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Objektive
TEST
Das Ende der Zitterpartie
Das ist zweifelsohne eine Sensation: Gestochen scharfe Freihandaufnahmen mit Brennweite 600 mm - und es funktioniert dank ausgereifter Bildstabilisator-Technologie auch bei längeren Verschlußzeiten einwandfrei.
Die neuen Bildstabilisatoren bieten High-Tech pur. Die kleine Ausführung ist für das 300er und das 500er, die große für das 400er und das 600er konzipiert und perfekt darauf abgestimmt.
Die vier neuen lichtstarken IS-Teles von Canon sind nun lieferbar (IS = Image Stabilisation): EF 2,8/300 mm L IS USM, EF 2,8/400 mm L IS USM, EF 4/500 mm 1. IS USM und EF 4/600 mm L IS USM. Nachdem wir mit dem 300er und dem 500er bereits erste Erfahrungen gesammelt hatten, ging es nun darum, alle vier Superteles zusammen zu prüfen. Auffallend ist zunächst der nahezu identische optische Aufbau aller vier Teles, der auf einer völlig neuen Objektivrechnung basiert. Der Einbau der IS-Einheit hat die Anzahl der Linsen gegenüber den Ausführungen ohne Bildstabilisator erhöht. Die vier IS-Teles bestehen aus jeweils 17 Linsen in 13 Gliedern, wobei die Linsen 11 bis 13 senkrecht zur optischen Achse für die Bildstabilisierung verschoben werden. Die zusätzlichen Linsen sind aber keineswegs Ballast, denn die Entwicklungsingenieure von Canon haben aus der Not eine Tugend gemacht und sie für eine bessere Korrektion der Objektive eingesetzt. Ferner wurden in den Gliedern zwei und drei UD-Gläser sowie eine Calciumfluoridlinse im fünften Glied eingesetzt. Diese extrem teuren optischen Spezialgläser weisen besondere Brecheigenschaften auf, die es ermöglicht haben, das vor allem im Telebereich verstärkt auftretende sekundäre Spektrum weitgehend zu reduzieren. Das sekundäre Spektrum ist ein nicht korrigierter Farbrestfehler, der sich durch einen Farbsaum im Bild bemerkbar macht, den wir als Unschärfe visuell wahrnehmen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die Schärfe- und Brillanzwiedergabe bei allen vier IS-Teles ein hervorragendes Niveau erreicht. Auch die Vignettierung und Verzeichnung können in der Praxis vernachlässigt werden. Ferner war es durch den neuen optischen Aufbau möglich, den Schwerpunkt der Objektive nach hinten zu verlagern, so daß die Einheit Kamera/ Objektiv ausbalanciert ist und besser in der Hand liegt.
Als eine weitere wichtige Verbesserung ist auch die verkürzte Naheinstellgrenze zu betrachten, so daß größere Abbildungsmaßstäbe realisierbar sind. Gegenüber den Vorgängermodellen ohne Bildstabilisator hat sich die kürzeste Entfernungseinstellung um 1 m beim 400er und um je 0,5 m bei den anderen Teles verringert. Sie beträgt nun 2,5 m beim 300er, 3 m beim 400er, 4,5 m beim 500er und 5,5 m beim 600er. Dadurch können beispielsweise auch kleinere Tiere oder sogar Vögel bei Einhaltung der Fluchtdistanz formatfüllend aufgenommen werden. Die vier neuen Teles können freilich auch mit den Tele-Extendern Canon EF 1,4x und EF 2x eingesetzt werden, wodurch der maximale Abbildungsmaßstab vergrößert wird. Denn die Verlängerung der Brennweite bei gleich bleibender kürzester Entfernungseinstellung bewirkt eine Vergrößerung des maximalen Abbildungsmaßstabes mit dem Faktor der Brennweitenverlängerung. Mit einem Zweifach-Extender können Sie beispielsweise einen doppelt so großen Abbildungsmaßstab erreichen. Anders als bei so manchen anderen Herstellern können die Objektiv-Extender-Kombinationen auch bei Autofokus-Betrieb eingesetzt werden, wobei die Einsatzmöglichkeiten von der Kamera mitbestimmt werden (Empfindlichkeit des AF-Sensors). Am besten harmonieren sämtliche Extender-Kombinationen mit der Canon EOS 3. Damit ist auch mit der Kombination 4/600 mm + Extender 2x - also mit einem Objektiv 8/ 1200 mm - mit dem zentralem AF-Kreuzsensor AF-Betrieb möglich. Dann funktioniert auch der Bildstabilisator, aber angesichts der extremen Brennweite von 1200 mm sollten kurze Verschlußzeiten (1/500 s, noch besser 1/i000 s) eingestellt werden. Bei längeren Verschlußzeiten ist bei 1200 mm ein Einbeinstativ zu empfehlen.
Schnell und leise. In der Vergangenheit war die Arbeit mit langen Brenn-weiten oft von Frust begleitet, denn die exzellente Abbildungsqualität der Objektive wurde allzu oft durch Verwacklung zunichte gemacht. Ganz anders dagegen die Arbeit mit den vier neuen IS-Objektiven. Noch nie zuvor haben wir so einfach gute Bildergebnisse mit extremen Teleobjektiven erzielt, und zwar sowohl freihändig als auch vom Einbeinstativ aus. Alle vier IS-Objektive liegen bei ausgeprägtem Bizeps sehr gut in der Hand. An das Gewicht von 2,5 bis 5,3 Kilo (je nach Objektiv) gewöhnt man sich, und wenn man die Objektive nach einigen Minuten kurz abstellt, treten auch keine Ermüdungserscheinungen auf. Autofokusmotor und Bildstabilisator verrichten ihre Arbeit extrem schnell und leise - so leise, daß man mit dem Ohr ans Objektiv gehen muß, um die Geräusche im Freien wahrzunehmen. Das ist auch für Tierfotografen gut, denn die etwas lauteren Geräusche (Spiegelschlag, Filmtransport) setzen erst nach der Aufnahme ein. Um die volle Leistungsfähigkeit dieser Superteles auszuschöpfen, empfiehlt sich der Einsatz mit einer Canon EOS 3 mit Booster E2. Der Bildstabilisator wirkt freilich nur auf die Kamerabewegung. Daher sollten die Verschlußzeiten der Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit des Aufnahmeobjekts angepaßt sein, um die Bewegungsabläufe "einzufrieren", also scharf wiedergeben. Anders sieht es aus, wenn Mitzieheffekte gewünscht werden. Denn neben der IS-Betriebsart 1, die das Zittern sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung unterdrückt bzw. ausgleicht, sind alle vier Objektive auch mit einer zweiten IS-Betriebsart ausgestattet, die für die Verfolgung bewegter Objekte und für Mitzieheffekte ausgelegt ist. In dieser Betriebsart wird der Stabilisierungseffekt in der waagerechten Schwenkrichtung aufgehoben und nur für die senkrechte Bewegung (Verwacklung) aktiviert.
Bei den neuen Superteles setzt Canon zwei weiterentwickelte Bildstabilisatoren ein, eine kleinere Ausführung für das 300er und das 500er sowie eine größere für das 400er und 600er. Verbessert wurde auch die Software, so daß, anders als bei den früheren IS-Objektiven, der Bildstabilisator bei Stativaufnahmen nicht ausgeschaltet werden muß. Die neuen Bildstabilisatoren können nämlich bei angetipptem Auslöser nach etwa 1 Sekunde automatisch "erkennen", ob gerade vom Stativ aus oder freihändig fotografiert wird. Bei längeren Verschlußzeiten werden sogar Restschwingungen bei Aufnahmen von weniger stabilen Stativen neutralisiert. Beim Einsatz eines Einbeinstativs erfolgt die Bildstabilisierung ähnlich wie bei Freihandaufnahmen.
Weitere Ausstattung. Alle vier IS-Teles sind auch mechanisch ausgereifte, robuste Konstruktionen, die Profiansprüche erfüllen. Dennoch wurde das Gewicht verringert, weil die Tuben aus einer Magnesiumlegierung gefertigt sind. Die Objektive sind durch spezielle Abdichtungen gegen Staub und Spritzwasser rundum geschützt, so daß sie bei jedem Wetter ohne Funktionsstörung eingesetzt werden können. Sogar das Metallbajonett ist mit einem Gummiring abgedichtet. Auch die Filterschublade ist mit einer Gummidichtung versehen. Sie nimmt Steckfilter mit 52 mm Durchmesser auf. Das Polarisationsfilter PL-052 wird in einer speziellen Filterschublade mit einem kleinen Rad geliefert, die das Drehen des Polfilters von außen erlaubt. Die Gegenlichtblenden sind aus Carbonfasern gefertigt und, zum Schutz gegen Reflexionen, innen schwarz aufgeraut (elektrostatisch beflockt). Sowohl die Gegenlichtblenden als auch die Frontfassung der Objektive sind hart gummiarmiert, so daß man die Objektive problemlos auf den Boden abstellen kann, ohne die Frontlinse zu beschädigen. Jedes Objektiv ist außerdem vor der eigentlichen Frontlinse mit einem optischen Schutzglas versehen, das zwar nur eine mechanische Schutzfunktion hat, aber als Luft-Glas-Luft-Fläche Bestandteil der optischen Rechnung ist und somit die Abbildungsleistung nicht beeinträchtigt. Um Reflexionen zu verhindern, die an einer planparallel geschliffenen Glasfläche leicht entstehen können, ist die Schutzlinse als Meniskus geschliffen.
Eine weitere Neuentwicklung ist auch die AF-Stop-Funktion, die es ermöglicht, den AF-Vorgang jederzeit per Tastendruck zu stoppen. Die vier Tasten sind am vorderen Gummiring alle 90xGRADx positioniert und dadurch sowohl in Quer- als auch Hochformathaltung gut zu erreichen. Die AF-Stop-Funktion ist bei der Verfolgung bewegter Objekte wichtig, wenn beispielsweise vorgelagerte Strukturen oder Gegenstände die Schärfeverfolgung behindern. Beim Loslassen der AF-Stop-Taste setzt der Autofokus wieder wie gewohnt ein. Ebenfalls für Profiansprüche konzipiert ist die Vorfokussierung auf eine bestimmte Entfernung (Sportfotografen stellen beispielsweise auf den Torraum scharf). Die gewünschte Entfernung wird mit der Set-Taste eingegeben und durch leichtes Drehen des entsprechenden Metallrings abgerufen (bei eingeschaltetem Focus-Preset-Schalter). Die Objektive lassen sich mit einem griffigen Einstellring auch manuell fokussieren, und zwar auch bei AF-Betrieb. Die Begrenzung des Fokussierbereichs mit einem Schalter mit drei Entfernungsbereichen ist ebenfalls möglich. Sämtliche Funktionstasten auf einem einzigen Bedienfeld angebracht, was einen schnellen Zugriff auf alle Funktionen erlaubt.
FAZIT
Die vier Canon-Superteles mit Bildstabilisator sind ausgereifte, zu Ende gedachte High-Tech-Produkte, die durch Robustheit und Funktionalität bis ins Detail voll und ganz überzeugen. Sie verkörpern derzeit den Stand des technisch Machbaren bei Autofokus-Objektiven. Alle vier IS-Objektive erhalten somit die höchste COLOR FOTO-Auszeichnung, das Prüfsiegel hervorragend *****.
Artur Landt in Color Foto 1/2000
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