Artikeltext
Test & Technik
Streitgespräch
Sind Motivautomaten wirklich sinnvoll?
Wieviel Automatik braucht der Fotograf? COLOR FOTO fragte drei Vertreter der Kamera-Industrie.
Jürgen Denter, Fachberater bei Canon
Es ist schon einige Jahre her. Meine Frau und ich machten eine Rundreise durch Burgund. Eigentlich wollten wir mit den Hotels und Restaurants vorliebnehmen, die wir vorher mit Hilfe des Guide Michelin ausgesucht hatten. Doch dann überkam es uns in Macon: "L'Auberge Bressane" stand in malerischen Lettern an einem einladenden Restaurant. Die Qualität eines solchen Restaruants zu erfahren, hatte uns immer schon gereizt. Dann kam die Ernüchterung - wie sollte man mit einer Speisekarte überhaupt umgehen, mit all den Fachausdrücken? Was paßte als Entree, als Zwischengang, zum Hauptgericht, was als Dessert? Der Ober unseres Tisches sah unsere Not und zauberte eine Karte herbei, die uns aus der Patsche half: Fein säuberlich waren da Menüs zusammengestellt, nach Geschmäckern und nach Preisen geordnet. Die Not hatte ein Ende! Heute bin ich sehr wohl in der Lage, in einem Restaurant ein Menü zusammenzustellen. Der stetige Umgang und das Studium der Zusammenhänge haben Transparenz in die fertigen Menüs gebracht. Nach diesen Erfahrungen werde ich niemanden schief angucken, der Qualität und Finesse einer Küche schmecken will, aus Mangel an Erfahrung aber auf ein fertig zusammengestelltes Menü zurückgreift. Leider konnte ich in meinen fotografischen "Lehrjahren" nicht auf einen freundlichen Ober zurückgreifen, der mir beim Zusammenstellen des Menüs half oder anders herum: Man brauchte ihn kaum! Sonne lacht - Blende 8! Das war der Wahlspruch. Und so wurde dann kreativ fotografiert: 17xGRADx, 1/125 Sekunde, Blende 8 stand unter Architektur, Landschaft, Porträt und Schnappschuß, das Zeichen stand rechts auf der 8 am Objektiv-Schärfentiefenring, und links konnte man ablesen, wie weit die Schärfe nach vorn reichte. Einheits-Sauce über allen Gerichten. Der normale Amateurfotograf wagte erst gar nicht, die Einheitsmenüs abzulehnen, denn es blieb ihm keine Wahl, Durchblicker und Profis hielten dicht: Es wäre ja auch noch schöner, wenn alle den Durchblick hätten! Die moderne Mikroelektronik brachte den Durchbruch. Das Einheitsmenü 1/125 Sekunde, Blende 8 wurde durchbrochen. Die modernen Programme ordneten Zeit und Blende anderen Kriterien unter, das scharfe Bild wurde zur Priorität erhoben. Einerseits der Autofokus, der für die Schärfe am richtigen Ort sorgt, andererseits die Brennweite der (Zoom-)Objektive, die eine verwacklungsfreie Zeit fordert - beide brechen mit der Standardregelung zugunsten anderer, adäquater Kombinationen: Beim Tele mit den kurzen Zeiten geht die Blende auf, das Hauptmotiv wird vom Hintergrund gelöst. Beim Weitwinkel mit den längeren Zeiten geht die Blende zu, die große Fläche wird scharf. Damit kann ein Großteil aller fotografischen Aufnahmen zufriedenstellend gelingen. Bis dann die Frage kommt, wie auch mit dem Weitwinkel bewegungsscharfe Aufnahmen zu erzielen sind: Die Nachfrage für Motivprogramme, die unabhängig von Lichtstärke und Brennweite Zeit und Blende einem Motiv anpassen, ist gestellt. Dazu kommt heute noch die Frage, ob der Autofokus gespeichert oder nachgeführt werden soll, ob der durchgedrückte Auslöser nur ein Bild oder eine Serie ermöglicht, ob eine Blitzzuschaltung erfolgen soll oder nicht (Landschaft mit Blitz nein, Schnappschuß bei gleichem Licht ja), ob beim Porträt die Blende offen oder geschlossen zu sein hat, ob das nicht von der Abbildungsgröße abhängig gemacht werden soll (siehe EOS 10), ob selektiv oder mehrfeld oder integral gemessen werden soll. Die Zusammenstellung meines Menüs überlasse ich solange der Technik, bis ich in der Lage bin, nach Studium von Display und Sucheranzeige eigenen Variationen den Vorzug zu geben. Und wenn es das Motiv verlangt und keine Zeit für lange Überlegungen bleibt, greife ich auch als "Durchblicker" gern auf ein fertiges Menü zurück.
Mathias Stolt, PR-Manager bei Minolta
Die Chip-Karten-Technologie ist so vielschichtig und zukunftsweisend, daß es unmöglich scheint, auch nur die wichtigsten Aspekte, Möglichkeiten und Vorteile in nur zehn Punkten zusammenzufassen. Versuchen wir es trotzdem:
1. Chip-Karten erweitern das Funktionsspektrum der Kamera individuell, automatisieren bestimmte Anwendungen oder gestatten das Umprogrammieren von Kamerafunktionen.
2. Kameras können gezielt mit Software nachgerüstet werden, die auf Belichtungsautomatik, Autofokus, Motorfunktionen etc. zugreift und dank gespeichertem Expertenwissen Gegebenheiten so einbezieht, wie es ein erfahrener Fotograf tun würde.
3. Kamerafunktionen können jederzeit nach Anwender-Spezifikationen umprogrammiert werden (Beispiel: Wer die Blendenautomatik oder eine andere Belichtungsautomatik für überflüssig hält, programmiert sie einfach weg).
4. Dank Chip-Karten-Technologie kann der Kamerabenutzer von Funktionen entlastet werden, die er zeitweilig nicht braucht und für die sonst Einstellmöglichkeiten an der Kamera vorhanden sein müßten.
5. Mit Chip-Karten kann die Kamera bedarfsgerecht um spezielle Funktionen ergänzt werden, die ergonomisch denkende Konstrukteure im Interesse einer übersichtlichen Bedienung nicht in die Kamera-Grundausstattung einbeziehen.
6. Vorhandene Kamerafunktionen lassen sich mit Hilfe von Chip-Karten in attraktiver Weise erweitern (etwa spezielle Mehrfachbelichtungs-Effekte mit der Chip-Karte "MULTEXP" in der Dynax 8000i).
7. Chip-Karten sind sehr einfach und äußerst sicher im Gebrauch. Eine im Kartenfach steckende Chip-Karte kann man jederzeit mit Tastendruck ein- und ausschalten.
8. Chip-Karten mit Mikrocomputern und Speicherschaltungen erlauben den Echt -Zeitdatenaustausch mit dem Kameracomputer (wie Rückfragen bei veränderten Aufnahmesituationen) und die Interaktion mit dem Benutzer, wodurch sie reiner Daten- oder Programmübergabe überlegen sind.
9. Der Mikrocomputer in der Chip-Karte macht aus der Allround-Kamera eine Spezialkamera für bestimmte Motivbereiche und Anwendungen.
10. Vorhandene - auch ältere - Kameras erfahren durch neue Chip-Karten ein "up-grade" (werden funktionell aufgewertet) oder ein "up-date" (werden funktionell aktualisiert).
Die derzeit dreizehn Chip-Karten für die Minolta Dynax-Kameras 8000i und 7000i lassen sich in drei Gruppen unterteilen und sind entsprechend farbig gekennzeichnet:
Die rot markierten Chip-Karten für Funktionserweiterungen kombinieren an sich vorhandene Basisfunktionen der Kamera auf so geschickte Art, daß neue, erweiterte Funktionen entstehen. Man könnte zwar die meisten dieser Funktionen auch ohne Chip-Karten-Hilfe realisieren, doch wäre das sehr langwierig, kompliziert und umständlich. So ist sicher kein Fotograf in der Lage, in weniger als einer Sekunde drei Aufnahmen mit verschiedenen Zeit-Blenden-Kombinationen (unterschiedlicher Bewegungsunschärfe und Schärfentiefe) aufzunehmen - die Chip-Karte SHIFT kann das.
In den blauen Chip-Karten ist Software mit dem fototechnischen und fotografischen Know-how für bestimmte Aufnahmesituationen gespeichert. Diese Karten steuern alle Kamerafunktionen (einschließlich Belichtungseinstellung sowie Autofokus und Motorfunktionen) vollautomatisch und sind deshalb ideal für Fotofreunde, die schnell und ohne viel Nachdenken perfekte Aufnahmen machen möchten. Man braucht nur die passende Karte in die Dynax einzustecken, und schon hält man eine Spezialkamera für Porträts oder Sportfotos, Nahaufnahmen oder Schnappschüsse mit Nah-bis-Fern-Schärfentiefe in der Hand.
Eine Sonderstellung nimmt die Chip-Karte für individuelle Kamerafunktionen ein, mit der der Anwender die vorgegebenen Funktionen seiner Kamera wunschgemäß individuell verändern kann. Die Änderungen werden automatisch in die Speicherschaltung der Kamera kopiert, weshalb man diese Karte nach Gebrauch wieder herausnehmen und anschließend eine andere Chip-Karte einschieben kann, ohne daß die Änderungen verlorengehen.
Sicherlich ist der Erfolg der Dynax-Serie zum großen Teil auf das intelligente Chip-Karten-System zurückzuführen.
Kristof Friebe, Nikon
Gute Kameras sollen, wie andere technische Gebrauchsgüter, ihre Funktion möglichst optimal erfüllen. Das bedeutet: Sie sollten zunächst einmal technisch einwandfreie Bilder erzeugen. Und natürlich auch Bilder, die in ihrer gestalterischen Qualität dem entsprechen, was sich die Fotografin, der Fotograf vorstellt. Für die technisch einwandfreie Beschaffenheit des Bildes haben die Kamerakonstrukteure immer mehr Einstellvorgänge automatisiert. Eine Reihe dieser automatisierten Einstellvorgänge bestimmen aber auch die gestalterische Qualität eines Fotos. So kam die Automatisierung wegen der dadurch entstandenen Freiräume auch der gestalterischen Qualität der Bilder zugute. Wie aber können Kameras zu noch höheren bildgestalterischen Weihen verhelfen? Der Gedanke, motivspezifische Voreinstellungen anzubieten, liegt nahe. Die programmgesteuerte Belichtung mit Programmverschiebung ist eine Form, solche Optionen zugänglich zu machen. Magnetkärtchen oder Einlesen eines Strichcodes sind andere Formen. Bei der Programmverschiebung ist es erforderlich, daß die Fotografin, der Fotograf ein bestimmtes Grundwissen über die Funktion von Belichtungszeit und Blende hat. Hat er dies, dann geht die Einstellung viel schneller, als ein Magnetkärtchen rauszufummeln, in den dafür vorgesehenen Schlitz zu stecken oder gar ein Büchlein mit Motivvorlagen per Strichcode-Lesestift bestimmungsgemäß zu verwenden. Damit das Ganze etwas plastischer wird, will ich Ihnen kurz schildern, wie ich auf der Pferderennbahn fotografierte, und wie ich mir vorstelle, daß ich das Gleiche mit dem Strichcode-Leser getan hätte. So ging es mit der Nikon F-801: Einlegen eines Films mit ASA 400. Einstellung auf Programmautomatik. Durch Drehen am Einstellrad die Belichtungszeit 1/2000 Sekunde eingestellt, Blende ging automatisch mit. Versuchsweise auch mal 1/4000 eingestellt, um später den Gewinn an Bewegungsschärfe zu beurteilen. Danach Film ASA 100 eingelegt und (bei Programmautomatik) auf 1/4 und 1/8 Sekunde eingestellt und mitgezogen. So wäre es gegangen mit einer Nikon F-801 BC (BC steht für Bar-Code): Einlegen eines Films mit ASA 400. Lesestift in Stellung bringen. Motivhandbuch mit Strichcode aus der Seitentasche der Uni-Tasche herausholen, Lesebrille aus der Brusttasche ziehen, Blättern im Motivhandbuch, Sportaufnahme suchen, mit Lesestift darüberfahren... Ich glaube, ich muß nicht weiter erzählen, oder? Fazit: Ich bin mit der normalen Nikon F-801 schneller und flexibler. Aber ich kenne die Zusammenhänge zwischen Belichtungszeit und Blende. Für den, der sie nicht kennt, mag das alles anders aussehen.
Anmerkungen: 1. Natürlich beziehen sich Strichcode oder Magnetkarte nicht nur auf Belichtungszeit und Blende. Aber auch bei anderen Aufgabenstellungen sähe der Ablauf ähnlich aus wie im Beispiel "Pferderennbahn". 2. Die Nikon F-801 BC gibt es natürlich in Wirklichkeit nicht.
Anonym in Color Foto 1/1991
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