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Oldtimer (1) Der europäische Fotosammler wird einem Kameratyp immer wieder begegnen: der Pressekamera mit dem Schlitzverschluss. Diese Bauart wurde 1889 durch Ottomar Anschütz vorgestellt. Die Kamera hatte einen Schlitzverschluss, der vor der Platte ablief und Belichtungszeiten bis 1/1000 sek. ermöglichte. Anschütz, der deutsche Pionier der Reihenbildfotografie, hatte das schon seit etwa 1850 bekannte Prinzip des Schlitzverschlusses wieder aufgegriffen und so perfektioniert, dass er damit in den Jahren 1884/ 87 seine Aufsehen erregenden Reihenbildaufnahmen von Tieren (u. a. Störchen und Tauben im Flug) machte. Dieses Prinzip wandte er auch bei einer Handkamera an, die er am 4. April 1889 in Berlin dem „Photographischen Verein" vorstellte. Die Serienfertigung dieses Prototyps übernahm die Fa. C. P. Goerz in Berlin. Aus diesem Vorläufermodell wurde etwa 1895 die berühmte Goerz-Anschütz-Klappkamera entwickelt, die zum Vorbild für eine ganze Generation von Kameras wurde (Bild 1). Charakteristisch an dieser Kamera war der Textil-Schlitzverschluss, auf dem in roter Farbe der Schriftzug: „Ottomar Anschütz, Lissa b. Posen" aufgetragen war. Die Goerz-Anschütz-Kamera wurde zur beliebtesten Kamera der Fotoreporter. Sie war ganz nach ihrem Geschmack: ein handlicher Apparat, mit dem man sehr beweglich war und überraschendsten Aufnahmesituationen folgen konnte. Durch einen Spreizenmechanismus war die Goerz-Anschütz flach zusammenlegbar. Dieses Merkmal gab dem neuen Kameratyp auch die Bezeichnung: „Spreizenkamera." (2) Die Goerz-Anschütz-Klappkamera war zunächst mit einem „Goerz-Doppel-Anastigmat, Serie III" ausgestattet, das nach 1904 in „Dagor" umbenannt wurde. Die Klappkamera war in den Formaten 9 x 12, 10 x 15 und 13 x 18 cm erhältlich. Gleichfalls wurde auch ein Stereomodell geliefert. Ab 1910 verschwindet der Name „Anschütz" und die Kamera wird als Goerz „Ango" bezeichnet. Sie blieb mit nur wenigen Änderungen in den Katalogen der Fa. Goerz bis 1926, als diese zusammen mit Ica, Ernemann, Contessa-Nettel u. a. in der Zeiss lkon AG. aufging. Mit einer solchen Goerz „Ango"-Kamera arbeitete der Hamburger Fotograf Hans Breuer, der mit ihr Aufnahmen auf Expeditionen und Forschungsreisen machte. (3) Bild 2 zeigt ihn mit seiner Kamera in Spitzbergen am Amundsen-Denkmal in Kingsbay. Bild 3 zeigt eine Straßenszene in Algier, die Breuer 1928 mit dieser Kamera aufgenommen hat. Es ist eine jener typischen Reiseaufnahmen, wie man sie in den Journalen dieser Zeit sah. Da die Goerz-Anschütz sofort ein Erfolg wurde, lag es auf der Hand, dass andere Hersteller dieses Konstruktionsprinzip ebenfalls übernahmen. Firmen, wie Voigtländer, Wünsche, Hüttig, Contessa-Nettel, Ensin, Zeiss u. a. bauten Spreizenkameras mit Schlitzverschluss, die sich in der Bauweise an die Anschütz-Kamera anlehnten. Als Beispiel mag hier Lechners Taschenkamera aus der Zeit um 1910 dienen (Bild 4). Sie war mit Holzspreizen ausgestattet, die es ermöglichten, den Apparat sehr flach zusammenzulegen. Hersteller war die Fa. R. Lechner (W. Müller) in Wien. (4) Die Spreizenkamera mit Schlitzverschluss erlebte ihre Blütezeit in den Jahren 1910 bis 1930. In dieser Zeit war sie nicht nur das bevorzugte Gerät der Fotoreporter, sie war ein beliebtes Instrument der Reisenden in ferne Länder. Aus diesem Grunde gab es auch spezielle Tropenausführungen einiger Modelle, wie z. B. der Contessa-Nettel oder auch der hier abgebildeten (Bild 5) Ernemann-Spreizenkamera aus dem Jahre 1925. Die an den normalen Kameras verwendeten Hölzer und Metalle waren dem tropischen Klima nicht gewachsen. Daher verwendete man für die Spezialausführungen tropische Hölzer wie Teak, Mahagoni und Messing-Metallteile. Gerade solche Tropenausführungen sind heute beliebte Sammelstücke. Die Spreizenkamera wurde ab etwa 1930 aus ihrer Domäne als Pressekamera verdrängt. Die Kleinbildkamera hatte mit ihrer noch größeren Beweglichkeit ihr den Rang abgelaufen. Mehr und mehr gingen die Reporter zur „Leica" und „Contax" über. Das 35-mm-Filmmaterial hielt inzwischen auch bei Vergrößerungen den Vergleich mit dem größeren Negativformat aus. (5) Alle Aufnahmen: Agfa-Gevaert Foto-Historama Klaus op ten Höfel in Color Foto 6/1976 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}