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PHOTOGRAPHICA AKTUELL Alte Kameras für Kenner Mehr als Holz und Blech Das Paradies auf Erden gibt es nicht mehr - wohl aber die sammelfreudige Spezies, für die ein Stück aus Holz oder Blech, sprich: eine alte Kamera das Paradies bedeutet. Axel Jägers stellt eine kleine Auswahl illustrer Schönheiten vor. E s gibt die ganz unterschiedliche Gründe, warum eine Kamera "sammelnswert" erscheint. Betrachten wir Abbildung 1: Sie zeigt eine Holzkamera aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Ein Elfenbeinplättchen gibt hier Auskunft: Es handelt sich um eine Ashford 179 Aston Road Birmingham, eine englische Reisekamera also. Die Briten bauten wohl in dieser Zeit die schönsten und besten Kameras. Die Bauart dieser Kamera und Merkmale wie die abgeschrägten Kanten des roten Lederbalgens erlauben die zeitliche Zuordnung: um 1900. Das ist nun nicht weiter aufregend. Was also macht dieses Stück für den Sammler begehrenswert? Es ist in diesem Fall das Objektiv, das ursprünglich nicht zu dieser Kamera gehörte. Das Objektiv ist ein Petzval-Typ und war damals schon museumsreif; es dürfte aus der Zeit zwischen 1850 und 1860 stammen. Der Besitzer könnte es aus fototechnischen Gründen von (s)einer Vorgängerkamera übernommen haben. Dieses Objektiv ist allemal eine Besonderheit mit seiner unverwechselbaren Erscheinung, häufig mit ehrwürdiger Patina dekoriert, mit seiner altmodischen Rändelrad-Konstruktion, der Steckblende und seiner fotohistorischen Bedeutung. Das Petzwal-Objektiv wurde benannt nach seinem Erfinder, dem Wiener Mathematiker Petzwal. Dieser berechnete mit Hilfe einiger Artilleristen, die in solchen Rechnungen geübt waren, die Lichtstärke und die Abbildungseigenschaften seines Objektivs. Das Ergebnis wurde damals als Sensation empfunden, da Petzwal die Aufnahmezeit für ein Foto um mehr als zwei Drittel verringern konnte - statt gut 15 Minuten mußte man "nur" noch 5 Minuten belichten. Derjenige, der die späterhin überaus erfolgreiche Vermarktung der Erfindung übernahm, war Friedrich Voigtländer. Dieser nutzte aus, was der zerstreute Mathematiker übersehen hatte, nämlich sich die Eigentums-rechte an seinem genialen Wurf zu sichern. Voigtländer stieg dank der bald erworbenen Monopolstellung zum Großunternehmer auf, der Erfinder Petzwal geriet in Vergessenheit - ein leider klassisches Erfinderschicksal. Der Name einer anderen Kamera, die ich Ihnen hier vorstelle, ist auch heute noch bekannt - gemeint ist die Kine-Exakta 24x36 Ihagee. Sie gilt als die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera der Welt und setzte in der technischen Ausstattung wie auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild Maßstäbe, die bis heute Geltung besitzen: Schlitzverschluß bis t/t000 Sekunde, Reflexsucher, System. Einige Monate zuvor war die russische Kamera Sport entwickelt und präsentiert worden, die aber ein anderes Konstruktionsprinzip besaß, das sich nicht durchsetzte. Als Sensation wurde das Erscheinen der Kine-Exakta im Jahre 1936 seltsamerweise nicht empfunden. Das lag vermutlich daran, daß alle Welt, fixiert auf die "modernen" 'Sucherkameras, fasziniert das Konkurrenzspiel von Leica (Leitz) und Contax (Zeiss) verfolgte. Für den Sammler ist die erste Kine-Exakta jedoch ein Leckerbissen. Die Sucherlupe war in ihrer runden Form zu klein und wurde bereits kurz nach Produktionsanlauf durch eine größere, rechteckige ersetzt. So sind diese Kameras doppelt begehrt - sie sind historisch bedeutsam und zugleich selten, ein Umstand, der ihren Preis in astronomische Höhen trieb. Der Beginn der dritten Dimension Schon dreißig Jahre nach der Erfindung der Fotografie setzte sich eine ingeniöse technische Neuerung durch: die Stereofotografie. Abbildung 4 zeigt ein Ur-Stereomodell, eine britische Mahagoni-Kamera namens Dallmeyer aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das Objektiv wurde für die nötigen Doppelaufnahmen erst nach links, dann nach rechts verschoben. Die Stereofotografie wurde derart populär, daß sich eine neue Kameraindustrie entfaltete, die spezielle Stereokameras anfertigte. Zudem brachten die übrigen Hersteller neben der Mono-gleich die Stereoversion oder zumindest die Ausstattung zur Umrüstung auf den Markt. Auf Abbildung 3 ist eine französische Stereokamera zu sehen, die Spido-Gaumont. Sie war ein technisches Meisterwerk und wurde deshalb auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 mit dem "Grand Prix" ausgezeichnet, was Gaumont auf der Kamera rot ein-gravierte. Die Kamera besitzt noch eine zusätzliche Spezialität: Mit einem Handgriff konnte man das tropensichere Stück in eine Panorama-Kamera verwandeln, die wunderbare "Breitwandfotos" lieferte. Die fertigen Stereoaufnahmen betrachtete man mit Hand- oder Tischgeräten. Die Stereofotografie verschwand nahezu gänzlich in den zwanziger Jahren, als handlichere Apparate und Filmtypen produziert wurden. Alle Versuche, dieses schöne Medium wiederzubeleben, scheiterten - bis heute. Die Preis-Frage Last, but not least einige Anmerkungen über den Wert beziehungsweise den Preis alter Kameras. Der nicht sammelnde Besitzer bewertet den kostbaren Familienschatz aus Uropas Zeiten in der Regel viel zu hoch. Die gewöhnliche Plattenkamera aus den ersten dreißig Jahren unseres Jahrhunderts erzielt auf dem Sammlermarkt nicht mehr als 100 bis 150 Mark bei gutem Erhaltungszustand. Natürlich spielen daneben auch das Fabrikat, die Ausstattung, die Optik und eventuell das Zubehör eine wichtige Rolle. Abweichungen vom Standard - und die sind selten genug - wirken preistreibend. Kleinformate, kombiniert mit farblichen Sonderausstattungen (braun, grün), g 1900 erzielen das Mehrfache des oben genannten Grundpreises. Rollfilmkameras liegen im Preis grundsätzlich deutlich unter den Plattenkameras. Noch ein Wort zur Kamera-Antiquität als Kapitalanlage. Lohnt es sich, lohnt es sich nicht...? Klare Antwort: Kurzfristig hat es keinen Zweck, sich Kameras wie Wertpapiere in den Safe zu stecken. Die großen Zeiten dieses Anlageprojekts sind vorerst vorbei. Wer in den fünfziger und sechziger Jahren solche Veteranen kaufte und sie gegen Ende der siebziger Jahre verkaufte, der konnte erhebliche Gewinne einstreichen. Inzwischen sind die Preise relativ stabil. Es darf jedoch in manchen Fällen langfristig eine Wertsteigerung erwartet werden. Für den echten Sammler spielen solche Spekulationen aber ohnehin nur eine Nebenrolle. Axel Jägers in Color Foto 4/1993 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}