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Kommentar Die Askese des Werkzeugs Artur Landt, Redakteur Für Jeanloup Sieff ist die Wahl der Kamera eher unbedeutend für die Bildergebnisse: Es ist genauso, wie "mit den Texten von Henry Miller hier ist nicht die Underwood Schreibmaschine entscheidend und bei einem Gemälde von Paul Klee nicht die Farbe von Lefranc". Diese Aussage klingt zunächst sehr überzeugend, obwohl sie eigentlich eine Nebensache zur Hauptsache erklärt. Das Erste und Entscheidende ist nämlich die Art des Werkzeugs - die Wahl der Marke ist dann mehr oder weniger nebensächlich. Die Marke der Schreibmaschine mag unwichtig sein, es wäre jedoch kaum vorstellbar, daß Henry Miller seine Texte auf einem PC geschrieben hätte. Ein PC strahlt eine gewisse Sachlichkeit aus, die eher zu einer Reportage oder zu einem Essay, als zu sinnlichen Texten paßt. Eine mechanische Schreibmaschine und eine Flasche Whisky sind die "Werkzeuge" Henry Millers, nicht Bildschirm und Software. Denn man sollte den Einfluß der Werzeugart beim Schreiben bestimmter Texte nicht gering schätzen. Wenn beispielsweise Freud das Schreiben mit dem Füller dem Koitus gleichsetzt und ihm eine und ihm eine "orgasmische" Komponente (aus einem Rohr fließt Flüssigkeit) zuschreibt, dann ist das mehr als eine Metapher. Auch das Beispiel mit Paul Klee ist nicht ganz nachzuvollziehen, denn seinen Bildern ist ein Malstil und ein unverwechselbarer Umgang mit der Farbe eigen, die mit den Pinseln und Farben eines Jackson Pollock, um nur ein Beispiel zu nennen, einfach nicht zu realisieren wären. Ist die Wahl der Kamera, genauer der z Art der Kamera, dann tatsächlich so unwichtig, wie Jeanloup Sieff es meint? Daß dem nicht so ist, haben wir mit der uns eigenen Zurückhaltung bereits angedeutet. Wer zu einer hochtechnisierten Kamera greift, entscheidet sich nicht nur für ein Gerät, sondern auch und vor allem für eine einzunehmende innere Haltung, die seine Art und Weise des Fotografierens beeinflußt, ja sogar bestimmt. Die Kamera als Werkzeug ist eine Verlängerung unserer Sinne und Empfindungen, mit denen dann auch die Bildergebnisse im Einklang sind. Die Kamera, die vom Werkzeug zur Bildermaschine wird, folgt, sich selbst überlassen, den stereotypen Gesetzmäßigkeiten digitalisierter Automatismen. Die hochtechnisierten, mit Placebo-Funktionen überfrachteten Kameras entwickeln eine Eigendynamik und verlängern oder verlagern die Digitalisierung in die Ebene der Bilder, Der Maschine fehlt eben die Askese des Werkzeugs. Die Folge ist eine Flut von mittelmäßigen korrekt belichteten Fotos, die nicht mehr im Einklang mit den Empfindungen des Fotografierenden sind. Die digitalisierten Fotos haben mehr virtuellen als reellen Charakter, weil sie der Wirklichkeit der Kamera und nicht der des Fotografen entsprechen. Der Fotografierende wird aber zum Fotografen, indem er die Bilder selbst macht, anstatt sie von der Bildermaschine machen zu lassen. Es mag sein, daß die überflüssigen Ausstattungsmerkmale einer High-Tech-Kamera zu benutzen, nicht primär eine Frage der Moral der Kamerahersteller, sondern der Selbstdisziplin der Fotografen ist. Der Hinweis, man könne ja die Placebo-Funktionen auch ausschalten, genügt indes nicht. Es ist auch ein Irrtum zu glauben, Technik sei neutral und lediglich der Gebrauch könne gut oder schlecht sein. Oder um mit Martin Heidegger zu sprechen: "Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten". Technik ist nämlich alles andere als wertfrei. Sie impliziert den Mißbrauch, ja sie fordert ihn geradezu heraus. Der Mensch entscheidet sich nämlich nicht bewußt, die Technik zu mißbrauchen, oder eine leblose Maschine falsch einzusetzen. Die Zusammenhänge sind natürlich viel komplexen, als daß wir an dieser Stelle darauf eingehen können. Nehmen wir nur ein einfaches Beispiel: Einen externen Winder setzt man an, wenn man ihn tatsächlich braucht. Aber schon ein eingebauter und nicht abschaltbarer Kameramotor kann den Filmverbrauch doch merklich erhöhen. Der Fotograf entscheidet sich dabei selbstverständlich nicht bewußt für die Erhöhung des Filmverbrauchs zur Freude der Filmhersteller - die zur Filmvernichtungsmaschine gewordene Kamera diktiert sie ihm. Man mag das auf das prometheische Gefälle, die Antiquiertheit des Menschen (Günther Anders) oder auf seine "faustische Leidenschaft" (Oswald Spengler) zurückführen und die Technik an sich nicht verurteilen. Man kann es aber auch mit dem französischen Philosophen Gabriel Marcel so formulieren, "daß es zum Wesen der Technik gehört, den Geist in Versuchung zu führen". In diesem Sinne kann eine hochtechnisierte Kamera den Fotografen dumm machen - oder zumindest dazu führen, daß man die eigene Intelligenz nicht mehr einsetzt, weil man sich blind auf die Kamera verläßt. Dann wird der Fotograf entmündigt und die Kreativität domestiziert. Artur Landt in Color Foto 9/1993 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}