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KAMERAS PRAXIS BELICHTUNGSMESSUNG Spot an! Spot- oder Matrixmessung, mitdenken oder dem Kamerarechner das Sucherfeld überlassen? Das ist die Frage, die sich in jeder Belichtungssituation immer wieder von neuem stellt. ColorFoto hilft Ihnen, die richtige Entscheidung zu treffen. Wann ist ein Foto richtig belichtet? Wenn Schatten und Lichter gut durchgezeichnet sind, Mitteltöne tonwertgenau und Farben mit der richtigen Sättigung wiedergegeben werden - innerhalb der Grenzen dessen, natürlich, was die fotografische Emulsion erlaubt. Um das belichtungstechnische Ideal zu erreichen, bemüht eine moderne Kamera heute Multisensoren und Mikro-Computer, die Helligkeit, Kontrast und zum Teil sogar die Farbverteilung im Motiv analysieren. Und am Ende werden jene beiden Variablen festgelegt, die seit jeher die Belichtung bestimmen: Zeit und Blende, beim Aufhellblitzen zudem die Blitzdauer. Lohnt der ganze Aufwand? Sicher ist nur, dass auch der trickreichste Matrix-Algorithmus die Belichtungssicherheit nicht zu 100 Prozent garantieren kann. Kein Wunder also, dass jede ernst zu nehmende SLR-Kamera auch Messmethoden zur Wahl stellt, die zum Mitdenken zwingen. Das beginnt bereits mit der Auswahl der Messmethode. Lichtmessung und Objektmessung Für die Belichtungsmessung existieren zwei prinzipiell unterschiedliche Wege: Licht- und Objektmessung. Die Lichtmessung gründet, nomen est Omen, auf der direkten Messung des Aufnahmelichts. Und zwar nach folgendem Prinzip: Man schwenkt einen Diffusor vor die Messzelle und misst vom Motiv aus in Richtung Kamera. Im Fotostudio, wenn Blitzgeräte das Aufnahmelicht liefern, wird diese Messmethode besonders häufig eingesetzt. Sie liefert sehr zuverlässige Ergebnisse, hat aber zwei gravierende Nachteile: Kameras sind dafür nicht eingerichtet, sondern ausschließlich externe Belichtungsmesser. Zudem setzt diese Methode die fotografische Reaktionszeit herab, weil man beim Messen das Motiv nicht mehr im Blickfeld hat. Die in Kameras eingebauten Belichtungssysteme arbeiten nach der Objektmessung. Dabei wird das vorn Motiv (Objekt) reflektierte Licht gemessen. Die konventionelle Art der Objektmessung setzt theoretisch ein Motiv mit 18 Prozent Reflexion voraus, um perfekt zu funktionieren - beispielsweise eine Standard-Graukarte mit eben diesen Reflexionseigenschaften. Vorausgesetzt, der Belichtungsmesser ist entsprechend geeicht, muss man nur die Graukarte anmessen und die angezeigten Werte an der Kamera einstellen. Denn wenn das mittlere Grau richtig wiedergegeben wird, gilt dies zwangsläufig auch für hellere oder dunklere Partien im Motiv. So gesehen ist die Objektmessung auf eine Graukarte nichts anderes als eine Lichtmessung auf Umwegen. Der Belichtungsmesser muss aber zwangsläufig Fehlbelichtungen produzieren, wenn er eine schwarze oder weiße Motivpartie anpeilt: Im ersten Fall wird er eine verlängerte Belichtung, im zweiten Fall eine verkürzte Belichtung anzeigen. Und in beiden Fällen wird das Endergebnis einen ähnlichen Grauwert aufweisen wie das Foto einer Graukarte. Dies gilt natürlich nur dann, wenn man die Belichtungsmessung auf helle oder dunkle Motivpartien eingrenzt. Misst man beispielsweise eine in der Mitte geteilte Fläche, die zur Hälfte schwarz und zur anderen weiß ist, so zeigt der Belichtungsmesser darin den korrekten Wert an, wenn er die gesamte Fläche erfasst: dunkel und hell mischen sich für das Messsystem zu einem mittleren Grau. Auf diesem Prinzip beruht die so genannte Integral- oder Ganzfeldmessung. Sie funktioniert dann gut, wenn die Summe aller Tonwerte im Motiv annähernd einem mittleren Grauwert entspricht. Integralmessung Die Integral- oder Ganzfeld-Messung ohne Gewichtung des Sucherfeldes spielt heute eine untergeordnete Rolle, weil die Mehrfeldmessung durch ihre Verknüpfung mit dem Autofokussystem bessere Ergebnisse erwarten lässt. Die mittenbetonte Integralmessung gehört dagegen noch immer zu den Optionen aktueller Kameras. Typisch war und ist sie beispielsweise für klassische Nikon-Modelle wie FF/FM. Bei diesen Kameras findet man im Sucher einen Kreis mit 12 min Durchmesser. Innerhalb dieses Kreises wird die Messung mit 60 Prozent gewuchtet, außerhalb des Kreises mit 40 Prozent. Dieses Messprinzip wirkt im Vergleich zu heutigen Matrix-Algorithmen ziemlich simpel, funktioniert allerdings recht zuverlässig. Peilt man das Hauptmotiv mit denn relativ großen Messkreis an, so wird meist genügend Umfeld einbezogen, um die Lichtsituation als Ganzes zu berücksichtigen. Bei dezentral angeordnetem Hauptmotiv nutzt man die Möglichkeit der Messwertspeicherung. Bei der 11)80 präsentierten F3 verstärkte Nikon auf Wunsch vieler Profis die Mittenbetonung von 60 auf 80 Prozent, um sie später wieder etwas abzumildern: Bei den aktuellen Profimodellen konzentrieren sich 75 Prozent der Messempfindlichkeit auf einen Kreis von 12 nun, der in den Individualfunktionen der F5 auf 8 mm verkleinert oder auf 15 bzw. 20 mm vergrößert werden kann. Dies ermöglicht das Anpassen an den jeweiligen Aufnahmeabstand oder die verwendete Brennweite. Bei den Modellen anderer Hersteller findet sich die mittenbetonte Integralmessung ebenfalls als Option, nicht immer ist die Gewichtung aber so eindeutig definiert. Spotmessung Die Spotmessung findet ausschließlich innerhalb eines definierten Messkreises statt; das Umfeld wird dabei überhaupt nicht berücksichtigt. Der entsprechende Messkreis hat beispielsweise bei der Nikon F5 einen Durchmesser von 4 mm, was 1,5 Prozent des Sucherfeldes entspricht. War der Spot-Messkreis früher ausschließlich auf die Mitte des Sucherfeldes fixiert, so kann man ihn heute mit verschiedenen AF-Messfeldern verknüpfen und eine Spotmessung bei Bedarf auch dezentral durchführen. zur Auswahl des Messfeldes lässt sich bei bestimmten EOS-Modellen (1/3/5/30) auch der augengesteuerte Autofokus heranziehen, was folgendermaßen funktioniert: Durch Beleuchten des Auges und Projizieren des Reflexes auf den Eye-Control-Sensor kann die Kamera die Stellung der Augenpupille ermitteln. Die Kamera wählt damit gleichzeitig den AF- und Spot-Messpunkt, den der Fotograf mit seinem Auge fixiert. Um diese Möglichkeit nutzen zu können, reduziert man in den Individualfunktionen der EOS die Anzahl der AF-Messfelder von 45 auf 11. Canon unterscheidet zusätzlich zwischen Spot- und Selektivmessung: Die Selektivmessung findet in einem zentralen Kreis statt, der 8,5 Prozent des Sucherfeldes abdeckt. Bei Spotmessung umfasst der Messbereich dagegen 2,4 Prozent des Sucherfeldes und ist mit dein ausgewählten AF-Feld verknüpft. Eine Spotmessung setzt voraus, dass die zu messende Partie entweder einen mittleren Grauwert repräsentiert (wie bei einem Porträt) oder dass der Anwender weiß, wie er die Belichtung auf Basis der Spotmessung zu korrigieren hat. Einen Schritt weiter geht Canon bei der EOS-1 V: Mittels Multi-Spotmessung kann man bis zu acht Punkte im Motiv anmessen und die Kamera einen Mittelwert errechnen lassen. Meistens werden allerdings drei Punkte genügen: die hellste und dunkelste Stelle im Bild, dazu eine Partie von mittlerer Helligkeit. Als hellste und dunkelste Stellen sind dabei jene definiert, die im Bild noch Zeichnung haben sollen. Beim Bewerten der Kontrastmessung zählt letzten Endes, ob der Belichtungsspielraum des verwendeten Films groß genug ist, um den Kontrastumfang des Motivs (Objektumfang) tatsächlich wiederzugeben. Das Ergebnis der Kontrastmessung lässt sich in drei Richtungen deuten: Man kann einschätzen, welche Lichter- und Schattenpartien mit Zeichnung wiedergegeben werden. Man weiß, wo man Detailverluste hinnehmen muss. Und man kann entscheiden, wo sich der Objektkontrast durch Aufhellen mit Blitz oder Faltreflektoren reduzieren lasst. Mehrfeldmessung Die Mehrfeld- oder Matrixmessung ist die neueste und komplexeste Errungenschaft moderner Kameras. Herzstück dieser Technik ist ein Flächensensor, der sich über das gesamte Sucherfeld erstreckt und in verschiedene Sektoren aufgeteilt ist: 21 beispielsweise bei der Canon EOS-1V. Alle Sektoren sind außerdem mit den AF-Messfeldern verknüpft. So kann der Mikrocomputer Daten über Grüße, Lage und Helligkeit des Hauptobjekts sammeln und bei der Belichtung berücksichtigen. Die Gewichtung liegt primär auf dem aktiven AF-Sensor, sekundär auf den umgebenden Sensoren. Die Daten der verbleibenden Sensoren korrigieren das Ergebnis in Richtung maximaler Ausgewogenheit. Grundsätzlich eignet sich diese Messmethode für jede Art von Bildgegenstand, sogar Motive im Gegenlicht Dennoch findet sich im EOS-Bedienhandbuch der wohlmeinende Hinweis: „Bei sehr großem Unterschied zwischen Objekt- und Hintergrundhelligkeit (starkem Gegenlicht oder Lichtkegel) empfiehlt sich die Umschaltung auf Selektiv- oder Spotmessung". Wie wahr, allerdings ist dann wieder das Know-how des Anwenders gefragt. Die Firma Nikon, laut eigener Aussage „Erfinder der Mehrfeldmessung", verwendet bei der F100 die so genannte 3-D-Matrixmessung. Diese gründet auf einem 10-Zonen-Matrix-Sensor, der mit den fünf AF-Messfeldern der Kamera korrespondiert. Die Matrixmessung sei „so ausgelegt, dass nicht nur die Motivhelligkeit erfasst wird, sondern auch die Atmosphäre der Szene." Und: Die 3-D-Matrixmessung berücksichtige eine komplexe Mischung aus Motivparametern, darunter Helligkeit, Kontrast, gewähltes AF-Messfeld und Einstellentfernung. Das werden andere Hersteller gerne unterschreiben, doch Nikon geht noch einen Schritt weiter: Die Rückmeldungen aus den Mess-Sektoren und das Signal des aktiven AF-Feldes werden vom Rechner mit einer integrierten Datenbank verglichen, die sich auf 30 000 reale Motive stützt. Die Abstandsinformation, geliefert vorn Objektiv (D-Nikkor), trägt schließlich zum Feintuning des Belichtungswerts bei. Der Datenbank-Abt berücksichtigt laut Hersteller sogar den Unterschied zwischen Quer- und Hochformataufnahmen, während „Fuzzy Logic" verhindert, dass geringe Ausschnittänderungen zu großen Belichtungssprüngen führen. Noch eins drauf setzt Nikon bei der F5 mit der 3-D-Color-Matrixmessung: Ein RGB-Sensor mit 1005 Pixel erfasst hier nicht nur Motivhelligkeit und -kontrast, sondern auch die Farbverteilung der Szenerie. Der zugrunde liegende Gedanke ist, dass die in einem Motiv vorhandenen Farben die Belichtung ebenfalls bestimmen sollten. Auch hier werden die per Matrixmessung ermittelten Daten wieder mit den Mustern in der Datenbank verglichen, bevor sich der Rechner auf die endgültigen Werte festlegt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass moderne Kameras Dauer- und Blitzlicht automatisch in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander setzen können. Für die TTL-Messung des Blitzlichts setzt Nikon bis zu fünf zusätzliche Sensoren ein, die im Kameraboden, schräg vor der Bildbühne, angeordnet sind. Bei Einsatz eines Systemblitzgeräts werden die Daten der Blitz- und Dauerlichtsensoren miteinander verrechnet. Zusätzliche Sicherheit schafft die Auswertung von Messblitzen, die vor der eigentlichen Belichtung abgegeben, vom Motiv reflektiert und vom Messsystem analysiert werden. Denken bleibt erlaubt Angesichts von so viel High-Tech bleibt nur der Schluss, dass fehlbelichtete Aufnahmen der Vergangenheit angehören müssten. Hilfreich entgegen kommt den Kameraherstellern die Tatsache, dass der weitaus größte Teil aller Aufnahmen auf Farbnegativfilm entsteht. Und wer kann bei Prints von Negativfilmen schon auf Anhieb sagen, ob das einem Abzug zugrunde liegende Negativ eine Blende unter- oder überbelichtet ist? Dazu müsste man die Negative selbst kontrollieren, arm besten mit einem Densitometer. Wer dagegen mit Diafilmen fotografiert, weiß, dass fehlbelichtete Aufnahmen zwar seltener, aber keineswegs zur Rarität geworden sind. Andererseits erstaunlich, wie souverän moderne Kameras heute die Blitzaufhellung beherrschen - so das Ergebnis eines Systemvergleichs in ColorFoTo 1/2001. Was wiederum den Schluss zulässt, dass der von den Herstellern getriebene Aufwand offenbar doch nicht an der Realität vorbeigeht. Das Denken sollte der Fotograf aber dennoch nicht ganz der Kamera überlassen. Dies gilt beispielsweise für Bildserien bei gleich bleibender Beleuchtung und Aufnahmeperspektive. Kein Profi würde in diesem Fall die Kamera für jede Belichtung die Werte neu berechnen lassen. Stattdessen sollte man die Belichtung einreal präzise ausmessen und dann die Serie mit einem festen Einstellwert durchziehen. Das Anmessen einer Graukarte ist deshalb alles andere als ein überflüssiger Akt: Er schafft Sicherheit, weil man dabei einschätzen lernt, wie stark bestimmte Motive oder Motivpartien vom mittleren Grauwert abweichen. Und für das Jahrhundertmotiv, das Ihnen vielleicht schon morgen begegnen konnte, gilt eine mindestens ebenso alte Weisheit: Lieber mit einer Belichtungsreihe auf Nummer sicher gehen, als eine Fehlbelichtung und schlaflose Nächte riskieren. Karl Stechl in Color Foto 5/2002 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}