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BERATUNG
Wie zuverlässig ist Ihre Kamera?
COLOR FOTO-Leser beurteilen die Zuverlässigkeit ihrer Spiegelreflexkamera
Stimmt die unter Fotografen weitverbreitete Meinung, Mechanik sei robuster als Elektronik? Sind die modernen Autofokus-Kameras mit Kunststoffgehäuse anfälliger als ihre konventionellen Vorgänger im Ganzmetallkleid? Hat sich die früher übliche Kamera fürs Leben in ein kurzlebiges Wegwerfprodukt verwandelt? Provozierende Fragen, die den Kamerabesitzern auf den Nägeln brennen.
Das Image einer Kameramarke hängt ganz entscheidend von der Qualität und Zuverlässigkeit ihrer Produkte ab. Gerade die Profis übernehmen hier durch ihre Wahl eine Trendsetterfunktion. Ihre häufig getroffene Entscheidung für die Kamera-Topmarken Nikon, Leica, Hasselblad, Contax und Canon beeinflußt den Nimbus eines Kameranamens ganz erheblich, wenn auch bisweilen ein irrationales Prestigedenken mitspielt. Auch die Leser von COLOR FOTO reagieren überaus kritisch und sensibel auf Verarbeitungsmängel und Reparaturanfälligkeit ihrer Kameras, wie uns zahlreiche Zuschriften Tag für Tag aufs neue beweisen. Die Kamera wird in erster Linie als Werkzeug zum Bildermachen gesehen und ein Werkzeug muß problemlos und zuverlässig funktionieren. Auch die große COLOR FOTO-Leserwahl "Wählen Sie die beste Kamera 1988" erwies sich als Spiegelbild dieses ausgeprägten Qualitätsbewußtseins. Die Top-Marken der Profis, allen voran Nikon,
Leica und Hasselblad, lagen auch hier weit vorn. Ein sehr verbreitetes Mißtrauen gegen- über allzu viel Elektronik- und Autofokusspielereien kommt im Urteil der Leser ebenso häufig zum Ausdruck wie eine nostalgische Affinität zur guten alten mechanischen Kamera, ob sie nun Nikon FM 2 oder Leica M6 heißt.
In einer bisher einzigartigen Leseraktion möchte COLOR FOTO der Zuverlässigkeit unserer Spiegelreflex- und Sucherkameras auf den Grund gehen. Das Ergebnis soll endlich klären, ob die weitverbreiteten Vorurteile gegenüber der Funktionssicherheit und Lebensdauer vollelektronischer Kameras berechtigt sind und ob die Qualität von hochwertigen Spiegelreflexkameras wegen der stark angestiegenen Innovationsgeschwindigkeit tatsächlich rück- läufig ist. Die Kameraindustrie bestreitet dies energisch. Allenfalls wird von offizieller Seite her eine größere Robustheit der mechanischen Kameras gegen- über extremen Belastungen wie Stoß, Schlag und Fall sowie hohen Temperaturunterschieden und enormer Luftfeuchtigkeit eingeräumt. Das ergab jeden- falls die von COLOR FOTO im letzten Jahr durchgeführte Serviceanalyse. Doch im Normal- fall heißt es allenthalben, sei die elektronische Kamera präziser in der Einhaltung der Verschlußzeiten und genauer bei der Belichtungsmessung. Außerdem sei die Bildausbeute dank einer Vielzahl von elektronischen Bedienungshilfen und Belichtungsprogrammen besser. Doch die Klagen über die Qualität neu auf den Markt kommender Kameras häufen sich.
Besonders deutlich erklang das Klagelied enttäuschter EOS-Besitzer der ersten Stunde. Zuhauf erreichten die Redaktion Beschwerden über die Verarbeitungsqualität und Belichtungsgenauigkeit der offenbar zu früh und unausgereift auf den Markt gekommenen Kamera, die im COLOR FOTO-Normtest zwar prompt das Prüfsiegel Note 1 erhielt, aber in der Praxis zunächst enttäuschte. Dieser scheinbare Widerspruch klärt sich dann auf, wenn dem Leser vor Augen geführt wird, daß ein noch so aufwendiger Kameratest lediglich eine Momentaufnahme der Qualitäten sein kann, ähnlich einer Stichprobe. Eine Kamera in der Hand des Besitzers wird im fotografischen Alltag viel härter gefordert. Hier offenbaren sich Stärken und Schwächen in Zuverlässigkeit und Verarbeitungsqualität oft gnadenlos. Die Canon EOS-Modelle, deren Qualität nach längerer Reifezeit heute auf dem für Canon üblichen hohen Niveau liegt, sind freilich nicht die einzigen schwarzen Schafe, deren Ruf unter Qualitätsproblemen gelitten hat. Gerade bei der Einführung revolutionärer Neuerungen müssen die Konsumenten der ersten Stunde trotz in der Regel großzügiger Garantieleistungen teures Lehrgeld in Form von verdorbenem Film-material zahlen.
Die Rolleiflex SLX ist ein typisches Beispiel für die rufschädigende Erprobungsphase in der Hand des Kunden. Der 1976 präsentierten Sensation im Mittelformat war erst ab Modelljahr 198(1 zu trauen. Die ersten Modelle - erkennbar an den chromumrandeten Auslösern an der Frontseite - stellen, sofern noch nicht gründlich durchrepariert, auch heute noch ein Risiko für den Gebrauchtkäufer dar. Das gilt nicht für die aus-gereiften und mit völlig neuer Elektronik bestückten Rolleiflex 6006 und 6002.
Nicht viel besser erging es den stolzen Besitzern der ersten Leica R 4, die noch unter dem Namen R 4 mot Electronic 1980 erschien. Hier fiel die Reklamationsquote ebenfalls überdurchschnittlich hoch aus. Auch bei Minox gab es Ausreißer in punkto Qualität. Die erste 35 mit dem Beinamen EL fiel ebenso durch elektronische Unzuverlässigkeit wie auch durch einen herben Schönheitsfehler auf. Im Laufe der Zeit löste sich nämlich der aufgespritzte Lack in häßlichen Blasen vom Makrolongehäuse. Inzwischen weiß man auch, daß die Minox 35 PL einen elektronischen Geburtsfehler aufwies, der letztlich zur Produktionseinstellung dieser Variante führte. Ansonsten erweisen sich die Modelle des Heuchelheimer Herstellers als solide und nicht überdurchschnittlich anfällig. Sogar die Rolleiflex SL 2000 F der ersten Baujahre 1981-1983 waren nicht gerade dazu angetan, den renommierten Ruf des .,Made in Germany" im Kamerabau zu festigen. Eine Zeit lang waren die Kleinanzeigenspalten der Fachzeitschriften voll von SL 2000E-Kameras unzufriedener Besitzer, die das Sorgenkind zu einem Schleuderpreis schnell loswerden wollten. Sie mußten den Preis für das Prestige, eine avantgardistische Kamera besessen zu haben, draufzahlen. Dieser kleine Auszug aus dem Sündenregister der Kamerafirmen könnte den Verdacht nähren, die Japaner hauten die zuverlässigeren und qualitativ hochwertigeren Kameras. In der Tat hat man in Japan offenbar die Beherrschung neuartiger Techniken besser im Griff, zumindest bei den großen Massenherstellern. Die Canon-EOS scheint wohl die Ausnahme zu sein, welche die Regel bestätigt. Obwohl Minolta mit der ersten Autofokus-Spiegelreflexkamera der Welt, die in Serie ging, 1985 absolutes Neuland betrat, gehört die 7000 nicht zu den skandalumwitterten Modellen.
Daß indes auch die Japaner nicht mit blütenweißer Weste dastehen, beweisen neben der EOS immerhin so renommierte Modelle wie die Nikon F 3 und die Mamiya RZ 67, beide bereiteten in der Anfangszeit ihren Besitzern häufig Probleme, doch gottlob nur kurzfristig. Gerade die Nikon F 3 gilt heutzutage als ein Muster an Zuverlässigkeit.
Das hervorragende Abschneiden als Doppelsieger bei der COLOR FOTO-Leserwahl mag Ausdruck dafür sein. Nikon selbst gibt eine sogenannte MTBF-Zeit (Abkürzung für englisch "meantime before failure", das heißt Zahl der Auslösungen bis zum ersten Defekt) von 150000 Belichtungen für die F 3 an. Der gleiche Wert gilt übrigens auch für die neue, wesentlich kompliziertere F 4. Die anderen Nikon Spiegelreflexmodelle FE-2, FA, FM-2 oder F-801 werden einheitlich mit 50000 Auslösungen bewertet, egal ob mechanisch oder elektronisch, konventionell oder automatisch scharfstellend. Die beeindruckende Zahl von 150000 Auslösungen erhält noch mehr Gewicht, wenn man sich dies in Filme umgesetzt einmal vor Augen führt. Legt man pro Film mit den Leerauslösungen am Anfang etwa 40 Auslösungen fest, so kommt man auf 3750 Filme, das entspricht bei einem realistischen Amateur-Filmverbrauch von hoch gegriffenen vier Filmen monatlich einem Zeitraum von 937,5 Monaten, ungefähr 78 Jahren. Dies übersteigt sogar die statistische Lebenserwartung des Menschen und bedeutet, daß eine F 3 oder F 4, theoretisch gesehen, gar nicht kaputtgehen darf. Selbst die preiswerteren Nikons tun es rein statistisch ca. 26 Jahre lang ohne Defekt.
Doch grau ist bekanntlich alle Theorie, wenden wir uns wieder der Praxis zu. Die Konsequenz aus allen bisherigen Betrachtungen kann nur sein, daß für eine einigermaßen objektive Beurteilung der Zuverlässigkeit der Dauertest in der Praxis die einzige verläßliche Methode ist. COLOR FOTO praktiziert diesen erstmalig bei einer preiswerten Mechanikkamera, der Praktica MTL 5, die dank einer großen Objektivpalette von 20 mm bis 200 mm Brennweite sowie Nahaufnahmezubehör die wichtigsten fotografischen Aufgaben meistert. Der Dauertest soll klären, ob auch eine billige Kamera langfristig durchhält. Die sorgfältige Registrierung aller in vier Jahren eingelegten Filme ergab die repräsentative Zahl von 167, das entspricht einem Verbrauch von 3,47 Filmen pro Monat.
Das macht rund 6680 Auslösungen. Die Kamera erfreut sich, bei allerdings schonender Behandlung, bester Gesundheit. Ein wackeliger Blitzschuh und minimale störende Reflexe auf den Bildern, die ebenso geheimnisvoll wieder verschwanden, wie sie gekommen waren, waren die einzigen Beanstandungen im Dauertesttagebuch.
Weil die Redaktion aber unmöglich alle Kameras des Marktes im Dauertest strapazieren kann, möchten wir quasi auf eine vorhandene natürliche Ressource zurückgreifen, nämlich auf die Erfahrungen unserer Leser. Wenn sie eine Spiegelreflex- oder Sucherkamera ab Baujahr 1980 besitzen (Autofokus-Sucherkameras sind ausgeschlossen), so schildern Sie uns doch kurz mit Hilfe der am Heftende beigefügten Teilnahmekarte Ihre Erfahrungen in punkto Zuverlässigkeit unter Angabe der genauen Modellbezeichnung und des Defekts. Wichtig ist, daß der Defekt unverschuldet, also nicht durch Gewalteinwirkung auftrat. Bitte vergessen Sie nicht, uns ebenfalls mitzuteilen, wenn Sie keinerlei Beanstandungen hatten und ihre Kamera bislang immer zuverlässig funktionierte. Näheres im Kasten links. Nur mit Ihrer Hilfe können wir Schwachstellen und Konstruktionsfehler aufdecken und Verarbeitungsmängel entlarven.
Alf Cremers in Color Foto 6/1989
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