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SERVICE PHOTOGRAPHICA Aktuell Frühe Spiegelreflexkameras 4 Meilensteine Angesichts der heutigen Perfektion könnte man die Spiegelreflextechnik für eine recht junge Erfindung halten. Doch bereits 1884 konstruierte E. W. Smith eine SLR. Bis zur modernen Spiegelreflex war es freilich ein weiter Weg. Wir stellen Meilensteine dieses Weges vor. Die ersten Spiegelreflexkameras waren aus Holz, wunderschön in Messing gefaßt oder mit Leder bezogen. Sehen wir uns eine der frühesten SLR-Konstruktionen an, zum Beispiel die Mentor Reflex für Platten 10x15 Zentimeter. Dies ist zwar ein jüngeres Modell, aber es hat seine Wurzeln in der Zeit der Jahrhundertwende und wurde jahrzehntelang fast unverändert gebaut. Ernsthafte Fotografie erforderte damals vor allem ein großes Negativformat, da die Vergrößerungstechnik noch nicht verbreitet war. Entsprechend groß ist der Spiegel, und entsprechend lange dauert es, bis er aus dem Strahlengang geschwenkt ist. Das geht natürlich nicht mit einem kurzen "Klack" wie bei modernen SLRs, sondern mit Handkraft über einen Auslöser, der eine beachtliche Strecke zurückzulegen hat. Dreißiger Jahre: Durchbruch der SLR Der Schlitzverschluß (1/5-1/100 s) ist ebenfalls eine überdimensional anmutende Sache mit deutlichen Erschütterungen und einem Geräusch, das an alte Fensterrollos erinnert. Das nächste Hindernis ist die recht dunkle Mattscheibe. Zum Ausgleich gibt es einen wunderschönen, großen faltbaren Lichtschacht aus Leder. der auf Knopfdruck hochschnellt. Der entscheidendste Nachteil ist aber das Fehlen einer schnellen Abblendmöglichkeit. Wegen der großen Brennweite blendete man stark ab, so daß kurz vor der Aufnahme kaum noch etwas im Sucher zu sehen war. Größere Verbreitung fanden die einäugigen SLRs erst in den 30er Jahren. Die Objektive wurden lichtstärker. Eine schnelle Abblendvorrichtung gab es immer noch nicht, aber man arbeitete mit etwas größeren Blenden als früher, was auch der Helligkeit des Sucherbildes zugute kam. Durch das kleinere Format bedingt, störte die starre Form der Kamera nicht mehr, und der verbesserte Schlitzverschluß erwies sich sogar als Vorteil, weil er beim Filmtransport automatisch mitgespannt wurde und zudem sehr kurze Zeiten ermöglichte, die sich nun auch wirklich einsetzen ließen. Die Exakta der Firma Ihagee, Dresden, gilt als Urahn der heutigen SLR. Sie kam 1933 heraus und war für Aufnahmen im Format 42 x 63 mm auf 127er Film vorgesehen. Das Modell mit langen Belichtungszeiten (1/1000-l2 Sekunden) wurde etwa 1936 gebaut. Es hat ein vierlinsiges Objektiv der Lichtstärke 1:3,5, aber es waren auch lichtstärkere Zeiss-Optiken erhältlich. Trotz des für heutige Begriffe großen Filmformats ist diese Exakta nicht größer als eine Kleinbild-SLR unserer Tage. Für Langzeitaufnahmen mußte das Rad auf der rechten Seite jeweils neu aufgezogen werden. Es hat zwei Skalen, wovon eine zusätzlich das Vorlaufwerk aktiviert. Sie scheint für Linkshänder gebaut zu sein, Auslöser und Filmtransporthebel nach heutigen Vorstellungen auf der falschen Seite. Der Schnelltransporthebel weckt allerdings zu optimistische Erwartungen. Mit den ersten beiden Hebelschwüngen wird der Verschluß gespannt; gleichzeitig beginnt der Filmtransport, der fortgeführt werden muß, bis im rückwärtigen roten Fenster die nächste Zahl zu sehen ist. Trotzdem kann die Exakta überzeugen, weil sie gut konstruiert und solide gebaut ist. Sie ist als erste erfolgreiche, kompakte SLR ein Meilenstein der Kamerageschichte. Die Primarflex aus Görlitz ist ebenfalls eine Konstruktion aus den dreißiger Jahren. Die Ansammlung von Hebelchen mit gravierten Pfeilen auf der Bedienungsplatte wirkt zwar antik, aber die Kamera war zukunftsweisend. Der riesige Objektivverschluß mit unterbrochenem Gewinde ließ alle Möglichkeiten für Wechseloptiken offen. Die Würfelform und der Filmhalter nahmen das vorweg, was heute bei den meisten Mittelformat-SLRs Standard ist. Auch in Kleinigkeiten gibt sich die Primarflex (die zeitweise auch als Primarreflex vertrieben wurde) fortschrittlich. Der Filmtransport ist perfekt: das Transportrad wird nur noch bis zum Anschlag gedreht, und die Bildzahl mittels einer Drehscheibe angezeigt. Die erste SLR für die heute übliche Kleinbildpatrone war die "Kine-Exakta" (1936). Die Abbildung zeigt das Exportmodell der zweiten Serie mit Tessar 3,5/50 mm. Sie hat ebenfalls einen Tuchschlitzverschluß. Der Bajonettanschluß für das Objektiv und der Filmtransporthebel waren ihrer Zeit voraus, die Verarbeitung kann auch heute noch überzeugen. Ein Messer zum Abschneiden teilbelichteter Filme ist eingebaut. Ansonsten ähnelt die Kine-Exakta ihrer größeren Schwester. Nach dem Krieg in der DDR weiterentwickelt, wurde die Kine-Exakta die erste SLR mit austauschbarem Sucher. Für längere Belichtungszeiten war zwar immer noch die umständliche Bedienung nötig und Auslösung und Filmtransport wurden mit der linken Hand betätigt, ansonsten aber war die Kleinbild-Exakta als Systemkamera immer noch fortschrittlich. Kine-Exakta: auf Fotobörsen günstig zu haben Schließlich erwies sich der Auslöser an der Vorderseite der Exakta im nachhinein als großer - Vorteil: Die Vorrichtung zur Betätigung der Springblende bei neueren Objektiven konnte einfach davor gesetzt werden, Abblenden und Auslösen wurden zusammengefaßt. Wer Interesse an dieser klassischen Kleinbildkamera mit dem unverwechselbaren Chromdesign und den filigranen Gravuren hat, sollte sich beeilen. Das Nachkriegsmodell ist - derzeit auf Flohmärkten und Fottobörsen günstig zu haben (ab 100 Mark), ebenso Objektive - und Zubehör. Auch die Vorkriegsmodelle sind bisweilen zu moderaten Preisen (250 bis 500 Mark) zu finden. Aber wer weiß, weiß, wie lange noch? Volker Horstmann in Color Foto 10/1995 {ewl Thnhlp32.dll,THIN,SKIN.LZH;STEIMERM.BMP}