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Beratung
Die Kulanz der Kamerafirmen
Filmriß nach der Garantie?
Auf die gesetzlich vorgeschriebene Gewährleistungsfrist, die für Kameras ein Jahr lang gilt, folgt die Grauzone der Kulanz. Im Falle eines späteren Defekts entscheidet der Hersteller, ob die Reparatur kostenlos ausgeführt wird oder nicht. COLOR FOTO untersuchte, wie es um das Kulanzverhalten der Kamerafirmen bestellt ist.
Fotograf Alfred Carstens hatte Pech. Vierzehn Monate, nachdem er seine Rolleiflex SL 2000 F als Auslaufmodell und Ladenhüter zugleich in einem Fotogeschäft in der Oberpfalz gekauft hatte, blockierte die Kamera plötzlich.
Nichts ging mehr, der Verschluß ließ sich nicht mehr auslösen, und der Spiegel blieb oben. Beim Blick durch den Sucher blieb es dunkel. Carstens reagierte mit ebenso finsterer Miene und sandte die Kamera, für die er immerhin noch 1200 DM
bezahlt hatte und die seit dem Kauf keinerlei Anlaß zur Klage gegeben hatte, zur Rollei-Serviceabteilung nach Braunschweig. Obwohl er nicht gerade erfreut über die Störung war, verzichtete er jedoch darauf, einen in solchen Fällen
vielfach üblichen Schmähbrief zu schreiben und bat schlicht um Prüfung und Behebung des Defekts. Zu allem Überfluß passierte das Malheur zwei Monate nach Ablauf der Garantie. Wäre der Fehler innerhalb der Garantiefrist aufgetaucht, so wäre der Fall klar. Schließlich verpflichtet sich der Hersteller dem Kunden gegenüber, für alle Material- und Verarbeitungsmängel in vollem Umfang zu haften.
Zwei Wochen später bekam Alfred Carstens seine Rollei 2000 F zurück. Es irritierte ihn schon, daß der Postbote keine Nachnahme verlangte. Die Rechnung kommt wohl später, dachte er sich, doch im Paket fand er die Rechnung. "Verschluß instandgesetzt, Elektronik repariert" hieß es auf dem EDV-Ausdruck lapidar. Unter der Rubrik "Gesamtbetrag" standen die freundlichen Ziffern 0,00 DM und das Zauberwort "Kulanz". Streng definiert, bedeutet Kulanz "freiwillige Leistung". Im engeren Sinne wird damit die Bereitschaft des Herstellers bezeichnet, Mängel außerhalb der Garantiezeit entweder kostenlos zu beheben, weil es sich um eindeutige Material- und Fabrikationsfehler handelt, für deren Entstehung der Benutzer nicht verantwortlich ist, oder anteilig für Mängel einzutreten, deren Ursache nicht einwandfrei geklärt werden kann. Die Erklärung "freiwillige Leistung" impliziert bereits, daß es sich um einen beinahe willkürlichen Ermessensspielraum des Herstellers handelt, der außerdem zeitlich eng begrenzt ist. Bei einem größeren Defekt drei Jahre nach Erwerb der Kamera dürfte ein Hoffen auf Kulanz vergebens sein. Die Gesetzgebung geht davon aus, daß sich Material- und Fabrikationsfehler bei Benutzung zeitig herausstellen, und "zeitig" meint natürlich: innerhalb der Garantiefrist. In Ausnahmefällen, die dem Ermessen des Herstellers unterliegen, kann Kulanz nach der Gewährleistungsfrist gewährt werden.
Rollei verhält sich nach unseren Erfahrungen ausgesprochen großzügig und kulant, wenn ernsthafte Defekte nach der Garantiezeit auftreten; das anfangs zitierte Beispiel ist zwar fiktiv, könnte sich aber so zugetragen haben. Generell ist auch die Chance bei anderen Herstellern groß, bei schwerwiegenden Defekten nach der Garantiezeit Kulanz gewährt zu bekommen. Vorbildlich ist die verlängerte Garantiefrist bei Minox und Leica, die zwei Jahre beträgt und dem Kunden so manche lästige Argumentation anläßlich eines Defekts erspart, der fünfzehn oder sechzehn Monate nach dem Kauf entsteht. Hasselblad gewährt für seine offiziell in Deutschland gekauften Kameras, Objektive und Accessoires sogar drei Jahre Garantie.
COLOR FOTO fordert im Sinne der Verbraucher generell die Zweijahresgarantie für Kameras - dadurch würden sich viele Kulanzfälle erübrigen.
Strenger sind die Sitten bei den Japanern Canon und Minolta; sie gewähren Kulanz generell nur bis zu einem Monat nach Ablauf der Garantie. Bei Nikon heißt es offiziell, daß Kulanz "bei Material- und Herstellungsfehlern selbstverständlich ist". Leica regelt Kulanz über die Zweijahres-Garantie hinaus "individuell", und der Pentax-Service behauptet kundenfreundlich von sich: "Kulanz wird bei uns großgeschrieben"; die Bestnoten, die der Pentax-Service bei unseren Leser-Befragungen bekam, bestätigen diesen Anspruch. "Von Fall zu Fall" entscheidet Yashica/Kyocera-Serviceleiter Hiroaki Inaba, ob Kulanz gewährt wird oder nicht.
Ein anderer Teilaspekt kundenfreundlichen Verhaltens ist neben der Kulanz auch die Bereitschaft, alte Modelle aus den sechziger und siebziger Jahren zu reparieren. Diese Dienstleistung erfreut sich zunehmender Nachfrage, denn auch jüngere Kameras japanischer Herkunft, die oft Meilensteine der Kameratechnik waren, werden immer häufiger von Sammlern entdeckt. Im Falle von Defekten müssen diese, insbesondere wenn sie Canon-, Minolta- und Pentax-Modelle besitzen, zunehmend auf freie Werkstätten zurückgreifen, die sich im Auftrag der Großen um die Kameras von gestern kümmern.
In der Technik geben die Japaner im Gegensatz zu den Deutschen nicht viel auf Tradition, und das zeitintensive Reparieren alter Kameras, verbunden mit aufwendiger Ersatzteillagerung, würde die ohnehin angespannte Kostensituation der Serviceabteilungen noch weiter belasten. Einzig Nikon macht unter den Japanern eine rühmliche Ausnahme. Selbst alte Profi-Modelle wie die Nikon F können noch ohne Umwege direkt in Düsseldorf repariert werden. Im Gegensatz zur
gesetzlich verankerten Garantie ist die Kulanz keine Leistung des Herstellers, auf die der Kunde grundsätzlich Anspruch hat, doch zeigt die Praxis, daß bei gravierenden Mängeln kurz nach Ablauf der Garantie, die auf Material- oder Fabrikationsfehler zurückzuführen sind, der Hersteller die Instandsetzungskosten trägt. Bei umstrittenen Fällen teilt man sich häufig die Kosten, das Material geht dann in der Regel zu Lasten des Herstellers, der Kunde bezahlt lediglich den Arbeitslohn, der aber meist den größeren Part ausmacht. Nach unseren Erfahrungen und aufgrund vieler Leserzuschriften können die Kamerafirmen Rollei, Minox, Pentax, Minolta, Nikon und Leica als ausgesprochen kundenfreundlich gelten, bei Canon dagegen beweisen die Kameras zwar eine bemerkenswerte Zuverlässigkeit und Robustheit, der Service zeigt sich aber oft reserviert.
Alf Cremers in Color Foto 6/1991
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