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BERATUNG Firmenporträt Voigtländer gestern und heute Anpassung statt Untergang Totgesagte leben länger, heißt ein altes Sprichwort, das auf die Marke Voigtländer bestens zutrifft. Denn selbst bei engagierten Fotografen gilt die Meinung, dieser einst renommierte Kamera und Objektivhersteller sei längst ein Opfer der Krise der deutschen Fotoindustrie in den sechziger und siebziger Jahren geworden. Voigtländer aber lebt, und das als Handelsmarke nicht schlecht. Voigtländer gilt heute noch unter Fotokennern als renommierte Marke. Obwohl als Massenhersteller weniger prestigeträchtig als Leica oder Contax, baute das Braunschweiger Unternehmen eine große Zahl verschiedener, technisch sehr individueller Modelle zu günstigen Preisen und mit hervorragenden Objektiven. Von diesem einst erworbenen Nimbus zehrt die Marke noch heute, obwohl streng genommen nur noch der Name und der kürzlich wiedererworbene Sitz in der Braunschweiger Petzvalstraße geblieben sind. Dabei hätte Voigtländer mit ein wenig Geschick, Flexibilität und dem richtigen Management durchaus beste Chancen gehabt, denn die Produkte lagen schon immer goldrichtig im Markt.Die Voigtländer-Geschichte begann im Jahre 1756 in Wien. Dort gründete Johann Christoph Voigtländer eine Werkstätte zur Herstellung von mechanischen Werkzeugen wie Kompasse, Mikroskope und Nivelliergeräte. Erst die Verbindung mit dem Mathematiker Joseph Petzval jedoch bedeutete für Voigtländer den Durchbruch. Petzval rechnete ein heute noch berühmtes Porträtobjektiv mit der sensationellen Lichtstärke 1:3,7. Dieses Objektiv wurde 1842 in die erste Metallkamera der Welt eingebaut. Bald entwickelte sich Voigtländer zu einem der größten Kamerahersteller Europas und erwarb sich einen soliden Ruf. Zwar kam selten Revolutionäres aus dem technisch eher konservativen Hause, immer aber Beachtliches, Preisgünstiges und Solides. In den zwanziger und dreißiger Jahre, als aus dem einstigen Elite-Hobby Fotografie eine Volksleidenschaft wurde, erlebte die Firma einen großen Aufschwung. Pfiffige, intelligent konstruierte Kameras mit ungewöhnlichen Namen wie Bessa, Bergheil oder Prominent bestimmten den neuen, technisch fortschrittlicheren Kurs der Marke, die sich fortan in der Spitzengruppe der deutschen Kamerahersteller - neben Contax, Leica oder Rollei - etablieren wollte. Doch der Zweite Weltkrieg kam dazwischen, und erst in den fünfziger Jahren konnte man wieder an die Erfolge der Vorkriegszeit anknüpfen. Aus der 6x9-Prominent der dreißiger Jahre wurde die Kleinbild-Prominent der Fünfziger. Sie sollte zum Spitzenmodell und Meilenstein in einem avancieren und eine Konkurrenz zu den arrivierten Meßsucherkameras von Leica und Contax sein. Trotz hochwertiger Ausstattungsdetails wie dem Synchro-Compur-Verschluß und hochlichtstarker Objektive wie dem Nokton 1,5150 min sowie einer ausgezeichneten Verarbeitungsqualität war diesem Engagement nicht der gewünschte Erfolg beschieden. Erst die Prominent II von 1958 bot einen akzeptablen Sucher. Sehr erfolgreich hingegen verkauften sich die Modelle für die breiten Käuferschichten wie Vito B, Vito C, Vito BL oder die Vitomatic-Serie. Ein Aushängeschild für die Kreativität der Voigtländer-Konstrukteure war neben der Prominent die Vitessa. Diese hochwertige Kleinbild-Tubuskamera ließ sich zu kompakter Größe zusammenfalten, indem man das Objektiv versenkte. Das raffiniertere Detail war aber die sogenannte Kombi-Taste, ein langer, an einen Schornstein erinnernder Stift, der beim Öffnen der Objektivklappe heraussprang. Diese Kombitaste ermöglichte einen sehr raschen Filmtransport. Eigene Objektive Voigtländer hatte bei der Kamerafertigung bereits ein weit entwickeltes Baukasten- und Komponentensystem eingeführt. Die Kameras waren oft in mehreren Versionen lieferbar, die sich hinsichtlich Verschlußart und Objektiv-Lichtstärke unterschieden. Häufig kam bei verschiedenen Modellen auch das gleiche Grundgehäuse zum Einsatz. Sogar die Objektive baute man selbst und war sehr stolz darauf - Slogan: "...weil das Objektiv so gut ist." Den Sprung ins SLR-Zeitalter vollzog Voigtländer ab 1959 mit der Bessamatic, die zwar noch mit Außenmessung und Zentralverschluß versehen, ansonsten jedoch modern und ansprechend konzipiert und gestaltet war. Die Ultramatic wurde als SLR-Spitzenmodell 1962 lanciert, ihre letzte Version von 1966 verfügte bereits über eine TTL-Messung. Nach 1960 verließ Voigtländer mehr und mehr das modellpolitische und konzeptionelle Geschick. Die Verkaufszahlen gingen zurück; 1967 wurde zunächst eine Vertriebsunion mit dem ebenfalls angeschlagenen Unternehmen Zeiss-lkon gegründet. 1968 erfolgte der endgültige Zusammenschluß, der für Voigtländer fatale Folgen hatte, denn die Firma durfte im Firrnenverbund nur noch recht einfache Modelle unter dem Namen Zeiss-lkon/Voigtländer herstellen. Neuer, jedoch uberschatzter Hoffhungsträger war die SLR-Kamera Icarex, eine Gemeinschaftskonstruktion. Das "Aus" für die Fusion kam 1971. Rollei sprang 1974 als Retter ein und kaufte die Voigtländer-Namensrechte sowie einige serienreife Konstruktionen aus der Schublade. Voigtländer hatte im Rollei-Verbund bereits Handelsmarkenfunktion. Die hochwertigeren Modelle waren baugleich und hießen Rollei; Voigtländer wurde marketingstrategisch darunter angesiedelt und mußte bei Neuentwicklungen - wie der Rolleiflex SL 35 E, die als Voigtländer VSL 3E Premiere feierte - Vorreiter spielen. Rettung durch Plusfoto So blieb es bis zum Rollei-Konkurs 1981. Voigtländer stand wieder im Regen und kam für einen günstigen Einstandspreis zur Plusfoto-Gruppe von Hugo Scheufele, einem Verbund von über 500 Fotohändlern in ganz Deutschland. Scheufele baute den guten Namen Voigtländer gezielt als Handelsmarke für seine Kette mit Sitz in Frankfurt aus. Objektive, Filme, Pocketkameras und auch Kompakt-Kleinbildkameras trugen nun den traditionsreichen Namen aus der deutschen Kamerageschichte. Zuerst erfolgte ein Deal mit Balda, deren kompakte, Minox-ähnliche Kameras auch Voigtländer hießen, dann - als Balda aufgab - war Ricoh mit der zur Voigtländer mutierten FF- 100 als Partner an der Reihe. Heute gibt es ein Filmsortiment von Konica mit Namen Voigtländer und zwei AF-Kameras als Spitzenmodelle der Sucherkamera-Reihe von Voigtländer. Die Vito C-AF ist Kennern längst als Samsung Slim AF bekannt, und die Vitomatic-105-Zoomkamera stammt von Panasonic. Erfreulich ist, daß die traditionellen Kamerabezeichnungen auf zeitgemäßer, qualitativ hochwertiger Ware weiterleben. Der Begriff "Zoomar", einst geschätzte Bezeichnung für das erste ' Zoomobjektiv der Welt von Voigtländer, findet bei der Vitomatic 105 Erwähnung, ebenso der Name Vitessa bei einer anderen Kompaktkamera. Kenner mögen beklagen, daß es keine echten Voigtländer-Kameras mehr neu zu kaufen gibt, aber sie werden das Weiterleben der Marke begrüßen. Alf Cremers in Color Foto 10/1992 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}