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Einführung Elektronische Fotografie Zukunft oder Gegenwart? Photokina 1992: Alle reden über elektronische Fotografie. Viele Hersteller zeigen Still-Video-Kameras oder -Rückwände. Kodak und Philips präsentieren die Photo CD. Was macht dieses Thema so wichtig? Was ist elektronische Fotografie? Wie funktioniert sie? Wann kommt sie, und warum? Bilder machen mehr als 83 Prozent aller Kommunikationsprozesse aus, so eine Studie der Presse- und Kommunikationswirtschaft. Bilder, wohin das Auge fällt' - auf Plakatwänden, auf Litfaßsäulen, als Aufkleber, im Fernsehen, vermehrt in der Zeitung und natürlich in Illustrierten, auf T-Shirts oder als Poster an der Wand. Die elektronische Fotografie ist keine Zukunftsvision, sie ist handfeste Gegenwart. Denn alle genannten Bilder wurden elektronisch aufgezeichnet oder nachträglich in elektronische Signale umkodiert. Jedem erscheint es als selbst-verständlich, daß die Fernsehanstalten ihre Bilder elektronisch aufzeichnen und wiedergegeben. Aber auch jedes gedruckte Bild wird vor dem Druck in ein elektronisches Signal verwandelt - es wird gescannt, bearbeitet und erst danach gedruckt. Nur wenige Bildprozesse kennen solche Zwischenschritte nicht; hierzu gehören Kino, Dia-Schau und Fotoabzüge. Der entscheidende Punkt ist also, daß die meisten Bilder im Fernsehen oder als Druck auftauchen und daß diese Bilder vor ihrer Verbreitung immer in ein elektronisches' Signal verwandelt werden. Während nun aber Fernsehkameras ihre Bilder direkt elektronisch aufzeichnen, liefern Fotokameras konventionelle Bilder. Diese zu entwickeln und für den Druck zu scannen, kostet Zeit und Geld. Beides bliebe gespart, wenn man die Bilder direkt als elektronisches Stehbild aufzeichnen würde - als Still-Video. Warum also überhaupt noch konventionell fotografieren? Was leistet die chemische, was die elektronische Bildaufzeichnung? Chemische Bildaufzeichnung Grundsätzlich bildet ein optisches System (Objektiv) einen dreidimensionalen Raum auf eine zweidimensionale Speicherfläche ab, zum Beispiel eine Kiefer auf einen Diafilm. Die licht-empfindlichen Schichten des Diafilms halten dann ein Latentbild (siehe Lexikon ab Seite 113) der Kiefer fest. Hieraus entsteht nach der Entwicklung das farbige Bild des Baums. Drei Eigenschaften zeichnen den Diafilm als Speicher aus Die Information liegt unkodiert vor. Das Dia zeigt, ob der Fotograf einen Baum oder ein Haus aufgenommen hat. Die Informationsmenge pro Bild ist sehr hoch (hervorragendes Auflösungsvermögen moderner Filme). Das Bild wurde nicht in einzelne Pixel zerlegt. Die gesamte Information ist gleichzeitig zugänglich. Während A die Blätter des Baums zählt, kann B den Stamm studieren. Elektronische Aufzeichnung Das Objektiv projiziert das Bild heute in der Regel auf einen CCD-Chip (siehe Lexikon) oder, in Sonderfällen, auf einen Scanner (Rollei ScanPack); früher befand sich am Platz des CCD-Chip eine Röhre. Während Röhre und Scanner dieses Bild Punkt für Punkt abtasten und dabei in elektronische Signale umwandeln, hält der Chip wie ein Film alle Bildinformationen gleichzeitig fest. Diese liest er dann Punkt für Punkt in einen Speicher aus, um für die nächste Belichtung frei zu sein. Für alle drei Systeme bedeutet dies Die Information liegt kodiert vor - früher als magnetisches Signal, heute auch als optisches Signal (Photo-CD). Dem Videoband sieht niemand an, was abgespeichert wurde. Die Informationsmenge pro Einzelbild ist gering. Eine Ausnahme bildet der Scanner: Bei langen Scanzeiten, also langen Belichtungszeiten (mehrere Minuten), erreicht er die Qualität der Chemiebilder. Elektronische Bilder sind in einzelne Punkte zerlegt. Zu jedem gehört eine bestimmte Helligkeits- und Farbinformation. Alle Informationen sind nur zeitlich nacheinander zugänglich. Während der Diaprojektor das ganze Bild zugleich auf die Wand wirft, steuert der Elektronenstrahl des Fernsehers immer nur einen Bildpunkt an. Daß der Betrachter ein ganzes Bild sieht, verdankt er den Nachleuchteigenschaften der Phosphore und der Augenträgheit. Trotz aller Nachteile bietet das Videobild auch Vorteile Es ist sofort verfügbar ohne zeitaufwendige und teure Zwischenschritte wie Entwicklung und Scan. Das Bild liegt als elektronisches Signal vor, also in genau der Form, die der Bearbeiter benötigt, um das Bild zu bearbeiten und wiederzugeben. Der Fotograf oder die Bilddatenbank können ihre Bilder direkt über beliebige Entfernungen in kürzester Zeit als elektromagnetisches Signal "verschicken". Die erzielbare Aktualität des gedruckten Fotos steigt. Elektronische Stehbildaufzeichnung Die Vorteile des Videobilds als Ausgangsbild für den Druck sind also gravierend - es ist schnell und billig. Bis jetzt blieb ein Problem allerdings noch ungelöst: Die Qualität eines Videobilds reicht für den Druck nicht aus. Fernsehbilder sind nur deswegen akzeptabel, weil fünfzig Halbbilder pro Sekunde am Auge vorbeiflimmern und ihm gar keine Zeit bleibt, das einzelne Bild genau zu betrachten. Eben diese Zeit hat das Auge aber beim gedruckten Bild - und verlangt deshalb nach einer höheren Auflösung. Der Amateur Wer als Hobbyfotograf morgens seine Zeitung aufschlägt, der wird kaum feststellen können, ob die Redaktion elektronische oder konventionelle Bilder verwendet hat. Manipulierbar sind beide, und manipuliert werden beide. Dennoch sollte es dem Amateur nicht gleichgültig sein, was die Profis machen, denn deren Technik trifft, zeitlich verzögert, auch ihn. Zwei getrennte Märkte - hier die elektronisch arbeitenden Profis, dort die "Chemie-Amateure" - wird es auf Dauer nicht geben. Die Industrie braucht den Amateur-Markt, um die Entwicklungskosten zu decken. Bis er erobert ist, dürften allerdings noch einige Jahre ins Land gehen. Still-Video-Kameras Soviel zur Zukunft. Doch Still-Video-Kameras sind bereits Gegenwart. Drei Varianten stehen zur Wahl: spezielle Rückteile für bereits vorhandene Kameras (wie Kodak DCS für Nikon F3 oder Rollei ScanPack); neu entwickelte Kameras (Canon ION 560 oder Kodak Megaplus XRC); Umrüstungen von Videokameras zu Still-Videokameras (Sony SEPS-1000). Wenngleich es mit der Qualität noch hapert - schnell sind die Still-Video-Kameras bereits jetzt, und dies erkämpft ihnen Vorteile, zum Beispiel bei Reportagen: Ohne auf eine Filmentwicklung vor Ort angewiesen zu sein, sendet der Still-Video-Fotograf sein Bildmaterial via Akustikkoppler (siehe Lexikon) und Telefonleitung brandaktuell in die Redaktion. Bis der "konventionelle" Kollege seine Bilder aus der Entwicklung zurück bekommt und nach Hause verschickt hat, sind längst wieder neue Bilder gefragt. Ein anderer Anwendungsbereich sind billig gedruckte Zeitungsbeilagen. Hier entscheidet ebenfalls nicht die Qualität, sondern der Preis - möglicherweise zugunsten des Still-Videos. Nun will aber mancher Fotograf keine elektronische Kamera und braucht dennoch ein elektronisches Bild. Alternativen gibt es durchaus. So bieten Tamron und Sony Überspielgeräte an, die das eingelegte Dia oder Negativ optisch abtasten und in ein S-Video-Signal verarbeiten. Für weniger als 2000 Mark gelangen die Urlaubsbilder so auf den Videofilm, auf den Fernsehbildschirm, oder sie stehen mittels zusätzlichem Digitizer (siehe Lexikon) dem Computer zwecks Bildbearbeitung zur Verfügung. Ein Feature, das auch das Canon-ION-Still-Video-System bietet (Canon Filmadapter FA-057). Einen ganz anderen Weg geht Polaroid mit einem preiswerten Scanner für kleine Aufsichtsvorlagen. Statt mit einer elektronischen Rückwand zu arbeiten, steckt der Fotograf sein Polaroid in den Scanner und gewinnt auf diesem Weg sein elektronisches Bild. Natürlich bieten auch andere Firmen preis-günstige Scanner an, zum Beispiel Agfa den Arcus Scanner. Gemeinsam ist all diesen Systemen, daß der Fotograf zu-nächst auf konventionelles Film-Material belichtet und erst in einem zweiten Schritt ein elektronisches Signal hiervon erzeugt. Die wichtigste Neuheit aber kommt von Kodak: die Photo CD. Die Photo CD ist ein optischer Speicher (siehe Lexikon) für digitalisierte Bilder (siehe ebenfalls Lexikon), ähnlich der Audio CD. Auch die Audio CD speichert digitalisierte Signale - nur eben Musik - optisch ab. Kodak Photo CD Die Photo CD ist kein Schritt zur elektronischen Fotografie. Als digitaler Massenspeicher für chemisch oder elektronisch fotografierte Bilder ermöglicht sie die preisgünstige Integration hochaufgelöster Bilder in die Computerwelt, zum Beispiel für Desktop Publishing (siehe Lexikon). Entscheidend hierbei ist, daß die Photo CD die hohen Datenmengen, also die Qualität, des Chemiebilds, für den Rechner handhabbar macht. Die Eigenschaften der Photo CD: eine dem Chemiebild entsprechende hohe Qualität, kein langsamer Bild-Verlust wie beim Film-Negativ (Ausbleichen der Farbstoffe), schnelle Zugriffszeiten, kurze Bearbeitungszeiten durch eine geeignete Formatierung und Datenkompression, außerdem einfache Handhabung, weltweite Standardisierung und günstiger Preis. Aus dieser Liste geht bereits hervor, für wen Kodak die Photo CD vornehmlich entwickelt hat: für den Profi. Aber auch der Amateur soll, so hofft Kodak, an dem neuen Medium Gefallen finden und seine besten Bilder auf die Photo CD überspielen lassen. Anstatt mühsam Leinwand und Projektor aufzubauen, präsentiert dieser Amateur der Zukunft seine Dias - oder auch Negativ-Bilder - als Fernsehbilder. Zu den Überspielkosten (zirka 1,40 Mark pro Bild) kommt als einzige weitere Investition ein Photo CD Player. Der kann dann sowohl Photo CDs als auch Audio CDs abspielen und führt die Photo-CD-Bilder als Video-Signal dem Fernseher zu. Werner Lüttgens in Color Foto 12/1992 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}