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Fotos, die Geschichte machten Fotografie des Proletariats Diesmal geht es nicht um ein einzelnes Foto, sondern um die Geschichte der Arbeiterfotografen. Eine Bewegung, die um 1930 großes Aufsehen erregte und heute kaum noch Beachtung findet. Der Titel dieser Kolumne wird dem Gegenstand nicht gerecht: In dieser Ausgabe geht es nicht um ein einzelnes Foto, das in die Geschichte der Fotografie eingegangen ist, sondern vielmehr um eine Fotobewegung, die um 1930 in Deutschland großes Aufsehen erregte. Auch wenn sie in der Analyse jüngster Fotogeschichte zu oft und zu gerne übersehen wurde, so gehört die Arbeiterfotografen-Bewegung zu den wichtigsten Einschnitten der Mediengeschichte. Darum kann sie in dieser Kolumne nicht unberücksichtigt bleiben. War im 19. Jahrhundert die Fotografie noch das Medium des Bürgertums, das Zeit und Geld aufbringen konnte, sich mit der Fotografie zu beschäftigen und sie zur Selbstdarstellung zu nutzen, wurde spätestens mit der Erfindung von George Eastman die Fotografie zum Massenmedium. Seine billige, in Fabriken hergestellte Kamerabox erschloss die Fotografie breiteren Bevölkerungsschichten. Sie bot nicht so wohlhabenden Mitbürgern die Möglichkeit, erstmals die Fotografie für sich zu nutzen. Technisch und theoretisch bestand die Möglichkeit, die Kamera auf Zustände zu richten, die das Bürgertum bisher in seinem fotografischen Themenkatalog ausgespart hatte. Es scheint also nur folgerichtig, dass sich Arbeiter irgendwann zusammenschließen, um die Fotografie für sich und ihre Interessen einzusetzen. So logisch und folgerichtig entwickelt sich Geschichte bekanntlich nur in den seltensten Fällen. So auch in diesem. Den Anlass für die Gründung der Arbeiterfotografen-Vereine lieferten nicht derartige medientheoretischen Überlegungen: Nach der Oktober-Revolution hatte die Sowjetunion mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, eine große Hungersnot war die Folge. Kommunisten in der ganzen Weltversuchten eine Hilfsorganisation ins Leben zu rufen. Die IAH (Internationale Arbeiter Hilfe), der Willi Münzberg in Berlin vorstand, hielt dafür die Fäden in der Hand. Nachdem 1925 die größten wirtschaftlichen Probleme überwunden waren, konnte sich die IAH auch anderen Aufgaben widmen, dazu gehörte die Herausgabe der „Arbeiter-Illustrierten-Zeitung". Sie sollte das Gegenstück zu den zahlreichen Magazinen sein, die damals in Mode kamen, und in denen die Arbeiterfunktionäre ihre Probleme zu wenig oder unter einem verzerrenden Aspekt berücksichtigt sahen. Bei der Herausgabe ihrer eigenen Illustrierten hatten sie allerdings gegen ein zunächst unterschätztes Problem anzukämpfen: Um eine Illustrierte machen zu können, brauchten sie Bildmaterial, und das lieferten zu dieser Zeit lediglich bürgerliche Fotografen und Bildagenturen. Es schien also schwer, aus dem Windschatten der Unterhaltungsmagazine auszubrechen. Einzige Möglichkeit, diesem Mißstand zu begegnen: Die Arbeiter fotografieren ihre Eindrücke und Probleme selbst. Die Idee des Arbeiterfotografen war geboren. Ein Vorhaben, dessen Realisierung schwieriger war, als zunächst angenommen. Zu den finanziellen Problemen der politisch ambitionierten Fotoamateure gesellten sich technische und theoretische. Es zeigte sich, dass es mit einer Aufforderung zum Fotografieren nicht getan war. Politische und technische Schulung musste folgen. Aus diesen Überlegungen heraus gründete man 1926 die Zeitschrift „Der Arbeiter-Fotograf". Bis 1932, als die Nationalsozialisten der Arbeit des Redaktionsteams ein Ende bereiteten, war diese Zeitschrift Diskussions-, Publikations- und nicht zuletzt Agitationsmittel der Arbeiterfotografen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Fotografie war es gelungen, mit einer politisch ambitionierten Amateurfotografie zur Tagespolitik Stellung zu nehmen. Einseitigkeit war hier nicht Makel, sondern Voraussetzung für die fotografische Arbeit; Anschauung der Welt sollte hier mit Weltanschauung verbunden werden, wie Willi Münzenberg es proklamierte. Die Konzeption der Arbeiterfotografie sah vor, dass man nicht nur in der Kommunistischen Partei organisierte Fotografen ansprechen und zur Mitarbeit bewegen wollte. Dies hatte zur Folge, dass über recht fadenscheinige Argumentationsquerschläger Aktfotos ebenso abgedruckt wurden wie eine Bastelecke für Tüftler. Das pluralistische Konzept der Zeitschrift forderte dies, der politischen Geradlinigkeit war dieser Umstand allerdings wenig zuträglich. Auch außerhalb der Redaktion hatten die Arbeiterfotografen keinen leichten Stand. Bei Demonstrationen mussten sie einige Geschicklichkeit aufbringen, um den Ordnungshütern zu entkommen, die es auf das belichtete Filmmaterial abgesehen hatten. In den Betrieben wurde bald ein generelles Fotografierverbot eingeführt. Damit war die ursprüngliche Idee, Arbeiter mit Hilfe der Fotografie selbst von ihren Arbeitsplätzen berichten zu lassen, zunichte gemacht. Das erklärt, warum in der Zeitschrift der Arbeiterfotografen so wenige Betriebsreportagen abgedruckt wurden, im Gegensatz dazu aber der Privatbereich und die dort anstehenden Probleme wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Lebensmittelknappheit umfassend dokumentiert sind. Parteiische Fotografie wurde unter den Nationalsozialisten zur parteikonformen. Für Arbeiterfotografen und ihr Selbstverständnis blieb da kein Platz mehr. Ein wichtiger Ansatzpunkt und eine notwendige Erweiterung der fotografischen Verwendung wurde für überflüssig erklärt und bis heute nicht wieder aufgegriffen. Fotografie als politisches Instrument hat (nicht nur bei uns) eine in Vergessenheit geratene Tradition. Darüber können auch die Neuanfänger der zeitgenössischen Arbeiterfotografie kaum hinwegtäuschen. Robert Maylan in Color Foto 1/1981 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}