Artikeltext

Service Beratung Strafbare Handlungen auf Fotos Verdächtige Bilder Alle fünf Sekunden rattert ein Bilderstapel aus der Schnittmaschine, parallel dazu rutschen die Negativstreifen vom Band. 55 000-mal am Tag stecken Laborantinnen bei Brunninger color in München Filme, Fotos und Indexprints in Fototaschen und dann in die dazugehörigen Auftragsbeutel. Gelegentlich wird eine Tüte zur Seite gelegt: verdächtiges Material. „Bei Verdacht auf Kinderpornografie informieren wir die Polizei", berichtet Betriebsleiter Alfred Laun. Die ersten, die Verdacht schöpfen, sind die Laborantinnen: Sie müssen vor dem Verpacken einen Blick auf Bilder und Indexprints werfen, um sicherzustellen, dass die Qualität der Fotoarbeit einwandfrei ist. Für eine genaue Prüfung pornografischer Motive haben sie allerdings keine Zeit, denn schon nach wenigen Augenblicken kommt der nächste Auftrag aus der Schnittmaschine. Betriebsleiter Laun sieht sich die aussortierten Bilder genauer an: Ist auf den Fotos ein Kind in unmissverständlicher Haltung, beispielsweise mit gespreizten Beinen, zu sehen? Wurden die Geschlechtsteile hergezoomt? Deutet das Umfeld auf obszöne Handlungen hin? Im Zweifelsfall informiert Laun seine Kunden draußen in den Fotoläden, die dann die Polizei rufen. Oder er wählt direkt die Nummer des Polizeipräsidiums München, Kommissariat 123. Verdachtsmomente „Wir gehen jedem Verdacht nach", sagt Edda Minnich, die Leiterin der Abteilung Jugendschutz. Natürlich schauen auch wir uns erst einmal die Aufnahmen an: Der Verdacht auf Kinderpornografie besteht, wenn Kinder als Sexobjekte aufgenommen wurden, das heißt in aufreizenden Positionen oder mit deutlich sichtbaren Geschlechtsteilen. „Eindeutig ist die Lage, wenn auf den Bildern sexuelle Handlungen von Kindern untereinander oder mit Erwachsenen zu erkennen sind oder wenn der ganze Film voll ist von bestimmten Motiven", erklärt die Kriminalhauptkommissarin. Eine Serie von Familienfotos, in der Kinder am Strand Eis essen, baden und auch mal nackt im Sand sitzen, ist dagegen unverdächtig. „Der Kontext spielt eine entscheidende Rolle", so Minnich. Zwischen den beiden Extremen gibt es selbstverständlich auch Grenzfälle: Ein Kind, das nur mit einem Wolfspelz bekleidet im Garten herumhüpft, kann ein harmloses Motiv sein oder ein Hinweis auf eine Straftat. Gefahr in Verzug Die Polizeibeamten sehen sich die fraglichen Filme genau an. Kommen die Bilder auch ihnen verdächtig vor, werden sie noch einmal - zur Beweissicherung - kopiert. Dann beginnt die oft mühsame Identifizierung des Auftraggebers. „Auf der Auftragstasche finden wir nur selten eine Adresse, die Täter setzen auf Anonymität", sagt Minnich. Über die Auftragsnummer lässt sich allerdings schnell die Filiale ermitteln, bei der der Film abgegeben wurde. Diese Filiale wird dann von Beamten in Zivil beschattet, sobald der Auftrag dort ausgeliefert wird. Kommt der Fotograf, um seine Bilder abzuholen, wird er schon erwartet: Die Polizei darf nicht nur die Personalien feststellen, sondern auch umgehend die Wohnung des Verdächtigen durchsuchen - das ist rechtmäßig, weil „Gefahr in Verzug" ist. „Die Gefahr besteht darin, dass der Betreffende weiteres Beweismaterial wie pornografische Fotos, Videos und Internetausdrucke verschwinden lässt', erklärt Minnich. „Pornografische Bilder werden häufig zu kommerziellen Zwecken genutzt. Der Vertrieb geht entweder über Anzeigen mit scheinbar harmlosen Texten oder übers Internet. Wenn Filme zum Entwickeln abgegeben werden, können wir die Täter dank der Mithilfe der Fotolabors identifizieren. Diejenigen, die digitale Fotos machen und direkt ins World Wide Web einspeisen, kann die Polizei nur im Internet selbst finden. Wir haben hierfür eigene Abteilungen eingerichtet." Nach § 184 des Strafgesetzbuchs ist der Besitz, die Beschaffung und Verbreitung von pornografischen Schriften - dazu gehören auch Bilder - strafbar (s. Kasten unten). Wer Fotos besitzt, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Wer professionell mit solchen Bildern handelt, kann mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Die Härte des Gesetzgebers hat gute Gründe: Sexuelle Gewalt führt zu schweren seelischen Schäden bei den noch minderjährigen Opfern. Ihre Hilflosigkeit wird gesteigert durch die Schuld- und Schamgefühle, die die Täter häufig bewusst verstärken, um eine Abhängigkeit zu erzeugen: Erst wird dem Kind suggeriert, es habe die Übergriffe selbst provoziert und an der Pornografie durchaus Spaß gehabt. Dann heißt es: „Mama würde dich nicht mehr lieb haben, wenn sie das erführe..." Oder: „Mama würde krank vor Kummer, wenn sie wüsste.." Auf diese Weise entsteht ein Teufelskreis: Die Kinder werden in die Einsamkeit getrieben und trauen sich nicht, mit Eltern, Lehrern oder anderen Kindern über ihre Erlebnisse zu sprechen. „Sind erst einmal Aufnahmen erstellt worden, so können die Kinder erpresst werden, weitaus härtere Dinge zu tun - und dabei zu lächeln - oder andere Opfer beizubringen", heißt es in einer Informationsschrift des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. Mithilfe gefragt Da die betroffenen Kinder nicht den Mut haben, selbst Anzeige zu erstatten, sind die Behörden auf fremde Hilfe angewiesen. „Wir haben schon vor Jahren ein Merkblatt für Fotolabors erarbeitet, in dem wir um Mithilfe bitten", berichtet Edda Minnich vom Münchner Polizeipräsidium. Demnächst will sie ein neues Rundschreiben herausgeben, das die Mitarbeiter in den Labors „noch einmal wachrüttelt". Ein juristisches Problem ist die Kooperation zwischen Labor und Polizei nicht, denn wenn ein Kunde seinen Film an der Fototheke abgibt, erwartet er, dass er gute Bilder bekommt. „Für die Qualitätssicherung ist es notwendig, dass die Bilder auch überprüft werden. Die Labors müssen daher die Bilder angucken", erklärt Michael Grütering, Jurist und Geschäftsführer des Bundesverbands der Fotomaterial verarbeitenden Betriebe. „Wenn Indizien für eine Straftat vorliegen, sollten selbstverständlich die Behörden eingeschaltet werden." Theoretisch können auf diese Weise Verbrechen aller Art ans Tageslicht kommen. Doch welcher Mörder fotografiert sich schon zusammen mit seinem Opfer? Bisher ist Pornografie die häufigste Straftat, auf die die Mitarbeiter in den Fotolabors stoßen. Aber auch bei anderen Bildern ist die Aufmerksamkeit der Laboranten gefragt: Die Vervielfältigung von NS-Propagandamaterial beispielsweise ist ebenfalls verboten. FAZIT: Keine Angst davor, Kinder zu fotografieren: Wer seinen Nachwuchs nackt am Strand oder in der Badewanne fotografiert, muss keine strafrechtliche Verfolgung fürchten, denn nicht jedes Nacktfoto ist gleich pornografisch. Die Polizei wird erst eingeschaltet, wenn Motive und Kontext eines Films den Verdacht auf Kinderpornografie erhärten. Monika Weiner in Color Foto 1/2001 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}