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Gebrauchte Kameras mit sinnvollen Details
Lob der Nostalgie
Wer sich für den Kauf einer Gebrauchten entscheidet. der weiß, daß er keine High-Tech-Ausrüstung erwirbt. Viele Oldies haben aber andere, durchaus sinnvolle Details, die den Kameraneuheiten fehlen.
Wer mit einem Oldie fotografiert, muß zwangsläufig auf Ausstattungsdetails verzichten, die von modernen High-Tech-Kameras geboten werden. Die Technik wird um so einfacher und überschaubarer, je länger die Markteinführung des Apparates zurückliegt. Dieser Verzicht ist jedoch nicht automatisch ein Nachteil. Mit wenigen Ausnahmen kann man mit einer Kamera der sechziger oder siebziger Jahre dieselben Bilder machen wie mit einer Kamera der Neunziger. Ein bißchen langsamer, ein bißchen umständlicher vielleicht - aber keineswegs schlechter. Ganz abgesehen davon geht der Verzicht oft mit einem Gewinn Hand in Hand. denn ältere Kameras bieten manches, was einer modernen Top-Kamera auch gut zu Gesicht stehen würde. Ein kurzes Lob der Nostalgie.
Der große Vorteil der einäugigen Spiegelreflexkamera ist die Möglichkeit, das Motiv vor der Aufnahme so zu sehen, wie das Objektiv es bei der Belichtung auf den Film projiziert. Der Bildaufbau ist beim Einsatz von Super-Weitwinkelobjektiven ebenso gut zu beurteilen wie bei der Arbeit mit langen und längsten Brennweiten.
Ab Mitte der sechziger Jahre kommt zu diesem Vorteil ein zweiter hinzu. War bisher nur der Sucherbildwinkel mit dem Aufnahmebildwinkel identisch, so entspricht nun auch der Bildwinkel des Belichtungsmessers dem des Aufnahmeobjektivs. Der Belichtungsmesser wird nämlich bei immer mehr Kameras in das Gehäuse integriert. Die Messung erfolgt durch das Objektiv, was auf neudeutsch "Through The Lens" heißt und folgerichtig unter der Bezeichnung "TTL-Messung" in den Fotojargon Aufnahme findet.
In den ersten Jahren wird die TTL-Messung nicht nur mit dem Aufnahmebildwinkel vorgenommen, sondern auch bei der Blende, bei der die Aufnahme erfolgen soll. Diese Arbeitsblendenmessung ist ein bißchen umständlich, aber man kommt nach kurzer Eingewöhnung gut damit zurecht. Dennoch: Wenn man die Wahl zwischen zwei Oldies hat. von denen einer Arbeitsblenden- und der andere Offenblendmessung zu bieten hat, sollte man sich immer für die Messung bei ganz offener Blende entscheiden.
Bei den TTL-messenden Kameras der frühen Jahre ist die Integralmessung mit deutlicher Mittenbetonung sehr weil verbreitet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang daß man es sieht, wenn ein Motiv vom Normmotiv (Grau mit 18 Prozent Reflexionsvermögen) abweicht, und daß man weiß. was man tun kann, um dennoch zu einem ansehnlichen Bild zu kommen. So ist auch mit mittenbetonter Integralmessung möglich, Nahmessungen oder Ersatzmessungen auf ein mittleres Grau vorzunehmen oder Schattenpartien mit einem Reflektor aufzuhellen.
Anfang der siebziger Jahre setzen sich die Belichtungsautomatiken durch. Ihre ersten Auftritte sind begleitet von wütenden Angriffen der Automatikgegner. Sie haben es nicht so recht mitbekommen, daß eine automatisch arbeitende Kamera und ein manuell Zeit und Blende verstellender Fotograf dasselbe tun: sie erfüllen die Forderung des Belichtungsmessers nach einer Zeit-Blenden-Kombination zu einem bestimmten Lichtwert. Egal, ob Automatik oder Manualbetrieb - der Fotograf entscheidet durch seine Einstellungen, welches der Zeit-Blenden-Paare jeweils zum Einsatz kommen soll.
SLR-Kameras mit eingebautem Motor kommen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre in Mode, und es hat den Anschein, als würden sie innerhalb kurzer Zeit den Kameramarkt aufrollen. Tatsächlich ist es heute jedoch so, daß zwar AF-SLR-Kameras ohne eingebauten Motor nicht denkbar sind - daß aber (rund) zwei Drittel der MF-SLR-Kamera keinen eingebauten Motor aufzuweisen haben. Daß die meisten Oldies ohne eingebauten Motor daherkommen, wertet sie gegenüber neueren Modellen also gewiß nicht ab. Ist es dann ein Nachteil, wenn eine Kamera aus den sechziger oder frühen siebziger Jahren keinen Anschluß für einen externen Winder aufweist? Ja und nein. Wer Schnappschüsse liebt, oft Menschen fotografiert, wer Sport und Tiere zu seinen bevorzugten Motiven zählt, sollte vielleicht doch vor dem Kauf eines Oldies auf den Kameraboden schauen, ob sich dort die Kontakte und Kupplungen für einen Transportmotor befinden - und vom Kauf Abstand nehmend wenn sie nicht vorhanden sind. Wer lieber Blumen, Landschaften oder Architektur fotografiert, kann auf diese Hilfe eher verzichten. Der ansetzbare Winder hat übrigens gegenüber dem eingebauten Motor zwei deutliche Vorteile. Zum einen kann man ihn abschalten, das heißt man kann Hochzeiten oder Taufen im Bild festhalten, ohne die Feiergesellschaft durch das Sirren, Quietschen oder Aufheulen eines Motors zu stören. Man kann ihn zum anderen auch ganz abnehmen, was die Kamera für den Transport kleiner und leichter macht.
Wenn schon der fehlende eingebaute Motor kein Nachteil ist, dann ist es doch sicher ein gravierendes Problem ohne eingebauten Blitz auskommen zu müssen? Keineswegs. Die eingebauten Gerätchen sind nicht sehr kräftig und leuchten auch die Bildecken nicht so gut aus, wie man es sich meist wünscht. Ein Aufsteckblitz mit einer Leitzahl um 20 für einen Oldie ist sicher die bessere Wahl. Um gleich beim Thema Blitz zu bleiben: Viele Gebrauchtkameras weisen noch X-Blitzbuchsen auf. Das gibt dem Fotografen die Möglichkeit, bequem mit dem sogenannten "entfesselten Blitz" zu arbeiten oder auch einmal eine Blitzanlage an die Kamera anzuschließen.
Für viele Oldies stehen auch gebrauchte Objektive in den Schaufenstern der Fotohändler oder in den Kleinanzeigen in COLOR FOTO, und so kann man sich vielleicht auch einmal ein Objektiv leisten, das neu den Etat sprengen würde. Vielleicht ein gutes Makroobjektiv? Oder ein superlanges Tele? An Oldies findet man den Drehknopf zum Hochstellen des Spiegels - sehr nützlich zur Vermeidung von Verwacklungen noch häufiger, und das Drahtauslösergewinde ist hier noch allgegenwärtig. Es kann allerdings in einigen wenigen Fällen sein, daß es sich dabei um ein Außengewinde handelt, das einen Drahtauslöser mit der sogenannten Leica-Glocke nötig macht. Die wiederum muß man jedoch nicht gebraucht kaufen. denn man findet sie noch in den Katalogen der Zubehörspezialisten.
Die meisten Gebrauchten sind noch Kameras ohne Schärfenautomatik. Manuelles Scharfstellen ist also angesagt, was dank Mikroprismen und Schnittbildindikator kein Problem sein dürfte. Egal, ob automatisch oder manuell - scharfgestellt wird auf eine Schärfenebene. Motivteile, die davor oder dahinter liegen, werden aber nicht unbedingt unscharf wiedergegeben, den sie werden von der Schärfenzone erfaßt. Wie weit die Schärfenzone sich ausdehnt, kann man im Sucher der Spiegelreflexkamera sehen, sofern sie mit einer Abblendtaste ausgestattet ist. Nun sind beileibe nicht alle Oldies mit einer solchen Taste versehen - aber die Chancen stehen nicht schlecht. Einer der Gründe dafür ist, daß bei den alten mechanischen Kameras eine einfache Konstruktion genügt, um die Blende im Objektiv auf den Wert zu schließen. der am Objektiv eingestellt ist.
Anonym in Color Foto 4/1992
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