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TEST & TECHNIK Praxisreport
Zehn Jahre Autofokus - eine kritische Bestandsaufnahme
Hokusfokus
Das dienstälteste AF-System der Welt, das einst das Bild der Marke Minolta prägte, ist nun zehn Jahre alt geworden. Statt uns den obligaten Technologie- und Systemvergleichen zu widmen, werden wir zum Jubiläum einige praxisrelevante Aspekte der automatischen Scharfeinstellung unter die Lupe nehmen.
Die Entwicklungsgeschichte des Autofokus ist eine Erfolgsstory, der Markterfolg wird durch eine monopolartige Marktdominanz der AF-Systeme gegenüber den MF-Systemen eindrucksvoll dokumentiert. Der Autofokus ist die letzte große technologische Errungenschaft, die der Fotografie entscheidende Impulse gegeben hat, und das wird sich bis zum massenhaften Einzug der digitalen Fotografie in den Amateurmarkt trotz APS (Advanced Photo System, das berüchtigte neue Filmformat) wohl nicht grundlegend ändern. Die Vorteile, die der Autofokus bietet, liegen auf der Hand: Durch den Sucher schauen und auf den Auslöser drücken. Schneller und bequemer geht es nicht - zumindest in Standardsituationen. Die Bequemlichkeit ist jedoch dahin, wenn das Hauptmotiv von keinem der Autofokus-Sensoren erfaßt wird, so daß man eine Ersatzmessung vornehmen und die Schärfe speichern muß, bevor man dann beim gewünschten Bildausschnitt auslöst.
Mit AF-Speicherung kann man in der Praxis zwar gut arbeiten, der Bedienungskomfort wird aber doch beeinträchtigt. Aber es gibt noch mehr Problemfelder. Auch ein hochentwickeltes Autofokussystem, wie man es in den Spitzenmodellen der Kamerahersteller findet, hat Grenzen. Eine der Hauptursachen ist darin zu suchen, daß die Autofokussyteme der Spiegelreflexkameras passiv arbeiten. Sie reagieren auf die Objektreflexion und sind somit von der Objekthelligkeit und dem Objektkontrast abhängig. Das hat weitreichende Konsequenzen, und zwar sowohl bei sehr hellen als auch bei sehr dunklen Motiven.
Die Grenzen der Autofokus-Systeme
Zwar ist mit modernen AF-Systemen sogar eine automatische Scharfeinstellung in der Dämmerung möglich, weil die AF-Sensoren beispielsweise bereits ab Lichtwert -I ansprechen. Diese Werte gelten aber nur für Blende 1,4 bei ISO 100/21xGRADx, so daß mit einem lichtschwächeren Zoomobjektiv und bei niedrigempfindlichen Filmen die Ansprechschwelle höher liegt. Und bei größeren Aufnahmeentfernungen als etwa fünf bis sieben Meter kann auch das eingebaute AF-Hilfslicht nicht mehr helfen.
Gegenlicht, hochglänzende Flächen, starke Reflexe im Wasser oder Spitzlichter können die AF-Sensoren ebenfalls irreführen. Mit einer Ersatzmessung auf ein Objekt in gleicher Entfernung oder mit der manuellen Scharfeinstellung kann man das Problem lösen. Auf glatte Objekte ohne erkennbare Strukturen kann ebenfalls nicht automatisch fokussiert werden. Aber auch bei gut strukturierten Motiven können solche Probleme auftreten, wenn sie im Verhältnis zu den AF-Meßfeldern zu klein erscheinen, wie beispielsweise bei einer Weitwinkelaufnahme aus größerer Entfernung.
Die meisten AF-Sensoren (Kreuzsensoren ausgenommen) können außerdem nur auf Strukturen problemlos fokussieren, die senkrecht zu ihrer Ausrichtung verlaufen. Um das am Beispiel des Minolta-Systems zu zeigen: Mit den vertikal angeordneten, seitlichen AF-Sensoren können große Schwierigkeiten bestehen, auf vertikale Strukturen zu fokussieren, mit den mittleren horizontalen AF-Sensoren dagegen, auf horizontale Strukturen zu fokussieren (das bezieht sich selbstverständlich auf die Querformathaltung). In diesem Fall kann man mit einem benachbarten AF-Sensor fokussieren und die Schärfe speichern. Etwas umständlicher wäre es, die Kamera in Hochformatposition zu drehen, zu fokussieren und anschließend mit dem gespeicherten Wert im Querformat auszulösen (oder umgekehrt). Selbstverständlich ist es auch möglich, einen günstig angeordneten AF-Sensor manuell zu aktivieren. All das beeinträchtigt jedoch nachhaltig den Bedienungskomfort und die Schnelligkeit, mit der man auf ein Motiv reagieren kann. Einige Kameras haben ein großes AF-Meßfeld, so daß auch auf Objekte außerhalb der Bildmitte automatisch fokussiert werden kann, was von Vorteil ist. Von Nachteil kann dies dagegen sein, wenn das große AF-Meßfeld auch Objekte erfaßt, die außerhalb des Hauptobjekts plaziert sind, wie beispielsweise Äste, die ins Bild hineinragen. Aber auch vorgelagerte Objekte wie beispielsweise Gitter oder eine Glasscheibe können zu Fehlmessungen führen, und zwar unabhängig von Größe und Anordnung der AF-Sensoren. Als problematisch können sich auch gleichmäßige Strukturen erweisen (zum Beispiel Zäune oder Jalousien). Große Vorsicht ist ebenso beim Einsatz von Filtern und Vorsätzen geboten. Vor allem lineare, aber auch "dunkel gedrehte" zirkulare Polarisationsfilter können zu falschen AF-Meßergebnissen führen. Neutrale Dichtefilter, Verlauffilter, Weichzeichner oder Effektfilter können die automatische Scharfeinstellung beeinträchtigen.
Jedes System hat Vor- und Nachteile
Die Vorteile der automatischen Scharfeinstellung liegen, neben dem Bedienungskomfort, vor allem in der Schnelligkeit. Der Autofokus ist beispielsweise ideal für die Kinder-, Mode-, Tier-, Sport- und Actionfotografie, für Schnappschüsse aller Art, oder für Aufnahmen von bewegten oder sich bewegenden Objekten. Auch fehlsichtige Fotografen profitieren von der automatischen Scharfeinstellung. Ohne die allgemeine Freude an dieser Technologie beeinträchtigen zu wollen, seien auch einige kritische Aspekte erwähnt.
Die AF-Sensoren aller AF-Kameras sind in der Sucher- und somit der Bildmitte angeordnet, was sich negativ auf die Bildgestaltung auswirken kann. Zwar ist es möglich, auf jeden beliebigen Punkt auch außerhalb der Bildmitte zu fokussieren und anschließend die Schärfe bei angetipptem Auslöser zu speichern, doch ist das praktisch ein zusätzlicher Arbeitsgang, der von der Konzentration auf das Motiv und die Bildgestaltung eher ablenkt, als daß er sie fördert. Außerdem kann sich auch eine Art "Erfüllungszwang" bemerkbar machen, indem der Fotograf unbewußt dazu neigt, das Hauptobjekt in die Bildmitte zu plazieren. In der Mode- und Mädchenfotografie kann es vorkommen, daß der Autofokus auf die nackte Haut oder auf unifarbene Stoffe nicht scharfstellen kann. In der Sportfotografie können beispielsweise quer zur Aufnahmeachse verlaufende Bewegungen die Schärfenachführung teilweise erheblich erschweren - und das trotz anderslautender Werbeaussagen in Firmenprospekten.
Auch bei Tieraufnahmen können Autofokusprobleme auftreten: Ein zu schneller Flügelschlag kann den Autofokus ebenso irreführen wie einfarbiges, kontrastarmes Gefieder. Problematisch oder sogar unmöglich ist auch die automatische Scharfeinstellung auf einfarbiges Fell oder auf Fell mit regelmäßigem Muster. Auch wenn beispielsweise ein Hund oder ein Vogel formatfüllend aufgenommen werden soll, stellt der Autofokus normalerweise auf die Schnauze oder das Gefieder und nicht auf die Augen scharf, was nicht gerade zu einem gelungenen Tierporträt führt.
Wie man den Autofokus überlisten kann
Diese Situationen scheinen auch den Herstellern bekannt zu sein, denn, alle AF-Teleobjektive sind mit einer Fokusstop-Taste, oder - je nach Firmenphilosophie - mit manuellem Fokus-Override versehen.
Mit zunehmender Brennweite sind größere Einstellwege zurückzulegen und größere Linsenmassen zu bewegen. Daher ist es bei AF-Teleobjektiven auch üblich, den Einstellbereich durch einen entsprechenden Schalter in mehrere Entfernungsbereiche zu trennen, damit der Autofokus nicht den ganzen Einstellbereich durchfahren muß. Daß so mancher Profifotograf das eine oder andere scharfe AF-Bild "im Kasten" hat, ist oft nicht zuletzt auch auf die Motorisierung der AF-Kameras zurückzuführen. In der Sport- und Actionfotografie arbeitet man nämlich mit Serienbildschaltung, und nicht selten kommt es vor, daß beispielsweise zwei von 20 Aufnahmen einer Bildserie wirklich scharf sind. Das macht aber nichts, denn der Film ist immer noch das billigste Glied in der Aufnahmekette.
Wie sind aber jene gestochen scharfen Bilder zu bewerten, die sämtliche Prospekte schmücken und Aufnahmeobjekte in schneller Bewegung zeigen? Bilder dieser Art sollen mit Schärfenachführung beziehungsweise mit der vorausbestimmenden oder vorausberechnenden automatischen Scharfeinstellung kein Problem sein. Der Kameracomputer berechnet aus den Daten der kontinuierlichen Autofokus-Messungen die voraussichtliche Position des bewegten Objektes zum Zeitpunkt der Belichtung. Damit wird die Objektbewegung in der geringen zeitlichen Verzögerung zwischen dem Druck auf dem Auslöser und der tatsächlichen Belichtung berücksichtigt.
Betrachten wir nun die Fotos, mit denen in den jeweiligen Prospekten die vorausberechnende Scharfeinstellung veranschaulicht wird. Hier einige Beispiele: Im Prospekt zur Canon EOS 5 sehen wir eine Gruppe von zwei Radfahrern, die sich auf die Kamera zu bewegen. Die Radfahrer sind weit entfernt und die Fotos (Serie) wurden wohl mit einem Objektiv mit langer Brennweite aufgenommen. Der Prospekt zur Nikon F90 zeigt eine Gruppe von vier Radfahrern, die sich frontal der Kamera nähern (Serie). Die Aufnahmeentfernung scheint groß und die Brennweite lang zu sein. Bei der Pentax Z-1 wird im Prospekt eine Gruppe von drei Skiläufern gezeigt, die sich in größerer Entfernung auf die Kamera zu bewegen. Die Aufnahmen (Serie) wurden ebenfalls mit einer längeren Brennweite gemacht; die Schärfentiefe ist groß, die Verschlußzeit kurz, wie es am aufgewirbelten Schnee zu erkennen ist. Im Prospekt zur Minolta Dynax 9xi ist eine Bildserie mit einem Motocrossfahrer zu sehen MF-A, die mit dem 28-105-mm-Zoomobjektiv, wohl in Weitwinkelstellung, bei der Verschlußzeit 1/2000 Sekunde aufgenommen wurde. Die Aufnahme ist, aufgrund der großen Schärfentiefe, von vorne bis hinten scharf. Auch die Bildserie mit den zwei Reitern im Prospekt zur Nikon F4 wurde offenbar mit einer kurzen Brennweite aufgenommen. Die gesamte Bildfläche befindet sich in der Schärfentiefenzone. Die Verschlußzeit war kurz, wie es die Wasserspritzer im Bach offenbaren.
Wenn man die Einzelbilder und Bildserien analysiert, die das Funktionieren der vorausberechnenden Scharfeinstellung veranschaulichen sollen, kristallisieren sich zwei Grundsituationen heraus: a) Das Objekt ist von der Kamera weit entfernt und wurde mit einer längeren Brennweite aufgenommen. Die Verschlußzeit ist sehr kurz. Die Objekte befinden sich im Bereich der Schärfentiefe. b) Das Objekt befindet sich in einer mittleren Entfernung zur Kamera und die Aufnahme ist mit einer kürzeren Brennweite gemacht. Die Verschlußzeit ist auch hier sehr kurz. Die Schärfentiefe reicht von vorne bis hinten.
In diesen Aufnahmesituationen und unter diesen Voraussetzungen hätte man allerdings auch mit einer Kamera ohne Autofokus ähnliche Bildergebnisse erzielen können. Es hätte dabei genügt, eine der erforderlichen Schärfentiefe angepaßte Blende und eine sehr kurze Verschlußzeit einzustellen. Dafür wäre angesichts der gezeigten Motivsituationen (Radfahrer, Skiläufer, Reiter) genügend Zeit gewesen. Außerdem weiß man ja, wo das Hauptobjekt zu erwarten ist: der Eisläufer, der seine Runden dreht, der Motocrossfahrer, der an einer bestimmten Stelle des Parcours auftauchen wird, oder der Reiter, der ein Hindernis an einer im voraus IE bekannten Stelle überwinden muß.
Damit soll selbstverständlich weder
Funktionstüchtigkeit noch der Sinn der
vorausberechnenden Scharfeinstellung in Frage gestellt
werden. Eine gewisse "Hell-Hörigkeit" stellt sich aber
unwillkürlich ein.
Gezielte Nachfragen bei den Herstellern, bis zu welcher
Objektgeschwindigkeit der Autofokus bei quer oder
schräg zur Aufnahmerichtung verlaufenden
Bewegungsabläufen die Schärfe nachführen kann, blieben
ohne Ausnahme unbeantwortet, denn entsprechende Daten
liegen - zumindest in Deutschland - nicht vor.
AF-Praxis jenseits der Prospektwirklichkeit
Bei praktischen Versuchen haben wir außerdem folgendes festgestellt: Bei großen Aufnahmeentfernungen haben die geprüften Autofokus-SLR-Kameras keine Schwierigkeiten, auf bewegte Objekte zu fokussieren, deren Bewegungsrichtung nicht allzusehr von der Objektivachse abweicht. Bei kürzeren Aufnahmeenfernungen und bei größeren Abweichungen der Bewegungsrichtung von der Objektivachse ist es möglich, daß mehr oder weniger große Probleme bei der Fokussierung auftreten.
Artur Landt in Color Foto 6/1995
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