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Spezial Mittelformat Über Schwierigkeit die Entscheidung für das Mittelformat zu rechtfertigen. Plädoyer für ein größeres Format Das Mittelformat ist ein Zwitter. Es liegt irgendwo zwischen Kleinbild und Großbild, ist weder das eine noch das andere. Allein diese Mittelstellung, die durch eine Vielzahl von Unterformaten noch gegliedert wird, macht es argumentationsbedürftig. Plädoyer für ein Aufnahmeformat voller Widersprüche. Als überzeugter Mittelformat-Fotograf habe ich es nicht leicht. Ich stehe ständig unter Rechtfertigungszwang für meine kostspielige Liebhaberei. Liebe Mitmenschen, die glauben, etwas von Fotografie oder Kameratechnik zu verstehen, versuchen mich immerzu mit ihren tief eingefleischten Vorurteilen von der Unvernunft meines Tuns zu überzeugen. Ich gebe zu, ihre Argumente sind nicht schlecht, und es fällt mir bisweilen schwer, dagegenzuhalten. Ich kann schwer bestreiten, daß eine Mittelformat-Kameraausrüstung kostspielig ist. Es hilft einem jedoch enorm weiter, wenn man sich von der althergebrachten Kleinbildvorstellung löst, daß nur eine komplette Objektivpalette ein Garant für gute Bilder ist. Dem Geldbeutel tut diese Bewußtseinserweiterung ebenfalls gut. Die vielzitierte Beschränkung auf das Wesentliche entpuppt sich hier als Allheilmittel gegen die verbreiteten Materialschlachten der Kleinbildfotografen. Schon eine Mittelformat-Grundausrüstung sorgt für ein neues Verhältnis zur Fotografie. Ein neues, intensiveres Verhältnis zur Fotografie Es ist eine Art "Zurück zur Natur"-Erlebnis, bei dem sich der fotografierende Mensch fernab aller zivilisatorischen Krücken wie Motorantrieb, Programmautomatik und Mehrfeldmessung mit den Grundelementen der Fotografie herumschlagen muß, einen ständigen Kampf um Standpunkt, Perspektive, Bildausschnitt und Bildaussage führend. Allerdings reicht dieser Einwand bei weitem nicht aus, meinen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Bei der nächsten Attacke packen sie mich an meiner empfindlichsten Stelle. Sie rühren am Allerheiligsten eines jeden Fotografen, an der Qualität seines Bildes. Mittelformat sei gar nicht besser im Zeitalter der High Resolution-Kleinbildfilme neuester Technologie, die den rückständigen Rollfilmen haushoch überlegen seien und den Formatvorteil bei weitem wettmachten. Gewissermaßen strafverschärfend kommt für das Mittelformat noch hinzu, daß die Printeranstalten ihr technisches Know-how der letzten Jahre ausschließlich in die Verarbeitung der heute absolut dominierenden Kleinbildfilme investiert haben. Rollfilme wurden sozusagen auf einem technologischen Abstellgleis entwickelt, was Mittelformat-Prints im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen läßt. Nun muß ich die provozierenden Fragen einwerfen: "Hat jemand von Euch Banausen jemals eine Kodachrome 64 oder Agfachrome 100 RS Professional in einer Hasselblad belichtet und die Dias projiziert? Glaubt Ihr etwa, daß ein überzeugter Mittelformat-Jünger seine Bilder einem Großlabor anvertraut, in dem sie zur Massenware am laufenden Meter degradiert werden?" Ein Kleinbildfotograf mag sich damit abfinden, ein Mittelformat-Fan verarbeitet selbst im eigenen Heimlabor oder gibt Fachvergrößerungen in Auftrag. Ich gebe zu, es ist nicht leicht, für das Mittelformat überzeugend zu argumentieren, es fordert den ganzen Mann. Schon die unglückliche Bezeichnung "Mittelformat" riecht nach Kompromiß und lastet auf dem hohen Anspruch, den manche ihm gerechterweise zugestehen. Zwischen Kleinbild und Großbild Was ursprünglich als reine Standortdefinition zwischen dem populären Kleinbild und dem wirklich professionellen, das heißt nur von Berufsfotografen angewendeten Großbild mit der Fachkamera gedacht war, wurde immer mehr zum Streitpunkt zwischen Kleinbild- und Mittelformat-Fotografen. Hinzu kommt, daß der Plural Mittelformate - viel zutreffender wäre, denn auf 120er-Rollfilm lassen sich viele Bilder unterschiedlicher Abmessungen unterbringen. Da gibt es das kleine Mittelformat 4,5 x 6, dessen Rechteckformat als dynamisch aufgefaßt wird und dessen bescheidene Größe hilft, die Kamera klein zu halten, gerade so, wie es die Kleinbildaufsteiger mögen. Die reale Bildgröße beträgt 41 x 54 mm, damit sind 16 Aufnahmen auf 120er Rollfilm möglich. Als das Mittelformat schlechthin - im Zuge moderner Sprachregelung verdient es das Attribut "klassisch" gilt 6x6, real nur 54x54 mm. Bei vielen Art-Direktoren in der Werbung ist es als "statisch" verschrien, ein Rufmord, der unter völliger Mißachtung der großen Verdienste dieses Formats zustandekommt. So bleibt, im Gegensatz zu den Rechteckformaten, die Position der Kamera immer die gleiche. Es gibt keine umständliche Haltung bei Hochformataufnahmen, weil es kein Hochformat gibt. Der Wirrwarr der Formate Viele Menschen empfinden das Quadrat als überaus harmonische Bildform - gerade für Porträtaufnahmen ist es prädestiniert. Außerdem muß sich der Fotograf nicht schon bei der Aufnahme auf den endgültigen Bildausschnitt festlegen. Das 6x6-Dia oder -Bild bietet immer noch genügend Qualitätsreserven für einen Beschnitt. Um das Aufnahmeformat bei vorwiegend rechteckigen Printmedien voll zu nutzen, entstand das von Art-Direktoren initiierte Format 6x7 (real 55x70 mm) für die vorwiegend rechteckig orientierten Kataloge, Prospekte und Magazine. Allerdings fordert dieses sogenannte Idealformat seinen Tribut bei der Kameragröße und beim Bedienungskomfort. Gerade der Wechsel von Hoch- auf Querformataufnahmen fällt bei Kameras mit Wechselmagazin nicht leicht. Die Mamiya RB 67 löste dieses Problem mit dem genialen Drehrahmenrückteil, die Pentax 6x7 läßt sich dank ihres Kleinbild-Layouts beliebig drehen und wenden, wobei der Fotograf in diesem Fall allerdings auf das Wechselmagazin verzichten muß. Das größte Mittelformat 6x9 mutet heutzutage geradezu exotisch an; noch in den fünfziger Jahren war es dagegen bei Sucherkameras durchaus populär. Es weist mit zwei zu drei das gleiche, von vielen trotzdem nicht als ideal empfundene Seitenverhältnis wie das Kleinbild auf. Die Proportionen der Kamera beeinflußt es recht ungünstig, weshalb man es nur noch in Spezialkameras wie der Linhof Technikardan oder in der Rollfilmkassette von Großbild-Kameras findet. Zwischen 6 x 7 und 6x9 schob sich das neue Idealformat 6x8. Es findet in der vielseitig verschwenkbaren Fuji GX 680 und in der Motorkassette zur Mamiya RB 67 Verwendung. Diese Formatvielfalt stiftet nicht nur bei Kleinbildaufsteigern Verwirrung, sondern bringt auch alte Mittelformat-Hasen in Argumentationsnöte. Welches Mittelformat ist denn nun das beste? Diese Gewissensentscheidung wird sich zwischen 4,5x6, 6x6 und 6x7 abspielen. 4,5x6 für die Anhänger der schnellen, motorisierten Mittelformatfotografie mit Zoomobjektiven, 6x6 für die Freunde klassischer Bildproportionen und 6x7 für die Perfektionisten. Als Mittelformat-Anhänger muß ich mir immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, mit technisch rückständigen Kameras zu arbeiten. Jene Kritiker versuche ich erfolgreich mit den technischen Highlights des Mittelformats zu konfrontieren. Siehe da, die Aufzählung von Fuji GX 680, die ein neues Format kreierte und in ihrer Schwenkbarkeit dicht an eine Großbildkamera heranreicht, von Rolleiflex 6008 und Pentax 645 verfehlt ihre Wirkung nicht. Die Pentax versuchte als erste, Kleinbildtechnik und Bedienungskomfort auf ein größeres Format zu übertragen, auch wenn sie dabei meiner Meinung nach etwas von ihrer Mittelformat-Identität einbüßte - schließlich sind Ausstattungsmerkmale wie Wechselsucher und Wechselkassette gerade im Mittelformat zuhause. Eindeutig zum Mittelformat bekennt sich dagegen die nicht minder komfortable und schnelle Rolleiflex 6008 mit Wechselmagazin, deren Bedienungskomfort und Programmvielfalt manchen Anhänger von hochtechnisierten Kleinbildkameras vor Neid erblassen lassen. Oft passiert es, daß Mittelformatkritiker technischen Sachverstand vortäuschen wollen und dabei ihr letztes rhetorisches Geschütz auf eine vermeintliche Achillesferse von Mittelformatkameras richten. Das Schlagwort heißt: mangelnde Planlage. Doch bei genauerer Analyse entpuppt es sich als wenig wirkungsvoll. Sicher schenkten die Kamerakonstrukteure in den Zeiten, als Sucher-Rollfilmkameras preiswerte Volkskameras waren, dem letzten Quentchen Perfektion wenig Beachtung. Das große Format half ja, die technisch simple Machart einer Adox Golf oder Voigtländer Brillant auszugleichen. Heute ist die Filmandruckplatte gerade von Kameras mit Wechselmagazinen so aufwendig konstruiert, daß sie den großflächigen Rollfilmen keine Chance zur unerwünschten Entspannung lassen. Wider die reine Vernunft Die reine Vernunft macht einen Fotografen nicht zum Mittelformat-Fan. Um das zu werden, ist mehr vonnöten, als das bloße Vergleichen der Quadratmillimeter von Bildformaten. Mittelformat-Fotograf wird man in erster Linie aus Liebe zum Bild. Denn wo präsentiert sich das Endprodukt aller technischen und kreativen Bemühungen so überzeugend wie im Faltlichtschacht einer Mittelformatkamera? Die Mittelformatfotografie hat es schwerer als noch vor Jahren, für Kleinbildaufsteiger attraktiv zu sein. Der Qualitätsvorsprung ist durch das mehr denn je in der Film- und Verarbeitertechnologie dominierende Kleinbild geschrumpft. Das macht es nicht leicht, Argumente für das Mittelformat zu finden. Doch hat der Nischencharakter der Mittelformatfotografie die Kameras dieser Klasse vor dem uniformen Erscheinungsbild bewahrt. Nirgendwo gibt es bei Kameras eine derartige Vielfalt von technischen Prinzipien und Varianten. Ich bekenne mich zum Mittelformat, dem Bild zuliebe. Alf Cremers in Color Foto 8/1989 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}