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PHOTOGRAPHICA AKTUELL Aktuelles Sammelthema: Kompaktkameras von einst Die guten alten Boxen Im Jahr 1888 brachte George Eastman die Kodak-Boxkamera auf den Markt, andere Hersteller folgten seinem Beispiel. Die "Box", zu deutsch Kasten, machte die Fotografie populär. Grund genug, diese frühen "Kompakten" zu würdigen. Die unwiederbringlichen Bilder in meinem Fotoalbum wurden nicht mit Nobelkameras gemacht. Kein berühmter Name schmückte das fotografische Gerät, es vermittelte nicht einmal das Gefühl soliden Werkzeugs. Eine unscheinbare Daci-Box (Aufnahmeformat 6x6 Zentimeter auf 120er Film) diente meinen Eltern in den ersten Nachkriegsjahren zum Dokumentieren von Familienereignissen und Elternfreuden - eine schlichte Kamera aus Blech, schrumpf-lackiert und, trotz Billigkonstruktion, mit Nieten und Blech-laschen versehen und liebevoll verarbeitet. Über das Allernotwendigste hinaus hat sie eine M/Z-Einstellung, Drahtauslöseranschluß und Stativgewinde. Der Verschluß besteht aus einem drehbaren Segment mit einem Loch, das sich am "Objektiv", einer einzelnen Linse, vorbeibewegt. Ein zweites Segment deckt die Linse beim Rücklauf des ersten ab. Der Brillant-Sucher, eine spiegelreflexähnliche Konstruktion mit einer oberen quadratischen Linse, erfordert Geschick; das seitenverkehrte Bild dunkelt bei schrägem Einblick ab. Nicht jeder kam damit zurecht, wie einige der Fotos verraten. Dennoch wählte man diese Sucherform, weil sie kompakt war und weil die kastenförmige Kamera sich am besten in Bauch- oder Brusthöhe halten ließ. Und die Qualität der Aufnahmen? Durchaus akzeptabel! Entscheidendes Kriterium ist die ruhige Hand des Fotografen, da die Belichtungszeit bei Momentaufnahmen wegen der kleinen Blende (etwa 12) recht lang bemessen ist. Bis auf das Design mit den gerundeten Ecken und Kanten ist diese Box typisch für eine Reihe von Kameras, die bis in die fünfziger Jahre reicht. Die Geschichte dieser Einfachst-Kameras begann 1888 mit der Kodak-Box. George Eastmans Fotoapparat machte runde Aufnahmen von 65 Millimetern Durchmesser. Der im Werk ein-gelegte Papierfilm faßte 100 (!) Aufnahmen und wurde nach der Belichtung komplett mit der Kamera ans Werk geschickt und mit den Abzügen und einem neuen Film zum Kunden zu-rückgesandt. Die Technik der Kamera war simpel - sie hatte nicht einmal einen Sucher. Das Interessante war zweifellos der Service, der die Fotografie weithin populär machte. Später war es vor allem der Preis, der für die Verbreitung der Boxkameras sorgte. Sie sollten billig sein, und die Kastenform ermöglichte eine kostengünstige Produktion. Eine bezogene Pappschachtel - später eine gepreßte Blechdose - ergab das Gehäuse, eine Meniskus-Linse diente als Objektiv, zwei oder drei gestanzte Blechteile bildeten den Verschluß. Von einigen dieser Boxkameras gab es auch noch eine Luxusausführung mit zweilinsigem Achromat, doch war das Grundmodell meist am weitesten ver- breitet. Berühmte Hersteller waren vertreten, wie Zeiss Ikon mit mehreren Variationen der Box- Tengor, Ernemann, Voigtländer, Agfa und andere, aber auch heute fast vergessene Namen tauchen auf, zum Beispiel Vrede-Box oder Geva-Box. "Der Kamerad" gehört zu den einfachsten Vertretern der Gattung, hergestellt zirka 1910. Es handelt sich um eine mit Wachspapier bezogene Pappschachtel, die sich in der Mitte auseinanderziehen läßt. Man fragt sich, wo das Objektiv ist, doch hinter der winzigen Öffnung befindet sich tatsächlich eine Linse. Die Belichtung wurde mit dem Objektivdeckel (ebenfalls aus Pappe) geregelt; bei der geringen Lichtstärke (zirka 1:64!) waren ohnehin nur Langzeitaufnahmen möglich. Rätselhaft erscheint zu-nächst auch, wie denn überhaupt der Film eingelegt wurde, da es keinerlei Halterungen gibt. Ganz einfach: Die Platte wurde in den hinteren Teil der Schachtel gelegt und beim Zusammenschieben durch den Rand des Vorderteils festgeklemmt. Für das nächste Bild mußte der Fotograf zwischendurch in der Dunkelkammer verschwinden oder einen Wechselsack benutzen. Ich habe es ausprobiert - es funktioniert! Die Kodak Hawk-Eye (6x9 Zentimeter auf 120er Film, zirka 1930 bis 1935) besteht ebenfalls aus Pappe. Aber ihr Inneres weist Metallteile auf. Ähnlich, aber exakter gebaut ist die Agfa-Box aus derselben Zeit, die als 4-Mark-Box in die Geschichte einging und die in blauer Ausführung häufig als Schüler-Prämie verteilt wurde. Der Blick von vorn läßt die Linse vermissen - doch sie ist vorhanden, gut geschützt hinter dem Verschluß. Dieser besitzt bei beiden Kameras eine Kuriosität: Der Auslöser, eine Blechlasche, muß für die Aufnahme abwechselnd mal nach unten, mal nach oben bewegt werden. Dadurch wurde eine Abdeckung der Linse für den Verschlußscheiben-Rücklauf gespart. Diese Verschlüsse bestehen lediglich aus dem Auslösehebel, einer gelochten Blechscheibe und einer Feder. Da das Bildformat rechteckig ist, brauchen die Kameras zwei Sucher, die mit winzigen Mattscheiben und Blechspiegeln versehen sind. Eine der bekanntesten Boxkameras der Nachkriegszeit kam wiederum von Agfa. Zwar stellte Agfa schon in den dreißiger Jahren eine Bakelit-Kamera her, die oben abgebildete ist jedoch aus Blech. Sie hat sogar zwei Blenden und ein eingebautes Gelbfilter, einzuschalten durch das Ziehen einer Blechlasche. Es steht noch der Preis darin: 9,90 Mark kostete sie einst. In den fünfziger Jahren wurden Pappe und Blech bereits zu-nehmend vom Kunststoff verdrängt. Der ließ sich in fast jede Form gießen und machte die Kastenform der Box überflüssig, wie Agfa Clack und Agfa Click deutlich zeigen. Erstere hat zwar noch einen Blechmantel um das Gehäuse, letztere aber hat bereits einen reinen Kunststoff-Korpus. Die Zeiten der Box-Kameras waren damit vorbei. Sind die Fotos seitdem besser geworden? Wenn ich die alten Familienfotos betrachte, meine ich, es gibt keinen Grund, auf die alten Boxen herabzusehen. Volker Horstmann in Color Foto 11/1993 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}