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Test & Technik Report
Verbundwerkstoffe auf Kunststoffbasis
Gut gerührt
Moderne Verbundwerkstoffe verdrängen auch im Kamerabau die klassischen Metalle. Verbundwerkstoffe stellen eine Kombination mehrerer Materialien dar. Die Eigenschaften des Verbundwerkstoffs übertreffen hierbei die Eigenschaften der Einzelwerkstoffe. In Kameras finden hauptsächlich faserverstärkte Thermoplaste, zum Beispiel Polycarbonat plus Kohlenstoff-Faser, seltener auch Duroplaste Anwendung. Was sind faserverstärkte Thermoplaste? Was können sie? Die Antworten finden Sie auf diesen Seiten - in Teil 2 unseres Reports über Kunststoff im Kamerabau.
Rühren? Bei den modernen Verbundwerkstoffen ist Rühren ein wenig "out". Zwar machen viele Einzelkomponenten einen Verbundwerkstoff erst so richtig gut - und auch teuer der eigentliche Trick aber besteht in den meisten Fällen in sehr komplizierten Strukturen.
Die in diesem Beitrag behandelten Verbundwerkstoffe bestehen aus mit Fasern verstärkten Kunststoffen - mit Fasern verstärkt, weil sie beispielsweise die mechanische Festigkeit, die Schlagzähigkeit oder auch die Maßhaltigkeit eines Kunststoffs deutlich zu steigern vermögen. Machbar ist dies mit nahezu jedem Kunststoff. Bei den hierfür verwendeten Fasern unterscheidet man kurze Fasern, lange Fasern, Endlosfasern und zwei- bis dreidimensionale Faser-Gewebe.
Neben Fasern finden auch Pulver, Plättchen und kleine Kugeln Anwendung, um die Festigkeit des Kunststoffs zu erhöhen. Die Kamera-Hersteller greifen meist zu kurzen Fasern. Diese sind entweder statistisch verteilt oder aber den zu erwartenden Belastungen entsprechend ausgerichtet (im einfachsten Fall parallel zueinander und parallel zur Hauptzugrichtung). Als Fasermaterial dienen hauptsächlich Glasfasern und Kohlenstoff-Fasern seltener Aramid.
Herstellung
Beim Verstärken der Kunststoffe dominieren zwei Verfahren.
Verfahren 1:
Der Hersteller vermischt zunächst das Matrixmaterial (das geschmolzene Kunststoffgranulat eines Thermoplasten) mit den Füllstoffen (Kurzfasern) und gibt dann diese zusammen in eine Form. Als Spritzguß ist dies ein relativ preiswertes Verfahren. In der Regel (nur bei Thermoplasten) wird nicht direkt gegossen, sondern zunächst ein neues, nun verstärktes Granulat erstellt. Neben Thermoplasten (PC, PA, ABS) kommt diese Mischtechnik auch für Duromere und Elastomere in Frage.
Verfahren 2:
Man erzeugt einen nicht gießbaren Verbundwerkstoff. Das Matrixmaterial wird in einen vorbereiteten Verstärkungswerkstoff (beispielsweise eine Fasermatte) gegeben, härtet aus und bildet mit diesem einen festen, temperaturbeständigen Verbundwerkstoff. Entweder fließt das Matrixmaterial hierbei in eine mit der Fasermatte ausgelegte Form, oder aber man stellt zunächst einen ungeformten Rohwerkstoff her. Dieser muß später mechanisch bearbeitet werden. Zwischenschritte mit unausgehärtetem Harz sind möglich. Möglich ist auch, mehrere Schichten übereinanderzulegen und zu tränken (laminieren). Dies ist ein relativ aufwendiges Verfahren, das jedoch im Ergebnis der Kurzfaser-Verstärkung überlegen ist.
Als Matrixmaterial sind Duromere - wie etwa Epoxidharz - üblich. Mittlerweile erzielen aber auch Verbundkunststoffe mit thermoplastischen Matrixharzen, wie PEEK, ähnlich gute mechanische Eigenschaften. Hoch verstärkt erreichen derartige Verbundwerkstoffe die Festigkeit von Stahl, und dies bei einem wesentlich geringerem Gewicht.
Wenn es dann noch etwas mehr sein darf und Geld keine Rolle spielt: Metalle und keramische Werkstoffe leisten als Matrixmaterial wiederum mehr als Duroplaste. oder aber man greift gleich zu einem reinen Kohlenstoff-Gebilde. So schützt die NASA die heißesten Stellen der Raumfähren mit Kohlenstoff-Kohlenstoff-Kacheln. Ein amorpher Kohlenstoff dient dabei als Matrix für einen halbkristallinen Kohlenstoff, eben Kohlenstoffasern - beständig bis zu Temperaturen um 2500 Grad. Zusätzlich schützt eine dünne Keramikschicht das Kohlenstoff-Gebilde vor Oxidation.
Verbundwerkstoffe in Kameras
In der Kameraindustrie spielt Geld dann aber meist doch eine Rolle. Üblich sind deshalb die Füllung eines Thermoplasten (PC, PA oder ABS) mit kurzen Glas- oder Kohlenstoffasern sowie die Verstärkung von Elastomeren (Kautschuk) mit Pulvern (Ruß). Beides erlaubt eine preisgünstige Verarbeitung entsprechend Verfahren 1. Nur in Ausnahmefällen finden mit Fasergeweben verstärkte Duromere (wie Epoxidharz) Anwendung. Produkte solcher Anwendungen sind die Verschlußlamellen der Minolta 9xi und einiger Rollei-Objektive.
Kurzfaser - lieber aus Kohlenstoff oder aus Glas? Zwar haben Kohlenstoff-Fasern die besseren mechanischen Eigenschaften, sie sind aber auch teurer als Glasfasern. Doch ob Glas oder Kohlenstoff - derartige Kurzfasern verbessern die mechanischen Eigenschaften eines Kunststoffs erheblich.
Neben unorientierten, also statistisch verteilten Fasern kann man auch Werkstoffe gießen, bei denen ein großer Teil der Fasern in eine gemeinsame Richtung zeigt. Parallel zu dieser Vorzugsrichtung entwickelt der Werkstoff dann seine höchste mechanische Festigkeit, weit über die Festigkeit des unorientiert verstärkten Kunststoffs hinaus. Allerdings ist der orientiert verstärkte Kunststoff senkrecht zu seiner Vorzugsrichtung schwächer als ein unorientiert verstärkter Werkstoff (bei gleicher Fasermasse). Was besser ist, hängt vom Einsatzbereich des Verbundstoffs ab und ist natürlich auch eine Kostenfrage. Bei spritzgegossenen Verbundwerkstoffen kann von selbst eine Vorzugsrichtung entstehen. Entscheidend ist, wieviel Kraft die Faser von der Matrix aufnehmen kann. Neben Faserform, Faserrichtung und eventueller Gewebeverknüpfung spielt die Haftung der Materialien aneinander eine wichtige Rolle, die durch eine spezielle Faserbeschichtung wie härterfreies Epoxidharz beeinflußbar ist.
Bei der Fasergröße gilt es, einen Kompromiß zu finden, um die optimale Haftung von Faser und Matrix zu erzielen. Kleine Fasern haben eine große Oberfläche im Vergleich zu ihrem Volumen. Bei zu kurzen Fasern wird die Oberfläche der einzelnen Faser zu klein, um die angreifende Kraft von der Matrix auf die Faser zu übertragen. Über die Qualität eines Verbundwerkstoffs entscheidet das optimale Zusammenspiel von Matrix und Faser.
An der Qualität dieses Berichts hat Professor Dr. Oscar Nuyken von der Technischen Universität München großen Anteil. Ihm gilt unser herzlicher Dank.
Zur Entfaltung der eigenen Kreativität
Moderne Kameras sind beinahe perfekt funktionierende Bildmaschinen - aus Kunststoff. Zu Kunststoffen greifen die Hersteller, um ihre Kosten zu senken. Dabei leisten die sorgfältig ausgewählten und gut verarbeiteten Kunststoffe fast das gleiche wie Metalle. In einigen Fällen, beispielsweise bei superschnellen Verschlüssen, sind die Kunststoffe sogar den Metallen überlegen. Letztendlich entscheidet der Käufer einer Kamera, ob er billigen Ramsch oder preisgünstige Qualität mit nach Hause nimmt. Er hat die Wahl.
Doch preiswerte Perfektion ist nicht alles. Die Hobbyfotografie lebt nicht nur von perfekten Ergebnissen, sondern auch von der Freude am Fotografieren. Dies scheint so mancher Kamerabauer aus den Augen verloren zu haben. Das Hobby Fotografie braucht Kameras, die Spaß machen, die faszinieren. Doch welche Faszination strahlt kohlenstoffaserverstärktes Polycarbonat aus im Vergleich zu verchromtem Messing? Metall steht ganz selbstverständlich für Qualität, für Langlebigkeit, für Präzision. Kunststoffen fehlt dieses positive Image bislang. Auf der Waagschale liegt hier oben nicht nur das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Materials, sondern zugleich die Antwort auf die Frage: Mit welcher Kamera macht es mehr Spaß zu fotografieren?
Werner Lüttgens in Color Foto 10/1993
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