Artikeltext

Photographica Aktuell Deutsche Kameras 1920 bis 1945 Die Blütezeit Nach dem Ersten Weltkrieg produzierte die Kameraindustrie in Deutschland zunächst wieder ihre Vorkriegsmodelle. Doch schon bald kamen bahnbrechende Neuentwicklungen wie die lichtstarke Ermanox und die Leica. Die meisten Kameras der frühen zwanziger Jahre arbeiteten mit Platten in den Formaten 4,5x6, 6,5x9, 9x12 und 10x15. Der Wunsch nach immer kleineren und leichteren Apparaten führte jedoch innerhalb weniger Jahre zum Siegeszug der Rollfilme mit 4 Zentimeter (Konfektionierung 127) und 6 Zentimeter Breite (Konfektionierung 120) mit allen sich daraus ergebenden Negativformaten von 3x4 bis 6x9 Zentimeter, wobei üblicherweise nur 6x9 kopiert und von allen kleineren Formaten bereits Vergrößerungen angefertigt wurden. _ Gleichzeitig verdrängten neue Konstruktionen die Faltkameras. Ernemann in Dresden brachte 1926 die "Ermanox" im 4,5x6-PlattenFormat mit einem Schlitzverschluß von 1/10 bis 1/1000 Sekunde und vor allem mit den neuen Ernemann-Objektiven Ernostar 2,0 und 1,8. Mancher Sammler zahlt heute gut und gern 3000 Mark für eine Ermanox. Die gleiche Kamera wurde dann auch für die Formate 6,5x9 und 9x12 gebaut. Das wiederum ließ die Ihagee nicht ruhen, und Ende der zwanziger Jahre kam von dort die "Nachtkamera" als Box mit großem Rahmensucher und Meyer-Plasmat-Objektiven und als "Nachtreflex" die gleiche Kamera mit Lichtschachtsucher als SLR. Das Mentor-Werk Göltz & Breutmann aus Dresden stellte 1925 die "Mentor-Nachtreflex" für 6x9 mit einem Prolinear 1,9/135 vor; der Schlitzverschluß ermöglichte als kürzeste Zeit 1/1300 Sekunde. Voigtländer stieg von der Platten-Bergheil auf die Rollfilm-Bessa um, die von 4,5x6 über 6x6 und 6x9 die Formate des 120er Films abdeckte. Plaubel in Frankfurt verschaffte sich mit seinen Modellen Makina und Peco einen Namen, das Orion-Werk in Hannover baute mit den Orion- und Rio-Kameras mehr traditionelle Aufnahmegeräte. Linhof in München, bisher Hersteller von Faltkameras, stieg auf Profi- und Studiokameras um und erlangte Weltruf. Dreifarben-Kameras wurden überflüssig, als Agfa und Kodak 1935 den Farbfilm auf den Markt brachten. In dem Bemühen, die immer noch kastenförmigen Spiegelreflexkameras transportfreundlicher zu machen, wurden interessante, nicht immer funktionssichere Konstruktionen gebaut: meist Spreizen-Falt-Auszüge mit zwei- bis dreifach faltbarem Lichtschacht, und wenn alles zusammengeklappt war, hatte die Klapp-Reflex nur etwa ein Drittel der Größe einer üblichen SLR-Box. Planfilm und Box Die Ihagee aus Dresden brachte schon 1921 die "Plan-Paff-Reflex" für 4,5x6 und 6,5x9 für Planfilm und in Box-Form mit großem Lichtschachtsucher. Darauf folgte die "Roll-Paff-Reflex" für 6x6-Rollfilm. Der Spiegel mußte vor dem Auslösen noch hochgeklappt werden. Die Kamerawerkstätten Guthe & Thorsch aus Dresden zogen später mit Pilot, Pilot-Reflex und Nacht-Pilot (mit Biotar 2/45) nach. Kochmann baute die "Koralle", die Mentor-Kamerafabrik Goltz & Breutmann, ebenfalls Dresden, war schon vor dem Weltkrieg mit einigen Mentor Reflex von 6,5x9, 9x9, 9x12, l0x15, 13xl8 und 18x24 auf dem Markt. Das waren damals recht große Kästen; aber jetzt kam die Mentor-Reflex 6x9 und einige Klapp-Reflex-Kameras hinzu. Zusammenschlüsse Das Zentrum der deutschen Kameraindustrie lag in und um Dresden. Hatten sich dort bereits 1909 die Firmen Zeiss, Hüttig, Wünsche und Dr. Krügener (aus Frankfurt) zur ICA zusammengeschlossen, der 1912 noch die Firma Zulauf & Co., Zürich, beitrat, so gab es 1926 infolge der Wirtschaftskrise und einer verzettelten Modellpolitik den zweiten Zusammenschluß: ICA, Goerz, Contessa und Ernemann verschmolzen zu Zeiss Ikon. Um 1925 kam die Leica mit dem neuen Kleinbildformat 24x36 mm. Der Erfolg zog die Konkurrenz nach. So wurde der Ihagee Exakta bald ein Parallelmodell, die "Kine-Exakta" für KB, an die Seite gestellt, das sich letzten Endes durchsetzte. Foth, Berlin, kam mit der Derby für 3x4 und 24x36, Zeiss Ikon brachte mit der Super-Nettel und der Nettax zwei hervorragende KB-Kameras, für die ein Sammler heute so um die 1000 Mark auf den Tisch legen muß. Zeiss-Ikon brachte 1932 die Contax heraus. Wie die Leica mit Entfernungsmesser ausgerrüstet, war sie eine hervorragende Kamera, die aber nie die Stückzahlen der Leica erreichte. Kuriosität für den heutigen Sammler: Es gibt mehr Leicas als Contax aus dieser Zeit, aber für die Leicas wird ein Mehrfaches bezahlt. Franke & Heidecke in Braunschweig gelang ein großer Wurf mit Rolleiflex und Rolleicord im 6x6-Format, und alle anderen bauten sie nach. Die zweiäugigen 6x6-Spiegelreflexkameras wurden zum Renner und brachten der deutschen Kameraindustrie Anerkennung und Erfolg. Berning in Düsseldorf kam 1934 mit der Robot auf den Markt, einer KB-Kamera mit Federmotor für 24 Aufnahmen, die für verschiedene Spezialgebiete einsetzbar war. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung begann die Emigration so mancher Hersteller. So mußten die Gebrüder Wirgin ihre Fabrik in Wiesbaden an Adox verkaufen und in die USA gehen, weil sie Juden waren. Auch Guthe & Thorsch von den Kamera-Werkstätten mußten 1938 emigrieren. Die Firma übernahm der Amerikaner Charles Noble, der dafür seinen Fotobetrieb in den USA an Benno Thorsch übergab. Heute leitet Noble junior die Noblex-Werke in Dresden. Da, wo es nach dem Ersten Weltkrieg anfing, hörte es nun wieder auf: Die Kameraindustrie wurde auf Kriegsproduktion umgestellt. Günther Kadlubek in Color Foto 8/1995 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}