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Test & Technik
Zwischen Tradition und Fortschritt
Firmenporträt Hasselblad
Die Göteborger Victor Hasselblad AB, 6x6-Marktführer und Image-Leader, steckt im Umbruch. So traditionell und konservativ die kubischen Kameragehäuse heute noch anmuten, die Weichen in eine Elektronikzukunft haben die Schweden längst gestellt.
Übermächtige japanische Kamerakonzerne lassen nur noch wenige ökonomische Nischen für die Existenz von europäischen Marken übrig. Der Existenzkampf auf diesen Randmärkten der Außenseiter ist knallhart. Keine der durchweg mit einem edlen Nimbus beleumundeten deutschen Hersteller ist bislang ohne Schlagzeilen im Wirtschaftsteil der Tagespresse davongekommen. Leitz hat Leica als Tochtergesellschaft abgekoppelt, in der Hoffnung, ein rentables Profitcenter daraus zu machen. Rollei fand nach etlichen Wirren endlich Ruhe im Schoße von Schneider-Kreuznach und Minox kämpfte heftig ums Überleben bis ein engagierter Manager zugriff.
Hasselblad ist die große Ausnahme. Der renommierte schwedische Hersteller von Mittelformatkameras der höchsten Preisklasse geriet bislang allenfalls in die Kochtöpfe der Gerüchteküche, nicht jedoch in die gerne Untergangsstimmung verbreitenden Schlagzeilen der Wirtschaftsmagazine. Trotz eines schrumpfenden Gesamtmarkts im Mittelformat und eines in erster Linie von Journalisten gescholtenen konservativen Modellprogramms behaupten sich die Schweden auf dem Weltmarkt. Ja, es gelang Ihnen sogar ihren Umsatz im Jahr 1987 um 18 Prozent auf 451 Millionen Schwedenkronen zu verbessern und den Gewinn um beachtliche 12 Prozent zu steigern, davon träumen selbst japanische Riesen wie Canon oder Minolta.
Hasselblads Wohlergehen in der sonst so gebeutelten Branche der Kameraspezialisten ist indes kein Wunder. Schon Ende der siebziger Jahre, als der Gründer des Kameraunternehmens und Sproß des reichen Handelshauses F. W. Hasselblad und CO., Victor Hasselblad verstarb und der jetzige Präsident Jerry Öster das Steuer übernahm, stellte man in Göteborg die Weichen für eine schwieriger werdende Zukunft. Jerry Öster: "Wir haben weitgehend rationalisiert und viele Vorgänge in der Fertigung automatisiert, was den Gewinn sicherte". Bei der Besichtigung der beinahe klinisch sauberen Kamerafertigung fiel die große Anzahl der numerisch gesteuerten Dreh- und Fräsmaschinen auf, die vollautomatisch Teile bearbeiten. Die Sauberkeit des Betriebs ist umso erstaunlicher, als es sich nicht um eine High-Tech-Produktion mit sterilen Arbeitsplätzen zur Leiterplattenbestückung handelt. An der Östra Hamngatan 3 in Göteborg führt die Mechanik noch das Wort. Da wird noch aus dem vollen gefräst, gedreht, gehont und poliert. Da fallen noch Metallspäne und Rohlinge aus Messing, Aluminium und Stahl bestimmen das Bild, statt Säcke voll mit Granulat für die Kunststoffspritzgußmaschinen, die rund 130 Längengrade weiter östlich Kamerateile zu Tausenden täglich ausspucken.
Die Uhren gehen noch anders in dem verschachtelten, repräsentativen Hasselblad-Werksgebäude, das so malerisch am Göteborger Hafen liegt, je nach Perspektive prächtig von den Masten der Windjammer des Hafenmuseums umrahmt. Aber welch ein Frevel, man plante bereits die malerische aber unrationell in mehreren Etagen angesiedelte Produktionsstätte zu verlassen, um einem modernen Betrieb aus der Retorte auf der grünen Wiese vor den Toren Göteborgs den Vorzug zu geben. Doch dieser Plan ist vorläufig ad acta gelegt. Die etwa 500 Mitarbeiter pflegen den Hasselblad-Nimbus weiter im Herzen von Göteborg.
Oualitätskontrolle wird bei Hasselblad großgeschrieben. Schließlich hat man einen Ruf zu verlieren. So kommt auf fünf Mitarbeiter in der Produktion einer, der nur für die Qualitätskontrolle zuständig ist. Die Muttergesellschaft Victor Hasselblad AB versteht sich in erster Linie als ein feinmechanischer Betrieb. Glasteile wie Objektive, Prismen, Spiegel und Einstellscheiben kommen von Zulieferern, von denen Carl Zeiss, Oberkochen, der berühmteste ist.
Seit 1952 währt nun schon die fruchtbare Zusammenarbeit beider Weltmarken. Allerdings gab es Hasselblad-Kameras schon viel früher. Am 6. Oktober 1948 führte der Selfmade-Mann und Hobbyornithologe Victor Hasselblad seine Kamera im New Yorker Athletic Club zwanzig der bedeutendsten amerikanischen Fotojournalisten vor. Es handelte sich im Prinzip um den gleichen Apparat, wie er heute noch in Göteborg gebaut wird: Eine einäugige Spiegelreflexkamera für das Bildformat 6x6 cm mit Wechselmagazin und Wechselobjektiv. Curt Bentzin in Dresden gelang es zwar schon 1937 eine Kamera ähnlichen Konzepts zu verwirklichen, der Krieg verhinderte jedoch den Erfolg. Ausgerechnet der Krieg war es jedoch, der Hasselblads Idee von einer Kamera zum Durchbruch verhalf. Er wurde von der schwedischen Regierung mit der Konstruktion einer Luftbildkamera beauftragt Hasselblad hatte sich bereits vorher mit eigenen Kamerakonstruktionen einen Ruf erworben, weil er stets das Optimale suchte. Heraus kam dabei 1941 die HK-7 Luftbildkamera für die schwedische Luftwaffe. Basierend auf seinen Erfahrungen mit der Militärkamera, schuf er 1948 die 1600 F, ein Schlitzverschlußmodell mit der 1600stel Sekunde als kürzester Verschlußzeit. Die Fotografenwelt zeigte sich begeistert, allerdings führten Probleme mit dem schnellen Verschluß 1952 zum Nachfolgemodell 1000 F, das schon mit Carl-Zeiss-Objektiven ausgestattet war.
Das Kapitel Fotografie schlug das Handelshaus F. W. Hasselblad bereits 1890 auf. Aufgrund einer mündlichen Vereinbarung, die per Handschlag zwischen Arvid Victor Hasselblad, dem Großvater des Kamerapioniers und George Eastman geschlossen wurde, avancierten die Hasselblads später zum Alleinimporteur für Kodak-Fotoprodukte in Schweden. Später kam dann noch der Vertrieb einer schwedischen Boxkamera aus Göteborg dazu, die unter dem Namen Hasselblad Svenska Express bekannt wurde. Das Fotogeschäft erwies sich als derart lukrativ, daß der vielversprechende junge Zweig des Handelshauses in eine Tochtergesellschaft namens Hasselblad Fotografiska AB umgewandelt wurde. Victor Hasselblad verband seine Liebe zu den Vögeln mit der Begeisterung für die Fotografie und er veröffentlichte 1935 ein Buch mit dem Titel "Wege der Zugvögel", das er mit eigenen Fotos illustrierte. Schon damals reifte in ihm der Gedanke, eine eigene Kamera, maßgeschneidert auf seinen Anwendungszweck, zu bauen, denn für die Vogelfotografie schien ihm keine gut genug. Noch ein Jahr vor seinem Tod fotografierte er mit der damals neuen 2000 FC Seevögel auf der Ostseeinsel Öland. Dem Naturforscher Hasselblad wurde mit der Vriesea Hasselbladi, eine bis dahin unbekannte wilde Ananasart, die er mit seiner Frau im Urwald entdeckte, ein Denkmal in den Botaniklexika gesetzt.
Der Kamerakonstrukteur Victor Hasselblad erkannte schnell, daß der Zentralverschluß mit seiner schnellen Blitzsynchronzeit für Berufsfotografen unschätzbare Vorteile hatte. Die 500 C erschien 1957, mit Synchro-Compur-Verschluß und Carl Zeiss-Objektiven verhalf sie der Schwedenkamera zum großen Sieg auf breiter Front, Ablösung für die zweiäugige Rolleiflex, die das Feld der Porträt-, Mode- und Landschaftsfotografie seit Jahrzehnten beherrschte.
Noch heute ist die Enkelin 500 C/M, sorgsam modellgepflegt mit über 8000 Verbesserungen, das gefragteste Modell aus Göteborg, obwohl die Schlitzverschlußkamera 2000 FC/W mit hochlichtstarken Objektiven und schnellen Verschlußzeiten lockt. Zahlreiche Weltraumflüge, in denen Hasselbladkameras die aufgehende Erde und den Mond in der Hand von Gemini und Apollo-Astronauten festhielten, ließen das Hasselblad-Image in vollem Glanz erstrahlen. Eine ständig wachsende Gemeinde von Berufsfotografen in aller Welt fanden in der Hasselblad ihr ideales Arbeitsgerät, an dem sie Robustheit, Qualität und Langlebigkeit ebenso schätzen wie die Vielseitigkeit durch Wechselobjektiv, Wechselmagazine und Wechselsucher. Dies bot ihnen im Mittelformat kein anderer, bis Rollei 1966 mit der SL66 reagierte, die sorgfältig ausgebaute Hasselblad-Bastion aber kaum ins Wanken bringen konnte.
"In der Hand der Besten", so hieß der Werbeslogan, der sich in den siebziger Jahren als ausgesprochen zugkräftig erwies und eine Anhängerschaft manisfestierte, die inzwischen in die Hunderttausende geht und eine solide Basis für das lukrative Objektiv- und Zubehörgeschäft bildet, das inzwischen 60 Prozent vom Hasselblad-Umsatz ausmacht.
Lange Modellaufzeiten und ein Grundgehäuse für drei Kameras (500 C/M, 500 EL/M, 2000 FC) bedeuten rationelle Fertigung und rasche Amortisation. Die weitgehende Systemkompatibilität tut ein übriges, um die Rendite zu sichern, bei der auch der hohe Zubehöranteil kräftig mithilft. All dies erklärt die gesunde Situation des Unternehmens, das in den Boomzeiten der Branche im Gegensatz zu Rollei und Leitz der Versuchung widerstand, am Massenmarkt teilzuhaben.
Natürlich spürte man auch im Hafen von Göteborg, daß der Wind im Mittelformatgeschäft plötzlich kräftiger von vorn blies. Rollei avancierte auf dem deutschen Markt zur Nummer eins und hat im Bedienungskomfort seiner vollelektronischen 6x6-Kameras die Nase weit vorn. Zukunftstechnologien wie elektronische Bildaufzeichnung, Bildübertragung und Bildmanipulation werfen ihre Schatten voraus. Gerade auf die letzte Entwicklung reagierte Hasselblad mit der Gründung einer Tochtergesellschaft namens Hasselblad Electronic Imaging AB, die Know-how im Umgang mit elektronischen Bildmedien aufbauen soll. Das Bildübertragungsgerät Dixel 2000, der Tochter ganzer Stolz, hat seine Feuerprobe bei den Olympischen Spielen in Calgary und Seoul bereits bestanden. Die andere Tochtergesellschaft Hasselblad Engineering AB entstand ebenfalls aus dem Diversifizierungsbedürfnis heraus. Sie unterstützt den Einsatz der Kameras bei technischen und wissenschaftlichen Anwendungsbereichen mit Spezialgerät, beispielweise in der Photogrammetrie oder in der Luftbildfotografie für ökologische Aufgaben.
Das Bild als Endprodukt technischer und vor allem schöpferischer Leistung ist bei Hasselblad fest in der Firmenideologie verankert. Die berühmte Hasselblad-Galerie in Göteborg ist ein ebenso beredtes Beispiel da für, wie die weltweit in renommierten Magazinen geschaltet Image-Kampagne: berühmt Fotografen porträtierten berühmte Leute. Die Kamera erscheint in der mehrfach preisgekrönten Serie nur noch als winzige Marquette. Das kulturelle Engagement der Victor Hasselblad AB wird durch die Erna und Victor Hasselblad-Medaille noch unterstrichen. Diese mit einem Geldpreis der Victor Hasselblad-Stiftung verbundene Auszeichnung wird für besondere Leistungen in Kultur, Wissenschaft und Technik verliehen.
Die Zukunft hat schon begonnen
Auch Hasselblad lebt nicht vom Ruhm allein. Gerade hierzulande gilt es, die Marke mit offensiver Strategie wieder hochzubringen.
Zweifellos existiert bei Hasselblad ein Firmenkonzept für die Zukunft. Nur, wie geht es bei den Kameras weiter? Auch wenn Systemkompatibilität und mechanische Robustheit Grundfesten der Produktideologie sind, sollten die Schweden auch hier den technischen Anschluß in einem Spitzenmodell suchen.
Auf meine Frage, wann denn endlich eine Hasselblad 3000 mit in das Gehäuse integrierter Belichtungsmessung kommt, antwortete Entwicklungs- und Designchef Lars Pappila: "An einer solchen Lösung arbeiten wir." Präsident Jerry Öster versicherte dagegen ebenso glaubwürdig, daß die 500er-Hasselblad nicht sterben wird. Und wenn ich die Aussagen von Lars Pappila und Marketing- und Vertriebsleiter Bengt Forssbaeck richtig interpretiere, dann ist irgendwann der Tag gekommen, an dem für Hasselblad mit einem völlig neuen Kameramodell die elektronische Zukunft beginnt, freilich ohne die klassischen Modelle zu ersetzen, sondern um sie zu ergänzen.
Alf Cremers in Color Foto 1/1989
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