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Photographica
Ein Erfinder im Abseits
Hippolyte Bayard entwickelt fast zeitgleich mit Daguerre ein eigenes fotografisches Verfahren. Doch während Daguerre zum bewunderten „Erfinder" der Fotografie aufsteigt, bleibt Bayard nahezu unbekannt.
Die Akademie, der König alle bewunderten seine Bilder. Eingebracht haben sie ihm große Ehre, aber keinen halben Centime. Die Regierung, die Daguerre viel zu viel gegeben hat, sagte, sie könne nichts für Herrn Bayard tun. Da ertränkte der Unglückliche sich." Nein, Hippolyte Bayard hat sich nicht umgebracht. Aber im Oktober 1840 fotografiert er sich empört als Ertrunkenen und notiert den hier gekürzt abgedruckten Kommentar unter sein Selbstbildnis.
Bayard ist nicht der einzige, der sich betrogen fühlt: Als die Academie des Sciences am 7. Januar 1839 die Erfindung Daguerres ankündigt, löst dies sofort heftige Reaktionen aus. So erhält der einflussreiche Politiker und Sekretär der Academie, Francois Dominique Arago, auf seine Verlautbarung eine Welle von Zuschriften. Man zweifelt an Daguerres Erfindung und reklamiert eigene Arbeiten als prioritär. Bei einem Blick in die französische Tagespresse von damals stößt man allein auf 20 Personen, die von sich behaupteten, Lichtbilder festhalten zu können. Hippolyte Bayard wird am 20. Januar 1801 in Oise, einem Dorf bei Breteuil-sur-Noye geboren. Sein Vater ist Richter, und nach der Schule geht Hippolyte nach Paris, um dort eine ähnliche Laufbahn als mittlerer Beamter im Finanzministerium anzutreten. Aber der junge Mann besitzt versteckte Talente: Hippolyte malt und zeichnet ansehnlich. Er freundet sich mit den Pariser Künstlern Grevedon, Gavarni und Charlet an und versucht ab 1837, Bilder mit Licht zu erzeugen. Im Laufe der nächsten beiden Jahre entwickelt Bayard ein Verfahren für Direktpositive auf Papier. Kein Wunder also, dass
ihn die Nachricht über Daguerres Arbeiten alarmiert. Bayard beschließt sofort, seine Lichtexperimente zu intensivieren, und stellt innerhalb von zwei Wochen eine neue Versuchsreihe auf. Da er damit nicht zufrieden ist, folgen am 5. Februar und 20. März 1839 weitere Experimente. Dabei gelingt es Bayard, die Belichtungszeit von einer Stunde auf eine halbe zu reduzieren. Schließlich legt er am 20. Mai 1839 dem einflussreichen Arago seine Ergebnisse vor. Schon einen Monat später darf Bayard 30 seiner Fotografien im Rahmen einer Benefiz-Veranstaltung in Paris ausstellen. Seine Arbeiten finden lobend Anerkennung, und das Innenministerium zahlt Bayard
eine einmalige Zuwendung von sechshundert Francs zum Kauf einer besseren Kamera. Die heute ausgewerteten Dokumente lassen vermuten, dass Arago ihn damit abspeist und hinhält. Anscheinend möchte Arago ungestört die Details für seinen Schützling Daguerre regeln. Vielleicht zögert der als zurückhaltend bekannte Bayard aber auch aus Angst, sein Verfahren sei mit dem Daguerres identisch und er könne sich lächerlich machen. Nachdem Arago im August 1839 die Technik der Daguerreotypie publiziert, dauert es jedenfalls noch einmal sechs Monate, bis auch Bayard sein Verfahren veröffentlicht. Erst jetzt ist sich der Erfinder sicher, dass seine Arbeit nichts mit der Entdeckung Daguerres zu tun hat. Zudem drängt die Zeit, hat Bayard doch von den Experimenten Talbots gehört. Am 24. Februar 1840 wagt er den Schritt in die Öffentlichkeit, in seinem Brief heißt es: „damit mir niemand die Ehre der Entdeckung abnehmen kann."
Gleich schließen sich ihm zwei Erfinder an: Verignon behauptet noch am selben Tag vor der Akademie, er habe dieses Verfahren erfunden. Und einige Tage drauf reklamiert Lassaigne die Entdeckung für sich. Die Aussagen der zwei Männer führen zu einem Streit, den heute keiner mehr sehr ernst nimmt. Weder Verignon noch Lassaigne haben so hochwertige Bilder wie Bayard hinterlassen. Wer die rund 500 erhaltenen Bilder Bayards durchsieht, wird überrascht auf zahlreiche Arbeiten von herausragender Qualität stoßen. Verschollen bleibt aber sein Album mit dem Titel: „Fotografisches Versuchsalbum, begonnen am 10. Januar 1839".
Doch gegen Daguerre hat Bayard keine Chance. Daguerre erntet allen Ruhm und Bayards Erfindung wird von Seiten der Regierung weiterhin kaum wahrgenommen. Nur 1842 erhält Bayard noch einmal Unterstützung: Die „Societe d'Encouragement pour 1'Industrie Nationale" zahlt ihm einen Zuschuss von 3000 Franken.
Unwiderruflich im öffentlichen Abseits steigt Bayard 1846 zum Büroleiter im Finanzministerium auf. Die Fotografie wandelt sich zu seinem Hobby, und nur aus Leidenschaft nimmt er noch herausragende Daguerreotypien auf. Allerdings ist seine Begeisterung für die Fotografie weiterhin so groß, dass er 1851 die weltweit erste fotografische Gesellschaft „Societe Heliographique" mit begründet. Und schon drei Jahre später ist er wieder dabei, als sich einige Mitglieder zusammenfinden und gemeinsam die heute noch existierende „Societe Francaise de Photographie" ins Leben rufen.
Als Bayard in Rente geht, zieht er mit einigen Freunden nach Nemours, wo er am 14. Mai 1887 im Alter von 86 Jahren stirbt. Ein erfülltes Leben - der Finanzbeamte war ein großer Fotograf, ein herausragender Pionier der Fotografie und ein erfolgloser Erfinder. Hippolyte Bayard kommentiert sein Wirken über seinen Tod hinaus so: „Künstler, Wissenschaftler und Journalisten haben sich lange mit ihm beschäftigt, und heute, da er seit Tagen in der Leichenhalle aufgebahrt ist, hat ihn keiner erkannt und nach ihm gefragt. Meine Damen und Herren, gehen wir vorüber, Sie sehen, Gesicht und Hände verwesen schon - das könnte Ihren Geruchssinn angreifen."
Hippolyte Bayard fotografiert sich 1840 als Ertrunkenen, ihn empört Daguerres Bevorzugung.
Henriette Struss in Color Foto 4/2001
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