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Photographica Aktuell Leitfaden für den Kamerasammler Gezügelte Leidenschaft Die technische Kreativität des Menschen konzentrierte sich seit jeher ganz besonders auf Geräte, die zum Festhalten und Abbilden von Situationen und Erinnerungen geeignet waren. Die Vielfalt der Kameraarten und -konstruktionen ist enorm. Von der Holzkamera mit dem schwarzen Tuch hinter der Mattscheibe bis zur modernen Autofokus-Sucherkamera vom Schlage einer Nikon F4 reicht das Spektrum sammelwürdiger Kameratechnik. Dazwischen liegen mehr als 100 Jahre und Generationen von Marken, Modellen und technischen Lösungen, um nur eins zu erreichen: die optimale, scharfe und richtig belichtete Wiedergabe der Wirklichkeit. Eine solche Vielfalt muß jeden, der sich sammelnd diesem Thema widmen will, zunächst verwirren. Deshalb tut Orientierungshilfe gerade für die Einsteiger not. Warum das Sammeln von Kameras einen so befriedigende Angelegenheit darstellt, ist leicht erklärt. Design und Funktion stehen bei Kameras in direktem Zusammenhang. Alte Kameras sind nicht nur schon anzusehen, ihre Bedienung erfordert zugleich ein gewisses Maß an Feingefühl. Die filigranen Bauteile sind häufig liebevoll graviert und bearbeitet, oft ohne Rücksicht auf den Kaufpreis - wodurch sie sich angenehm von den billigen Wegwerf-Produkten der unteren Preisklasse unserer Tage unterscheiden. Wie also sammeln, wenn einen erst einmal die Leidenschaft gepackt hat? Alles zu kaufen, was gefällt, macht wenig Sinn. Kritische Reflexion über Ziel und Absicht des Sammelns ist nützlich, weil Kameras nun einmal teurer sind als Blechdosen und Streichholzschachteln. Man unterscheidet bestimmte Formen des Sammelns. Der emotionale Sammlertyp hat am Anfang meist ein kindliches Entdeckererlebnis, dessen Ursache zum Beispiel ein zufälliger Dachbodenfund sein kann. Er wird als nächstes in der Familie nach abgelegtem Fotografiergerät suchen und letztlich eine ziemlich inhomogene Mischung sein eigen nennen, in der Box, Klappkamera, frühe Nachkriegs-Kleinbild und die eigene Agfa Iso Rapid, die er zur Kommunion geschenkt bekam, zwar friedlich, aber zusammenhanglos koexistieren. Der emotionale Sammler sucht sodann, in der zweiten Stufe seiner Passion, häufig nach verlorengegangenen oder verkauften Apparaten, die in seiner persönlichen Erinnerung eine Rolle spielten. Auf der Habenseite stehen zwar geringe Ausgaben und der hohe Erinnerungswert, dennoch hält sich die Befriedigung in Grenzen, weil ein wirklich wertvolles Stück, je nach Betuchtheit der Vorfahren, meist fehlt und weil die Fundstücke oft nicht zu wirklich hervorragenden Fotos taugen. Der billige Jakob Ein verbreiteter Sammlertyp C in der Kameraszene ist der sogenannte billige Jakob. Sein Revier sind die Flohmärkte und Kleinanzeigen, die Fundgruben beim Fotohändler und die Versteigerungen der lokalen Pfandhäusern. Der billige Jakob klopft so ziemlich alle Kameras unter 100 DM ab. Je billiger, desto besser: Quantität geht ihm eindeutig vor Qualität. Dabei vergißt er in seiner Besitzeuphorie nur allzu leicht, daß zehnmal 50 DM auch 500 DM sind und daß viele als Durchschnittsware geltende Kameras auch Geld verschlingen, das niemals Aussicht darauf hat, im Falle eines Verkaufs auch nur annähernd wieder zurückzufließen. Kameras wie Briefmarken zu sammeln, macht zwar zunächst viel Spaß, weil sich die Freude über das neue Stück im beinahe wöchentlichen Rhythmus einstellt, aber auch das schönste Gefühl nutzt sich in häufiger Frequenz ab, und das Ende bedeutet großen Frust gepaart mit Verlust. Der Vernunftsammler Das Gegenstück zum billigen Jakob ist der Vernunftsammler. Seine Käufe werden meist nicht von Leidenschaft bestimmt, sondern geplant getätigt. Der Vernunftsammler kauft selten, aber gezielt, nur bekannte Marken wecken sein Interesse, von Exoten läßt er die Finger. Dieser Sammlertyp wird oft in vertrackte Überlegungen verstrickt, was er nun kaufen soll oder nicht. Er kauft nie spontan und legt pro Kauf etwa zehnmal soviel Geld an wie der billige Jakob. Der Kamerakauf behält die ursprüngliche Form des Erwerbs eines Wertgegenstandes und damit auch das befriedigende Gefühl, sich etwas Besonderes geleistet zu haben, während der billige Jakob das Erstehen einer Kamera so alltäglich erlebt wie andere den Erwerb von Schuhen oder Konfektion. Der Vernunftsammler tendiert zu Nobelmarken, in seiner Vitrine findet man nicht selten eine Leica oder Contax, er achtet auf die Rendite. hängt nicht mit Leib und Seele an jedem Stück, überschreitet so gut wie nie das Dutzend. Seine kleine Kamerasammlung pflegt er wie einen Garten, tauscht oft ein gutes Stück gegen ein besseres gleichen Typs aus, weil er Perfektionist ist. Zustand A ist sein Ziel, und er liebt es, seine Sammlung durch Prospekte und Literatur zu ergänzen. Bei originalverpackten Kameras mit zeitgenössischer Bedienungsanleitung gerät er, bei aller Reserviertheit, leicht aus dem Häuschen, sein typisches Revier sind die Sammlerbörsen und Gelegenheiten-Schaufenster der Fotohändler. Der Vernunftsammler bekommt sein Defizit an Leidenschaft in barer Münze ausgezahlt. Im Unterschied zu den beiden zuvor genannten Charakteren ist er ein Vorbild für den Einsteiger, weil er seine Passion in geordneten Bahnen hält. Meilensteine für den Technik-Freak1 Der versierte Sammler-Prototyp ist der Technik-Freak. Er sammelt gezielt und baut sich eine entwicklungshistorisch und chronologisch genau nachvollziehbare Sammlung auf. Sein Vorbild sind die Museen, seine Leidenschaft die Meilensteine der Fototechnik. In seinem Bestand - er neigt deutlich weniger zur akkuraten Vitrinenunterbringung seiner meist umfangreichen Sammlung - konzentrieren sich nicht nur Vintage-Modelle renommierter Marken wie beim renditebeflissenen Vorgänger in dieser Aufzählung. Technisch Ausgefallenes, das Maßstäbe setzte, gibt es nämlich in Kamerahistorie genug, vor allem in den sechziger und siebziger Jahren. Deshalb nennt der Technik-Freak nicht nur die großen Vorbilder Leica, Contax und Rolleiflex sein eigen. Er kramt heftig und voller Leidenschaft in der japanischen Innovationskiste der sechziger und siebziger Jahre: Nikon F, Asahi Pentax Spotmatic, Minolta SRT 101, Olympus OM-1, das darf alles nicht fehlen. Auch Exoten, deren Meilenstein am Ende einer Sackgasse steckte, wie die Voigtländer Vitessa, die Minolta Pocket-Zoom oder die Olympus Pen F, möchte er nicht vermissen. Funktion und Aussehen sind für den Technik-Freak nicht unbedingt wichtig, für einen technisch voll verkonstruierten Exoten nimmt er auch gern einmal Zustand C in Kauf. Der Technik-Freak feilscht gern beim Kauf - zu viele Meilensteine belasten den Etat, nicht aber die Freude an einer Sammlung, die Spiegelbild einer Entwicklungsgeschichte ist und deshalb einen gewissen Wert repräsentiert. Die Logik des Aufbaus ist durchdacht, die Befriedigung hoch, und die ureigene freizügige Definition des Begriffs "Meilenstein" läßt noch Platz für die Lieblingskamera, auch wenn sie ganz so bahnbrechend nicht war. Der Markenfetischist schließlich ist der verbissenste Sammler. Sein Schlaf wird häufig gestört von Zwangsvorstellungen, deren Gegenstand oft das Modell einer Baureihe ist, das gerade noch fehlt. Der Markenfetischist findet sich meist im Leica-, Rollei- und Contax-Lager, aber auch bei den Japanern wie Nikon, Canon oder Olympus fühlt er sich inzwischen durchaus zu Hause. Die Marke zählt Der Markenfetischist ist gewöhnlich ein exzessiver Sammler, neben den Kameras gilt sein Interesse allem, was mit dem Schriftzug seiner Lieblingsmarke signiert ist, vom Aschenbecher bis zur Trillerpfeife. Noch mehr als der Technik-Freak unterliegt der Markenfetischist der Suchtgefahr. Kleinanzeigen in Fachzeitschriften, deren enormer Zeilenumfang auf eine Sammlungsauflösung schließen lassen, künden nicht selten von exzessiver Kauflust, der jedoch auf Dauer selbst ein ansehnliches Bankkonto nicht standhält. Markenfetischisten sind aber dennoch beim Kauf kritisch, legen Wert auf Zustand A und noch mehr Wert auf Vollständigkeit. Ähnlich wie Briefmarkensammler ruhen sie nicht eher, als bis der Satz beziehungsweise die Modellreihe komplett ist - um sich dann gleich an die nächste zu machen. Im Falle finanziellen Ruins besteht aber immer noch Aussicht auf die erfolgreiche Vermarktung des Sammlerguts, was den Schaden in Grenzen hält. Eine Entziehungskur ist dann allerdings dringend notwendig. Die dargestellten Sammlertypen sind zwar etwas überzeichnet, doch im Kern treffend charakterisiert. Einsteigern in das reizvolle Sammelgebiet Kameras sollen sie zur Orientierung und Wiedererkennung dienen. Vernunftsammler, Technik-Freak und Markenfetischist betreiben sinnvolles Sammeln, wobei der Markenfetischist gegenüber Obsessionen anfällig ist. Sammeln soll Spaß machen, darf aber nicht zum Selbstzweck werden oder gar zum Ruin führen. Der Vernunftsammler eignet sich für Einsteiger als Vorbild. Alf Cremers in Color Foto 3/1991 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}