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Test & Technik Praxisbericht TTL-Belichtungsautomatiken auf dem Prüfstand Jägerlatein Computergesteuerte, autofokusgekoppelte Meßsysteme sollen, so die Prospekttexter, sogar ausgeprägte Gegenlichtsituationen erkennen und die Belichtung automatisch korrigieren. Kann sich nun der Fotograf das Denken abgewöhnen und voll auf die Belichtungsautomatik verlassen, oder reden die Werbetexter Jägerlatein? Können ausgeklügelte Meßmethoden und "kluge" Mikroprozessoren auch bei schwierigen Lichtverhältnissen korrekt belichtete Diaaufnahmen liefern? Die nach den "Fuzzy-logic"-Gesetzen gesteuerte autofokusgekoppelte Mehrfeldmessung gilt als die modernste und effektivste Methode der TTL-Belichtungssteuerung. Es gibt eigentlich keinen Kamerahersteller, der nicht die "intelligente" Belichtungsautomatik seiner Kameras in überzeugenden Worten präsentiert. Hier zwei Zitate aus beliebigen Kameraprospekten: "Die Kamera erkennt schwierige Lichtverhältnisse wie Gegenlicht und korrigiert die Belichtung entsprechend` oder "die 6-Zonen-Messung liefert unter schwierigen Lichtverhältnissen äußerst genaue Meßresultate und beherrscht spielend Gegenlichtmotive". Angesichts solcher Werbeaussagen, die in ähnlicher Form praktisch in jedem Kameraprospekt zu finden sind, fühlen sich viele Fotografen in "Belichtungssicherheit". Das geht normalerweise auch gut, denn über 90 Prozent der belichteten Filme sind Farbnegativfilme, die einen großen Belichtungsspielraum haben. Dazu kommt noch, daß die meisten der über fünf Millionen Papierbilder nicht größer als 9x13 oder 10x15 Zentimeter sind. Bei solchen Endprodukten können Fehlbelichtungen von bis zu mehreren Belichtungsstufen kaschiert werden, die Papierabzüge zeigen immer noch brauchbare Ergebnisse und die "Negativ-Fotografen" sind zufrieden. Dagegen sind Fotografen, die sich bei der Belichtung von Farbdiafilmen blind auf die Kamera verlassen, von den deutlich erkennbaren Fehlbelichtungen oft frustriert. Schuld daran ist ein Mißverständnis, das dadurch entsteht, daß man sich auf gut gemeinte Werbeaussagen verläßt und sich keine Gedanken mehr über den Kontrastumfang des Motivs und die Helligkeitsverteilung macht. Wir sind in der Praxis der Frage nachgegangen, ob man sich beispielsweise bei leicht erhöhten Motivkontrasten auf die mikroprozessorgesteuerte Belichtungsautomatik der High-Tech-Kameras verlassen kann. Dabei haben wir 14 gängige Kameras mit verschiedenen Meßmethoden und unterschiedlicher Aufteilung und Gewichtung der Meßzelle vergleichend geprüft: Canon EOS 1, Canon EOS 5, Canon EOS 500, Contax RX, Leica R7, Minolta Dynax 9xi, Minolta Dynax 700si, Minolta Dynax 500si, Nikon F4, Nikon F90, Nikon F50, Pentax Z1, Sigma SA 300 und Yashica 300AF. Die Kameras haben wir mit den Standardzooms sowie mit extremen Weitwinkelobjektiven bestückt. Der große Bildwinkel extremer Weitwinkelobjektive erfaßt nämlich Motivbereiche mit großen Kontrastunterschieden und der oft kleine Abbildungsmaßstab des Hauptobjektes erschwert auch bei autofokusgekoppelter Mehrfeldmessung die korrekte Belichtung. Bei den Vergleichsaufnahmen ging es nicht darum, die Belichtungsgenauigkeit der einzelnen Kameras zu prüfen. Wir haben vielmehr versucht, eine statistisch relevante Aussage über die "intelligente` Steuerung der Belichtungsautomatik bei schwierigen Lichtverhältnissen herauszufinden. Zwei Fragen standen im Vordergrund: Kann die computergesteuerte, autofokusgekoppelte Mehrfeldmessung schwierige Lichtverhältnisse "erkennen" und die Belichtung entsprechend korrigieren? Welche Vor- und Nachteile haben die einzelnen Meßmethoden der TTL-Belichtungsmessung? Die Mehrfeldmessung, je nach Firmenjargon auch als Matrix-, Wabenfeld- oder Honeycomb-Messung bezeichnet, ist sozusagen die neueste Belichtungsmeßmethode, mit der die meisten der High-Tech-Kameras ausgestattet sind. Die Mehrfeldmessung Sie ist die Grundeinstellung der Kameras, die normalerweise mit jedem Belichtungsprogramm kombiniert werden kann. Durch die Anzahl, Form, Größe und Anordnung der einzelnen Meßsegmente unterscheiden sich die Mehrfeldmessungen verschiedener Kameras, das Funktionsprinzip ist jedoch weitgehend identisch: Die Meßzelle wird in mehrere Meßsegmente aufgeteilt (zwischen 5 und 16 Meßsegmente, je nach Kamera). Der Kameracomputer analysiert die Meßergebnisse in den einzelnen Meßsegmenten und steuert, je nach dem zugrundeliegenden Algorithmus, eine dem so ermittelten Belichtungswert entsprechende Kombination aus Blende und Verschlußzeit. Bei den Spitzenmodellen werden auch Daten aus der Entfernungsmessung bei der Ermittlung der korrekten Belichtung berücksichtigt. Durch die getrennte Auswertung der Meßergebnisse in jedem Meßsegment kann der Kameracomputer die Helligkeitsverteilung im Motiv ermitteln. Aufgrund der Informationen, die das Autofokussystem über Lage und Größe des Hauptmotivs liefert, bestimmt der Mikroprozessor die Gewichtung jedes einzelnen Segmentes. Sich verändernde Lichtverhältnisse und Bewegungsabläufe können in Echtzeit berücksichtigt werden. Durch dieses ausgeklügelte Meß- und Auswertungssystem arbeiten die Kameras sogar bei schwachen Gegenlichtsituationen oder leicht erhöhtem Motivkontrast recht zuverlässig. Bei hohen Motivkontrasten und starkem Gegenlicht kann man sich jedoch in der Praxis auch auf diese Methode nicht verlassen, wie sich das anhand unserer Testaufnahmen immer wieder bestätigt hat. Zwar werden Gegenlichtsituationen, je nach flächenmäßiger Kontrastaufteilung des Motivs, mehr oder weniger korrigiert, doch über das Ausmaß der Korrektur wird der Fotograf nicht informiert. Daher weiß man während der Aufnahme nicht genau, ob die Mehrfeldmessung eine Gegenlichtsituation voll oder nur teilweise korrigiert hat. Das kann auch bei einer manuellen Belichtungskorrektur mitunter recht problematisch sein, weil man das Ausmaß der erforderlichen Korrektur eigentlich nur schätzen kann. Diese Schwäche, von der jede Mehrfeldmessung (also unabhängig vom Kamerahersteller) betroffen ist, hat dazu geführt, daß beispielsweise die Dynax 700si mit einer besonderen Funktion des sogenannten Belichtungsindikators ausgestattet wurde: In Programm-, Zeit- und Blendenautomatik zeigt der Belichtungsindikator die Abweichung der Mehrfeldmessung vom Ergebnis der mittenbetonten Integralmessung an. Weil die mittenbetonte Integralmessung mit etwas Erfahrung einfacher einzuschätzen ist, kann man anhand des Belichtungsindikators feststellen, in welchem Maß die Mehrfeldmessung beispielsweise eine Gegenlichtsituation korrigiert hat. Wenn also in der Programm-, Zeit- oder Blendenautomatik die Belichtungskorrekturtaste (+/-) gedrückt wird, erscheint links im Sucher der Belichtungsindikator (senkrechte Skala). Die Nullposition der Skala steht für das Ergebnis der mittenbetonten Integralmessung. Die Differenz zwischen der Mehrfeldmessung und der mittenbetonten Integralmessung wird durch den Zeiger in halben Stufen im Bereich von ± 3 Lichtwerten angezeigt, wobei manuelle Belichtungskorrekturen bei der Anzeige berücksichtigt werden. Diese Rückbesinnung auf vergessene "Tugenden" ist sicherlich zu begrüßen, obwohl sie das Paradoxon der Situation offenbart: Nach aufwendigen, oft langwierigen Forschungen haben die Kamerahersteller mit sehr großem finanziellen und konstruktivem Aufwand eine raffinierte Belichtungsmethode serienreif entwickelt, die dem Fotografen aber jegliche Kontrolle über die Belichtungsmessung entzieht. Dieses Dilemma wurde erkannt, und die "altehrwürdige" Integralmessung, die vor einiger Zeit doch so "antiquiert" erschienen, wurde zur Kontrollinstanz für die mikroprozessorgesteuerte Mehrfeldmessung ernannt. Mittenbetonte Integralmessung Bei der mittenbetonten Integralmessung wird normalerweise die Belichtung im gesamten Bildfeld gemessen, wobei eine mehr oder weniger große (oft auch nach unten versetzte) Fläche in der Bildmitte stärker berücksichtigt wird. Die mittenbetonte Integralmessung ist gut geeignet für Motive mit normalem Kontrastumfang, keinen großen Farbgegensätzen und gleichmäßiger Verteilung der hellen und dunklen Flächen. Die Integralmessung arbeitet nicht so differenziert wie es bei der Mehrfeldmessung der Fall ist, dafür kann man aber mit etwas Erfahrung ihre Wirkung genauer beurteilen. Daher ist es möglich, bei der Belichtung vom gemessenen Wert bewußt und kontrolliert abzuweichen. Auch gezielte Über- oder Unterbelichtungen sind problemlos möglich. Die meisten Kameras sind neben anderen Meßmethoden auch mit einer mittenbetonten Integralmessung ausgestattet. Für anspruchsvolle Fotografie ist die Spot- oder Selektivmessung sehr wichtig. Selektiv-/Spotmessung Daher sind die Spitzenkameras mit dieser Meßmethode ausgestattet. Glücklicherweise verfügen aber mittlerweile auch einige Kameras der unteren Preisklasse über eine Spot- oder Selektivmessung. Bei der Spotmessung wird lediglich das in einem kleinen, zentral angeordneten Meßkreis einfallende Licht gemessen. Die Meßfläche entspricht üblicherweise etwa 3 Prozent der Bildfläche. Etwas größer ist die Meßfläche bei der Selektivmessung: Der ebenfalls zentral angeordnete Meßkreis mit einem Durchmesser von etwa 7 bis 12 Millimeter (je nach Kamera) erfaßt zwischen 5 und 10 Prozent der Bildfläche. Der Meßkreisdurchmesser und das Verhältnis der Meßfläche zur Sucherfläche bleiben bei jedem Objektiv unverändert. Allerdings verändert sich der Meßwinkel der Selektiv- beziehungsweise Spotmessung proportional zum Bildwinkel des jeweils benutzten Objektivs, das heißt, daß der Meßwinkel mit zunehmender Brennweite enger wird und umgekehrt. Die Spotmessung ermöglicht ein gezieltes Anmessen bildwichtiger Details und eignet sich daher sehr gut für Motive, die einen hohem Kontrastumfang aufweisen, für Gegenlichtsituationen, Objekte, die sich vor sehr hellem oder sehr dunklem Hintergrund befinden, und andere schwierige Lichtsituationen. Durch Messung der hellsten und der dunkelsten Motivpartie kann auch der Kontrastumfang des Motivs bestimmt werden. Vor allem in Verbindung mit der Selektiv- oder Spotmessung ist die Meßwertspeicherung wichtig. Die Speicherung eines Belichtungswertes ist immer dann erforderlich, wenn mit einem anderen Wert als dem im Bildausschnitt (in der Bildmitte) gemessenen ausgelöst werden soll. Beim Autofokusbetrieb ist zu beachten, daß die Belichtungseinstellung durch Druckpunkt am Auslöser nur nach erfolgter Fokussierung gespeichert werden kann, das heißt, wenn die Fokussieranzeige (grüne LED) im Sucher aufleuchtet. Bei einigen Kameras, die mit einer Spot-, Selektiv- oder AEL-Taste ausgestattet sind, kann aber der Meßwert auch unabhängig von der Scharfeinstellung (bei gedrückter Taste) gespeichert werden. Gespeichert wird der Meßwert der Motivpartie, auf der sich das Meßsegment beim Druck auf die Taste befindet. Sinnvoll ist auch die sogenannte Differenzmessung, die, wie beispielsweise bei der Minolta Dynax 700si, die Helligkeitsdifferenz zwischen dem gespeicherten Wert und dem Motivdetail, das gerade mit dem Spotmeßfeld gemessen wird, anzeigt. Manuelle Belichtungskorrektur Durch die manuelle Belichtungskorrektur kann der anspruchsvolle Fotograf den Bedienungskomfort der Belichtungsautomatik nutzen und trotzdem in die Belichtungssteuerung eingreifen und eine knappere oder eine reichlichere Belichtung vorwählen. Daß die Belichtungskorrektur bei Mehrfeldmessung problematisch ist, haben wir bereits dargestellt, denn der Fotograf Wird nicht darüber informiert, in welchem Ausmaß die Kamera die Belichtung bereits korrigiert hat. Am besten kann man Belichtungskorrekturen bei Integralmessung vornehmen, weil die Wirkung dieser Meßmethode mit etwas Erfahrung recht genau eingeschätzt werden kann. Belichtungskorrekturen sind bei sehr hohem Motivkontrast, bei starkem Gegenlicht oder wenn eine besondere Lichtstimmung eingefangen werden soll, erforderlich. Am Meer, bei sehr hellen Motiven, bei Schneelandschaften, in Gegenlichtsituationen, bei kontrastarmen Aufnahmen bei trübem Wetter ist, je nach Lichtverhältnissen, eine Belichtungskorrektur von +0,5 bis +2 Lichtwerten erforderlich. Sehr dunkle Motive verlangen dagegen eine Minuskorrektur. Vorsicht ist jedoch bei Nachtaufnahmen oder Aufnahmen in der Dämmerung geboten. Theoretisch müßte auch hier eigentlich eine Belichtungskorrektur nach Minus erfolgen, doch wenn längere Verschlußzeiten als 1 Sekunde gemessen werden, macht sich der Schwarzschildeffekt bemerkbar, so daß eine Belichtungskorrektur von +2 EV sicher nicht übertrieben ist. Fazit Bei unseren Vergleichsaufnahmen hat sich gezeigt, daß es keine Kamera gibt, die unter tatsächlich schwierigen Lichtverhältnissen ohne Zutun des Fotografen korrekte Belichtungen auf Diafilm liefert. Starkes Gegenlicht und sehr hohe Motivkontraste täuschen sogar die autofokusgekoppelte Mehrfeldmessung und führen zu mehr oder weniger fehlbelichteten Aufnahmen. Bei kritischen Lichtsituationen kann man also die Prospekttexte am besten gleich vergessen und für korrekt belichtete Diaaufnahmen zur bewußten Analyse des Motivkontrastes übergehen. Eine Zweipunkt-Kontrastmessung sowie der Vergleich des errechneten Mittelwertes mit dem Wert der Messung auf Graukarte oder der Lichtmessung (mit einem externen Belichtungsmesser) führt immer zur korrekten Belichtung. Bei der Integralmessung können Belichtungskorrekturen gezielt eingesetzt werden. Im Zweifelsfall kann man sich aber auf flankierende Belichtungen mehr verlassen als auf die Computersteuerung der Kameras. Artur Landt in Color Foto 7/1994 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}