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Kameras Photographica
Die Entwicklung des Suchers seit seinen Anfängen
Ins Visier genommen
Die Spiegelreflexkamera scheint heute in der analogen Fotografie das Maß aller Dinge zu sein. Doch auch der andere Weg, das Motiv mit einer vom Kameraobjektiv getrennten Visiereinrichtung zu betrachten, hat eine interessante Geschichte und zeigt raffinierte technische Lösungen.
Die Plattenkamera aus der Pionierzeit der Fotografie brauchte keinen besonderen Sucher. Anstelle der Negativplatte wurde eine Mattscheibe eingeschoben, auf der man das Motiv sehen konnte und danach die Kamera ausrichtete. Doch für bewegte Motive war eine Visiereinrichtung unerlässlich. Passende Rahmen aus Draht erfüllten diese Aufgabe. Was das Auge durch den Rahmen sieht, ist allerdings kein Abbild des Motivs, sondern das Motiv selbst, und die Beurteilung, wie es als Foto aussieht, fällt schwer. So entstand der optische verkleinernde Sucher. Bei der links abgebildeten Plaubel Makina aus den 40er Jahren hat er zudem ein blaues Okular, damit der Fotograf sich besser vorstellen konnte, wie das Motiv als Schwarzweißbild wirkt.
Der Leuchtrahmen
Doch der Durchsichtsucher war damit noch nicht perfekt. Eine wesentliche Verbesserung erhielt er in den späten 30er Jahren in Form von eingespiegelten Leuchtrahmen. Dafür gibt es zwei Methoden. Die eine ist das Albada-Prinzip: Die vordere große Linse ist halbdurchlässig verspiegelt und reflektiert den silberfarbenen Rahmen, der sich im Innern des Systems befindet. Diese Konstruktion sorgt dafür, dass man beim Blick durch den Sucher eine scharfe Abgrenzung und immer den genauen Ausschnitt sieht, gleich, wie nah das Auge am Sucher ist oder ob man schräg oder gerade hineinblickt, da sich die Unterschiede durch die Spiegelung aufheben. Eine andere Möglichkeit, den Leuchtrahmen in den Sucher einzuspiegeln, besteht darin, dass die Strahlen im Sucher durch einen halbdurchlässigen 45-GradSpiegel geteilt werden. So sieht das Auge des Betrachters das Motiv zum Teil direkt, zum anderen Teil gelangt der Blick auf eine schwarze Blende, die Ausschnitte in Form des Rahmens hat und nur an dieser Stelle das Licht durchlässt. Die M-Leica hat dieses Prinzip stark vervollkommnet: je nach eingesetztem Objektiv wird die Größe des Rahmens verändert.
Die Parallaxe
Dann bleibt noch die Parallaxe als möglicher Fehler, der Abstand des Suchers vom Objektiv, der, selbst wenn es nur ein paar Zentimeter sind, bei Nahaufnahmen ein gegenüber dem Filmbild verschobenes Sucherbild verursachen kann. Die Minox-Kleinstbildkamera und die Leica bieten hier eine besonders raffinierte Lösung: Je nach der eingestellten Entfernung wird der Sucher automatisch geschwenkt und zeigt damit immer den richtigen Ausschnitt an. Da bleibt nur noch eine geringe Ungenauigkeit: Bei Naheinstellung ist der Abstand des Objektivs von der Filmebene größer als bei Unendlich-Einstellung, somit ist der Bildausschnitt dann kleiner. Das kann man natürlich vernachlässigen, aber Minox macht in der Gebrauchsanweisung darauf aufmerksam.
Sucher mit Umkehrprisma
Wieder eine andere Konstruktion hat vorn am Sucher ein kleines Objektiv, das ein Bild erzeugt, welches durch das Okular für den Betrachter sichtbar wird - ähnlich wie in einer Spiegelreflexkamera, aber ohne Mattscheibe. Aufwendig daran ist die Notwendigkeit eines Umkehrprismas. Das Sucherbild ist zwar klein, aber deutlich und brillenträgerfreundlich. In modernen Kompaktkameras findet sich meist dieses Prinzip; durch Kunststofftechnik ist es heute kostengünstig herzustellen. Die Abbildung rechts zeigt eine klassische Konstruktion, System Zeiss, für mehrere Brennweiten. Für die Abbildung wurde hier eine russische Kopie demontiert, die wesentlich billiger zu haben ist als das Original.
Der Kontursucher
Eine wenig bekannte Konstruktion ist der Kontursucher, der beim Blick hinein nur einen Leuchtrahmen zeigt und sonst nichts. Man blickt mit dem einen Auge in den Kontursucher und mit dem anderen Auge am Sucher vorbei direkt auf das Motiv. So erscheint der Leuchtrahmen um das Motiv. Das funktioniert tatsächlich, aber wer schielt, wird damit natürlich nicht glücklich.
Der Entfernungsmesser
Damit ist die Suchertechnik noch nicht erschöpft. Der eingebaute Entfernungsmesser erfordert zusätzlichen Aufwand. Dazu befindet sich im Strahlengang des Suchers ein halbdurchlässiger 45-Grad-Spiegel, der über einen weiteren, drehbaren Spiegel die Betrachtung des Motivs von zwei verschiedenen Ausgangspunkten ermöglicht. Der bewegliche Spiegel ist so mit der Entfernungseinstellung des Objektivs verbunden, dass bei der richtigen Einstellung die beiden Teilbilder zur Deckung gebracht sind. Eine andere Lösung findet sich bei einigen Zeiss-Ikon-Kameras der 50er und 60er Jahre. Hier gibt es keinen drehbaren Spiegel, sondern Prismen, die durch Drehung den Lichtstrahl ablenken; dies ist besonders sinnvoll bei Balgenkameras, da die Prismen vorne am Objektivträger sitzen können. Die Sucherdisplays der Digitalkameras und die heutige Autofokus-Technik scheinen diesen mechanischen Wunderwerken den Rang abzulaufen. Aber es gibt immer noch eine Gruppe von hartgesottenen Fans, die auf traditionelle Mechanik schwören. Wer es nicht nachvollziehen kann, sollte nur mal eine Messsucher-Leica in die Hand nehmen... Wer hingegen eine ältere Schraub-Leica oder eine ähnliche Kamera mit Wechselobjektiven verwendet, kommt ohne zusätzliche Aufstecksucher nicht aus. Die Preise differieren stark. Leuchtrahmensucher von Leitz erreichen leicht Preisregionen von über 100 Euro; einfache Modelle ohne Leuchtrahmen sind manchmal schon für 10 bis 20 Euro zu finden. Wer Lust auf mechanische Entfernungsmesser hat, vielleicht sogar das Innenleben studieren möchte, braucht dazu nicht unbedingt eine Kamera mit eingebautem E-Messer. Kleine Aufsteckgeräte wie das links abgebildete sind im Gebrauchthandel für wenige Euro zu haben.
Volker Horstmann in Color Foto 7/2003
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