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Spezialreport
20 Jahre Kodak-Kassettenkameras
Ein Hobby für Millionen
20 Jahre ist es her, seit Kodak mit der Einführung von Kassettenkameras für einen grundlegenden Wandel in der Amateurfotografie sorgte. Problemloses Bildermachen wurde zum Hobby von Millionen.
"Es gibt keine Massen mehr für die Fotografie zu gewinnen, da diese längst gewonnen sind." Diesen Satz konnte man in einer Fotofachzeitschrift lesen, jedoch nicht etwa in unseren Tagen, sondern erstaunlicherweise vor rund 20 Jahren. Was war Grund und Anlaß zu solchem Pessimismus? Nun, der damals viel zitierte, kriegsbedingte Nachholbedarf war gedeckt. 1960 gab es in 48 Prozent aller bundesdeutschen Haushalte zumindest eine Kamera. Damit schien der Sättigungsgrad endgültig erreicht. Trotz größter Anstrengungen der Fotobranche änderte sich dieser Prozentsatz bis Ende 1962 nicht einmal um den Bruchteil eines Prozents. In den Jahren 1961/62 stagnierte der Kameraverkauf. Dann aber kam die photokina 1963. Sie leitete die große Wende ein.
Genauer gesagt war es die Firma Kodak, die für einen grundlegenden Wandel sorgte. Im März lüftete das Unternehmen in Köln den Schleier über einem bis dahin streng gehüteten Geheimnis: den neuen Instamatic Kameras. Viele Menschen, die bisher abseits gestanden hatten, begriffen die Botschaft von Kodak. Sie erkannten, daß ihnen hier eine Chance geboten wurde, auf ganz einfache Weise Fotos machen zu können. Und dann setzte sich auch bald eine Lawine in Bewegung, langsam zuerst, sehr bald aber immer schneller und immer mächtiger werdend. Fotohändler verkauften Kodak Instamatic Kameras zu Dutzenden. Aus Dutzenden wurden Hunderte, und aus den vielen Hunderten, wurden Tausende, Hunderttausende. Eineinhalb Jahre nach Einführung auf dem deutschen Markt war die Anzahl der verkauften Kodak Instamatic Kameras auf 600000 Stück hochgeschnellt. Im Oktober 1966 wurde bereits die Rekordmarke von zwei Millionen Stück überschritten.
Dieser Erfolg basierte auf der Erkenntnis, daß für die Mehrheit aller Menschen die Fotografie nicht Selbstzweck, sondern lediglich Mittel zum Zweck ist. Wer fotografiert, will letztlich Bilder haben. In der Frage freilich, auf welche Art und Weise man dieses Ziel erreichen möchte, da scheiden sich die Geister. Für die meisten Menschen gilt der Satz: Je müheloser und unbeschwerter, desto lieber.
Von entscheidender Bedeutung war also, den in weiten Kreisen potentieller Kamerakäufer verbreiteten Wunsch technisch möglichst perfekt umzusetzen in eine Kamera, die für jedermann ganz einfach zu handhaben ist. Nach einer vom Marketing und von der Entwicklungsabteilung der Kodak gemeinsam ausgearbeiteten Konzeption sollte die Kamera folgende Grundforderungen erfüllen:
Viele Kameras, mit denen ambitionierte Amateure liebevollen Umgang pflegen, wirken wegen ihrer Kompliziertheit ausgesprochen abschreckend auf die große Schar potentieller Hobbyfotografen. Die Bedienung einer Kamera für jedermann muß daher so einfach wie möglich sein.
Die größten Schwierigkeiten bereiten Kamerabenutzern erfahrungsgemäß das Einlegen eines neuen bzw. das Herausnehmen des belichteten Films. Sollte die geplante Kamera bei breiten Verbraucherschichten Anklang finden, so war dies das vordringlichste, gleichzeitig auch das schwierigste Problem, das es aus der Welt zu schaffen galt. Eine schlechthin perfekte Lösung fanden die Entwicklungsingenieure von Kodak schließlich in Gestalt der Kodapak Filmkassette (heute spricht man freilich nur noch vom 126er-Kassettenfilm).
Die Kassette macht das Filmeinlegen zum Kinderspiel.
Eine Kamera, die jedermanns Interesse wecken soll, darf nicht viel kosten. Es traf sich günstig, daß die technische Konzeption der Instamatic Kameras in etwa zusammenfiel mit einem grundsätzlichen Wandel in der Kamerafertigung. Im Prinzip handelte es sich dabei um eine Technologie, die eine drastische Reduzierung der früher erforderlichen Arbeitsoperationen ermöglichte. So konnten ohne qualitative Abstriche Kameras zu Preisen produziert werden, die auch für Leute mit schmalen Geldbeutel erschwinglich waren.
Die Boxkameras von einst waren nur bei Tage zu gebrauchen. Nach Einbruch der Dämmerung versagten sie ihre Dienste. Kodak Instamatic Kameras hingegen sollten auch abends noch nützlich sein. Schon die ersten Instamatic Kameras waren daher mit einem eingebauten, versenkbaren oder herausklappbaren Reflektor und einer Fassung für die damaligen Winzlinge unter den Blitzlampen, die AG-1, ausgestattet. Als nächstes waren Instamatic Kameras dann Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Kodak und Sylvania - mit einem automatisch arbeitenden Drehmechanismus für Blitzwürfel ausgestattet. Den elektrisch gezündeten Blitzwürfel folgten die X-Blitzwürfel, bei denen eine piezoelektrisch angeregte Zündpille das Aufleuchten des Blitzlämpchens auslöste. Über sogenannte Blitzmagazine, deren einzelne Blitzlämpchen (insgesamt acht bzw. zehn) nacheinander synchron mit der Verschlußauslösung gezündet wurden, führte der Weg bei den Kodak Pocket Instamatic-Kameras dann pfeilgerade zum eingebauten (Miniatur-) Elektronenblitz.
Der Erfolg des Instamatic-Systems wurde in starkem Maße begünstigt durch ein Sortiment von Kodak-Filmen mit sehr hohem Qualitätsniveau. Insgesamt standen vier Filme in 126er-Kassetten, zwei Diafilme, ein Colornegativ- und ein Schwarzweißfilm, zur Verfügung, die alle eine Empfindlichkeit von ASA 64/19 DIN hatten. Aber sehr bald zeigte sich, daß mehr und mehr Instamatic Kamerabesitzer dem Kodacolor-X-Film und somit dem Farbpapierbild den Vorzug gaben. Damit wurde ein Trend eingeleitet, der auch die Kleinbildfotografie beeinflußte und der schließlich dazu führte, daß 1980 Farbnegativfilme einen Anteil von 67 Prozent am gesamten Filmverkauf hatten.
Der Kodacolor-X-Film - mit seinen 19 DIN doppelt so empfindlich wie sein Vorgänger, den er 1962 ablöste - war bei Einführung der Instamatic Kameras gerade ein Jahr alt. Er war damals also der beste Farbnegativfilme, den Kodak zu bieten hatte. Und er blieb es auch ein paar Jahre... bis neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Fotochemie so weit herangereift waren, daß sie für eine grundsätzliche Verbesserung des Kodacolor-Films praktisch genutzt werden konnten. Was Kodak-Wissenschaftler in den 60er Jahren entdeckt hatten, waren die sogenannten DIR-Kuppler.
Es ist natürlich kein Zufall, daß der Kodacolor II - wie der neue, dank DIR-Kupplern wesentlich verbesserte Kodacolor-Film genannt wurde - 1972 zusammen mit einer neuen Kassettenkamera-Generation, den Kodak Pocket Instamatic-Kameras, eingeführt wurde. Der neue Film war vielmehr unabdingbare Voraussetzung für die beabsichtigte drastische Verkleinerung von Filmformat und Kamera. Der Kodacolor-Film 110 - so seine offizielle Bezeichnung - ist nur 16 mm breit, die Größe des Filmbilds beträgt nur noch 13 x 17 mm (im Vergleich dazu hat der 126 Film ein Format von 28 x 28 mm; es ist also nur geringfügig kleiner als das des Kleinbildfilms).
Insgesamt sieben Pocket Instamatic-Kameras wurden 1972 von Kodak auf dem Markt eingeführt. Sie waren von Anfang an ein großer Erfolg. "Die Minis, die die Welt eroberten", hieß es in der Presse. "Neu in Deutschlands Taschen" war "die Kleine, die große Bilder macht" - vom Publikum begeistert aufgenommen, weil sie mit ihren geringen Abmessungen (114 x 50 x 27 mm) in jede Tasche paßte. Die kleinste Pocketkamera von Kodak, die "Mini-Instamatic S 30" aus dem Jahre 1976 war übrigens nur 95 x 45 x 27 mm klein. Mit den Pockets war das fotografische Notizbuch, war eine neue "Bildermacher-Philosophie" geboren.
In der Einführungsphase der "Pockets" wurden etwa doppelt so viele Kodak-Kameras gekauft wie 1963, als die neuen Instamatic-Kameras ihr Debüt hatten. Die erste Million verkaufter Pocket-Kameras war schnell erreicht, und langsam aber sicher begannen die Pockets den 126er-lnstamatics den Rang abzulaufen, zumal immer wieder neue Modelle mit attraktiven Merkmalen herauskamen. 1981 waren weltweit 150000000 (in Worten: einhundertfünfzig Millionen!) Kodak-Kassettenkameras verkauft.
Hatten die ersten Pocket Instamatic-Kameras noch einen Drehmechanismus für Blitzwürfel, so gehörte der eingebaute (Mini)-Elektronenblitz ab 1978 praktisch zur Standardausrüstung der Pockets in der mittleren und oberen Preisklasse. Das Spitzenmodell der Ektra-Serie des Jahres 1980 war sozusagen mit einer denkenden Elektronik ausgestattet: Sie steuert nicht nur via CdS-Zelle die richtige Belichtung bei Tageslicht, sie sorgt vielmehr bei unzureichendem Licht automatisch dafür, daß der eingebaute Elektronenblitz für die nötige Aufhellung sorgt.
Im Prinzip war dies - zumindest im Ansatz - ein Vorläufer der elektronisch gesteuerten Automatik der nächsten Kassettenkamera-Generation, der Kodak Disc-Kameras.
Kodak Disc ist das Produkt eines technologischen Optimierungsprozesses, dessen Basis die gründlichste und umfassendste, jemals von Kodak durchgeführte Analyse der Fotografiergewohnheiten von Amateuren in aller Welt war. Das Ergebnis ist ein Kameratyp, der zwar ebenso leicht und problemlos zu handhaben ist wie die Instamatic- und Pocket-Modelle, der aber die bei den Vorgängermodellen noch vorhandenen Fehlerquellen ausschließt. Deckten Pocketkameras 70 Prozent aller Motivwünsche ab, so sind es bei Disc-Kameras 95 Prozent.
Mit Kodak Disc-Kameras erzielen ihre Besitzer zum Beispiel vergleichsweise schärfere Negative, weil sie mit einem hochwertigen, vierlinsigen Glasobjektiv ausgestattet sind; weil das Objektiv dank seiner extrem kurzen Brennweite von 12,5 mm einen Schärfentiefenbereich von 1,2 m bis unendlich bietet; weil die Lichtstärke des Objektivs (f:2,8) in Verbindung mit der hohen Empfindlichkeit des Disc-Films kurze Verschlußzeiten, gleichzeitig aber auch Aufnahmen bei kritischem Licht zuläßt.
Die "intelligente" Elektronik der Kamera übernimmt die Steuerung sämtlicher Kamerafunktionen. Kurz: Kodak Disc-Kameras nehmen ihrem Besitzer alle technischen Entscheidungen ab. Damit ist sie die perfekteste Schnappschußkamera, die Kodak jemals gebaut hat. Gleichzeitig bietet sie die sicherste Art, gute Bilder zu machen. Ihr Erfolg hat den ihrer Vorgänger weit übertroffen:
Und Ende 1982 waren weltweit bereits mehr als zehn Millionen Disc-Kameras verkauft worden.
Weil die Konstrukteure der Disc-Kamera hohe Lichtstärke mit möglichst großer Tiefenschärfe kombinieren wollten, mußten sie für das Objektiv die extrem kurze Brennweite von 12,5 mm wählen, die ihrerseits ein Bildformat von nur 8,2 x 10,6 mm verlangte. Bei dieser winzigen Bildgröße (sie ist nur etwas mehr als 1/3 so groß wie das Pocketformat) wäre der Kodacolor II-Film überfordert gewesen, wollte man von ihm Standardvergrößerungen von Disc-Negativen mit feinem Korn und guter Schärfe erwarten. So wurde die Aufgabe, ein entsprechend leistungsfähiges Filmmaterial für das Disc-Format zu schaffen, für die Kodak-Wissenschaftler zu einer Herausforderung ersten Ranges. Das Ergebnis, das sie schließlich vorweisen konnten, der Kodacolor HR Disc-Film, ist deswegen für Fotografen besonders bemerkenswert, weil er nicht nur wesentlich feinkörniger und schärfer, sondern auch doppelt so empfindlich ist wie der Kodacolor II. Kassettenfilme sind Schrittmacher des Fortschritts in der Filmtechnologie. Wie einst der Kodacolor II-Film so wird künftig auch der Kodacolor HR Disc-Film die Entwicklung neuer Filmtypen beeinflussen. Die ersten neuen Kleinbildfilme, bei denen die HR Disc-Filmtechnologie in entsprechend modifizierter Form genutzt wird, stehen schon vor der Tür: Es sind die Kodacolor VR 100 VR 200 und VR 400 Filme, die im Herbst dieses Jahres in den Handel kommen sollen (siehe Beitrag an anderer Stelle dieser Ausgabe). Zwanzig Jahre lang haben Kodak Kassettenkameras der Fotografie immer wieder neue Freunde zugeführt. Darunter einen früher nie erreichten Prozentsatz von Frauen, Jugendlichen, ja sogar von Kindern. Längst ist eine Generation herangewachsen die mit einer Instamatic- oder einer Pocketkamera von Kodak ihre ersten fotografischen Gehversuche machte, die vielleicht Geschmack an der Sache fanden und im Laufe der Zeit Appetit bekamen auf mehr und anspruchsvollere Fotografie, die mit anderen Worten zu "Aufsteigern", wurden. Kodak-Kassettenkameras haben der Farbfotografie, genauer gesagt dem Farbpapierbild zum Durchbruch verholfen: zwei Drittel aller Aufnahmen werden heute mit Farbnegativfilm gemacht; einen beträchtlichen Anteil daran haben Besitzer von Instamatic-, Pocket- und neuerdings auch von Disc-Kameras.
Millionen von Kodak-Kassettenkameras ließen den Bildermarkt explosionsartig anwachsen. Bei Einführung der Kodak Instamatic-Kameras im Jahre 1963 wurden in der Bundesrepublik jährlich rund 90 Millionen Fotos gemacht. 1972, als die Kodak Pocketkameras auf den Markt kamen, waren es bereits 750 Millionen Bilder. Und Pocketkameras sorgten in der Folgezeit dafür, daß der Bildermarkt auf mehr als das Doppelte, auf 1,6 Milliarden Bilder jährlich, anwuchs.
Seit George Eastman 1888 die erste einfach zu handhabende Boxkamera auf den Markt brachte, hat Kodak unablässig an der Aufgabe gearbeitet, das Fotografieren immer einfacher, billiger und vor allem sicherer zu machen. Es galt, immer bessere kamera- und filmtechnologische Lösungen zu finden, um einen uralten Wunsch breitester Bevölkerungsschichten zu erfüllen: Ganz einfach gute Bilder machen zu können. Oder - wenn man so will - gute Bilder ganz einfach machen zu können. Wie auch immer - Kodak Instamatic- und Pocketkameras waren erfolgreiche Stationen auf diesem Wege. Die bisher perfekteste Lösung aber ist die Kodak Disc-Kamera und der Kodacolor HR Disc-Film. George Eastman hätte daran seine helle Freude gehabt; denn mit den Disc-Kameras wurde realisiert, was er sich von Anfang an als Ziel vorgestellt hatte, daß nämlich "eine Kamera so leicht wie ein Bleistift zu benutzen" sein müsse.
Werner Bach in Color Foto 5/1983
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