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Photographica
Das Negativ-Positiv-Verfahren
Den Grundstein für die moderne Fotografie legte William Henry Fox Talbot 1840 mit der Kalotypie. Während die Daguerreotypie nur Unikate erzeugt, liefert die Kalotypie ein Negativ, von dem man beliebig viele Abzüge machen kann.
William Henry Fox Talbot wird am 11. Februar 1800 in Melbury, England, geboren. Er ist der Sohn einer reichen aristokratischen Familie und studiert am Trinity College in Cambridge. Vielseitig begabt, begeistert er sich für Archäologie, Philologie, Mathematik, Physik und Chemie. 1814 erscheint Joseph von Fraunhofers Abhandlung über die Entdeckung von „unzählig vielen starken und schwachen vertikalen Linien im Sonnenspektrum". Talbot ist interessiert und beginnt 1820 mit spektralanalytischen Experimenten, ohne seine anderen Fächer wie Mathematik, physikalische Optik und Astronomie aufzugeben. Nur fünf Jahre später publiziert der nun 25-jährige Gelehrte seinen ersten Artikel zur Spektroskopie: „Einige Versuche über gefärbte Flammen". Im folgenden Jahr erscheint der Artikel sogar im deutschen Journal für Chemie und Physik
Erste Negative auf Papier
Ab 1833 versucht Talbot, Bilder auf lichtempfindlichem Material herzustellen. Als Kamera verwendet er einen einfachen Kasten mit Objektiv und experimentiert mit einem Sonnenmikroskop. Zu seinen häufigsten Motiven gehören Pflanzendetails und Blätter. Dabei legt er flache Gegenstände auch direkt auf seine „Foto-Papiere". Nach einigen Misserfolgen steigt Talbot auf kleinere Schachteln mit größeren Objektiven um. Bereits im Sommer 1834 glücken die Experimente, und auf einem mit Chlorsilber sensibilisierten Papier erscheinen die Abbilder der Gegenstände als Negativ. Allerdings beträgt die Belichtungszeit dieser „photogenischen Zeichnungen" noch zwei bis drei Stunden. Talbot wartet, bis das Papier an den nicht abgedeckten Stellen dunkelbraun wird und fixiert das Bild anschließend mit einer Kochsalzlösung. Im darauffolgenden Sommer schreibt er seinen Aufsatz „On the Nature of Light" und erwähnt hier das erste Mal die Lichtempfindlichkeit des Silbernitrates. Wegen dieser Entdeckung sollte seine Schrift später berühmt werden.
Doch Talbots Ambitionen sind vielseitig, und 1834 gibt er weitere Versuche auf. Er widmet sich erneut dem Studium der Geschichte und schreibt bis 1838 zwei Bücher über die Antike.
Dann erst, überrascht durch Daguerres Erfindung, greift er auf seine photographischen Experimente zurück. Er hofft, dass die Entdeckung des Franzosen seiner nicht gleicht und legt am 31. Januar 1839 der „Royal Society of Science" in London einen Bericht über seine Erfindung vor. Die Publikation findet einige Beachtung, allerdings erscheinen Talbots Bilder gegen die bestechend scharfen Daguerreotypien blass. So beschließt der enttäuschte Forscher, die Gesellschaft in Zukunft kontinuierlich über die Fortschritte seines Papierverfahrens zu informieren.
Die Kalotypie mit höherer Empfindlichkeit
Im September 1840 gelingt Talbot ein Durchbruch: Er stellt fest, dass die Verbindung von Silbernitrat und Gallussäure die Lichtempfindlichkeit des feuchten Papiers erhöht. Nach wenigen Sekunden Belichtungszeit entsteht bereits ein Negativ, das Talbot bloß noch mit Natriumthiosulfat fixieren muss.
Der Erfinder kann so problemlos Porträts aufnehmen, 20 Fotografien an einem einzigen Tag erstellen und mit Hilfe eines Kopierrahmens von jedem Negativ beliebig viele Papierabzüge machen. Diese Kopien sind der herausragende Vorteil gegenüber der Daguerreotypie, die ja immer auf ein Unikat beschränkt bleibt. „Kalotypie" nach dem griechischen „kalos" (schön, gut, nützlich) nennt Talbot sein Verfahren, das auch unter dem Name „Talbotypie" bekannt wird. Da die französische Daguerreotypie bereits im europäischen Ausland Fuß gefasst hat und durch ihre Aufnahmequalität überzeugt, verbreitet sich das englische Verfahren nur langsam. Talbots Mutter Lady Elisabeth versucht die Kalotypie in Osterreich bekannt zu machen. Doch auch sie bekommt nur ein Dankesschreiben wegen der 1840 an den Staatskanzler Metternich gesandten Arbeitsproben.
Das erste Fotobuch
William Talbot grämt das zwar, aber romantisch veranlagt und eher zurückhaltend verfolgt er 1841 bereits seine nächste Idee. Er möchte eine „Enzyklopedie" der Fotografie herausbringen und diese mit Original-Kalotypien ausstatten. Das neue Projekt nimmt ihn ganz in Anspruch. Zwischen Juni 1844 und April 1846 erscheint das erste mit Fotografien ausgestattete Buch der Welt, „The Pencil of Nature". Es beinhaltet sechs Bände mit je 24 Kalotypien und wird in einer Auflage von 1016 Exemplaren produziert. In ihren Rezensionen lässt die englische Presse besonders die Illustration „Die offene Tür" (Besen). Deren viele Graustufen und die naturgetreue Wiedergabe der Materialien begeistern.
In schneller Folge bringt Talbot weitere Bücher heraus, so 1844 „Sun pictures of Scotland" mit 23 Fotografien und bald danach „Annals of Artists in Spain", das als erstes Buch Kunstwerke fotografisch abbildet.
Der große Ruhm bleibt dennoch aus. Vielleicht ist Talbot verärgert, jedenfalls lässt er sich seine Erfindung in England patentieren und verfolgt diejenigen, die sie dennoch zu nutzen versuchen. Amateure sowie professionelle Fotografen sind beunruhigt, und die Royal Society schaltet sich ein. Schließlich publiziert die Times am 13. August 1852 einen Brief Talbots, in dem er auf die finanzielle Verwertung seines Patents, mit Ausnahme der kommerziellen Porträtfotografie, verzichtet.
In der Folgezeit weichen die Porträtfotografen auf ein anderes Verfahren aus: Sie wechseln vom Papier- zum Glasnegativ, und auch die Zusammensetzung der Chemie entwickelt sich weiter. Talbot fühlt sich dennoch hintergangen, so dass es 1854 zum Prozess kommt: Doch das Gericht spricht den angeklagten Fotografen Laroche frei.
Mit der fortschreitenden Technik findet die Talbotypie keine weitere Verbreitung mehr. William Henry Fox Talbot bleibt ein gelehrter, aber ruhmloser Aristokrat, ein Erfinder der Fotografie und einer der ersten Entzifferer der Keilschrift. Er stirbt am 17. September 1877 auf seinem Wohnsitz Laycock Abbey.
Henriette Struss in Color Foto 2/2001
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