Artikeltext
Alexander Borell und die photokina
7 Tage fotografischer Hochleistungssport
Ein subjektiver Bericht über die photokina 74
Ehe ich, liebe Fotofreunde, meinen Bericht über die photokina beginne, halte ich es für richtig, Ihnen einen kurzen Überblick über das zu geben, was die photokina für einen Foto-Journalisten überhaupt bedeutet:
In 12 Hallen, die zusammen die Fläche eines ansehnlichen Dorfes ausfüllen, haben Sie in 7 Tagen Gelegenheit, bei 9 Arbeitsstunden täglich, rund 800 Aussteller zu besuchen. Sie inspizieren dabei Messestände von insgesamt 46.233 Quadratmetern. Da Sie über weite Distanzen laufen müssen, sich durch Besucherknäuel graben und oftmals die maßgeblichen Herren, mit denen Sie sprechen wollen, nicht antreffen, ergab sich nach meiner Hochrechnung die Tatsache, dass mir bei Verzicht auf Mittagessen und Kaffeepause 42,3 Sekunden Zeit für jeden Messestand blieben. Da ich mir jedoch erlaubt habe, mit einigen wichtigen Firmen wie z. B. Agfa, Asahi, Kodak, Canon, Yashica, Noris, Zeiss, Olympus, Nikon usw. einige Sekunden mehr zu verplaudern, ging die Rechnung natürlich nicht auf. Ich muss mich also bei Ihnen entschuldigen, wenn ich in meinem Bericht nicht alle Aussteller erwähne, desgleichen muss ich mich bei vielen Ausstellern entschuldigen, dass ich sie nicht mehr besuchen konnte. Und während am Ende der photokina die Aussteller durchweg erleichtert aufatmeten, fanden wir Foto-Journalisten, dass wir noch mindestens drei Tage Zeit gebraucht hätten. Da Mathematik mit Gefühlen nichts zu tun hat, lässt sich jetzt leicht aus den oben dargebotenen Tatsachen errechnen, dass diese photokina trotz ihrer Geburtswehen immer noch etwas von einer Zangengeburt hat: Die Rechnung geht einfach nicht auf. Hat man vorher die Amateure zunächst mit absolutem Ausschluss düpiert, konnten sie hinterher laut Beschluss der Messeleitung durch Bezahlung von DM 20,- zu Profis anvancieren. Merkwürdigerweise müssen von dieser Chance tausende profitiert haben: Ich fand sie weniger an den Ständen, die für Profis und engagierte Amateure interessant gewesen wären, sondern sie standen in geballten Ladungen, jeden Durchgang versperrend, stets dort, wo auf winzigen Projektoren aller Art Westernfilme gezeigt wurden. Ich sehe darin eine Chance für das Fernsehen, die Gebühren ganz gewaltig zu erhöhen, jedoch keine Chance für die photokina, auf diesem Wege eine endgültige Lösung zu finden. Zu den vielen Vorschlägen, die gemacht wurden, möchte ich mit einem weiteren beitragen.
1. Tag: Gegenseitiges Beschnüffeln und Begrüßen der Aussteller untereinander. (Das findet jetzt während der ganzen photokina statt, so dass man die gesuchten Herren fast nie bei ihren Ständen, wohl aber bei irgendeiner Konkurrenz antreffen kann.)
2. + 3. Tag:
Ausschließlich der gesiebten Fachpresse und den Profis vorbehalten. (Pressekonferenzen können künftig entfallen. Man achtet dabei im wesentlichen nur darauf, ob man Limonade und Mineralwasser oder Sekt mit kaltem Büffet bekommt. Zuzuhören, was da gesprochen wird, erübrigt sich völlig, denn am Ende der Pressekonferenz erhält man alles übersichtlich und verständlicher gedruckt in einer Mappe.)
4. + 5. Tag:
Für den Handel. (Die Großhändler und Händler können dann ungestört von Presseleuten und Amateuren bei reichlichem Raumangebot ihre Aufträge tätigen und schaffen in diesen zwei Tagen mehr, als jetzt in vier.
Der 6., 7. und evtl. 8. Tag gehören bei billigem Eintritt den Amateuren. (Schließlich lebt ja alles von ihnen, sie geben sich, wie jetzt auch festzustellen war, mit der Auskunft, dass alles, was sie hier sehen, frühestens in einem Jahr lieferbar sein wird, zufrieden, die Firmen können also hochqualifizierte Fachkräfte früher zurückholen und dafür hier und da Rock- oder Blasmusik zum Einsatz bringen.) Soweit das Grundsätzliche über den Begriff photokina.
Für uns von Color fing die photokina schon früher an: Agfa hatte uns zur Eröffnung ihres Historamas in Leverkusen eingeladen. In großzügigen Räumen kann hier künftig jeder Interessierte ein einmaliges Museum der Fotografie besichtigen, von den ersten Anfängen bis in die Neuzeit. Es lohnt sich, diese Ausstellung zu besuchen, wenn man Freude und Interesse genug aufbringt. Zugleich stellte Agfa bei dieser Gelegenheit ihre weiterentwickelten Pocket-Kameras 5000 + 6000 vor, vor allem aber auch neue Super-8-Kameras. Wer behauptet, diese Kameras würden Ähnlichkeit mit denen von Nizo haben, verkennt die Realität: Wenn man um eine viereckige Kassette eine Kamera baut, wird es eben eine viereckige Kamera mit vorne einem Objektiv, hinten einem Sucher und unten einem Griff. Ein Hersteller moderner Fahrräder kann ja auch nicht um der Originalität willen die beiden Räder nebeneinander anordnen. Meistversprechend: Die Movexoom 10 sound, eine Film-Kamera für Kodaks neue Tonfilme, die wahrscheinlich durch diese Kamera erst bundesdeutschen Ansprüchen genügen. Mit diesen neuen Produkten hat Agfa zielbewusst den steilen Kurs zu bester Qualität eingehalten. Bedauerlich nur, dass man seinen guten Ruf zwar sehr rasch verliert, sich aber durch viele Jahre plagen muss, um ihn wiederzugewinnen. Agfa hat ihn, meiner Ansicht nach, seit der letzten und dieser photokina uneingeschränkt zurückgewonnen.
Und trotzdem glaube ich, dass Agfa keinen Mann hat, der so jovial, vergnügt und gelassen durch die Räume der Konkurrenz schlendert, wie dies der Kodak-Mann Dr. Steinorth bei Agfa getan hat, und damit sind wir bei Kodak:
Bei Kodak wurde natürlich das Ektasound-System ganz groß herausgestellt, meine Meinung hierüber habe ich schon in meinem Test (Color Foto-Journal 10/74) geäußert, und ich glaube, dass ich in drei Jahren ziemlich viel Geld damit verdienen werde. Ich habe nämlich hohe Wetten daraufhin abgeschlossen, dass in drei Jahren nahezu ausschließlich auf den Ektasound-Film mit der Tonpiste gefilmt werden wird, während die normale Super-8-Kassette dazu in der gleichen Relation stehen wird, wie heute die alte Doppel-8-Spule zur Super-8-Kassette. Auch bei Kodak wurden neue Pocket-Modelle entwickelt. Zu haben sind sie natürlich augenblicklich genauso wenig, wie alles andere auf dieser photokina, und deshalb kann ich Ihnen auch darüber nichts sagen, weil ich grundsätzlich nichts von dem abschreibe, was die Firmen gedruckt anpreisen.
Am interessantesten für mich sind die beiden neuen Filme, Kodachrome 25 und Kodachrome 64. Diese beiden Filme, Dia-Filme, lassen es fraglich erscheinen, ob sich für uns Amateur-Fotografen ein größeres Format überhaupt noch lohnt. Nicht mehr sensationell, trotzdem immer wieder überraschend: Die SX 70-Kameras von Polaroid. Auch wenn es nicht schon vor den Hallen auf großen Plakaten angekündigt worden wäre, dass diese Kamera nun endgültig da ist, hätte man das am Stand der Polaroid gemerkt. Was über sie zu sagen ist, finden Sie an einer anderen Stelle in diesem Heft.
Wenn man dieser Kamera, weil von jeder Norm abweichend, eine Sonderstellung einräumt, so waren es für mich drei Dinge auf dieser photokina, die mich am meisten beeindruckten: Die neue Rollei SLX 6x6, die neue Contax aus der Ehe Yashica/Zeiss und der neue Tonprojektor von Noris. Über die SLX von Rollei wurde schon viel geschrieben, es ist jetzt ein wenig mehr geschrieben worden, und ich hatte Gelegenheit, mich eine Stunde lang ungestört zu bemühen, dieses Super-Ding kaputtzumachen. Es ist mir nicht gelungen, denn mechanisch ist da nichts mehr drin, und an die Elektronik bin ich nicht drangekommen. Es gehen und gingen viele Gerüchte um Rollei. Was immer aber auch sein wird, einen solchen Vollidioten, der die Produktion dieser Kamera stoppen würde, nachdem ihre Entwicklung und die Werkzeuge zur Produktion solche Unsummen verschlungen haben - einen solchen Vollidioten gibt es nicht einmal unter den Bankern. Freunde, es lohnt sich, auf diese Kamera zu warten, sie setzt neue und absolute Maßstäbe und macht vieles, was heute noch sehr teuer ist, schrottreif. Nebenbei gibt es bei Rollei in der A 110 auch die netteste Pocket-Kamera, die ich bis jetzt in Händen hatte. Und weil wir gerade von Pocket reden, sind wir damit auch schon bei Canon:
Dort gibt es eine, die das Datum, Tag, Monat und Jahr, ganz klein rechts unten ins Bild einspiegelt. Eine feine Sache, wenn ich daran denke, dass auch meine Pocket-Bilder immer noch in Kartons herumliegen und ich bei vielen nicht mehr weiß, ob ich sie vorher oder nachher aufgenommen habe. Jeder Urlaub, jedes Familienfest chronologisiert sich so ganz von selber.
Zurück zu den echten Novitäten: Da ist als zweites die neue Contax RTS. Dieses „RTS" ist eine Konzession an den weltweiten Ungeschmack der Massen: Irgendwas muss noch hinter dem Namen stehen, und RT bedeutet „Real Time", Echtzeit, weil elektronisch natürlich alles schneller geht als mechanisch. Schließlich ist diese Kamera schneller als alles, was man mit ihr fotografieren kann, und einen Hochspringer erwischt man trotzdem nicht, wenn Auge und Finger langsamer sind, als diese Kamera. Es gäbe vieles über sie zu sagen, und Sie werden es auch überall finden, aber niemand hat bis jetzt mit ihr gearbeitet. Ich werde sie im frühsten Frühjahr vorab bekommen und erst darüber schreiben, wenn ich sie wirklich kenne. Nach der Technik und der Konzeption ist diese von Porsche gezeichnete Kamera ganz große Klasse.
Und drittens halte ich den neuen Noris-Ton-Projektor mit seiner konsequenten und voll durchgeführten Elektronik für das potenteste auf dem derzeitigen Markt befindliche Gerät. Sie können mit diesem Projektor praktisch drei Tonträger (eine Tonpiste und zwei Spuren Kassette!) beliebig miteinander oder durcheinander fahren, Sie können aus der synchron vor- und zurücklaufenden Kassette zusätzlich Ton über Ektasound Lifeton legen, ohne ihn dabei zu löschen - Sie können mit diesem Projektor ein Höchstmaß an Vertonung erzielen, und das einfacher und bequemer, als mit irgendeinem anderen Gerät bisher.
Olympus hat eine neue OM 2, deren Verschluss nun elektronisch laufen wird. Es ist nur zu hoffen, dass die Lieferungen zu diesem System bald so umfangreich werden, dass es alles, was es gibt, auch wirklich gibt. Bei Braun Nizo gefiel mir das Professionell-Modell, eine Kamera, die tatsächlich professionelle Filme ermöglicht, nicht nach Ektasound-Manier, sondern mit Tonanschlüssen für Profigeräte.
Durst hat die besten heißen Würstchen und noch besseren Tiroler Speck. Durst hat aber auch mit die besten Vergrößerer für Amateure und Profis und darüber hinaus ein umfassendes und komplettes Angebot an Laborgeräten.
Wie erwartet, blieb die Mark bei Hasselblad stabil: Man war dort stolz darauf, wenigstens ein neues Polaroid-Magazin vorzeigen zu können. Wohl dem, der bisher mit Hasselblad fotografiert: Auch diese photokina hat seine Geräte nicht veralten lassen. Und Geld für modernere braucht er auch nicht auszugeben.
Ähnlich geht es den Jüngern der Firma Leitz: Die Leicaflex SL 2 hat als umwälzende Neuheit einen Schnittbildmesskeil im Sucher erhalten, und wenn's dunkel wird, kann man das Zeigerwerk beleuchten. Na also, darüber habe ich schon vor fünf Jahren mit Leitz gesprochen, und man sieht, dass man auch in Wetzlar guten Willens ist, rasante Entwicklungen nicht zu verschlafen.
Ach ja, und noch etwas besonders Schönes gibt es, nämlich bei Minolta das Modell XE-1. Ich habe nie verschwiegen, dass ich das Modell XM zwar fürchte und achte, aber nicht liebe, denn es erscheint mir ein Auswuchs in Richtung Industriebarock zu sein, interessant nur für Spezialisten, wie seinerzeit die Contarex mit ihrem riesigen System. Die neue Minolta XE-1 kann man lieben, weil sie beinahe alles kann wie die XM, nur viel handlicher. Bei dieser Gelegenheit sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich mir auch die Fotos von Gunther Sachs angeschaut habe. Liebe Fotofreunde, ich garantiere Ihnen und bürge mit meinem Namen dafür: Schaffen Sie sich eine gut gehende Kugellagerfabrik an, werden Sie steinreich, und halten Sie Ihre Kamera in schönen Gegenden der Welt auf jede Menge von hübschen Mädchen. Ihre Aufnahmen sind dann sicherlich nicht schlechter. Und da wir gerade beim Thema Aufnahmen sind, ein paar junge Burschen haben Eierbriketts in Eierbecher gestellt, einen Eidotter dazugetan, und diese Aufnahme war die Sensation der photokina. Fragen Sie mich bitte nicht immer am Telefon, was Sie fotografieren sollen, um gedruckt zu werden. Schauen Sie sich diese schwarzen Eier an, und lassen Sie sich auch etwas Neues einfallen. Dann haben Sie Erfolg, verdienten Erfolg, wie mir scheint.
Es gäbe noch vieles zu sagen, schließlich bin ich nicht zum Vergnügen täglich 24 km marschiert und war noch einen Monat lang heiser. Es wird alles zu seiner Zeit kommen, nur wann, weiß niemand. Und so war für mich diese photokina 1974 eine Messe fotografischer Selbstbefriedigung: Jeder hatte irgend etwas ungeheuer Schönes zum Vorzeigen, jeder berauschte sich an seinem Können - nur liefern kann es keiner.
Herzlichst, Ihr Alexander Borell
Alexander Borell in Color Foto 12/1974
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