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Oldtimer
Die unauffälligen Geheimkameras
Von 1885 bis 1895 war die große Zeit der Detektivkameras. Viele dieser Kameras kennen wir aus fotogeschichtlichen Büchern; ein ebenso großer Teil dieser Geräte aber ist bisher nirgendwo abgebildet.
Die erste ist die „Baedecker-Camera" der Firma Brandt & Wilde Nachf., Berlin. (rechts): Objektiv Weitwinkel Aplanat, feste Blende. Nussbaumgehäuse. Größe 15 x 16 x 22 cm. „Dieselbe hat keine Kassette, sondern ist derart konstruiert, dass 12 Platten 9 x 12 cm eine hinter der anderen ohne Zwischenlage in einen in der Camera befindlichen Metallrahmen gesteckt werden, der mit Nuten versehen und in zwei Abteilungen (eine obere und eine untere) getheilt ist. Durch Drehung eines aussen an der Camera angebrachten Rades wird dieser Metallrahmen so weit vorwärts geschoben, dass die vorderste Platte in genauer Brennweite vor dem Objektiv steht. Nach erfolgter Exposition zieht man einen an dem Plattenkasten befindlichen kleinen Riegel zurück, auf
welchem die Platte geruht hatte und diese gleitet nun in Nuten in die untere Abteilung hinab, von wo sie gelegentlich durch Öffnen des unteren Deckels herausgenommen werden kann. Man schiebt nun, sobald man die Platte hat fallen hören, den Riegel wieder hinein, dreht wieder an dem aussen angebrachten Rade und bringt dadurch die zweite Platte in die richtige Brennweite. In gleicher Weise bewirkt man die Verschiebung aller übrigen Platten. Eine selbstthätige Zählvorrichtung zeigt hierbei stets an, wieviel Platten bereits exponirt wurden. Eine sehr schätzenswerthe Neuerung ist die, dass es unmöglich ist, in dieser Camera eine Platte aus Versehen zweimal zu belichten, was ja bei manchen anderen Cameras häufig vorkommt.
Die Einstellung des Bildes ist eine fixe und nur wenn das Objekt sich in ganz geringer Distanz befindet, ist das Objektiv so weit als nöthig vorzuschrauben. Um zu exponiren (Moment), wird der Verschluss durch Herausziehen des seitlich sich befindenden Hebels gespannt und durch einen leichten Druck auf den Knopf b ausgelöst.
Soll die Camera als Geheim-Camera benutzt werden, so wird sie in der Tasche, die mit den nötigen Ausschnitten für Objektiv und Wechselvorrichtung, sowie mit einem Trageriemen versehen ist, belassen. So lässt sie sich bequem und leicht handhaben, so dass man auch an den belebtesten Orten ganz unauffällig Aufnahmen machen kann."
Als Kreuzung zwischen einer Platten- und Stirns Knopflochkamera zeigt sich Hanaus „Passe-Partout"-Kamera (links) mit dem Aufnahmeformat 6 x 13 cm auf 13 x 18 cm Platten.
„Da der Apparat eine Doppelcassette „A" mit 4 Schiebern besitzt, so kann man mit jeder
4 Bilder von je 6 cm Durchmesser erhalten und durch Vorrathscassetten die Zahl beliebig vermehren. Zum Zwecke des Gebrauches befestigt man den Konus „ P", welcher ein Rapid-Rectilineaire „O" mit 60 mm Brennweite trägt, am Holzrahmen „B" und stellt den Apparat auf den mit Nr. 1 bezeichneten Schieber der Cassette, die man vorher mit Platten versehen hat. Alsdann spannt man den Momentverschluss, indem man die Scheibe nach abwärts dreht bis sie einschnappt, öffnet den Cassettenschieber und exponirt im gewünschten Augenblicke durch leichten Druck auf den seitlich befindlichen Metallknopf „E". Eine kleine am Obertheil der Camera angebrachte und abnehmbare optische Suchervorrichtung erleichtert das Anvisieren des Bildes. Für eine neue Aufnahme stellt man den Cassettenschieber auf Nr. 2 usw. Der Apparat kann behufs Aufnahme in einer Hand gehalten oder unter dem Rock verborgen werden".
Als nächste, äußerst seltene Kamera präsentiert sich „Marion's Miniaturcamera" des Jahres 1892. Diese Metallkamera mit Doppelobjektiv und Fallverschluss wurde für drei verschiedene Plattengrößen hergestellt: 3 x 3, 5 x 5 und 8 x 8 cm. i Durch Drehen am Triebknopf, an der linken Kameraseite stellte man auf einer Mattscheibe scharf ein. Das Objekt wurde durch das „Guckrohr" anvisiert.
Ohne Guckrohr dagegen war E. von Schlichts „Momentograph" (rechts unten) von 1887. Hier peilte man an der Kameraoberseite das Motiv an. Das achromatische Objektiv und der Momentverschluss fanden Platz in einem Mahagoni-Holzgehäuse. Der Momentograph lieferte Aufnahmen im Plattenformat 7 x 7 cm. Ferner gab es dieses Modell im Format 9 x 12 unter dem Namen „Blitz" und unter der Bezeichnung „Stereograph" im Format 8,5 x 17 cm. Als optische Variation gab es das Modell Blitz auch mit einem Steinheil Aplanat Nr. 3.
Wer beim Blitz-Modell keine Doppelkassette wollte, konnte die Kamera auch mit Eastmans Rollfilmkassetten erwerben.
Eine Kamera besonderer Prägung fertigte 1892 die Berliner Firma Dr. A. Hesekiel und nannte sie „Geheim-Camera Probata".
„Die Grössenverhältnisse dieses Magazin-Apparates sind 22 x 14 x 15 cm. Er wiegt mit 12 Platten gefüllt 3 kg und liefert Bilder in der Größe 9 x 12 cm.
Die Handhabung ist eine einfache und geschieht in folgender Weise. Nachdem man die hintere Wandung, die durch einen langen Stift gehalten wird, nach Entfernung dieses Letzteren herausgenommen, legt man die 12 Stahlcassetten, jede mit einer Platte versehen, so auf den hinteren Raum des Kästchens, dass die lichtempfindliche Schicht der Platten nach vorn und die umgebogene Längskante der Cassetten nach der unteren Seite des Kastens zu liegen kommen. Als letzte Cassette lege man stets diejenige ein, welche durch Anheftung eines Holzbrettchens besonders dick hergestellt wurde. Darauf schliesst man die Hinterwand wieder, indem man das Brettchen zunächst schräge in den Spalt der oberen Wandung unter dem Ledersack einschiebt, als dann auch unten andrückt und soweit nach unten bewegt, bis man den langen Stift von der Seite wieder vollständig einschieben kann. Jetzt ist die Camera zum Gebrauch fertig. Die Camera besitzt in der Mitte einen Auszug, der sich weit auseinander schieben lässt. Zum Zwecke der Einstellung der Camera, die für jedes Objektiv eingerichtet werden kann, lässt man das Bild rückwärts auf eine Mattscheibe fallen und macht sich für die verschiedenen Entfernungen auf dem Auszuge Marken.
Für Personen-Aufnahmen wird man gut thun, durch entsprechende Stellung der Camera das Hochformat zu wählen. Das Visieren hat über die Mitte der jeweilig oberen Seite zu geschehen. Auf Wunsch wird ein Sucher angebracht.
Auf der rechten Seite der Camera befindet sich oben die Kurbel des Momentverschlusses, unten jene zum Reguliren desselben. Will man Augenblicksaufnahmen machen, so drehe man zunächst die obere Kurbel so lange, bis sie zweimal eingeschnappt hat. Alsdann warte man den richtigen Augenblick ab, um durch Druck auf den mittleren Knopf die Aufnahme geschehen zu lassen. Bei Zeitaufnahmen dreht man die Kurbel des Momentverschlusses nur bis zum einmaligen Einschnappen.
Nach einer Aufnahme mache man es sich zum Princip, sogleich die Vorbereitung für eine weitere Aufnahme vorzunehmen. Dadurch wird erstens vermieden, dass man eine Platte zweimal exponirt, andererseits ist man stets für eine fernere Aufnahme bereit. Um eine neue Platte expositionsfähig zu machen, dreht man den an der Hinterseite des Kastens befindlichen Hebel in die in der Figur sichtbaren Lage. Dann dreht man die Camera einmal so, dass erst das Objektiv, dann der Ledersack senkrecht nach unten kommt. Nach leichtem Schütteln wird die erste Platte in den Sack fallen. Danach kehrt man die Camera wieder um, schiebt das Laufbrett mit dem Ledersack weit möglichst nach rückwärts, hebt die Camera hinten etwas in die Höhe und lässt die Platte als Letzte in das Magazin zurückfallen. Alsdann muss der Hebel wieder nach vorn geschoben werden.
Hierdurch ist eine neue Platte zur Aufnahme bereit geworden. Wenn alle 12 Platten exponirt sind, ist es nicht mehr möglich, den Hebehaken nochmals zu drehen. Dies ist das Zeichen, dass alle Platten wirklich belichtet worden sind".
Die Sammlerwerte der vorgenannten Kameras lassen sich schwer festsetzen, da sie bisher nicht angeboten wurden und sich das Lot zwischen Nachfrage und Preis nicht einpendeln konnte.
James E. Cornwall in Color Foto 2/1980
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