiere auf missbräuchlicher Nutzung von amerikanischem Know-How, das Minolta nur unter dem Schutz eines Confidential Agreements von Honeywell erlangt haben könne. Entsprechend hoch war die Forderung (ca. 400 Millionen US-Dollar).
Honeywell hatte damals so genannte TCL-Bausteine für Autofokus-Anwendungen angeboten und allen Interessenten nur dann nähere technische Daten darüber mitgeteilt, wenn diese vorher ein „Confidential Agreement" unterzeichneten. Minolta hatte dies, genauso wie viele andere bekannte Kamerahersteller, arglos getan, die entsprechenden Informationen bekommen und nach sorgfältiger Prüfung auf die Verwendung dieser Bausteine verzichtet. Das Produkt war für Honeywell alles andere als ein Erfolg, man hatte die „Photographic Divison" zum Zeitpunkt des Prozesses längst aufgegeben und verkauft.
Was hatte Leitz damit zu tun? - Viele Jahre zuvor hatte Honeywell unter dem Namen „Visitronic" einen optoelektronischen Entfernungsmesser-Baustein für Kameras angeboten, der, zumindest nach Meinung von Leitz, bei näherem Hinsehen schlagende Ähnlichkeiten mit Dr. Werner Holles altem Leitz-Patent aufwies. Da dieses nur in Deutschland angemeldet war, wartete man, bis Honeywell und einige seiner Kunden dieses Produkt auf der photokina zeigten, und verwarnte sie dann wegen Patentverletzung. Honeywell leugnete jede Verletzung, schließlich wurde ein Prozess angestrengt, kurz vor dessen Verhandlung besuchte Honeywell Leitz in Wetzlar, bot einen Vergleich an und erwarb schließlich das alte Leitz-Patent kurz vor dessen Ablauf.
Aus diesem Anlass sprach man dann auch über „echte" Autofokusmessung durch das Objektiv und nach Unterzeichnung eines Confidential Agreements durch Honeywell und eines gemeinsamen Letter of Intent zeigte Leitz Honeywell seinen in Entwicklung befindlichen Correfot, für den Honeywell Leitz die Entwicklung spezieller integrierter Schaltkreise anbot. Insbesondere interessierte sich Honeywells Visitronic-Erfinder Norman Stauffer und sein Kollege Dennis Wilverding bei Besuchen in den Wetzlarer Labors für alle technischen Details. Nach über einem Jahr Hin und Her teilte Honeywell uns schließlich mit, man sei an einer Zusammenarbeit mit Leitz nicht mehr weiter interessiert, denn Norman Stauffer habe inzwischen eine wesentlich fortschrittlichere technische Lösung zum Patent angemeldet, die man zu einem neuen Honeywell-Produkt (TCL) zu machen gedenke! Bei Leitz war man des Streites mit Honeywell müde geworden und ließ die Dinge auf sich beruhen, insbesondere, nachdem man vom nur sehr mageren Erfolg von TCL am Markt gehört hatte. Parallel dazu hatte im Rahmen der Kooperation ein reger Austausch von Informationen, Erprobung von Correfot-Mustern und gegenseitige Expertenbesuche zwischen Leitz und Minolta stattgefunden, insbesondere, nachdem Correfot 1976 erfolgreich auf der photokina vorgeführt worden war. Damit steht zumindest fest, dass sowohl Minolta als auch Honeywell Zugang zum Leitz-Correfot-Wissen gehabt hatten, lange bevor sie ihre jeweiligen „Through the Lens"-AF-Lösungen entwickelten.
Im Prozess sagte ich im Januar 1992 genau dieses aus und störte damit, vor allem aber durch die Vorführung des alten funktionierenden photokina Correfot-Modells im Gerichtssaal in Newark, den Anspruch von Honeywell, dass Norman Stauffer „erster und alleiniger Erfinder" der „Through the Lens"-AF-Technik sei. Damit brach auch der Vorwurf, Minolta habe seine AF-Technik zur Gänze bei Honeywell gestohlen, in sich zusammen und Minolta wurde diesbezüglich freigesprochen. Leider gelang es Rechtsanwalt Ciresi im zweiten Prozess, die Jury davon zu überzeugen, dass Minolta ein Honeywell-Patent, das sich mit der Zusammenschaltung der AF-Elektronik mit der Belichtungs- und Blitz-Automatik befasst, verletze, so dass Minolta dort zu einer erheblichen Zahlung an Honeywell verurteilt wurde.
Unvergesslich sind mir die Tage im Newarker Zeugenstand (inklusive zwei Tage Kreuzverhör durch Anwalt Ciresi). In der zwölfköpfigen Jury gab es außer einem Ingenieur nur technische Laien. Nicht nur deshalb versuchte der Vertreter der Klägerin vor allem die persönliche Glaubwürdigkeit von Zeugen wie mir, die ihm in der Sache nicht gerade nützlich waren, in den Augen der Jury in Frage zu stellen. Dabei wurde auch die politische Vergangenheit nicht ausgespart, in diesem Fall die Tatsache, „dass Japan und Deutschland schon früher gemeinsam Sache gegen Amerika gemacht" hätten! Meiner Glaubwürdigkeit kam dann sehr zustatten, dass ich bei Lenz auch für die Militärtechnik verantwortlich und im Besitz eines gültigen Mitgliedsausweises der AUSA (Association of the United States Army) war. Meine neue Daimler-Benz-Visitenkarte war ebenfalls recht hilfreich.
COLOR FOTO: Neben dem bundesdeutschen Verteidigungsministerium zeigten auch das US-amerikanische und das israelische Militär Interesse an Ihrer AF-Entwicklung. Könnten Sie uns näheres darüber berichten?
Heitmann: Der Vorteil der Entfernungsmessung nach der Korrelationsmethode besteht in ihrer „Passivität", man misst mit der Energie, die das Ziel freiwillig abstrahlt, anders als zum Beispiel bei der Laser-Entfernungsmessung, bei der man beim Ziel zunächst mit einem energiereichen Lichtimpuls „anklopft", um aus der Laufzeit des Echos dessen Entfernung zu ermitteln. Die (Correfot-)Gittermethode funktioniert auch in Spektralbereichen, für die nicht immer so elegante Detektor-Arrays zur Verfügung stehen wie im Sichtbaren. So kann man dann auch „bei Nacht und Nebel" passiv Entfernungen messen.
COLOR FOTO: Sie sind 1989 von Lenz zu Mercedes-Benz gewechselt. Was können Sie uns über den Einsatz der abgewandelten Correfot-Technologie in der Automobilindustrie sagen? Um welche Entwicklungen handelt es sich, und wo werden sie heute eingesetzt?
Heitmann: Ich war von 1989 bis 1995 bei Daimler-Benz für Technologiebeobachtung verantwortlich (Director Technology Analyzes and Forecast). Dies betraf nur zum Teil Gebiete, bei denen die Optoelektronik eine Rolle spielt, allerdings habe ich mit viel Freude erlebt, dass die Correvit-Sensoren u.a. bis heute in allen Bereichen der Fahrzeugentwicklung dazu dienen, berührungslos die Bewegung gegenüber dem Boden zu messen, egal ob das Fahrzeug rollt, rutscht oder schleudert. Inzwischen setzt eine neu gegründete Firma Corresys in Wetzlar diese Gitter-Sensor-Entwicklungen auch für andere Anwendungen erfolgreich fort.
COLOR FOTO: Welches Entwicklungspotenzial sehen Sie noch in der AF-Technologie? Oder ist sie bereits ausgereizt?
Heitmann: Automatische Scharfstellung gehört inzwischen bei Kameras zum Standard. Die zugrundeliegenden Technologien bieten sich aber noch für eine Fülle neuer Anwendungen in Medizin und Technik an. Dies gilt übrigens für die gesamte Optoelektronik.
COLOR FOTO: Was macht Knut Heitmann heute?
Heitmann: Er wird Ende 2000 fünfundsechzig, wohnt nach wie vor in Wetzlar, ist Mitglied verschiedener Aufsichtsräte (u.a. bei der bedeutendsten Optik-Firma Israels, ELOP, sowie einer Firma für Gallium-Arsenid-Wafer in Freiberg/Sachsen) und befasst sich immer noch intensiv mit neuen Technologien, auch als Partner in einer Venture Capital-Gesellschaft, die in junge High-Tech-Unternehmen investiert. Alles unter dem Motto: „Solange Gott will und wir leben!"
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