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Interview Spiegelreflex-Pionier Otto Helfricht Die Deutschen haben den Anschluß verpaßt Otto Helfricht, Jahrgang 1906, schuf zusammen mit Karl Nüchterlein und Willi Teubner 1936 die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera, die Kine Exakta. Der Zeitzeuge von über vierzig Jahren deutscher Kamerageschichte erinnert sich an seine Arbeit als Konstrukteur bei Ihagee und Wirgin. COLOR FOTO: Herr Helfricht, in den Annalen der Kamerageschichte steht zu lesen, daß die drei eingangs erwähnten Personen die erste Spiegelreflexkamera bei der Ihagee in Dresden konstruierten. Welchen Part spielten Sie damals in diesem Team? Helfricht: Damals gab es kein Teamwork im heutigen Sinne, wo sich ein Ingenieur nur mit einem Detail beschäftigt und alles zum Schluß mit einfließt. Karl Nüchterlein hatte als Abteilungsleiter die Verantwortung für das Projekt, Willi Teubner und ich konstruierten und bauten die Muster. Ich war bis 1926 bei Ernemann, bevor ich zur Ihagee kam. Dort habe ich zahlreiche Erfahrungen mit dem Schlitzverschluß sammeln können, deshalb habe ich mich bei der Kine Exakta in erster Linie um den Verschluß gekümmert. COLOR FOTO: Einen solch kameratechnischen Durchbruch wie die Kine Exakta hätte man doch damals eher von einem der großen, berühmten Herstellern wie Leitz, Zeiss Ikon oder Voigtländer erwartet. Wie kam seinerzeit ausgerechnet Ihagee (Internationale Handelsgesellschaft Emil Englisch) dazu? Helfricht: Das hängt damit zusammen, daß Ihagee bereits damals eine lange Tradition im Bau von Spiegelreflexkameras hatte. Ich erinnere nur an die Patent-Spiegelreflex, die es für die Formate 6x9, 9x12 und 10x15 Zentimeter gab. Außerdem hatte die Kine Exakta eine unmittelbare, gleich konzipierte Vorgängerin, nämlich die Exakta 4x6,5 Zentimeter von 1933, die Basis der Kine-Exakta. Die Kameras Leica, Contax und Retina hatten das Kleinbild bereits so populär gemacht, daß eine Kleinbild-Exakta die logische Weiterentwicklung darstellte. COLOR FOTO: Ahnten Sie schon damals etwas vom großen Erfolg dieses Kamerakonzeptes, das ja nach dem Krieg die Fototechnik mehr und mehr revolutionierte? Helfricht: Wir waren uns von vornherein klar darüber, daß uns das gleiche bevorstehen würde wie Oskar Barnack. Zunächst verhinderten Skepsis und Zurückhaltung den großen Durchbruch. Außerdem kam der Krieg dazwischen. Doch bis zum Produktionsende am 11. März 1940 wurden etliche Tausende Kameras in alle Welt verkauft. Leider sickerte doch etwas über Werkspionage durch. Bereits 1937, ein Jahr später, kam die Praktica mit dem gleichen Konzept. COLOR FOTO: Kaum eine andere Kamera wurde mit geringfügigen Änderungen so lange produziert wie die Exakta. Die Nachkriegsmodelle, bekannt unter dem Namen "Varex", gab es bis 1970. Waren sie Resultat einer konsequenten Modellpflege, oder konnte solch ein Kamerafossil nur in der Planwirtschaft der DDR so lange überleben? Helfricht: In den fünfziger Jahren erwies sich das Spiegelreflex-Konzept der Exakta gegenüber der dominierenden Meßsucher-Konkurrenz aus dem Westen für viele Aufnahmebereiche als überlegen. Gerade das Wechselsucherprinzip, an dem ich kurz nach dem Kriege noch mitgearbeitet habe und das nachher als "Varex" in die Modellbezeichnung einfloß, machte die Kamera universell einsetzbar. COLOR FOTO: Gab es nicht auch bei der Exakta Streitigkeiten über die Namensrechte zwischen Ost und West, ähnlich wie bei Carl Zeiss? Helfricht: Ja, die gab es, es wurde prozessiert, und die Nachfolgerin der Ihagee in Dresden verlor. Dies führte zu zwei kuriosen Erscheinungen. Kameras, die aus dem Osten in die Bundesrepublik kamen, mußten fortan Elbaflex genannt werden, und ein paar ehemalige Exakta-Leute bauten in West Berlin die Exakta Real, die allerdings nur ein Jahr - von 1966 bis 1967 - der heftigen japanischen Konkurrenz widerstand. COLOR FOTO: Herr Helfricht, wie sieht denn Ihre persönliche Nachkriegsgeschichte aus? Helfricht: Nach der Flucht in den Westen 1947 arbeitete ich zunächst als Konstrukteur bei der Firma Steineck in Tutzing. COLOR FOTO: Die Firma mit der berühmten Armbanduhr-Kamera? Helfricht: Ja, genau. Allerdings fing ich bereits 1950 bei Wirgin in Wiesbaden an, bei dem Kamerawerk, das die Edixa-Modelle herstellte. Später wurde ich dann als Chefkonstrukteur der Nachfolger von Herrn Waarske, der später die berühmte Rollei 35 schuf. COLOR FOTO: Für Edixa waren Sie ja auch der richtige Mann, denn die Wirgin-Werke bauten dann ab 1953 Spiegelreflexkameras mit Schlitzverschluß. Helfricht: Hier konnte ich meine Erfahrungen aus Dresden einbringen, und es entstanden nach und nach eine Reihe von Spiegelreflexkameras, die durch eingebauten Belichtungsmesser und Selbstauslöser immer weiter verfeinert wurden. 1966 führten wir die TTL-Messung durch das Objektiv ein. Eine von Waarske eingeführte Spezialität stellte die Edixa 16 dar; sie sollte nach der Kleinbild-Revolution einem noch kleineren Format, basierend auf dem 16-Millimeter-Film, zum Durchbruch verhelfen, aber dies gelang nicht. 1968 mußten die Wirgin-Werke Konkurs anmelden. Von da ab führte ich bis 1980 meinen eigenen Kamerareparaturbetrieb. COLOR FOTO: Sind Sie der Meinung, daß am Ende von Wirgin die Japaner schuld waren? Helfricht: Das kann man so einfach nicht sagen. Viele meinten, die Japaner würden nur kopieren, aber das taten sie nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt, dann fingen sie ab 1960 an, einige bahnbrechende Ideen zu entwickeln. Diesen Zeitpunkt des Übergangs haben die Deutschen bedauerlicherweise verpaßt. Später fehlte ihnen dann das finanzielle Potential, um gleichzuziehen. COLOR FOTO: Ironie des Schicksals: Heute heißen japanische Kameras Edixa und Exakta. Helfricht: Ja, weil die Namensrechte verkauft wurden. COLOR FOTO: Glauben Sie, daß die deutsche Kameraindustrie mit ihrer jetzt betriebenen Nischenpolitik noch überleben kann? Helfricht: Als kleine Spezialisten vielleicht, aber für einen neuen Aufschwung fehlen die epochemachenden Neuentwicklungen. Ich glaube, daß man inzwischen nicht mehr die richtigen Leute dafür hat. COLOR FOTO: Herr Helfricht, Sie sind jetzt 83 Jahre alt. Fotografieren Sie eigentlich noch, interessieren Sie sich überhaupt noch für die Fotobranche, nachdem Sie ein Leben lang mit ihr zu tun hatten? Helfricht: Ich fotografiere noch mit einer kleinen Kompaktkamera; ab und zu gehe ich in die Fotoabteilung eines Kaufhauses und sehe mir die neuen Modelle an. Anonym in Color Foto 12/1989 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}