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Interview
Mehr Feeling für Fotofürsten?
Holt Manager aus der Modebranche
Horst Schiller, der sich nach 25 Jahren als Spitzenmanager in der Fotoindustrie ins Privatleben zurückgezogen hat, analysiert exklusiv für COLOR FOTO kritisch die Entwicklungen der Branche. Beim Gespräch mit COLOR FOTO in Düsseldorf betonte er das Fehlen von frauenfreundlichen Kameras und die Dominanz der Fabriken bei der Produktentwicklung.
COLOR FOTO: Herr Schiller, hätten Sie sich vor 20 Jahren vorstellen können, einen Fotoapparat in einem Computerladen zu kaufen?
Horst Schiller: Wir hatten damals bereits eine starke Beteiligung der Warenhäuser beim Verkauf von Fotogeräten. So war eine Beteiligung neuer Vertriebswege für Fotoapparate vorhersehbar.
COLOR FOTO: Wer macht die Trends auf dem Fotomarkt?
Schiller: Die Fabriken. Die Nachfrage-Entwicklung wurde zunehmend vom Hersteller übernommen. Die Handels-Ebene begnügt sich mit dem Preismarketing, dessen Wirkung nicht analysiert wird. Sehr häufig werden Benutzer-Bedürfnisse nicht professionell recherchiert und damit als zweite Priorität behandelt. Ein schweres Versäumnis, zumal Produkt-Innovation im Idealfall brachliegende Märkte aufbereitet. Beispielsweise wurde Milch nicht mehr gekauft. Daraufhin schaffte man erfolgreich eine Joghurt- und Käse-Konsum-Kultur. So etwas haben wir in der Fotobranche nicht geschafft, stattdessen das Produkt Schmalfilm zu früh kaputtgemacht. Ein wichtiges Entscheidungskriterium sollte der Produkt-Nutzen sein: Und zwar technisch, rational, aber auch emotional.
COLOR FOTO: Sony ist die Nummer zwei beim Verkauf digitaler Kameras in Deutschland. Schlafen die Kamerahersteller der Fotobranche?
Schiller: Die Kamera-Industrie ist unverändert dominant im Vergleich zu sogenannten neuen Anbietern. Optimistisch kann von einem Aufschwung ausgegangen werden, auch wenn altbekannte Defizite im Triangel Kunde Händler - Industrie nicht entsprechendes Wachstum generierten. Wir sind nicht erwachsen geworden in dieser Branche. Wir haben viel zu schnell resigniert statt analysiert. Es ist ein Unding, dass ein Oligopol auf dem Kamerasektor - fünf, sechs marktwichtige Hersteller - nach dem Glaubenssatz handelt, dass die Fabrik den Markt bestimmt. Aber dass Fabriken einen Markt bestimmen, ist noch nie gut gegangen. Ich könnte die Leichen all derer aus der Historie aufzählen, die das gemacht haben. Und einige weitere sind schon halbtot.
COLOR FOTO: Der Bereich Foto macht nur einen geringen Anteil bei den Umsätzen mancher global agierender Konzerne aus. Lohnt sich das Fotogeschäft nur fürs Image?
Schiller: Weil der Triangel Kunde Händler - Industrie nicht funktionierte, warf man sich auf andere Bereiche. Dessen ungeachtet, wurde über das Konsumenten-Angebot des Foto-Geschäftsbereichs ein hoher Bekanntheitsgrad erreicht. Traditionalisten haben die Entwicklung ihrer Unternehmen nicht diversifiziert und keine neuen Produktbereiche für das Wachstum ihrer Firma entwickelt. Obwohl bei den großen Konzernen der Fotoanteil „nur" zehn bis 25 Prozent am Gesamtumsatz beträgt, ist er in den vergangenen 20 Jahren in absoluten Zahlen ständig gewachsen. Die Probleme mit dem nicht funktionierenden Triangel bestehen dennoch fort. Da sind Umsätze vertan worden. Der Käufer äußert seine Bedürfnisse nur zum Teil bewusst. Es geht um das latente Potenzial, das entdeckt werden muss. Der Handel als der Absatzmittler betrachtet den Hersteller nicht als seinen Partner, sondern in vielen Fällen als seinen anzugreifenden Feind, dem er in die Tasche greifen muss. Und den Konsumenten hält die Branche nicht für einen wertvollen Partner, sondern überfordert ihn täglich. Ober unglaubwürdige Billigangebote versucht man, den Kunden in den Laden zu bekommen. Diesen Margenverfall will der Handel kompensieren, indem er dem Kunden Batterien und Zubehör zu überzogenen Preisen verkauft. Diese Art des Zusammenlebens zwischen den drei Bereichen erlaubt die Frage, ob man mit einer anderen Kultur nicht einen größeren Markt hätte entwickeln können. Wir kommen nicht weiter, wenn wir diese Kultur nicht ändern. Und ich würde sie von unten sehen. Die Bedürfnisse des Verbrauchers, über den Händler zum Hersteller. Denn der Hersteller ist ja auch gleichzeitig Konstrukteur. Keiner kann für sich allein den Erfolg herbeiführen, sondern nur eine Symbiose, die bis zum Endverbraucher geht.
COLOR FOTO: Warum geben japanische und koreanische Anbieter auch auf dem europäischen Fotomarkt den Ton an?
Schiller: Japanische Hersteller haben Weltgeltung angestrebt und erreicht. Der gravierende Nachteil in unserer sozialen Marktwirtschaft besteht in den hohen Lohn- und Nebenkosten. Die hohen Kosten einer einzigen Industriestunde verhinderten den Erfolg im internationalen Wettbewerb und reduzierten die Unternehmensgewinne. Die Investitionen für Forschung und Entwicklung wurden immer geringer. Im internationalen Vergleich wurden wir immer unbedeutender. Es ist problematisch, wenn in einem globalen Markt das Oligopol der Kamerahersteller in einem einzigen Kulturkreis liegt. Schließlich gibt es abhängig vom Kulturkreis unterschiedliche Wahrnehmungen, was gefällt und gebraucht wird, was Trend werden kann.
COLOR FOTO: Wo liegen Markt-Segmente, die von der Industrie bislang zu wenig bedient worden sind?
Schiller: Die Jugendlichen sowie immerhin 18 Millionen Pensionäre und Rentner, allein in Deutschland, werden total vernachlässigt von der Branche. Dabei liegen dort Segmente mit bedeutender Kaufkraft. Die Rentabilität guter Produkte ist bei uns auch deshalb so schlecht, weil wir es bis heute nicht verstanden haben, den Fotoapparat als selbstverständliches Accessoire in die Handtaschen der Frauen zu integrieren - Kameras in einer femininen Ausführung gibt es nicht. Auch hier läge ein Riesen-Potenzial, wenn Frauen fordern würden: Meine Kamera ist mein Tagebuch und mein Notizbuch; das muss immer dabei sein.
COLOR FOTO: Leben die Fotomanager in einer anderen Welt?
Schiller: Die Führungs-Eliten schauen von oben herab auf die statistischen Erhebungen der Konsumgüterforschung und sehen nicht, was die Wirklichkeit ist. 3,4 Millionen Kameras stehen sechs Millionen verkaufter PKWS gegenüber. Was wollen Menschen mit 500 Mark tatsächlich in ihrem Freizeitverhalten anstellen? - Doch nicht so viel Geld für eine Spiegelreflexkamera ausgeben! Spiegelreflexkameras sind auf dem sterbenden Ast - sie werden durch digitale Kameras ersetzt. Alle technischen Benefits werden in der Elektronik besser gelöst. Und deren Hersteller können kleiner und handlicher bauen.
COLOR FOTO: Vielleicht sehen die Hersteller ihre Kameras als Wertstücke?
Schiller: Auch die Zeiten, in denen Kameras Prestigeobjekte waren, sind vorbei. Es gibt Firmen, die entwickeln nicht für den Markt, sondern eine Profilinie im oberen Bereich, der sehr eng ist. Doch diese Profis sind heute schon unterwegs mit elektronischen Übermittlungsverfahren. Im Journalismus entscheidet die Schnelligkeit, da muss man sich von herkömmlichen Aufnahme- und Speichermedien lösen. Die Bild-Übermittlung wird zur zentralen Bildkommunikation. Die Fotobranche kann sich diesem Umbruch nicht entziehen. Und wer Kameras nur noch als Sammlerobjekte baut, kann die Aktualisierung seiner Kundenkartei direkt mit den schwarz umrandeten Anzeigen in den Tageszeitungen verknüpfen dort wird nämlich sein schwindendes Käuferpotenzial dokumentiert. Wenn wir aus dem verkrusteten Denken nicht herauskommen, werden wir die meisten Chancen ungenutzt lassen. Wo liegt das Selbstbewusstsein einer Branche, die ernsthaft diskutiert, wo das elektronische Bild hingehört? Leider ist uns die Begeisterungsfähigkeit abhanden gekommen.
COLOR FOTO: Wo gibt es Vorbilder?
Schiller: Die Vermarkter von Parfüms haben es geschafft, überflüssige Duftwässer als Alltagsbegleiter in jeden Haushalt einzuführen. So ein ästhetisch-lustvolles Marketing bräuchten wir. Technik ist nur ein Vehikel, mit dem wir zu schönen, freundlichen Bildern gelangen. Ein Vehikel, mit dem wir unwiederbringliche Momente dokumentieren und konservieren. 60 Prozent der Händlergewinne kommen aus dem Bilderverkauf - doch weder in Verkaufsgesprächen, noch in den Auslagen, wird die Begeisterung am Medium Bild animiert. Einen hohen Reifegrad haben wir in der Fotobranche nicht erreicht. Als Vorbilder taugen wir nicht. Wobei die Erfolge von großen Elektromärkten mit Fotoprodukten auch nicht auf einer progressiven Betriebsführung beruhen, sondern, wie in der Politik, auf den Schwächen der Konkurrenten.
COLOR FOTO: Welches war der bislang größte Clou, den die Fotoindustrie landete?
Schiller: Von der Fotografie zur Bildkommunikation und vom chemischen zum elektronischen Prozess zu gelangen, ist zugleich Evolution und Revolution.
COLOR FOTO: Der Fachhandel kämpft ums Überleben.
Schiller: Die Fachhändler spüren zwar den schleichenden Niedergang, wollen ihn aber nicht wahr haben. Wenn sie jetzt aufwachen, nüchtern Bilanz ziehen und beherzt die Zukunft anpacken, werden sie gemeinschaftlich die vor ihnen liegenden Aufgaben meistern. Die großen Händler-Verbände können nicht nur die Addition von Umsätzen und Rabatt-Konditionen anstreben. Zukunftssicherung ist das Bedürfnis der Mitglieder. Der Einzelne scheint überfordert im Hinblick auf die Herausforderungen von E-Commerce und Multimedia-Shop. Ein funktionierender Triangel: Handel, Hersteller, Verbraucher würde allen profitbringend nutzen. Wer kein Geld hat, konstruiert billig. Wer beim Verkaufen nichts verdient, zieht sich auf einen lausigen Beratungsservice zurück, und der Endverbraucher kauft erst falsch und dann vielleicht nie mehr Fotografisches. Die Kooperation Hersteller, Händler, Konsument wird zwingend, und es wird das Verständnis für Markt-Investitionen entwickelt werden müssen. Unbegreiflich, dass der Handel nur ein Prozent seiner Umsätze für Werbung ausgibt.
COLOR FOTO: Was läuft schief in der Fotobranche?
Schiller: Wir bräuchten intensivere Markt-Analysen, um die echten Markt-/Anwender-Bedürfnisse in Produktengebote zu übersetzen. Das Bild halte ich nach wie vor für das beste Kommunikationsmittel. Ich denke, dass das Bild emotional sogar eine stärkere Wirkung als Musik hat. Die bildliche Wahrnehmung weckt bei uns alle Sinne - auch die Kauflust. In der Fotobranche haben wir über Emnid immer nur festgestellt, dass die Leute von 14 bis 49 Jahre Produkte kaufen, und wenn sie bis zum siebten Lebensjahr noch nichts mit der Fotografie zu tun hatten, werden aus ihnen schlechte Fotokonsumenten. Und dann gibt es noch eine Gesellschaft für Konsumgüterforschung, die sich datenmäßig hervorragend global bemüht. Aber da fehlt etwas zwischen der Industrie, die diese Daten empfängt, und der Psyche, die bei der Fotografie überwiegend nur mit schönen und freudigen Dingen zu tun hat. Der größte Teil der Bildvermittlung findet in einem positiven Umfeld statt. Daraus macht die Fotobranche ungeschickterweise nichts!
COLOR FOTO: Ihr Rezept?
Schiller: Wir sollten mal die Manager-Anforderungen erweitern und uns einige aus der Modebranche holen. Wir würden auf vielen Plätzen einen ganz anderen Zugang bekommen. Unsere Oberlegungen kreisen aber immer nur darum, jemanden aus der Elektronik zu holen. Folge: Die Branche ist noch antiseptischer und technologischer unterwegs. Die Menschheit begreift jedoch die Technik nicht in ihrer Eigenart als Technik, sondern in ihren Lösungsangeboten. Einfachheit und bedarfsgerechte Offerten haben wir in der Fotobranche übersehen. Siehe die Entwicklung von Videokameras, die unsere Aufgabe gewesen wäre. Hätten wir die wirklichen Parameter des Wachstums benutzt, hätten wir mit Sicherheit die eigene Branche enorm angekurbelt. Die Möglichkeiten, zu expandieren, sind nahezu unlimitiert.
Abgesehen vom Bild können Sie nur durch einen Dolchstoß in einem kurzen Moment so viele Emotionen und Gedanken freisetzen. Es geht um das Bild vom Menschen! Wir haben zu einer Fixierung auf Blenden und Technik erzogen. Wir haben eine Zeit lang mit unserer Werbung und unseren Gebrauchsanleitungen erwartet, dass der Benutzer die Voraussetzungen eines Ingenieurs-Verständnisses hat. Damit wurden wir auch frauenfeindlich. Und die Frauen spielen eine wahnsinnig wichtige Rolle in der Bildgestaltung, für die Fotografiefreude, für die Erlebniswelt des Bildes. Verhaltensforscher könnten Industrie und Handel eine Menge vermitteln.
COLOR FOTO: Sie gelten als einer der erfolgreichsten Fotomanager der letzten 20 Jahre. Was empfehlen Sie denjenigen, die heute die Fäden des Fotomarktes in der Hand haben?
Schiller: Die Mitarbeiter stärker zu beteiligen an Planung, Steuerung und Controlling, mit dem Anreiz einer Erfolgsbeteiligung. Das Shareholder-Value muss neu orientiert werden, das heißt, die Mitarbeiter sollten am Unternehmensgewinn der Eigentümer beteiligt werden.
COLOR FOTO: Was sind die großen Fotomarkt-Segmente der nächsten Jahre?
Schiller: Die Bildkommunikation löst die Fotografie ab. Visuelle Wahrnehmungen werden den Markt stärker bestimmen als Ton und Musik. Das Display/ Screen wird in allen Lebensbereichen gegenwärtig sein, mit umfassenden Service-Angeboten.
COLOR FOTO: Rechnen Sie mit einem Aus für die klassische, analoge Fotografie?
Schiller: Ja. Im Zuge einer langsamen Substitution. Noch ist sie Butter und Brot des Fotogeschäfts, nutzt die Stimmungslage derer, die sich am Alten festhalten.
COLOR FOTO: Was macht Horst Schiller eigentlich heute?
Schiller: Natürlich beobachte ich die Branche. Ich treffe mich zu Diskussionen mit interessanten Persönlichkeiten aus unserem Metier, aus der Politik und der Finanzwelt. Ich entdecke Reisen, Golfen, Familie und Freunde, weigere mich aber trotz meiner 62 Jahre, dem Senioren-Bereich meines Golf-Clubs beizutreten.
COLOR FOTO: Memoiren erfolgreicher Top-Manager sind extrem in Sie waren mit 35 Jahren der jüngste Spitzen-Manager Europas. Wann schreiben Sie Ihre Erinnerungen auf?
Schiller: Beim Schreiben noch einmal ein herrliches Berufsleben zu durchleben - dazu hätte ich wirklich große Lust. Wahrscheinlich benötige ich hierzu einen Profi, der Stil und Form der Erinnerungen so modelliert, dass ein Bestseller, mit dem Titel „Ich bereue nichts", Impulse in die Zukunft vermittelt
Annnegret Kempf in Color Foto 3/2000
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