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Photographica
Messing & Glas
Moderne Zooms sind lichtstark und bieten ein großes Brennweitenspektrum zu einem vernünftigen Preis-Leistungs-Verhältnis. Alte Objektive haben Charakter ein Stück schweres Messing mit viel Glas und einem leise surrenden Verschluss.
Planar, Tessar, Summicron - diese Objektive haben Fotografiegeschichte geschrieben. Sie sind längst legendär, und doch bringen ihre modernen Abkömmlinge noch immer Spitzenergebnisse. Gerade Edelmarken wie Leica, Contax, Hasselblad und Rollei setzen auch in Zukunft auf die Weiterentwicklungen dieser Klassiker. Wer Kameras sammelt, wird sich auch der Faszination alter Objektive kaum entziehen können. Im Folgenden geben wir einige wertvolle Tipps für Sammler.
Die Datierung
Erste Basisinformationen liefert auch bei sehr alten Objektiven die Gravur mit den Angaben zu Brennweite und Lichtstärke. Darüber hinaus haben renommierte Hersteller Fabrikationsnummern in die Fassung graviert. Anhand dieser Nummer können Sie die Objektive zeitlich einordnen. Entsprechende Angaben finden Sie in den großen Standardwerken und Preisführern für Sammler.
Den nächsten Hinweis auf das Alter liefert die Fassung. Messinggehäuse, die weder verchromt noch vernickelt sind, stammen meistens aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert.
Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Vergütung, eine Oberflächenbeschichtung mit einem reflexmindernden Material, die einen farbigen Schimmer zeigt. Wenn Licht auf eine Linse fällt, geht der größte Teil des Lichtes durch das Glas hindurch, ein kleiner Anteil wird jedoch reflektiert. Sitzen nun mehrere Linsen hintereinander, multipliziert sich dieser Effekt, und im Objektiv entsteht Streulicht, das die Brillanz deutlich verringert. Die Vergütung reduziert die Reflexionen und wurde erstmals im Jahre 1935 von der Firma Zeiss in Jena eingesetzt. Ganz allgemein kann man bei nichtvergüteten Linsen ein Vorkriegsmodell vermuten. Erst nach dem 2. Weltkrieg setzten sich vergütete Linsen durch. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: Billige Meniskus-Objektive (Einlinser) erhielten auch nach dem Krieg normalerweise keine Vergütung. Hingegen ließen einige Fotografen ihre hochwertigen Vorkriegsobjektive nachträglich beschichten.
Abbildungsfehler
In den meisten Objektiven stecken mehrere Linsen. Zwar erzeugt schon eine einzelne Linse ein Bild. Doch stören dann zahlreiche Bildfehler. Im Normalfall entspricht die Oberfläche der Linse einer Kugelschale (siehe „Stichwort"). Diese sphärische Linse lenkt jedoch Randstrahlen stärker ab als die zentrumsnahen Lichtstrahlen und erzeugt so Farbsäume sowie eine gewölbte Schärfeebene. D.h. Sie können nicht auf die Mitte und den Rand des Bildes gleichzeitig scharfstellen. Ferner wird das Objektiv gerade Linien am Bildrand durchgebogen wiedergeben (Verzeichnung). Will ein Konstrukteur diese Abbildungsfehler vermeiden, muss er Linsen mit verschiedenen Glassorten kombinieren, denn mit der Glassorte ändert sich auch der Lichtbrechungsfaktor einer Linse. Früher trugen viele zweilinsige Objektive den Namen „Achromat" (chroma = griech.: Farbe), weil bereits die Kombination zweier Glassorten die Farbsäume deutlich reduziert. Eine Weiterentwicklung dieser Achromate sind die heute üblichen Apochromate. Eigentlich sollte ein Apochromat für drei Spektralfarben optimal korrigiert sein. Allerdings legt keine Norm die Toleranzen verbindlich fest, so dass die Bezeichnung Apochromat kein echtes Gütesiegel ist. Gegen tonnen- oder kissenförmige Verzeichnung hilft ein symmetrischer Aufbau des Objektivs (Aplanat, Doppel-Anastigmat).
Alle diese Erkenntnisse wurden schon Anfang des vorigen Jahrhunderts umgesetzt. So konstruierte Paul Rudolph bereits 1902 das berühmte Zeiss Tessar. Es vermied weitgehend die erwähnten Abbildungsfehler, kam aber dennoch mit nur vier Linsen aus. Die geringe Zahl der Linsen war ein entscheidender Vorteil, da mit jeder Linsenoberfläche weitere Reflexe im Objektiv entstanden, die die Brillanz reduzierten. Schließlich war 1902 die oben beschriebene reflexmindernde Vergütung noch unbekannt. Im Laufe von 100 Jahren wurde die Tessar-Konstruktion weiterentwickelt und unzählige Male kopiert. Das Prinzip blieb aber unverändert und ist bis heute aktuell.
Die klassischen Drei- und Vierlinser
Die Objektive vieler älterer Kameras lassen sich ohne Werkzeug auseinandernehmen. Oft kann man Vorder- und Hinterglied abschrauben. Bei Aplanaten lässt sich zudem eine Hälfte für Teleaufnahmen verwenden. Aber auch im unzerlegten Zustand verrät ein Objektiv wenigstens annähernd seinen Aufbau: Sie schauen so ins Objektiv, dass sich eine Lichtquelle deutlich darin spiegelt, und zählen anhand der Spiegelbilder die Oberflächen. Dabei ist zu beachten, dass verkittete Linsen an der Klebefläche nur ein Spiegelbild erzeugen. Ein Objektiv mit sieben Spiegelbildern dürfte also vier Linsen enthalten. Die berühmten Klassiker mittlerer Lichtstärke für Normalbrennweite sind Vierlinser: Tessar (Zeiss), Xenar (Schneider), Elmar (Leitz) und Skopar (Voigtländer). Doch auch mit drei Linsen lassen sich gute Ergebnisse erzielen. Solche Rechnungen galten lange als Standard für preiswerte Amateurkameras und trugen oft den Beinamen „Anastigmat". Bezeichnungen wie „Trinar" (Rodenstock) und „Triotar" (Zeiss) deuten auf diese Konstruktion hin. Weitere Dreilinser sind: Agnar und Apotar (Agfa), Cassar (Steinheil), Lanthar (Voigtländer) und Radionar (Schneider). Für schärfere und kontrastreichere Ergebnisse bei größeren Anfangsöffnungen begann man schon bald Objektive mit deutlich mehr Linsen zu konstruieren: Fünf bis acht Linsen finden sich im Summicron und Summilux (Leitz), im Xenotar und Xenon (Schneider) sowie im Planar (Zeiss). Zu den Vorteilen der „Multi"-Linser gehört eine bessere Fehlerkorrektur.
Moderne Objektive
Früher waren Festbrennweiten der Standard, heute arbeitet man meist mit Zooms. Doch haben große Zooms auch ihre Schattenseiten, besonders die extremen Telezooms einiger Kompaktkameras. Hier sinkt die Lichtstärke oft auf Anfangsöffnungen um Blende 1:10 bei der längsten Brennweite. Einige Hersteller geben die Anfangsöffnung auf der Fassung deshalb gar nicht mehr an. Und bei manchem preiswerten Zoomobjektiv mit wackligem Fronttubus sind Zweifel angebracht, ob es nach Jahrzehnten noch seinen Dienst tun wird. Die Objektiv-Klassiker kennen diese Probleme nicht. Der abgebildete Messing-Aplanat war über 60 Jahre im Einsatz. Es ist faszinierend, welch brillante Ergebnisse manches „Uralt-Objektiv" erzielt: Nehmen Sie eine Großbildkamera vom Anfang des 20. Jahrhunderts und machen Sie vom Stativ aus eine Aufnahme mit kleiner Blende - Sie entdecken die Fotografie neu.
Volker Horstmann in Color Foto 5/2001
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