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ZEHN JAHRE DANACH:
Peesel bei Rollei
Er ist fast auf den Tag genau so alt wie die Firma, deren Geschicke er bestimmt. Vor zehn Jahren hat er das Ruder übernommen. Damals steckte die Firma in einer tiefen Krise. Sie lebte von der Substanz und dem guten Klang ihres Namens, den ein einziger, genial konzipierter Kameratyp in aller Welt zu einem Begriff gemacht hatte. Doch ein halbes Hundert Nachbauten, vor allem aus Japan, hatten den Markt zersplittert. Sie hatten zwar die Vorrangstellung dieser genial konzipierten Kamera, die auch heute noch nahezu jeder Profi besitzt, nicht erschüttern können. Aber sie hatten ihr den hohen Umsatz genommen. Die Herstellerfirma sah sich in ihrer Existenz bedroht. Sie brauchte einen neuen, starken Mann, der sie aus der Krise führen konnte.
Die geniale Kamerakonstruktion - das war die zweiäugige Rolleiflex. Die Firma in der Krise - das war Franke & Heidecke in Braunschweig. Der starke Mann - das war der Elektroingenieur Dr. Heinrich Peesel. Wer ist dieser Mann?
Nur ein Blick in die Vergangenheit kann zu einer Antwort auf diese Frage verhelfen, zu einer Antwort, die Anspruch auf hinreichende Vollständigkeit erheben darf. Zuerst kurz die Geschichte der Firma: Die Firma Franke & Heidecke wurde im Januar 1920 in Braunschweig gegründet. Sie produzierte zunächst eine Kamera für Stereofotografie, Heidoskop, später Rolleidoskop genannt, und hatte keinen nennenswerten Erfolg damit. Aber neun Jahre später gelang der große Durchbruch: Die geniale Konstruktion war in ihren Grundzügen verwirklicht, die erste Rolleiflex war da.
Der Erfolg dieser Kamera war vom ersten Augenblick an überwältigend: Firmenmitbegründer Paul Franke musste seine Werbereise abbrechen, weil er schon in der Anfangsetappe mehr Aufträge bekommen hatte, als die junge Firma mit ihrer noch geringen Kapazität bewältigen konnte.
Von diesem Tag an ging es mit Franke & Heidecke steil bergauf. 1933 kam die einfachere Ausführung der Rolleiflex, die Rolleicord auf den Markt. In den folgenden Jahren wurden beide Modelle laufend verbessert: In dem Maß, in dem die Fotografie wuchs, wuchs auch die Rollei. Sie war die Weltspitzenkamera im 6x6 Rollfilmformat und blieb es durch Jahrzehnte. Jeder Profi, der auf seine Arbeit hielt, fotografierte mit dieser Kamera, die - in makelloser Präzision gefertigt - zwei, für die damalige Zeit entscheidende Vorzüge in sich vereinte: Sie gab Beweglichkeit, erlaubte lebendiges Fotografieren. Ihr relativ großes Format aber gestattete Vergrößerungsmaßstäbe, die allen praktischen Anforderungen genügten. Daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert: 6x6 ist nach wie vor ein bevorzugtes Format des professionellen Fotografen.
Aber gerade in dieser Tatsache lag der Keim für die Krise, in die der führende Hersteller von 6x6 Kameras geraten sollte.
Die makellose Präzision, mit der die Rollei Kameras gefertigt wurden, beinhaltete auch ein ungewöhnlich hohes Maß an Zuverlässigkeit im harten, berufsmäßigen Einsatz. Firmenmitbegründer Heidecke, der für die Konstruktion verantwortlich zeichnete, fand sich zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Für ihn war eine Konsumkamera ein Unding. Und auch einer Konstruktion mit Wechselobjektiven verweigerte er bis zuletzt grünes Licht, weil damals technische Einzelheiten nicht mit der Perfektion zu lösen waren, die er für seine Kameras verlangte. Natürlich mögen auch die Anlaufschwierigkeiten der Nachkriegsjahre eine Rolle gespielt haben. Tatsache ist jedenfalls, dass japanische Hersteller die Braunschweiger Firma mit billigeren, zweiäugigen Spiegelreflexkameras auf der einen Seite überholten, während auf der anderen Seite ein schwedischer Hersteller, Victor Hasselblad, mit einer moderneren, einäugigen Kamera vorbeizog. 1960 starb Reinhold Heidecke. Noch immer gab es aus Braunschweig nur die Rolleiflex und die Rolleicord, perfektioniert bis zum letzten Stand damaliger Technik. Und die Krise zeichnete sich schon deutlich ab.
Drei Jahre später erreichte diese Krise steil einen Höhepunkt. Die Firma Franke & Heidecke, die scheinbar sorglos immer Gewinne erwirtschaftet hatte, kam in rote Zahlen. Die Firmenleitung erkannte, dass eine sofortige Kursänderung unumgänglich war. Sie rief Gutachter ins Haus, die den Betrieb überprüfen und Vorschläge zu seiner Sanierung machen sollten. Unter diesen Gutachtern war - branchenfremd, damals im Management eines großen Industrieunternehmens beschäftigt - der Elektroingenieur Dr. Heinrich Peesel. Sein Gutachten fiel am kürzesten aus. Es war vernichtend. Wenige Tage später bot Franke & Heidecke ihm den Posten des Geschäftsführers an. Nach dem Motto „Du hast gesagt, du kannst den Stier reiten - jetzt tu' es auch!" Seit 1964, seit zehn Jahren also, führt Dr. Heinrich Peesel die Geschäfte der Firma. Gewinn hat er vom ersten Jahr an erwirtschaftet. Aber nicht nur das: Zu allererst hat er das Management verjüngt und funktionsfähig gemacht. Er hat die Rollei Produkt-Diversifikation eingeleitet, die zu dem heutigen, breiten Geräteangebot an Kleinbildkameras, ein- und zweiäugigen Spiegelreflexkameras des 6x6 Formates samt entsprechender Projektoren, zu Filmkameras und Blitzgeräten vom kleinen Taschenblitzer bis zur Studiolichtanlage geführt hat. Aus der Firma Franke & Heidecke in Braunschweig hat er die Rollei-Gruppe mit Werken in Braunschweig, Uelzen und Singapur gemacht. Den Umsatz hat er von 24 Millionen DM im Jahr 1964 auf runde 300 Millionen konsolidierten Konzernumsatz im letzten Jahr hinaufgejagt. Wer ist dieser Mann? Wie war sein Werdegang? Bitte, lesen Sie weiter im nächsten Heft.
Anonym in Color Foto 5/1974
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