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Oldtimer
Die vergessenen Kameras von Liesegang
In der Reihe der ältesten und bedeutendsten Firmen der deutschen fotografischen Industrie steht unzweifelhaft die Firma Ed. Liesegang, Düsseldorf.
Doch gehen wir in das Jahr zurück, in dem die Gründung der Firma - durch den Bildhauer Friedrich Wilhelm Eduard Liesegang (1803-1871) - erfolgte, als er im Dezember 1854 in Elberfeld das Atelier des Fotografen Hermann Emde übernahm.
Durch die vorzüglichen Arbeiten des Ateliers wurden Fotografen aus der Umgebung zunächst veranlasst, den Inhaber um Lieferung der von ihm benutzten chemischen Ansätze zu bitten. Der Anregung wurde Folge geleistet, und es entwickelte sich rasch ein lebhafter Verkauf von Foto-Chemikalien und Papieren und auch sonstigen Bedarfsartikeln.
Zur Festigung und Verbreitung des guten Rufes der Firma trug die mit dem Atelier und Labor verbundene Lehranstalt bei, die fotografische Kunst von Grund auf zu erlernen, während Berufsfotografen dort ihre fotomechanischen Kenntnisse erweitern konnten. Die rege Nachfrage nach den vielen in der Fotografie gebrauchten Gegenstände führte zu einem raschen Ausbau des Unternehmens.
Im Jahre 1857 umfasste die „Manufaktur" folgende Abteilungen: Glasschleiferei, mechanische Werkstätte, Tischlerei, Klempnerei, Labor, Papierpräparation, lithographische Anstalt. 1858 war der Werktstattbetrieb, in dem hauptsächlich Kameras hergestellt wurden in vollem Gange. Die Fabrikation ging damals natürlich noch ganz handwerksmäßig vor sich, und es wurden immer nur einige wenige Stücke zugleich in Arbeit genommen.
Durch die Übernahme des Emdeschen Ateliers wollte Eduard Liesegang seinem im Jahre 1838 geborenen Sohn Johann Paul Eduard eine Existenz schaffen. Dieser zeigte schon als Schüler große Neigung zum Beruf des Fotografen; er machte sich viel im Atelier zu schaffen und war früh mit den Geheimnissen der Kunst vertraut. Paul Eduard Liesegang erwies sich auch später als große Hilfe für das väterliche Unternehmen. Der junge Liesegang unternahm Geschäftsreisen, um dabei mit den wichtigsten Abnehmern persönlich Kontakte anzuknüpfen. Er folgte ferner im Spätsommer 1860 einer Einladung von Thomas Sutton, dem Herausgeber der Zeitschrift „Photographic Notes", nach der Insel Jersey zu kommen. Dort lernte er eine von Sutton konstruierte Panorama-Kamera kennen. Mit dieser Kamera wurde im Beisein von Paul Eduard Liesegang eine Aufnahme auf der Insel gemacht. Erfreulicherweise ist nicht nur diese Aufnahme, sondern sogar die Original-Sutton-Kamera erhalten geblieben; beide befinden sich heute in der Abteilung Fotografie des Deutschen Museums in München.
Das Auffallendste an der Sutton-Kamera mit ihrer halbzylindrischen Negativplatte aber war die Optik. Sie bestand aus zwei zusammengesetzten Glaskugeln mit wasserdichtem Verschluss und inneren Hohlraum, der vor der Benutzung mit destiliertem Wasser gefüllt wurde.
Der Bildwinkel betrug 120 Grad und Liesegang war von den Aufnahmen hellauf begeistert: „Es ist mir mit keiner anderen Linse möglich, ein so weites Gesichtsfeld zu umfassen, dessen Werth die Landschaftsphotographen zu würdigen wissen werden. In der Tat, man ist häufig gezwungen, eine schöne Ansicht fahren zu lassen, weil sie, auf einen Winkel von 30xGRADx beschränkt, ihren künstlerischen Effekt verliert; man denke nur an Städteansichten, bei denen sich der Mangel eines genügenden Gesichtsfeldes am sichtbarsten zeigt".
Obwohl die Sutton-Kamera in erster Linie in England produziert wurde, konnte Liesegang sie für Deutschland allein fertigen, da die Firma im Besitz der französischen und belgischen Patente war.
Im Jahre 1873 wurde das Geschäft nach Düsseldorf verlegt, wohl deshalb, weil diese Stadt bessere Verkehrsverbindungen bot. Dorst stand in den beiden gegenüberliegenden Gebäuden, Kavalleriestr. Nr. 6 und Nr. 13, mehr Raum für die weitere Entfaltung zur Verfügung. In
den vergrößerten Werkstätten fertigte man neben verschiedenen Ausführungen von Atelierkameras vor allem Vergrößerungsapparate, Solarapparate mit Heliostaten, wie sie damals besonders in überseeischen Ländern für Vergrößerungen mit Sonnenlicht benutzt wurden; weiterhin Reisezelte und Fotozubehör.
Als Spezialität wurden lange Jahre hindurch Ferrotypiekameras mit mehreren Objektiven für die Fotografie auf schwarz lackierten Blechplatten hergestellt.
Um 1880 leitete die Trocken-platte ein neues Zeitalter der Fotografie ein. Die Grundlage für die Herstellung kleinerer Kameras war geschaffen. 1882 fertigte die Firma Liesegang eine so kleine Kamera, dass „der Apparat in einer geräumigen Rocktasche reichlich Platz findet". Man nannte ihn „Liliput" - wegen seiner kleinen Ausmaße von 6 x 10 x 14 cm. Aus der Liesegang'schen Liliput wurde 2 Jahre später die „Künstlerkamera" mit der Negativgröße 3 x 3 cm."
Diese einfache und leichte Kamera mit zwei Objektiven für Momentaufnahmen gestattet die Beobachtung des Bildes auf der Visierscheibe während der Aufnahme selbst. Sie besteht nämlich aus zwei Kameras übereinander, deren obere zum Einstellen, die untere zum Belichten dient. Der Wechselkasten, mit 12 Platten gefüllt, wird unter die Kamera geschoben. Zum Belichten hält man die Kamera in der Hand oder man stellt sie irgendwo auf. Nachdem man eingestellt hat, wartet man ab, bis der aufzunehmende Gegenstand in die Bildlinie gekommen, was man auf der Visierscheibe ganz genau sieht, und drückt dann nur auf den Knopf. Die Aufnahme ist fertig. Solche Momentaufnahmen sind nur bei gutem Licht zu erhalten, bei trüben Wetter muss man länger belichten. Die Negative sind scharf und lassen sich gut vergrößern." Die Firma erteilte weiterhin gute Ratschläge, wie man am besten mit der Kamera üben sollte: „Man fasst den Apparat mit der linken Hand und hält ihn, den Oberarm fest am den Körper drückend, vor das Auge, mit der rechten Hand besorgt man das Scharfstellen des Bildes sowie das Abdrücken des Verschlusses. Im Anfang geht es dabei oft wie dem ungeschickten Schützen beim Schießen, im Moment des Losdrückens zuckt man ohne zu wollen, und das Bild wird unscharf. Ein einfaches Hilfsmittel zur Einübung ist folgendes: „Man setzt mit Tinte einen kleinen Punkt mitten auf die Visierscheibe und probiert erst ohne Platten, indem man den Punkt mit einem kleinen eingestellten Gegenstand zusammenbringt und ihn während des Losdrückens genau im Auge behält, es handelt sich darum die Kamera so ruhig zu halten, dass während des Auslösens des Verschlusses Punkt und Gegenstand sich nicht trennen. Erst wenn man es durch Übung so weit gebracht hat, sollte man zu wirklichen Aufnahmen schreiten." Eine dieser Übungsaufnahmen ist uns erhalten geblieben, aufgenommen mit einer 3 x 3 cm Künstlerkamera. Liesegang fertigte diesen Apparat auch in den Größen 5x 5, 8x8 und 8x10 cm.
Kurz vor der Jahrhundertwende baute das Unternehmen eine seiner letzten Kameras, mit Namen „Dilka" (Abb. 4). Das lederbezogene Holzgehäuse nahm 12 Platten im Format 9 x 12 cm auf. Als Objektiv diente ein Aplanat; der Verschluss beschränkte sich auf Z+M, zwei Spiegelsucher benutzte man für Hoch- und Queraufnahmen.
James E. Cornwall in Color Foto 1/1980
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