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FOTO-KLASSIK ROLLEI
75 Jahre Rolleiflex
Doppeläugig
Vor 75 Jahren erfand ein Braunschweiger Konstrukteur die zweiäugige 6 x 6-Spigeleflex-Kamera. Die einzigartige Konstruktion zog viele Fotografen in ihren Bann und wurde so oft kopiert wie kaum eine andere Kamera.
Die Geschichte der „Zweiäugigen" beginnt vor der Geschichte von Rollei. 1920 gründeten der Kaufmann Paul Franke und der Konstrukteur Reinhold Heidecke die gleichnamigen Kamerawerke. Ihre Maxime: Kameras sollen einfach zu bedienen sein und ausgezeichnet funktionieren. 1921 entstanden die ersten 148 Plattenkameras namens Heidoskop mit zwei nebeneinander angeordneten Objektiven für die damals sehr beliebten Stereo-Aufnahmen. Daraus wurde 1926 eine Rollfilm-Stereo-Kamera, Rolleidoskop genannt. Damit war aus „ROLLfilm-hEldecke" der Name ROLLEI geboren.
1929 verzeichnete dann mit der zweiäugigen Rolleiflex - für SpiegelreFLEX - die Kameratechnik und damit die Fotografie einen ihrer größten Fortschritte. Heidecke ließ das mittlere, dritte Objektiv weg, drehte die Kamera ins Hochformat und gab ihr zwei getrennte optische Strahlengänge. Das Licht des oberen Objektivs fiel, um 45 Grad umgelenkt, durch einen feststehenden Spiegel auf die Suchermattscheibe, das des unteren Objektivs direkt auf den Film (Schnittzeichnung nächste Seite). Die klassische Rolleiflex war geboren und trat einen Siegeszug an, wie er nur wenigen Kameras gelang. Die Vorteile der neuen Rollei bewarben Franke und Heidecke so: „Ständige Kontrolle des Bildes auf der Mattscheibe - Auslösung sofort nach erfolgter Scharf-Einstellung. Die Kamera für Momentaufnahmen bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit." Der Spiegelreflex-Sucher machte die Motivauswahl und Scharfstellung einfacher. Durch den aufgeklappten Lichtschacht sah man das Motiv in der Originalgröße des Negativs auf der Mattscheibe, zwar seitenverkehrt, aber aufrecht. Und dank Rollfilm ließen sich viele Bilder in schneller Folge machen - eine Revolution gegenüber den vorherrschenden Planfilm- und Plattenkameras.
Nicht unerheblich angesichts der Qualität des damaligen Filmmaterials war auch der Formatvorteil gegenüber der ebenfalls gerade die Bühne der Fotowelt betretenden Leica. Er besteht bis heute. Die Gleichung ist einfach: Je größer das Format, desto besser die Qualität. 24 x 36-mm-Kleinbildfilme können so gut werden, wie sie wollen. 6x6 bleibt ihnen immer um mehr als den Faktor 3,5 voraus.
Auch wenn man das quadratische Format an sich aus gestalterischen Gründen nicht so hoch hängen sollte, wie das später vor allem in den 50er Jahren geschah, so bleibt doch die Tatsache, dass jedes quadratische Format den Bildkreis eines Objektives mit der größtmöglichen Fläche ausnutzt.
Kein Wunder also, dass sich die Rolleiflex im Bereich des damals aufblühenden Bildjournalismus und auch der Mode-Fotografie durch ihren ungewohnt schnellen Arbeitsstil bei hoher Bildqualität einen Platz eroberte, den sie bis in die 60er Jahre behaupten konnte.
Die Kamera neuen Typs
Schon die erste „Original"-Rolleiflex begründete eine Tradition, die bis zu den Rolleiflex-F-Modellen beibehalten wurde. Es gab zwei Versionen unterschiedlicher Lichtstärke des Aufnahme-Objektivs. Mit Tessar 3,8/ 7,5 cm kostete sie 225 Reichsmark, mit Tessar 4,5 war sie für 198 RM zu haben. Das Sucherobjektiv, an das optisch nicht so hohe Ansprüche gestellt werden, wies bei beiden f/3,1 auf. Bei den Originalmodellen der ersten Serie wird die Rückwand noch komplett abgenommen. Der Filmtransport erfolgte mit einem Knopf, die berühmte Kurbel wurde erst mit der „Standard" von 1932 erfunden. Als Kompakt-Rolleiflex war 1931 noch die „Baby"-Rolleiflex für 4 x 4-Rollfilm entwickelt worden. Zur Popularisierung der Rolleiflex sollte 1933 ein preisgünstigeres Schwestermodell beitragen. Wie Rollei-Kenner Claus Prochnow in seinem „Rollei-Report 1" über die Zeit von 1920 bis 1945 zu berichten weiß, erwog man - dem herrschenden Zeitgeist entsprechend -die neue Volksreflex mit Namen wie NaKaflex für Nahkampfreflex oder Rollheil zu belegen. Da die Kamera mit Preis und Stückzahlen einen Rekord aufstellen sollte, nannte man sie schließlich Rolleicord, worüber man später froh war. So geriet schneller in Vergessenheit, dass Rollei am 1. Mai 1937 zum NS-Musterbetrieb ernannt wurde und Reinhold Heidecke öfters in brauner Uniform auftrat.
Die Rolleicord war an Stelle des vierlinsigen Tessar-“Adlerauges“ 3,5/ 7,5 cm von Carl Zeiss Jena mit einem weniger aufwändigen Triotar 4,5/7,5 cm ausgestattet. Der automatische Filmtransport samt Zählwerk sowie für Fenster für Zeit und Blende fehlten. Dafür kostete die Rolleicord dann mit 88 RM nur knapp die Hälfte der Rolleiflex. Zu den bekanntesten Rolleicord-Modellen zählt die Tapetenmuster-Rollei im Art-Deco-Design. Dennoch hatte die Rolleicord schon 1933 den automatischen Parallaxenausgleich, den die Rolleiflex erst ab dem Modelljahr 1937 erhielt. Als wichtigste Neuerung kam 1937 die Rolleiflex „Automat". Das war das erste Modell mit der bis heute typischen Pendelschwung-Kurbel. Ein Dreh nach vorne transportiert den Film ein Bild weiter, ein Schwung zurück spannt den Verschluss.
Die große Zeit
1949 konnte die Produktion der 500 000sten Rolleiflex gefeiert werden. Die schon 1939 konzipierte Rolleiflex 2,8 A mit Carl-Zeiss-Tessar 2,8/80 mm wurde im gleichen Jahr vorgestellt. Sie hätte in Deutschland 700 Mark kosten sollen - bei einem Wochenverdienst von 70 Mark für einen Industriearbeiter. So ging die 2,8 A nur in den Export, ebenso die Rolleiflex 2,8 B von 1951 mit Zeiss Biometar 2,8/ 80 mm. Mit dem beginnenden Wirtschaftswunder konnten sich die Deutschen 1953 eine Rolleiflex mit zeitgemäßer Lichtstärke leisten, die 2,8 C mit Zeiss Planar 2,8/ 80 mm für 810 Mark oder mit 2,8/80 mm Xenotar von Schneider-Kreuznach für 750 Mark. Damit begann die ganz große Zeit der Zweiäugigen. Die 50er Jahre wurden zum Jahrzehnt der Rollei-Dominanz. Es dauerte nur sieben Jahre bis zur 1 000 000sten Rolleiflex 1956. Auf kaum einem Foto aus dieser Zeit, das einen Pulk von Pressefotografen zeigt (siehe Foto oben), fehlt das charakteristische Gesicht dieser Kamera. Berühmte Fotografen von Cecil Beaton über Helmut Newton bis Lord Snowdon fotografierten mit der zweiäugigen Rollei. Berühmt auch die Rolleimarin-Konstruktion, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Unterwasserforscher Hans Hass.
Höhepunkt der Entwicklung war 1960 die 2,8 F mit gekuppeltem Belichtungsmesser und abnehmbarem Lichtschacht-Sportsucher. Neben einer preisgünstigeren Rolleiflex 3,5 F und Rolleiflex T blieben verschiedene Rolleicord-Modelle und auch die Rolleimagic als Alternativen für Amateure von Ende der 50er bis Anfang der 70er Jahre im Programm. Das Model Vb als Höhepunkt der Rolleicord-Entwicklung ließ dem Fotografen sogar die Wahl zwischen fünf Bildformaten. Auf 120er Rollfilm konnte neben 6 x 6 nach Einsatz einer entsprechenden Bildschaltung auch 16 Bilder im Format 4,5 x 5,5 cm bzw. 4 x 4 cm oder 24 Bilder im Format 28 x 40 mm belichtet werden. Mit dem Rolleikin-Einsatz konnte zusätzlich 35-mm-Film für 24 x 36-Format genutzt werden.
Der Weg zum Nischendasein
Trotz ihrer Vorzüge wurde nicht nur die Rollei-6 x 6-Fotografie mehr und mehr zum Minderheitenprogramm. Immer bessere 35-mm-Filme einerseits und die größere Flexibilität von Systemkameras mit Wechselobjektiven überzeugten immer mehr Fotografen, selbst wenn sie bei 6 x 6 blieben. Doch Heidecke blieb stur. „Eine andere Kamera wird nur über meine Leiche gebaut", war sein Kommentar, berichtet Rollei-Experte Udo Afalter in seiner „Rollei Chronik". Prototypen zweiäugiger Rolleiflex-Kameras mit Wechselobjektiven waren Heidecke zu unpräzise und gingen nie in Serie. Hinzu kamen erstmals finanzielle Querelen. Auch viele billige Rollei-Nachbauten machten Rollei zu schaffen. Praktisch alle japanischen Firmen, z. B. Olympus, Mamiya, Minolta, Ricoh und Yashica, und auch kleinere deutsche Hersteller versuchten, mit Plagiaten vom Erfolg der Rolleiflex zu profitieren. Bevor Rollei sich aber dann 1966 nach dem Tode von Heidecke schwerpunktmäßig auf sein neues SL66-System konzentrierte, bescherte uns der Rollei-Überlebenskampf mit Tele- und Weitwinkel-Rolleiflex zwei der reizvollsten Modelle. Die Tele-Rolleiflex mit Carl Zeiss Sonnar 4/135 mm kam 1959 auf den Markt und wurde bis 1965 angeboten. Von ihr wurden nur rund 8500 Exemplare gebaut.
Noch seltener ist die nur von 1961 bis 1967 produzierte Weitwinkel-Rolleiflex mit Zeiss Distagon 4/55 mm. Davon gibt es weniger als 4000 Stück. Entsprechend hoch wird sie unter Sammlern gehandelt. Die hervorragende Bildqualität beider Modelle konnte durch zusätzlich einsetzbare Glasplatten zur Verbesserung der Filmplanlage noch gesteigert werden.
Als die Verkaufszahlen der Rolleiflex 2,8 F in den 70er Jahren mehr und mehr zurückgingen, schien das Ende des zweiäugigen Systems absehbar. Daran änderten auch Sondermodelle wie die 2,8 F Aurum 1983 und Platin 1984 nichts.
Die Renaissance
Doch Rollei hatte die Rechnung ohne die treuen Fans gemacht. Es drängelten so viele unverbesserliche Enthusiasten, dass Rollei sich entschied, die klassische Zweiäugige 1987 als 2,8 GX mit 2,8/80 mm Planar wieder aufleben zu lassen. Sie bot eine zeitgemäße TTL-Belichtungsmessung und Leuchtdioden zeigen im Sucher richtige bzw. Über- oder Unterbelichtung an.
2001 mutierte die GX mit nostalgischem 30er-Jahre-Namensschild und dunkler Kroko-Lederoptik zur 2,8 FX. Zur photokina 2002 präsentierte Rollei dann überraschend die Rolleiflex 4,0 FW. Diese Wiedergeburt der gefragten Weitwinkel-Rolleiflex ist mit einem von Schneider Kreuznach neu gerechneten Super-Angulon 4,0/50 mm ausgestattet. Ihr Preis von knapp 4500 Euro ist zwar im ersten Moment atemberaubend, relativiert sich aber, wenn man sieht, dass entsprechende Wechselobjektive zu Systemkameras schon allein mehr als 3500 Euro kosten. Da die Rolleiflex 2,8 FX schon knapp 3500 Euro kostet, ist die 4,0 FW für den Liebhaber sicher trotz des Weitwinkel-Zuschlags eine attraktive Wahl. In jedem Fall gibt es den unvergleichlichen Genuss, mit einer 6 x 6-Reflex im Moment des Auslösens nur ein Leica-leises Klicken zu hören.
Horst Gottfried in Color Foto 6/2004
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