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Sind Kamera-Auktionen eine Quelle für günstige Gelegenheiten?
Auktionen haben einen vornehmen Charakter. Berühmte britische Namen wie Christie's und Sotheby's spielen in der Welt des Luxus und der edlen Antiquitäten eine große Rolle. Hier trifft man auf einmalige Kamerakostbarkeiten, kaum allerdings auf günstige Gelegenheiten. Doch es gibt Kamera-Auktionen, bei denen auch weniger Betuchte zu Raritäten kommen
Donnerstag, 9. November 1989, 12 Uhr 30, Schauplatz London, King Street 8: Die Versteigerung im weltberühmten Auktionshaus Christie's nähert sich ihrem Höhepunkt. Der Mann am Podest, Auktionator Christopher Proudfoot, ruft die Nummer 198 auf. Hinter der nüchternen Zahl verbirgt sich eine kostbare Kamera, wie es sie kein zweites Mal auf der Welt gibt. Proudfoots Assistent Michael Pritchard präsentiert in diesem Moment dem erwartungsvollen Publikum die Leica R 6 mit Platinauflage und echtem Krokoleder. Sie wurde anläßlich des Doppeljubiläums 150 Jahre Fotografie und 50 Jahre Leica-Fotografie in Solms handgefertigt. Die Prägung auf der Mahagoni-Schatulle erinnert daran. Pritchard trägt Glacehandschuhe, während er die Kamera hochhält, um die hochglänzende Platinoberfläche nicht zu beschmutzen. Der erste Aufruf der Nummer 198 lautet auf 10000 Pfund. Nicht nur im Saal treiben zahlreiche Angebote den Preis schnell in die Höhe, einige Bieter sind in diesen Minuten auch telefonisch mit Christie's verbunden. Einer von ihnen ist Dr. Luigi Garibaldi aus Turin. Er erhält schließlich bei 24000 Pfund, umgerechnet zirka 70000 Mark, den Zuschlag, als Proudfoots Hammer das dritte Mal auf das Podest saust. Der Auktionator hält in der Bewegung kurz inne, um vor der Besiegelung durch den Hammerschlag einem Zauderer noch die letzte Chance zu geben - vergeblich. Der italienische Kamerasammler aus Leidenschaft bekommt seine Platin-Leica - und der World Wildlife Fund geht ebenfalls nicht leer aus. Die 24000 Pfund sollen helfen, die Elefanten vor der Ausrottung zu bewahren. Der Betrag bedeutet gleichzeitig einen Weltrekord bei einer Kameraversteigerung: 1977 brachte eine seltene Leica 21000 Pfund; bei der diesjährigen Versteigerung erhielt unter der Nummer 137, zur Einstimmung auf die Platin-Leica, ein Bieter für eine Leica I mit dem gesuchten Anastigmat 3,5/50 mm bei 9500 Pfund den Zuschlag.
Angesichts eines solch hohen Preisniveaus könnte der Eindruck entstehen, Kamera-Auktionen seien nur etwas für betuchte Sammler, die stets das Scheckbuch mit sich führen, um dort fünfstellige Beträge zu notieren. Zugegeben, bei Christie's und Sotheby's kommen nur ausgesuchte Raritäten unter den Hammer. Kamera-Sammlern und Liebhabern von Photographica, die auf Erschwingliches aus sind, steht in Deutschland ein Auktionshaus zur Verfügung, das sich seit Jahren auf die Versteigerung alter Fotoapparate spezialisiert hat und einen ausgezeichneten Ruf genießt. Das Auktionshaus Regina J. Cornwall in Köln führt mehrmals im Jahr groß angelegte Versteigerungen von Kameras, Objektiven, Fotoliteratur und Zubehör durch, die jeweils von einem detaillierten Katalog mit präzisen Angaben zu den Objekten begleitet werden. Er enthält sowohl Zustandsbeschreibungen der einzelnen Posten als auch Literaturangaben und Hinweise auf Besonderheiten und produzierte Stückzahlen. Schon traditionell für das Kölner Haus ist die Leica-Versteigerung anläßlich jeder photokina. Nicht nur von der Anzahl der angebotenen Objekte, der Katalog vom Januar 1989 verzeichnete nicht weniger als 1 905 Posten, sondern auch von der Vielfalt des Angebots kann das Auktionshaus Cornwall hierzulande als mit Abstand führend gelten. Für engagierte Kamerasammler gehören die Cornwall-Auktionen genauso zum Pflichtprogramm wie der Besuch der größten Fotobörsen Deutschlands; auch das Preisniveau ist vergleichbar. So erzielte beispielsweise im Januar 1989 eine Voigtländer Bessamatic, bestückt mit dem seltenen Zoomar, dem ersten Zoomobjektiv der Welt für eine Stehbildkamera, 946 Mark; aufgerufen wurde sie mit 390 Mark. Üblicherweise wird allein das Objektiv schon mit rund 1000 Mark gehandelt. Eine Rolleiflex SL 35, die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera aus dem Hause Franke & Heidecke, signiert "Made in Germany" und im Katalog mit "rarissima" apostrophiert, ging für 630 Mark an den Käufer. Ein drittes Beispiel aus dem Katalog soll das Vorurteil ausräumen, Auktionen seien teuer: Ein neuwertiges Contarex-Professional-Gehäuse aus dem Jahre 1966 wechselte für 1250 Mark den Besitzer. Von der Kamera wurden weniger als 1000 Exemplare in Stuttgart gebaut.
Auktionen sind an gewisse Modalitäten gebunden, die ein Bieter kennen sollte. Ein Gelegenheitskauf bei einem Fotohändler ist zweifellos unkomplizierter, als an einer Kamera-Auktion teilzunehmen. Deshalb hier ein paar Spielregeln: Wochen vor der Auktion gibt der Versteigerer einen Katalog heraus, der alle zur Versteigerung anstehenden Posten mit dem Aufrufpreis enthält. Dieser Aufrufpreis wird auch als Limit bezeichnet und gibt das Mindestgebot an. Gebote können vor der Versteigerung schriftlich eingereicht werden. Eine Besichtigung der Photographica ist bei Cornwall zirka eine Woche vor der Auktion möglich. Den aufgerufenen Posten nennt man in der Fachsprache der Versteigerer "Los". Gesteigert wird auf ein Los in Schritten von zehn Prozent des Limits. Ein 500-Mark-Artikel kostet also bei jedem Gebot 50 Mark mehr. Werden mehrere Kameras, Postkarten oder Bücher im Katalog zu einer Nummer sprich einem Los - zusammengefaßt, redet man von einem Lot. Schriftliche und telefonische Angebote können bis spätestens zwei Tage vor der Auktion berücksichtigt werden. Sofortige Zahlung bei Zuschlag versteht sich von selbst.
Die Organisation einer Versteigerung und die Herstellung des Katalogs bedeuten einen erheblichen Kostenaufwand für den Versteigerer. Deshalb erhebt das Auktionshaus Cornwall ein Aufgeld von siebzehn Prozent pro Zuschlag plus zwei Mark Losgebühr. Außerdem muß der Bieter, der den Zuschlag erhält, noch vierzehn Prozent Mehrwertsteuer auf den Gesamtbetrag zahlen. Natürlich kann der Versteigerer für alte Kameras keine Garantie oder Gewährleistung übernehmen, gravierende Funktionsmängel werden allerdings angezeigt. Nähere Auskünfte über die Versteigerungsbedingungen und über Auktionstermine erteilt das Auktionshaus Cornwall unter der Telefonnummer 0221/176011.
Versteigerungen von gehobenem Konsumgut, unter anderem auch Kameras, finden bei den Auktionshäusern Henry's in Ludwigshafen und Queen's in München statt. Fotografen, die neue Modelle günstig per Versteigerung erstehen wollen, sei empfohlen, die Tageszeitung zu studieren. Hier werden die öffentlichen Versteigerungen der Amtsgerichte angekündigt, die Ware aus Konkursbeständen offerieren. Auch Pfandhäuser schlagen über Versteigerungen nicht eingelöstes Gut los und geben dies in der Tagespresse bekannt.
Auktionen können durchaus eine Quelle für günstige Raritäten sein. Die Veranstaltungen des auf Photographica spezialisierten Hauses Cornwall in Köln gehören sicher in den Terminkalender des ambitionierten Sammlers. Die dort erzielten Preise liegen auf akzeptablem Niveau und haben eine Orientierungsfunktion. Deshalb wurden sie in einem Katalog zusammengefaßt, der als Preisbarometer für Liebhaberstücke gelten kann. Er trägt den Titel "Photographica-Preise" und ist bei Lindemanns Fotobuchhandlung in Stuttgart erhältlich.
Alf Cremers in Color Foto 3/1990
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