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FOTO-PROFESSIONAL Großformat-Praktikum Kamerasysteme für das Großformat Bevor wir die verschiedenen heute gebräuchlichen Kamerasysteme für das Großformat untersuchen, müssen wir festlegen, was wir alles als Großformat bezeichnen wollen. Es ist klar, dass wir dabei vom Aufnahme- und nicht vom Endformat auszugehen haben. Die untere Grenze schließt an das Mittelformat an, das alle gängigen Rollfilmformate (heute praktisch nur noch BII-8-Film) umfasst. Wir werden also - um Überschneidungen zu vermeiden - mit dem Format 9 x 12 cm beginnen. Gelegentlich werden wir Ausnahmen zulassen und auch Kameras der Formate 56x72 mm (Idealformat) oder 6 x 9 cm betrachten, wenn sie später noch zu behandelnde, für Großformatkameras typische Merkmale aufweisen. Die obere Grenze bildet in der Praxis das Format 8 x 10 inch (ca. 20 x 25 cm). Nur bei manchen Reproduktionen, z. B. im grafischen Gewerbe, und in einigen sehr seltenen Sonderfällen werden noch größere Formate benutzt. Damit wollen wir uns jedoch nicht befassen. Zu dem so abgegrenzten Bereich gehören insgesamt sechs, nämlich drei in Zentimeter gemessene (9 x12cm,13x18cm,18x24cm) und drei in Zoll gemessene Formate (4 x 5 inch, 5 x 7 inch, 8 x 10 inch). Schließlich gibt es noch in einigen Bereichen wissenschaftlicher Fotografie (Luftbild-, Astro-, Röntgenfotografie usw.) weitere Sonderformate, die wir aber nicht berücksichtigen wollen, weil die dort verwendeten Kameras sich von den in der bildmäßigen Fotografie verwendeten wesentlich unterscheiden. Ebenso verfahren wir mit inzwischen veralteten Formaten. Das Großformat - kein alter Zopf Manche Fotografen haben für das Großformat nur ein mitleidiges Lächeln übrig, weil sie es als ein Relikt aus den Anfängen der Fotografie ansehen, das mit der modernen Technik nicht Schritt gehalten hat. Doch dieser Schluss ist voreilig. Das zeigt nicht nur eine Betrachtung der Besonderheiten und Vorzüge des Großformates, die der einleitende Beitrag im letzten Heft bereits andeutete, sondern auch ein kurzer historischer Rückblick: Bis etwa zur letzten Jahrhundertwende waren fast alle Kameras - nach heutigen Maßstäben gemessen - dem Großformat zuzuordnen. Sie bestanden im wesentlichen aus einem Holzkasten, in dem vorn ein Objektiv und hinten eine Mattscheibe eingesetzt war. Damit sich der Abstand zwischen Objektiv und Mattscheibe zur Scharfeinstellung verändern ließ, war ein Teil des Holzkastens durch einen flexiblen, jedoch lichtdichten Lederbalgen ersetzt. Um die großen und unhandlichen Kameragehäuse leichter transportieren zu können, wurden Scharniere so eingebaut, dass sich die Kameras zusammenklappen ließen. So brauchten sie weniger Platz im Reisegepäck. Später wurde das Holz - Mahagoni erfreute sich besonderer Beliebtheit - durch Metall abgelöst. Bei gleichem Aufnahmeformat konnten die Kameras nun kleiner und präziser gebaut werden. Auch die anfangs sehr bescheidenen Verstellmöglichkeiten, die sich auf eine Höhen-, seltener auch auf eine Seitenverschiebung der Objektivstandarte beschränkten, konnten erweitert werden. Eine Schwenkung des Objektivs war erst möglich, als Fortschritte in der Optik größere Bildwinkel brachten. Alle fototechnischen Entwicklungen, die auch beim Großformat sinnvoll erschienen, wurden genutzt: die Blitzsynchronisation ebenso wie der gekuppelte Entfernungsmesser oder der elektronisch gesteuerte Verschluss. Die Großformatkamera ging mit der Zeit. Nur noch der Lederbalgen erinnert an die Reisekameras der Vergangenheit. Doch selbst er zeigt sich bei genauerem Hinsehen verändert: Kunststoffe verleihen ihm größere Beweglichkeit und Lebensdauer, und eine verbesserte Faltung verhindert, dass er durchhängt und den Strahlengang beeinträchtigt. Fürs Studio und für unterwegs Aus der hölzernen Reisekamera entwickelten sich nebeneinander zwei Linien, nämlich die „Kamera auf optischer Bank" und die „Laufbodenkamera". In beiden Ausführungen ist die eigentliche Kamera gleich: Objektiv mit Verschluss, lichtdichter Balgen und Rückteil mit Mattscheibe und Kassettenhaltevorrichtung. Bei der Kamera auf optischer Bank stehen die Verstellmöglichkeiten (Schwenkungen, Verschiebungen) sowie die Austausch- und Ausbaubarkeit (für alle Brennweiten und Aufnahmeformate) an erster Stelle, bei der Laufbodenkamera hingegen geringes Gewicht, kompakte Form und die Benutzbarkeit als Handkamera. Die Kamera auf optischer Bank besitzt daher kein Gehäuse im herkömmlichen Sinne, sondern besteht außer aus den oben erwähnten Grundelementen weitgehend aus Rohren, Schienen, Gelenken und Feintrieben. Das fast vollständig von der Funktion bestimmte „Skelett" bestimmt ihr Erscheinungsbild. Bei der Laufbodenkamera wiederum fällt zuerst das kastenförmige Gehäuse auf, in dem Objektiv, Balgen usw. bei Nichtgebrauch untergebracht werden können. Zusammengeschoben und -geklappt sind ihre Abmessungen erstaunlich klein; dazu kommt noch, dass ein Kamerakoffer praktisch entbehrlich wird, wenn kein weiteres Zubehör mitgeführt werden muss. Die Kamera auf optischer Bank Die am weitesten verbreitete Form der Großformatkamera ist die der Kamera auf optischer Bank. Mit ihr wollen wir uns darum zuerst näher befassen. Tragendes Bauteil, von dem sich der Name herleitet, ist die optische Bank. Diese Bezeichnung stammt aus dem Versuchslabor. Dort wird sie für eine Schiene verwendet, auf der Befestigungs- und Justiervorrichtungen für optische Elemente (Linsen, Spiegel, Prismen usw.)verschiebbar angeordnet sind. Bei der Kamera auf optischer Bank besteht diese Schiene zumeist aus einem Rohr von rundem, seltener auch rechteckigem oder schwalbenschwanzförmigem Querschnitt. Bei rundem Querschnitt verhindert ein eingefräster Schlitz oder eine aufgesetzte Leiste ein Verdrehen der aufgesetzten Teile. Häufig besitzt das Rohr an einem oder beiden Enden eine Vorrichtung zur Verlängerung durch Ansetzen eines weiteren Rohres. Mit einer Schelle wird dieses Grundrohr auf einer kleinen Platte mit dem Stativgewinde gehalten. Auf dem Rohr sitzen verschiebbar die Objektiv- und die Rückteilstandarte. Sie sind normalerweise in U-Form gestaltet (Ausnahme: Sinar-p). An ihrem unteren Ende, unmittelbar über dem Grundrohr, befindet sich ein Drehgelenk für Schwenkungen der Standarte um die vertikale Achse. Ein Schlitten, in dem der U-Bügel geführt wird, ermöglicht eine Seitenverschiebung der Standarte. Bei manchen billigen Modellen fehlt diese Einrichtung, während teure häufig einen Feintrieb (Zahnstange mit Ritzel) für besonders exakte Einstellung besitzen. Ein weiterer Zahntrieb ist manchmal auch für die Verschiebung der Standarte auf dem Grundrohr vorhanden. Die beiden senkrechten Stangen des U-Bügels tragen ein nach oben und unten verschiebbares Gelenk, in dem ein etwa quadratischer Rahmen um die horizontale Achse schwenkbar aufgehängt ist. Dieser Rahmen nimmt auf der einen Seite die Objektivplatte bzw. das Mattscheibenrückteil und auf der anderen Seite den Balgen auf. Wenn die Schwenkvorrichtung so wie oben geschildert ausgeführt ist und die horizontale Achse die optische Achse des Objektivs (Symmetrieachse) nahe der Blendenebene schneidet, spricht man von „Zentralschwenkung". Einige Kameras auf optischer Bank haben an ihrer Stelle, andere zusätzlich (Linhof Kardan-bi-System) die sogenannte „Basisschwenkung". Bei ihr verläuft die horizontale Schwenkachse nicht in Höhe des Objektivs, sondern befindet sich am unteren Ende des U-Bügels. Die Vor- und Nachteile beider Anordnungen werden demnächst im Zusammenhang mit den Kameraverstellungen behandelt werden. Völlig anders ist die Sinar-p gebaut. Bei ihr gibt es keine U-Bügel. Der Rahmen zur Aufnahme von Objektivplatte, Balgen und Rückteil wird unmittelbar auf einem Block über dem Grundrohr befestigt. Dieser Block enthält eine flache, dachrinnenähnliche Mulde, in der ein passendes Gegenstück gleitet. Mit dieser „Segmentschwenkung" wird erreicht, dass die mechanischen Bauelemente für die Schwenkung unten, die (nicht materielle) Schwenkachse jedoch höher liegt. Sie verläuft unterhalb der optischen Achse (beim 4 x 5-Motell ungefähr 4 cm unterhalb) und kann daher als ein Mittelding aus Zentral- und Basisschwenkung angesehen werden. Auch damit werden wir uns später noch ausführlich befassen. Die Laufbodenkamera Die Laufbodenkamera ist nicht auf einem Grundrohr aufgebaut, sondern besitzt sozusagen eine selbsttragende „Karosserie". Der Deckel des Gehäuses lässt sich nach vorne abklappen. Auf seiner Innenseite befindet sich ein Schienenpaar, auf dem die Objektivstandarte verschoben werden kann. Zur Verlängerung des Kameraauszuges für Nahaufnahmen oder langbrennweitige Objektive lassen sich die Schienen selbst nochmals über den Deckelrand hinausziehen. Eine verschieb- und voll schwenkbare Rückteilstandarte wie bei der Kamera auf optischer Bank besitzt die Laufbodenkamera nicht. Das Rückteil ist lediglich über vier relativ kurze Stifte einige Zentimeter aus dem Gehäuserahmen herausziehbar. Werden sie unterschiedlich weit herausgezogen, so ist das Rückteil geneigt. Festgelegte Schwenkachsen gibt es dafür nicht. Am Gehäuse der Laufbodenkamera kann ein Handgriff befestigt werden, mit dem Aufnahmen ohne Stativ möglich sind. Zur Not tut es auch eine Handschlaufe. Weil bei Freihandaufnahmen eine Einstellung nach Mattscheibe unmöglich ist oder bestenfalls Zufallstreffer bringt, muss ein aufgesetzter oder eingebauter optischer Sucher benutzt werden. Dafür gibt es Universalsucher mit hochwertigen Zoomsystemen, die eine Einstellung auf alle gebräuchlichen Objektivbrennweiten erlauben. Auch eine Anpassung an Aufnahmeformate mit unterschiedlichen Seitenverhältnissen (z. B. 9x12 cm und 4X5 inch) ist werkseitig oder durch Aufsetzen besonderer Masken möglich. Die Scharfeinstellung wird bei Freihandaufnahmen mit dem ein-(' gebauten gekuppelten Entfernungsmesser vorgenommen. Kurvenscheiben, die auf jedes einzelne Objektiv geeicht werden müssen, übernehmen dafür die Steuerung. Früher wurden auch Laufbodenkameras ohne Entfernungsmesser gebaut, bei denen die Entfernung gemessen oder geschätzt werden musste, wenn eine Einstellung nach Mattscheibe nicht möglich war. Alle Kameraverstellungen für die Perspektivenbeeinflussung und die Schärfenverlagerung nach Scheimpflug werden im wesentlichen an der Objektivstandarte ausgeführt, die der der Kamera auf optischer Bank sehr ähnlich ist. Die schon erwähnte Schwenkung des Kamerarückteils dient hauptsächlich zur Erweiterung der gegenüber der Kamera auf optischer Bank geringeren Verstellmöglichkeiten. Die Einstellung erfolgt deshalb teilweise anders und wird in einer besonderen Folge an dieser Stelle behandelt werden. Walter E. Schön in Color Foto 4/1973 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}