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Alexander Borell über:
Kowa Six II
Viele Mittelformatkameras zeichnen sich durch erstaunliches Gewicht und Volumen aus. Man wundert sich nur, wie die Konstrukteure es schaffen, solche Riesenapparate zu bauen - die dann aber nur ein 6x6 Aufnahmeformat haben. Andererseits sollte im Kamerabau eine bestimmte Relation von "umbautem Volumen zu erzielbarer Aufnahmeformatgröße" beachtet werden. Denn irgendwann wird es uninteressant, wenn z. B. eine 6 x 6 Kamera nicht mehr in Frauenhände paßt. Die Kowa-Six-Kameras (II oder MM) sind da rühmliche Ausnahmen. Kleiner dürfte man eine 6x6-ESR nicht mehr bauen können! Und das kommt bekanntlich u. a. der Bildaussage zugute. Red.
Es ist nicht einfach, zweimal über die gleiche Kamera zu schreiben. In COLOR Nr. 11/73 habe ich bereits ziemlich ausführlich über die KOWA SIX berichtet, und ich schloß meinen Bericht mit der Bitte an alle KOWA-Besitzer, mir mitzuteilen, wenn sie etwas an dieser Kamera auszusetzen hätten, denn ich fand eigentlich nichts. Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen, aber niemand hat mich angerufen, um mir zu sagen, mein Loblied auf diese Kamera sei unberechtigt. Im Gegenteil: wer eine hat, ist damit zufrieden. Das will, so scheint mir, heutzutage sehr viel bedeuten. Denn wo bekommt man schon etwas, was man nicht erst zur Reparatur schicken muß, ehe es funktioniert?
Eine präzise und gründliche Endkontrolle kostet natürlich Geld. Clevere Geschäftsleute haben sich - bei einigen Firmen - ausgerechnet, daß es billiger ist zu warten, ob ein Kunde reklamiert. Ich kenne solchen "Garantiereklamationskummer" von nahezu allen Firmen, auch von solchen mit Rang. Von der KOWA habe ich bisher nichts derartiges gehört, und das verdient besonders betont zu werden.
Ich sagte vorhin: die gleiche Kamera. Das stimmt nicht ganz, denn die KOWA SIX II ist zwar in ihrer Grundkonzeption die gleiche Kamera, wie die seinerzeit getestete KOWA SIX MM aber sie ist doch eine andere Kamera. Zu den Vorzügen des Modells "MM" hat sie noch den, daß man das ganze Rückteil, ein komplettes Magazin, abnehmen kann. Und hier beginnen schon die Vorzüge gegenüber anderen Systemen: man braucht auf keinen Schieber zu achten! Soweit ich die anderen Mittelformat-Kameras mit Wechselmagazin kenne, ist es überall der gleiche Jammer: entweder man will auslösen und kann nicht, weil man vergessen hat, den Schieber herauszuziehen. Oder man will einmal schnell von Farbe auf Schwarz-Weiß wechseln, dann geht das auch nicht weil man vergessen hat, den Schieber wieder hineinzustecken Außerdem gibt es Modelle, wo man den Schieber nicht an der Kamera befestigen kann, ihn also in die Tasche stecken muß, wo er natürlich verstaubt. Da alles sind bei der KOWA SIX II keine Probleme: wann immer Sie wollen, drücken Sie auf einen Knopf und haben das Magazin in der Hand. Ohne Schieber, ohne Trick und ohne doppelten Boden. Das heißt, der doppelte Boden ist in gewissem Sinne vorhanden: eine Abdeckklappe am Magazin schließt dieses lichtdicht ab, sobald der Verschluß gespannt ist. Ungespannt läßt sich das Magazin nicht abnehmen.
Diese Deck-Klappe und der Spiegel sind nicht leise. Man hört den Schlag recht laut, man spürt ihn sogar, oder - man meint ihn zu spüren. Mir scheint aber, das ist eine akustische Täuschung, denn ich hatte keine Verwacklung bei der 1/8 aus der Hand. Das liegt vor allem an dem relativ großen Gewicht dieser Kamera, die, 1.900 Gramm schwer, pro Gramm rund eine D-Mark kostet, Es gibt vieles, was einem an dieser Kamera Freude macht, weil die Konstrukteure nachgedacht haben. So braucht man nur ein Magazin für beide Filmsorten, den 120er und den 220er. Man dreht nur die Andruckplatte und stellt außen an einem extra abgesicherten Hebel auf "12" oder "24".
Man verstellt einen anderen, ebenfalls wieder abgesicherten Knopf und macht Doppelbelichtungen, wobei sich der Film tatsächlich auch nicht den Bruchteil eines Millimeters bewegt.
Die Objektive werden mittels eines Bajonettrings festgehalten, den man zwar zunächst leicht drehen kann, dann aber ist er wieder gesichert: das letzte Ende bewegt sich nur, wenn man wieder "entsichert". Natürlich ist auch der Auslöser gesichert, und diese funktionellen Sicherungen bedingen z. T. das Gewicht, sicher aber den Preis.
Übrigens brauchen Sie, um einen Film einzulegen, das Magazin nicht abzunehmen: man kann die Rückwand auch an de Kamera aufklappen und den Film einlegen, sehr schnell und unaufwendig. Beides ist auch mit dem Prismensucher möglich, man braucht ihn also weder abzunehmen, noch zu verdrehen! Es gibt auch ein 4 x 6 Magazin, dann bekommt man 16 oder 32 Aufnahmen auf einen Film, und es gibt sogar ein Polaroid-Rückteil. Das scheint mir besonders mit dem neuen Polaroidfilm 105 interessant, der ein hervorragendes Negativ zusätzlich zum Sofortbild liefert, hier im Format 6x6 belichtet. Eine geradezu ideale Kombinationsmöglichkeit.
Neben dem Lichtschacht können Sie diverse Suchersysteme bekommen, auch ein TTL-Meßprisma, einen Sportsucher, und schließlich stehen insgesamt sechs verschiedene Mattscheiben zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es noch einen Handgriff, Zwischenringe, Balgengerät und einen Zweifachkonverter. KOWA bietet damit also ein komplettes und recht erfreuliches System an.
Die Objektive (Standardobjektiv 2,8/85) reichen vom Fisheye 19 mm über WW 35 mm (!), 40 mm, 55 mm und einem 110 mm Macro-Objektiv bis zu 500 mm, mit Konverter also bis 1000 mm ein Programm, das wohl keine Wünsche übrig läßt. Vor allem hat jedes Objektiv seinen eigenen Zentralverschluß, was Blitzen mit allen Zeiten ermöglicht. Man bekommt zu dieser Kamera sehr schnell und ohne langes "Anleitungsstudieren" einen sehr persönlichen, ich möchte sagen freundschaftlichen Kontakt. Ich fürchte, ich werde in die Tasche greifen müssen, weil meine Beziehungen zu dieser Kamera, die mich jetzt nur besucht hat, von Dauer bleiben sollen: ich werde sie oft und gern für meine eigenen Aufnahmen verwenden.
Alexander Borell in Color Foto 7/1974
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