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FOTO-KLASSIK KAMERAS 115 Jahre Linhof-Kameras Mit Format Seit 115 Jahren baut die Firma Linhof in München Kameras. Bis heute sind viele dieser „Linhofs" Inbegriff von Asthetik, Präzision und höchster Qualität. Bei Konstruktion und Ausführung der neuen quadratischen Camera habe ich mich im Wesentlichen von denselben Gesichtspunkten leiten lassen wie bei meinen anderen Fabrikaten: niemals auf Kosten der Solidität Andauernden Stabilität zu spüren." Als Valentin Linhof vor 115 Jahren diesen Satz sprach, ahnte er wohl kaum, dass diese Kamera einmal weltweit als Synonym für Fachkameras stehen würde. Sein Unternehmenskonzept ging auf: Mit seiner ersten Ganzmetallkamera legte er den Grundstein, auf dem sein Nachfolger Nikolaus Karpf die weltweit erste, zusammenklappbare Laufbodenkamera entwickelte. Eine Technika ist Kult. Sie schätzen Berufsfotografen wie ambitionierte Amateure gleichermaßen. Zwar ist sie mit einem Preis von 4000 bis 4500 Euro nicht ganz billig, dafür aber technisch hochwertig und größtenteils noch per Hand gefertigt. Das Objekt der Begierde ist dabei nicht nur der aktuelle Linhof-Spross, die so genannten Master Technika. Auch Modelle aus dem vorigen Jahrhundert sind zu Tausenden noch im Einsatz oder zumindest begehrte Sammlerstücke. 1200 Einzelstücke und mehr Unter ihrem nostalgisch anmutendem Gehäuse vereint die moderne Technika analog und digital. Zwar werden die Einzelteile heute maschinell aus unterschiedlichen Metallen gefertigt. Die Oberflächenveredelung wie Lackieren, Beledern und die Montage ist aber reine Handarbeit. Jede Kamera wird aus 12 000 Einzelstücken zusammengebaut, justiert und bis ins Detail geprüft. Das dauert und rechtfertigt den relativ hohen Preis. Als Vorbild für alle mehr als 60 000 gebauten Technikas der vergangenen 80 Jahre dient bis heute Nikolaus Karpfs Ur-Technika von 1934. Gleichermaßen entwicklungsfreudig bewies sich das Linhof-Werk aber auch in den anderen Produktionszweigen: der Herstellung von Kameras auf optischer Bank, verschiedenster Spezialkameras im Groß- und Mittelformat sowie im Bereich optischer Accessoires: Stative, Kugelköpfe, Filmkassetten, Betrachtungshilfen, Repro-Zubehör, Objektive und Verschlüsse - der einstigen Paradedisziplin von Gründungsvater Valentin Linhof. Schwenkrahmen Bis zur Entwicklung seiner ersten Ganzmetallkamera hatte sich Linhof auf die Produktion von hochwertigen „photographischen Zwischenlinsen-Verschlüssen" spezialisiert - mit internationalem Erfolg: Bereits 1887 erhielt er dafür eine Goldmedaille in Paris; 1892 das Patent auf den ersten Verschluss, der in Objektive und Kameras eingebaut werden konnte. 1889, zwei Jahre nach Gründung seiner Verschluss-Firma, konstruierte Linhof seine „quadratische Camera" nach einem Entwurf von Joseph Barth, ebenfalls ein Münchener Feinmechaniker. Als Werkstoff verwendete er dafür, statt des damals gebräuchlichen Messings, das leichtere Aluminium. Zudem war die Kamera erstmals quadratisch: So konnte der Fotograf das Format 9 x 12 cm von hoch auf quer durch Verdrehen der Mattscheibe wechseln, ohne die Kamera vom Stativ zu nehmen. Als Linhof 1929 starb, hatte er zwar eine weitgehend ausgereifte Kamera mit neigbarem und seitlich verschiebbarem Objektivträger hinterlassen. Zum eigentlichen Durchbruch aber verhalf ihr erst Nikolaus Karpf, der 1933 in die Firma eingetreten war. Dank seiner fundierten Ausbildung und seines ökonomischen Gespürs wurde Karpf schnell zum Leiter des noch kleinen Linhof-Werks und bereicherte die Technika um ein entscheidendes Detail: Den Schwenkrahmen, der ihr die Vorrangstellung auf dem nationalen, später auch auf dem internationalen Markt verschaffte. Bereits 1934 reichte er als Patent die „Kamera mit allseitig beweglich gelagertem Mattscheibenrahmen" ein. Etwa zur gleichen Zeit begann die Firma Linhof mit der Entwicklung und Produktion von Ganzmetall-Stativen, die bis dahin in dieser Form unbekannt waren. Die Nachkriegszeit Der entscheidende Durchbruch vom handwerklichen Kleinbetrieb zu einem modernen Industrieunternehmen mit internationalem Vertriebsnetz und - in Spitzenzeiten - einer 800-köpfigen Belegschaft, gelang Karpf in den Nachkriegsjahren. In dieser Zeit entwickelte Linhof die neue Kardan-Linie, das System auf optischer Bank: Kugelschalen-Neigung am Grundrohr (daher der Begriff Kardan) und massive Grundbauweise für präzise fachfotografische Arbeit mit Perspektivkontrolle und Schärfenverlagerung. Die beiden leichteren und eleganteren „Kardan Color" und „Kardan Bi" folgten in den 60er Jahren - und passend dazu erstmals Leichtbau-Profi-Stative mit eloxierten Alu-Profilen. 1953: Export in 93 Länder Am ständigen Auf- und Ausbau des Werks seit den Nachkriegsjahren kann die florierende Auftragslage des Werks ermessen werden. Hauptziel der Fertigung war allerdings - wie übrigens auch heute noch - der Export. 1953 wurde bereits in 93 Länder geliefert, allen voran: die USA, Holland, Norwegen, Schweden und Brasilien. Und wieder einmal mehr bewies Nikolaus Karpf neben ökonomischem Geschick das richtige Kalkül: Trotz des Durchbruchs der Kleinbildfotografie, fortschreitender Miniaturisierung und Automation setzte das Linhof-Unternehmen weiter auf die Marktnische „Großformat" - wieder mit Erfolg: Als die Weltraumbehörde Nasa 1972 eine noch handbedienbare, weitgehend automatisierte Großbildkamera suchte, machte Linhof mit seiner Aero Technika einmal mehr das Rennen. Die Luftbildkamera wurde anfangs bei amerikanischen und später bei europäischen Weltraummissionen eingesetzt. Ob der Start ins digitale Zeitalter mit Kameras dieser Größenordnung den erhofften Absatzerfolg bringen wird, bleibt freilich abzuwarten. Denn: Der Markt für hochpreisige Großformatkameras bleibt wohl auch in Zukunft ein überschaubarer Nischenbereich. Weltweit werden jährlich derzeit nur weit unter 10 000 Kameras dieser Größenordnung verkauft, wobei Linhof als einer der letzten namhaften deutschen Hersteller eine der führenden Rollen einnimmt. Zur aktuellen Umsatzentwicklung hält sich die älteste Kamerafabrik der Welt zudem bedeckt. Ende der 90er Jahre lag der Jahresumsatz der damals bereits auf 110 Köpfe geschrumpften Belegschaft jedenfalls weit unter 10 Millionen Euro. Aktuelle Zahlen wollte der neue Inhaber und Geschäftsführer Peter Bauernschmid gegenüber COLORFOTO nicht nennen. Bauernschmid hatte Linhof 1998 vor dem Aus bewahrt, nachdem das Münchener Familienunternehmen in den eigenen Reihen keinen Nachfolger gefunden hatte und ein englischer Investor überraschend abgesprungen war. Noch im selben Jahr ist das Linhof-Werk in die heutige Linhof-Präzisions-Systemtechnik GmbH übergangen. Das bis dahin bekannte Linhof-Programm wurde dabei weitgehend beibehalten. 5 aktuelle Kamerasysteme Die Kombination aus Fertigungsredlichkeit und einem gehörigen Innovationspotential führte in den vergangenen 30 Jahren zu einer Reihe interessanter Neu- und Weiterentwicklungen: Mit der Technorama präsentierte man Ende der 70er Jahre die erste Panoramakamera: eine starr gebaute Sucherkamera für Extremformat-Weitwinkelaufnahmen im Format 6x17 auf Rollfilm, aus der die aktuelle Technorama 612 PC II und die 617 S III Shift-Funktion hervorgingen. Besonders stark als Architektur- und Reise-Kamera: Die Technikardan, erhältlich im Format 4x5 und 6x9, versteht sich als eine Synthese aus der kompakten Technika, einer Laufbodenkamera, und der Kardan-Kamera auf optischer Bank mit höchster Verstellbarkeit. Das bedeutet: große Auszüge für Nahaufnahmen oder lange Brennweiten ohne Umbau bei gleichzeitig geringem Gewicht und minimalen Transportmaßen. Weite Verstellwege, zwangsparallele Basisgelenke zur torkelfreien Indirektverstellung, kippstabiles Teleskoprohr mit variabler Gegenstandsbreite sind die Markenzeichen der neuen Kardan Master GT- und ihrer Luxus-Ausführung GTL. Wer hingegen den unkomplizierten Einstieg ins Großformat sucht, sollte sich die brandneue und vergleichsweise günstige Kardan re ansehen, die es in den Formaten 9x12 und 4x5 demnächst für weniger als 1500 Euro geben wird. Und selbst für Kleinbild- und Digitalfotografen hat Linhof interessantes Zubehör im Angebot. Stabil und leicht: Die beiden Stative Profi-Port III und RecordProfi (ab ca. 190 Euro). Dazu gibt es passend den Universal-Kugelkopf 1 und 01 (ab 60 Euro) oder den Profi-Kugelkopf II (ca. 200 Euro) für Mittelformatkameras. Digitale Rückteile Den Aufbruch ins digitale Zeitalter vollzog das Münchener Traditionsunternehmen 1996: Mit dem zur photokina vorgestellten neuen „dualen" Kamerasystem, der Linhof M 679. Durch ihr umfangreiches Zubehörprogramm ist die M 679 kompatibel zur Mittelformattechnik. Zudem bietet sie die Möglichkeit, digitale Rückteile unterschiedlicher Hersteller zu adaptieren. Die kompakte Fachkamera bietet eine einfache Technik für Perspektivenkorrektur, Vermeidung stürzender Linien, Schärfendehnung und kreativer Bildgestaltung. Neu: das cs-Modell besitzt - im Unterschied zum Vorgänger, dem cc-Modell - einen integrierten Nivellierneiger plus Shift-Möglichkeiten an der Frontstandarte. Damit sind perspektivische Korrekturen noch einfacher. Und einmal mehr ist natürlich auch wieder die Technika an Bord: Vor zwei Jahren wurde die Master Technika classic einem Re-Design unterworfen, mit äußerlich zwar nur marginalen Änderungen. Dafür ist jetzt der Einsatz von extremen Weitwinkel-Objektiven möglich. Und: Der Linhof Digi-Adapter mit Hasselblad-Anschluss ermöglicht nun auch mit einer klassischen Technika und Digital-Rückteil zu arbeiten. Sabine Schneider in Color Foto 3/2005 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}