Artikeltext
COLOR FOTO-Gespräch
Heinrich Manderman
Rollei ist mein Lieblingskind
Im COLOR-FOTO-Gespräch werden maßgebliche Persönlichkeiten aus der Fotobranche befragt, und zwar nicht nur zur Sache, sondern auch zur Person. Den Anfang zu dieser neuen Reihe macht in diesem Heft Heinrich Manderman. Der Alleininhaber von Schneider-Kreuznach und branchenerfahrene Manager stellte sich den Fragen der COLOR FOTO-Redakteure Alf Cremers und Matthias Zipfel. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand die Übernahme von Rollei durch Schneider-Kreuznach. Manderman, dem eine gewisse Publicity-Scheu nachgesagt wird, gehört nicht zur Generation der kühlen Technokraten, die einen Konzern leiten, er überraschte im Gespräch vielmehr durch Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit.
COLOR FOTO: Wenn Sie es mit Rollei ernst meinen, dann hoben Sie sich in der Tat viel aufgeladen. Was für Rollei übrig zu bleiben scheint, ist ein Nischendasein am Abgrund der Profitabilität. Wie wollen Sie das ändern?
Manderman: "Eins steht fest, es gibt leichtere Geschäfte, die wirtschaftlicher wären als Rollei. Aber ich bin aus Leidenschaft der Fotografie verhaftet, und durch meine Leidenschaft wird dies auch ein wirtschaftlicher Erfolg. Natürlich sind wir über die Bedürfnisse der Rollei-Kunden, unserer Kunden, bestens informiert. Was sich dort abzeichnet ist ein Comeback der mechanischen Kamera. Unsere mechanischen Kameras 2,8 GX und die SL 66-Modelle profitieren davon."
... dürfen wir das als ein klares Bekenntnis zum Nischendasein verstehen?
"Lassen Sie es mich bildlich ausdrücken. Die Kamera allein ist wie eine Uhr, und da hängt eine sehr schwere goldene Kette dran. Unter Umständen hängen an einer verkauften Kamera Zusatzgeräte von einem Umfang bis zu 120000 Mark, wie beispielsweise bei der Rollei-Photogrammetrie (Rolleimetric)."
... die inzwischen eine wichtige Diversifikationsrolle spielt und ein schwerwiegender Umsatzträger bei Rollei ist.
"Ja genau. Ganz zu schweigen von unserem übrigen Systemzubehör mit den hervorragenden und kostspieligen Objektiven. Die nackten Kameras bedeuten nur etwa 50-60 Prozent Umsatzanteil, der Rahm wird mit dem Zubehör abgeschöpft, und das sehen viele nicht. Das Mittelformatgeschäft bewegt sich so um 50000 Stück jährlich weltweit und repräsentiert einen Umsatz von 300 Millionen Mark. Sie sagen Nische, aber weltweit ist das, vor allem mit Zubehör, keine Nische."
Sie setzen Ihre Hoffnungen für eine gute Rollei-Zukunft also verstärkt auf das Zubehörgeschäft?
"Wir setzen nicht verstärkt auf das Zubehör. Wir sehen nur eins, das Zubehör ist ein lukratives Folgegeschäft, das wir pflegen sollten."
Wird Rollei im Profigeschäft bleiben oder sich des Absatzes und des Umsatzes willen noch unten öffnen und mit seinem guten Namen in ausgesprochene Wachstumsmärkte - beispielsweise Autofokus-Sucherkameras - vorstoßen?
"Autofokus-Sucherkameras sind ein ausgereizter Markt."
Der aber immer noch jährlich satte Zuwachsraten von über 30 Prozent bringt!
"Prestige und Image sind zwar wunderschöne Dinge, aber das soll nicht heißen, daß wir die Amateursparte für' alle Zeiten verwerfen. Fest steht nur eins. Wir arbeiten zur Zeit nicht an preiswerten Kameras. Es ist nicht unmöglich, daß durch Synergieeffekte so etwas zustandekommt, aber wir arbeiten nicht konkret daran. Mutmaßungen in diese Richtung sind reine Spekulation. Sicher ist, daß nur Produkte den Namen Rollei bekommen, wenn sie ihn wirklich verdienen."
Die Fehler der Ära Peesel, mit Rollei den Massenmarkt zu erobern, wollen Sie jedenfalls nicht wiederholen?
"Herr Dr. Peesel hatte sich bei seiner Attacke gegen die Japaner um den Zeitfaktor verkalkuliert. Er war ganz einfach fünf Jahre zu spät dran. Wissen Sie, unsere Archillesferse gegenüber den Japanern sind ganz einfach die zu niedrigen Stückzahlen. Hätten wir wirklich populäre Kameras noch japanischem Schnittmuster, könnten wir hierzulande mittlerweile genauso günstig fertigen."
Was haben Sie unmittelbar mit Rollei im Sinn? In der Tagespresse war von "Synergieeffekte" die Rede. Was meinen Sie damit konkret?
"Zum Thema Synergieeffekt möchte ich Ihnen zwei Beispiele nennen: Schneider-Kreuznach hat eine sehr gute Entwicklungsabteilung für Elektronik, die es aber nur auf kleine Stückzahlen für kostspielige Spezialentwicklungen bringt. Rollei arbeitet in Sachen Elektronik viel produktiver als Schneider-Kreuznach. Also liegt es nahe, einen Teil der Schneider-Kreuznach Elektronikentwicklung nach Braunschweig zu verlagern. Genauso ist wenig Phantasie vonnöten sich vorzustellen, daß ein so renommierter und traditioneller Hersteller wie Schneider, der übrigens nächstes Jahr sein 75jähriges Jubiläum feiert, einige Objektive bei Rollei übernimmt. Das sind Synergieeffekte."
Wird Schneider-Kreuznach den - vor allen Dingen im Hinblick auf den Hauptkonkurrenten Hasselblad - prestigeträchtigen Hoflieferanten Carl Zeiss ablösen? Wird etwa die Braunschweiger Lizenzfertigung von Zeiss-Objektiven zugunsten von Schneider-Kreuznach aufgegeben?
"Wir wollen mit der Lizenzproduktion von Zeiss-Objektiven hier in Braunschweig weitermachen. Die Lizenzfertigung ist eine eingefahrene Produktion, die hier im Hause Tradition hat. An eine Verlagerung der Produktion nach Bad Kreuznach ist vorerst nicht zu denken."
Die Rolleigon-Linie zur 6000-Reihe kommt bekanntlich, genauso wie die Rolleinare zur 3000-Serie, aus Japan. Das paßt nicht ins werbewirksam ,Made in Germany'-Konzept der Firma. Hier kann Schneider-Kreuznach doch in die Bresche springen?
"Wir werden in Zukunft bei Neuentwicklungen, ich betone: bei Neuentwicklungen, Zeiss und Schneider-Kreuznach favorisieren."
Warum hat Heinrich Manderman nicht schon 1982 zugegriffen, nach dem Konkurs, als Rollei einen starken Mann brauchte, ihn in Hannsheinz Porst nicht fand, und als Landesbürgschaften und Zugeständnisse lockten?
"Keiner kauft gerne eine in Konkurs gegangene Firma."
... Sie haben es doch bei Schneider-Kreuznach selbst praktiziert?
"Das war meine eigene Firma, ich habe sie vom Konkursverwalter wieder zurückgekauft. Ich habe sie weder Konkurs gehen lassen, noch bin ich schuldig daran. Die Umstände machten es unvermeidlich. 1981 sah es in der Fotobranche noch anders aus. Damals konkurrierte Rollei noch mit den Japanern. Die wollten noch immer alles machen, vom Blitzgerät bis zum Stativ. Ein attraktives Marketingkonzept mit der Beschränkung auf das Profisegment hatte Rollei erst in den letzten Jahren, und das spricht mich an."
Warum hat sich die , United Scientific Holdings (USH), der Rollei-Vorbesitzer so schnell von Rollei getrennt? Haben die das Handtuch geworfen, weil Rollei für sie zu einem Investitionsfaß ohne Boden zu werden drohte?
"Nein, das war nicht der Grund. Die Engländer versprachen 'sich mit dem Kauf von Rollei eine Aufwertung ihres Images. Rollei hat nun mal ein sehr gutes Image, das sich allerdings nicht so ohne weiteres übertragen läßt."
Wie steht es um die Profitabilität von Rollei? Sie ist sicher nicht gerade glänzend und war wohl auch der USH zu matt. Wie wollen Sie die Rendite aufpolieren?
"Die Rentabilität von Rollei hat nichts mit den Produkten zu tun. Das Produkt wird zu gewinnbringenden Preisen verkauft und nicht zu Dumpingpreisen. An den Produkten, die wir verkaufen, verdienen wir gutes Geld und das ist schon einmal ein gutes Zeichen. Wir müssen einen neuen Konsens finden, nach dem Motto klein aber fein."
Glauben Sie nicht, daß die Tatsache des erneuten Besitzerwechsels bei Rollei das mühsam erworbene Vertrauen der Käufer in die Zukunft der Marke nicht abermals gefährdet? Wie wollen Sie es wiedergewinnen?
"Gerade das Gegenteil ist der Fall. In den drei Monaten, in denen Schneider-Kreuznach das Sagen hat, haben wir die Umsätze gesteigert. Das Vertrauen der Händlerschaft ist gestiegen. Wir haben nicht eine negative Reaktion auf den Wechsel. Im Gegenteil: Nur positives, bis jetzt."
Wann kommt von Rollei wieder etwas wirklich Neues, etwas Revolutionäres wie damals eine SLX Etwa eine Mittelformat-Autofokus-Kamera?
"Wir haben festgestellt, daß unsere Kunden nicht so elektronikhörig sind. Autofokus bei einer Mittelformatkamera ist für die gar kein so heißes Thema. Sehen Sie, im Mittelpunkt steht doch das Bild. Und außerdem, was heißt überhaupt neu? Viele Neuentwicklungen, die Ihnen die Kameraindustrie als neu verkauft, sind doch in Wirklichkeit nichts anderes als kalkulatorische Zwänge. Nehmen Sie beispielsweise eine japanische Spiegelreflex der Siebziger Jahre, sie hatte nahezu 10000 Teile. Heute sind die modernsten Spiegelreflexkameras auf ca. 500 Teile gesunken. Was Rollei Neuheiten anbelangt, so können wir Sie vielleicht auf der nächsten photokina befriedigen. Darüber hinaus arbeiten wir ständig an der Weiterentwicklung unserer Produkte."
Der Wettbewerb in der Optikbranche ist hart. Auf dem deutschen Markt stehen sich potente und renommierte Anbieter wie Leitz, Zeiss, Rodenstock und Schneider-Kreuznach gegenüber, auf dem Weltmarkt dominieren die Japaner Worin sehen Sie langfristig die Chance der Deutschen und speziell die von Schneider-Kreuznach?
"Die deutschen Firmen dieser Branche wie Leitz, Zeiss, Rodenstock und Schneider-Kreuznach sind keine Konkurrenten sondern Mitbewerber. Wir sind nur auf wenigen Gebieten Konkurrenten, insgesamt ergänzen wir uns eher. Unsere Konkurrenten sind die Japaner auf dem Weltmarkt und gegen die können wir nur bestehen, indem wir hochqualifizierte High-Tech-Produkte anbieten. Wir haben einen exzellenten Stab an qualifizierten und engagierten Mitarbeitern mit denen wir dies schaffen."
Sie arbeiten schon seit Jahrzehnten erfolgreich in der deutschen Fotobranche, machten jedoch nie Schlagzeilen. In der hiesigen Wirtschaftspresse weiß man offenbar noch nicht einmal, wie man Ihren Namen richtig schreibt (mit einem n oder mit zwei?) Sind Sie die sprichwörtliche graue Eminenz?
"Ich schreibe mich immer nur mit einem "n". Der Begriff "Graue Eminenz' ist so vielschichtig, auf meine Person trifft er nicht zu. Eine graue Eminenz, das ist so ein Königsmacher. Der Pferdmenges bei Adenauer war eine graue Eminenz, aber ich doch nicht. Ich habe selbst Anfang der fünfziger Jahre hinter der Ladentheke gestanden und immer nur das verkauft, wovon ich überzeugt war."
Vielleicht können Sie die wichtigsten Stationen Ihrer Biografie und Karriere einmal in ein paar Sätzen umreißen?
"Das haben Sie doch alles schon gelesen."
Erzählen Sie es uns trotzdem.
"Kameras sind mein Lebenslauf, ohne Unterbrechung über die Stationen Einzelhandel, Großhandel, Import, Export und so weiter."
... dann haben Sie quasi von der Pike auf im Fotohandel gelernt?
"Es war mir leider nicht vergönnt zu lernen. Ich habe mir das nicht leisten können, zu lernen. Ich mußte mir alles selber beibringen. Ich habe auch aus Fehlern gelernt, und meine inzwischen mehr als 50 Lehrlinge haben von mir gelernt. Arbeit ist für mich die wichtigste Quintessenz meines bisherigen Lebens. Es gab keine Stationen meiner Karriere, es gab nur einen sanften Übergang. Bei Beamten gibt es mal größere Sprünge als bei mir. Ich bin kontinuierlich meinen Weg gegangen."
... der führte unter anderem zum Aufbau des Ost-West-Kamerahandels in den Fünfziger Jahren.
"Ich habe zunächst in die DDR exportiert, denn da war ja zunächst nichts. Dann hat sich die Lage so entwickelt, daß wir kaufen wollten und wir haben die Praktica vertreten. Wir haben die Prakticas und Exaktas zu den meistverkauften Spiegelreflexkameras in der Bundesrepublik gemacht. Wir hatten in den Fünfziger und Sechziger Jahren, und da schon mit Schneider-Objektiven, ca. 60-70 Prozent Marktanteil mit Praktica und Exakta. Wir haben uns auch gegen die Japaner behauptet."
... und wann erfolgte Ihr Einstieg bei Schneider-Kreuznach?
"Das war 1980. Aber schon um 1955 habe ich fast ein Drittel der Schneider Objektivproduktion für meine Prakticas und Exaktas gekauft. Die Schneider-Übernahme war eine unspektakuläre Sache. Der Erwerb von B&W Filter 1984 war ein Tagesgeschäft, es ergab sich innerhalb von 24 Stunden."
Ist für Sie die Fotografie nur von kaufmännischem Interesse, ein bloßes Zahlenspiel um Gewinn und Umsatz, oder interessiert sie die Fotografie auch privat? Sind Sie gor ein eifriger Hobbyfotograf?
"Nein. Ich fotografiere zwar ab und zu, aber als Hobby kann man es bei mir nicht bezeichnen. Ich verstehe nur ganz gut, was der Kunde mit der Fotografie will. Die Fotobranche ist mein Beruf und von dem muß man sicher irgendwann auch mal abschalten."
Mit Ihrer Wahlheimat Berlin verbinden Sie ja ein ganz spezielles Kameraprojekt, die Exakta 66, die hier gefertigt wird. Hat diese Kamera unter den Vorzeichen der Rollei-Übernahme noch eine Zukunft?
"Wahlheimat ist gut, ich lebe seit 42 Jahren in Berlin. Die Exakta 66 wird es weiterhin geben. Sie wird in West-Berlin in kleinen Stückzahlen gefertigt. Wenn ich so sehe, wie es anderen Marken im Mittelformat ergeht, so bin ich mit dem Absatz ganz zufrieden."
Herr Manderman, Sie sind jetzt 65 und haben mehr erreicht als andere zu träumen wagen. Gehen Sie demnächst in den wohlverdienten Ruhestand oder planen Sie bereits Ihren nächsten Coup?
"Am liebsten würde ich mein Leben voll in Arbeit erfüllt beenden und nicht im wohlverdienten Ruhestand. Ich habe mir vorgenommen, auch weiterhin zu arbeiten."
Was holten Sie von der Formulierung, sie hatten sich Rollei zum 65. Geburtstag selbst geschenkt? Auch das Wort ,Lieblingskind' fiel. Das klingt verdächtig noch Spielzeug. das man wieder fallen wenn man keine Lust mehr hat.
"Rollei ist mein Lieblingskind. Aber ich spiele nicht damit, ich bin keine Spielernatur. Ich habe noch nie einen Lottoschein ausgefüllt in meinem Leben. Mit Arbeitsplätzen und Existenzen darf man nicht spielen, vor allen Dingen, wenn die Belegschaft so engagiert ist wie hier. Manche hatten es woanders leichter als bei Rollei, aber sie identifizieren sich mit der Firma über den Besitzer hinaus. In solch einem Team zu arbeiten, macht mir ungeheuren Spaß."
Als Sie früher hinter der Ladentheke standen und Rolleis verkauften, hoben sie je davon geträumt Rollei oder eine ähnliche Firma zu besitzen? War es gar erklärtes Ziel in Ihrem Leben?
"Nein, das war kein Ziel. Ich war immer zufrieden mit dem, was ich gemacht habe.'"
Alf Cremers in Color Foto 1/1988
{ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}